Archiv für den Monat Juli 2015

Wewelsburg – Ideologie und Terror der SS

Die Wewelsburg an einem trüben Novembertag 2013

Die Wewelsburg an einem trüben Novembertag 2013

Die in Ostwestfalen gelegene Wewelsburg ist nicht nur eine architekturgeschichtliche Besonderheit. Die sehenswerte Dreiecksburg diente Heinrich Himmler für Nazi-Fantasy-Pläne, die 1285 KZ-Häftlinge mit ihrem Leben bezahlten. Heute befindet sich im ehemaligen SS-Wachgebäude eine der wenigen Ausstellungen zur NS-Zeit, die die Täter in den Mittelpunkt stellt. Von hier aus lassen sich auch die erhaltenen Kulträume der SS im Nordturm besuchen. Die Fotos stammen von einem Besuch der Museumsausstellung in der Burg selbst und der zeitgeschichtlichen Ausstellung zur SS im November 2013.

Überraschend klein erschien meiner Begleiterin und mir die Wewelsburg, als wir an einem trüben Novembertag 2013 dort ankamen. Ihre wechselhafte Geschichte wird in einer beeindruckenden Museumsausstellung in der Burg selbst dargestellt, die wir uns zuerst ansahen. Die seit dem 12. Jahrhundert auf vorhandenen Bauwerken errichtete Wewelsburg wurde im 17. Jahrhundert zum Renaissanceschloss umgebaut, nach Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg wiederhergestellt und verfiel während des 19. Jahrhunderts zu einer romantischen Ruine. 1815 schlug ein Blitz in den Nordturm ein und ließ eine ausgebrannte Turmruine zurück.

Modell des Renaissanceschlosses in der Museumsausstellung, wie es zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgesehen hat. Die Zugbrücke war aus Holz und alle drei Ecktürme trugen noch Zinnenkränze. Die Anlage besteht aus einem gleichschenkligen Dreieck.

Modell des Renaissanceschlosses in der Museumsausstellung, wie es zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgesehen hat. Die Zugbrücke war aus Holz und alle drei Ecktürme trugen noch Zinnenkränze. Die Anlage besteht aus einem gleichschenkligen Dreieck.

In der Weimarer Republik wurde das wieder instand gesetzte Gebäude zu einem überregionalen Veranstaltungsort der katholischen Jugendbewegung. 1925 eröffneten Jugendherberge und Heimatmuseum, auch zahlreiche örtliche Veranstaltungen fanden hier statt. 1934 mietete Heinrich Himmler im Namen der NSDAP die Wewelsburg, zunächst um ein Schulungszentrum der SS einzurichten, später sollte sie zu einer Art „Ritterordenszentrale“ der SS werden. Mit dem zunächst erfolgreichen Krieg wurden die Baupläne immer fantastischer und gigantischer. Zu ihrer Umsetzung wurde ein Konzentrationslager eingerichtet. 1945 durch ein Sprengkommando der SS zerstört, dient das Bauwerk heute wieder wie vor 1934 als Jugendherberge und beherbergt das Kreismuseum und Historische Museum des Hochstifts Paderborn.

Gemälde in der Museumsausstellung wie sie in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg ausgesehen hat

Gemälde in der Museumsausstellung, wie die Wewelsburg in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg ausgesehen hat

Aufgrund der Zerstörungen, Umbauten und Verfallsperioden haben sich nur wenige Zeugnisse der Baugeschichte erhalten. Aus dem 17. Jahrhundert stammen der Verhörraum mit Verlieszellen, im Volksmund auch „Hexenkeller“ genannt. 1759 diente das Verlies als Militärgefängnis, hauptsächlich für Deserteure. Seit 1802 wurde es nicht mehr genutzt bis die Nazis während der Reichspogromnacht 1938 die männlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde Salzkotten hier einpferchten, bevor sie in das KZ Buchenwald gebracht wurden. Diese und weitere erhaltene Gebäudeteile, darunter auch den im Bild unten gezeigten, besuchten wir im Verlauf des Museumsrundgangs.

Museumsraum 7 mit Mittelsäule und Fußboden aus dem 17. Jahrhundert und einer Ausstellung zu Zeiterfahrungen in der vorindustriellen Welt

Museumsraum 7 mit Mittelsäule und Fußboden aus dem 17. Jahrhundert und einer Ausstellung zu Zeiterfahrungen in der vorindustriellen Welt

Himmlers Vorstellung von der Funktion der Wewelsburg innerhalb der SS veränderte sich im Laufe der Zeit. Aus der Reichsführerschule SS des Jahres 1934 wurde ab 1936 die Zentrale des SS-Gruppenführercorps, zu der repräsentative Bauvorhaben sowie die Schaffung von synthetischen Traditionen mit Elementen eines Ritterordens, rassistischen Vorstellungen und vorchristlichen, pseudogermanischen Motiven gehörten. So sollte Wewelsburg beispielsweise Aufbewahrungsort für die SS-Totenkopfringe nach dem Tod ihrer Träger werden. Zur Finanzierung gründete Himmler die „Gesellschaft zur Förderung und Pflege deutscher Kulturdenkmäler“ als eingetragenen Verein, der anders als die SS, die eine nicht rechtsfähige Gliederung der NSDAP war, steuerbegünstigt Spenden sammeln und Kredite aufnehmen konnte. Kredite erhielt der Verein unter anderem von der Dresdner Bank.

Die Wewelsburg mit dem Zugang zum Hauptportal und dem Nordturm rechts.

Die Wewelsburg mit dem Zugang zum Hauptportal und dem Nordturm rechts.

Die auffälligste Veränderung an der Wewelsburg fand bereits 1934 durch die Entfernung des Außenputzes statt, der das Renaissance-Schloss schon vom äußeren her zu einer Burg machte. Ab 1938 begannen die Bauarbeiten an der Ruine des Nordturms mit der bedenkenlosen Vernichtung historischer Bausubstanz und der Schaffung kitschiger „SS-Sakralarchitektur“, wenn man sie so nennen will. KZ-Häftlinge mussten den Fels abtragen, um den Bau der „Gruft“ im Kellergeschoss zu ermöglichen. Im Erdgeschoss entstand der „Obergruppenführersaal“ mit der seit den 1990er Jahren in rechtsextremen und esoterischen Kreisen berüchtigten „Schwarzen Sonne“ im Marmorfußboden.

Innenhof der Wewelsburg mit Blick auf den Nordturm, in dem die "Gruft" und der "Obergruppenführersaal" der SS erhalten sind. Das frühere Kapellenportal führt heute in den "Obergruppenführersaal".

Innenhof der Wewelsburg mit Blick auf den Nordturm, in dem die „Gruft“ und der „Obergruppenführersaal“ der SS erhalten sind. Das frühere Kapellenportal führt heute in den „Obergruppenführersaal“.

Seit 1939 bestand ein Konzentrationslager, als Außenlager des KZ Sachsenhausen, von 1941 bis 1943 als selbständiges Konzentrationslager Niederhagen und anschließend wieder als Außenlager, diese Mal des KZ Buchenwald. Von insgesamt 3.299 KZ-Häftlingen wurden 1.285 durch die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, Brutalität und Sadismus, mangelhafte Ernährung und medizinische Versorgung ermordet. Die meisten von ihnen, 734 Tote, waren sowjetische KZ-Häftlinge. Vor allem im Jahr 1942 wurde das KZ mit 874 Toten zum Todeslager. 1943 wurde das selbständige KZ Niederhagen aufgelöst, es verblieb nur ein „Restkommando“, das am 2. April 1945 durch Einheiten der US-Armee befreit wurde.

Blick aus der Museumsausstellung der Wewelsburg auf das Wachgebäude mit der Ausstellung "Ideologie und Terror der SS"

Blick aus der Museumsausstellung der Wewelsburg auf das Wachgebäude mit der Ausstellung „Ideologie und Terror der SS“

Neben dem am Ortsrand liegenden KZ und den Baumaßnahmen in der Burg griff die SS mit mehreren Gebäuden wie dem „NS-Dorfgemeinschaftshaus“, dem Wach- und Stabsgebäude und weiteren Gebäuden massiv in das Ortsbild ein. Mit der zunehmend maßlosen Bauplanung wurde auch die Umsiedlung der Dorfbewohner vorgesehen und Druck auf sie ausgeübt. Nur drei Bauern gingen auf das Angebot ein – und kehrten 1945 als Vertriebene aus Schlesien wieder zurück.

Die Gebäude des KZ wurden 1943 zunächst von umgesiedelten „Volksdeutschen“ aus Osteuropa bewohnt. 1945 kamen hier erst „Displaced Persons“ und 1946 Vertriebene aus den verlorenen deutsche Ostgebieten unter. Daran an schloss sich ein Streit zwischen dem Land NRW und dem Gemeinderat um eine „Wertsteigerung“ für den Bau der KZ-Gebäude in dem ehemaligen Waldgelände. Die Holzbaracken wurden Mitte der 1950er Jahre abgerissen, die Steinhäuser wurden umgenutzt. Aus dem Torhaus wurde ein Wohnhaus, weitere Gebäude dienen als Feuerwehrgerätehaus, als Teil einer Werkhalle und als Scheune. Der frühere Appellplatz wurde als Rasenfläche gestaltet, erst Ende der 1990er Jahre konnten die Vorbehalte der Bewohner gegen ein Mahnmal durch eine Gruppe junger Wewelsburger aufgebrochen werden, das 2000 auf dem ehemaligen Appellplatz eingeweiht wurde.

Blick in die Dauerausstellung "Ideologie und Terror der SS" im ehemaligen Wachgebäude

Blick in die Dauerausstellung „Ideologie und Terror der SS“ im ehemaligen Wachgebäude

Nach wellenförmigen Auseinandersetzungen mit der NS-Vergangenheit begann Mitte der 1970er der „Paderborner Mahnmalsstreit“, der nach typischen und heftigen öffentlichen Kontroversen zur Entstehung einer untypischen, aber zum Ort passenden Dauerausstellung führte. Die Ausstellung „Wewelsburg 1933-1945, Kult- und Terrorstätte der SS“ aus dem Jahre 1982 thematisierte im ehemaligen SS-Wachgebäude am Burgvorplatz die SS in Wewelsburg und die allgemeine Geschichte der SS. Seit April 2010 ist die neue Ausstellung, „Ideologie und Terror der SS“ eröffnet. Sie bietet neue und moderne Darbietungsmethoden für ihre Inhalte und bezieht weitere bauliche Reste im Untergeschoss des Wachgebäudes sowie die SS-Kulträume im Nordturm in den Rundgang mit ein. Die „Schwarze Sonne“ im „Obergruppenführersaal“ büßt dabei durch eine einfache Methode ihre beherrschende Stellung ein: die Ausstellungsmacher verteilten viele bunte Sitzkissen in die Mitte des Raumes und nahmen ihm so den von der SS zugedachten Charakter. Der positive Nebeneffekt ist, dass sich die Besucher während der Führung durch die Ausstellung hinsetzen können. Wir besuchten die zeitgeschichtliche Ausstellung im Anschluss an die Museumsausstellung im Rahmen einer Besucherführung mit überaus zahlreichen Interessenten. Der Andrang war so groß, dass die Ausstellungsmitarbeiter uns in drei Teilgruppen durch die Ausstellung führten.

Blick in die Gräfte am Nordturm und auf den Weg aus der Ausstellung im Wachgebäude zu den "Kulträumen" der SS

Blick in die Gräfte am Nordturm und auf den Weg aus der Ausstellung im Wachgebäude zu den „Kulträumen“ der SS

Kleiner Exkurs: Gedenkstätten und NS-Täter

Die Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg war lange Zeit die einzige arbeitende Gedenkstätte, die sich vorrangig mit den NS-Tätern beschäftigte. Gedenkstätten, die die NS-Zeit thematisieren, waren und sind zunächst, dies macht auch die Widmung “Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus” deutlich, Orte, an denen der Opfer gedacht wurde. Auf dem Gelände der ehemaligen großen Konzentrationslager waren es in der Regel die Häftlingslager, auf denen die Gedenkstätten errichtet wurde. Dass sie überhaupt eingerichtet wurden, lag nicht zuletzt an der „Lobbyarbeit“ der internationalen Verbände ehemaliger Häftlinge, die würdige Erinnerungsorte an ihre Leiden und die ihrer ermordeten Kameraden forderten. Daher ist es einsichtig, dass sich diese Gedenkstätten vorrangig mit den Opfern beschäftigen. Werden in einer KZ-Gedenkstätte Täter thematisiert, so handelt es sich in der Regel um die diensthabenden SS-Dienstgrade mit ihren jeweiligen Funktionen im KZ, seltener die sogenannten „Schreibtischtäter“, die nicht unmittelbar an den Taten im KZ beteiligt waren.

Baustelle der "Topographie des Terrors" in Berlin (Foto: Juli 2000)

Baustelle der „Topographie des Terrors“ in Berlin (Foto: Juli 2000)

Erst in jüngerer Zeit wurden weitere Gedenkstätten an den Orten der Täter gegründet, die sich mit den NS-Tätern auseinandersetzen: die „Topographie des Terrors“ und die „Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz“ in Berlin sowie die „Villa ten Hompel“ in Münster. Die „Topographie des Terrors” dokumentiert auf dem Prinz-Albrecht-Gelände, das das Reichssicherheitshauptamt beherbergte, Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt. Das „Haus der Wannseekonferenz” thematisiert am Ort der Wannseekonferenz des Jahres 1942 den Völkermord an den europäischen Juden als arbeitsteiligen Verwaltungsvorgang. Die „Villa ten Hompel“ zeigt am früheren Sitz der Ordnungspolizei in Münster die Verbrechen von Polizei und Verwaltung.

Ergänzte Fassung

Quellen
Brebeck, Wulff E.: Wie Wewelsburg zu einer Gedenkstätte kam, in: Garbe, Detlef (Hg.): Die vergessenen KZs? Gedenkstätten für die Opfer des NS-Terrors in der Bundesrepublik, Bornheim-Merten 1983, S. 153-176
Brebeck, Wulff E.: Die Wewelsburg. Geschichte und Bauwerk im Überblick, Berlin, München 2009
Endzeitkämpfer – Ideologie und Terror der SS. Hrsg. von Wulff E. Brebek … Begleitband zur ständigen Ausstellung „Ideologie und Terror der SS“ in der „Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933-1945“ des Kreismuseums Wewelsburg, Büren-Wewelsburg. Berlin, München 2011

Denkmal für die ermordeten Juden Europas

Nach meinem kurzen Beitrag zur Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und meinem ausführlichen Beitrag zu den KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen folgt dieser (dritte) Beitrag der Reihe über ein lange kontrovers diskutiertes Denkmal in der Mitte Berlins: dem „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, umgangssprachlich „Holocaust-Denkmal“ genannt.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Die Idee zu einem Denkmal an die ermordeten Juden reicht zurück in das Jahr 1988 und geht auf die Publizistin Lea Rosh und den Historiker Eberhard Jäckel zurück. Bereits das Ergebnis des ersten Wettbewerbes aus dem Jahr 1994 zeigte überdimensionierte Ausmaße und wurde 1995 vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl abgelehnt. Da sich seit der Vereinigung beider deutscher Staaten das Umfeld des geplanten Denkmalstandortes verändert hatte und von einer früheren Randlage der geteilten Stadt in die Mitte Berlins gerückt war, erzeugte das geplante Denkmal inzwischen auch eine größere öffentliche Aufmerksamkeit.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Auch ein neuer Entwurf 1997 des New Yorker Architekten Peter Eisenman zeigte einen Hang zur Gigantomanie. Der Entwurf wurde jedoch im weiteren Verlauf der Debatte und Planung verändert, die Zahl und Höhe der geplanten Steelen reduziert und es wurden Bäume eingeplant. In einem Fernsehbeitrag wurden die veränderten Entwürfe mit leichter Ironie als Eisenman II und Eisenman III bezeichnet. Zu den immer wieder vorgetragenen Kritikpunkten zählte die mangelnde Authentizität des Ortes angesichts vorhandener Gedenkstätten, die Einschränkung auf eine einzige Verfolgtengruppe unter Ausschluss anderer Gruppen sowie eine „künstlerische Beliebigkeit“. Auf Betreiben des Kulturstaatsministers Michael Naumann, der das Denkmal 1998 zuerst massiv kritisiert hatte, wurde es um einen unterirdischen „Ort der Information“ ergänzt.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Der Historiker Eberhard Jäckel betonte 1997 im Rahmen der Colloqien die Einzigartigkeit des Holocaust bzw. der Shoah, gleichwohl er diese Begriffe meidet, und begründete damit die Widmung des Denkmals „für die ermordeten Juden Europas“: „Es war neuartig und insofern, als es geschah, einzigartig, daß noch nie zuvor ein Staat beschlossen hatte, eine Gruppe von Menschen, die er als Juden kennzeichnete, einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und Säuglinge ohne jegliche Prüfung des einzelnen Falles möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluß mit staatlichen Maßnahmen und Machtmitteln in die Tat umsetzte, indem er die Angehörigen dieser Gruppe nicht nur tötete, wo immer er sie ergreifen konnte, sondern in vielen Fällen, zumeist über große Entfernungen und überwiegend aus anderen Ländern, in eigens zum Zweck der Tötung geschaffene Einrichtungen verbrachte.“ (Jäckel, Eberhard: Leitvortrag. 1. Sitzung, in: Colloquium Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Dokumentation. Hrsg.: Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin 1997, S. 18-21, hier S. 19.)

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Auch ist die Widmung des Denkmals „für die ermordeten Juden Europas“ lange Zeit nicht selbstverständlich gewesen. Nicht ohne Grund schrieb Jürgen Habermas in der ZEIT: „Es kann nicht darum gehen, ‘daß die Juden von uns Deutschen ein Holocaust-Denkmal erhalten’. Dieses muß im Kontext unserer politischen Kultur einen anderen Sinn haben. Mit dem Denkmal bekennen sich die heute lebenden Generationen der Nachkommen der Täter zu einem politischen Selbstverständnis, in das die Tat – das im Nationalsozialismus begangene und geduldete Menschheitsverbrechen – und damit die Erschütterung über das Unsagbare, das den Opfern angetan worden ist, als persistierende Beunruhigung und Mahnung eingebrannt ist.“ (Habermas, Jürgen: Der Zeigefinger. Die Deutschen und ihr Denkmal, in: Die Zeit, Nr.14 v. 31.3.1999.)

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin-Mitte im Juli 2008

2003 wurde mit dem Bau des Denkmals begonnen und nach einer Kontroverse um die Beteiligung der Degussa AG, deren Tochtergesellschaft das Zyklon B für die Ermordung der Juden im Nationalsozialismus hergestellt hatte, wurde das Denkmal 2005 feierlich eröffnet. Seit der Eröffnung wird das Denkmal gut besucht und hat seinen Platz in Berlin gefunden. Es wird dabei in einer Weise und teilweise spielerisch erkundet, die man in einer KZ-Gedenkstätte am authentischen Ort kaum aushalten könnte.

Baustelle "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" in Berlin im Juli 2000

Baustelle „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin im Juli 2000

Eindrücke von den KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998

In diesem Jahr jährt sich mit dem 70. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus am 8./9. Mai 1945 auch die Befreiung der Konzentrationslager der Nazis. Zu den großen Konzentrationslagern auf deutschem Boden gehörten das KZ Buchenwald bei Weimar in Thüringen und das KZ Sachsenhausen in Oranienburg nördlich von Berlin.

Im Gegensatz zu der gelegentlich geäußerten Meinung, kann man KZs in Deutschland heute – glücklicherweise – nicht mehr besuchen, sondern nur KZ-Gedenkstätten, die am authentischen Ort errichtet wurden. Sie stellen die Geschichte des jeweiligen Lagers dar und vermitteln einen Eindruck der Geschichte. Außerdem handelt es sich um Erinnerungsorte der Überlebenden und ihrer Nachkommen. Wer heute ein KZ besuchen möchte, müsste dazu nach Nordkorea oder Guantanamo reisen.

In vielen KZ-Gedenkstätten gab es anlässlich des runden Jubiläums Veranstaltungen, zu denen die immer weniger werdenden Überlebenden eingeladen wurden. Dies ist kein Bericht über diese Befreiungsfeiern, vielmehr erinnere ich mich an meine Besuche in der Gedenkstätte Buchenwald in den Jahren 1998 und 2000 sowie an meinen Besuch in der Gedenkstätte Sachsenhausen im Jahre 2000.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000

KZ-Gedenkstätte Buchenwald
Mein erster Besuch der Gedenkstätte fand 1998 im Rahmen eines Seminars der Universität-Gesamthochschule Essen mit einer mehrtägigen Exkursion in die Stadt Weimar und einer Fahrt auf den Ettersberg zur Gedenkstätte an einem Tag statt. Zur Vorbereitung hatten wir unter anderem mit Theo Gaudig einen Überlebenden des KZ aus Essen in unser Seminar eingeladen, der von seiner Lagerhaft erzählte. Der Kontrast zwischen Goethe und Schiller in Weimar und der Nazi-Barbarei in Buchenwald war überdeutlich. Bereits bei der Ankunft verstörte mich eine Zufälligkeit. In Weimar waren mir historische Gebäude in einem bestimmten Gelbton aufgefallen, und eine der stehen gebliebenen SS-Kasernen erstrahlte in ebendiesem Gelbton. Die SS-Kasernen beherbergen heute das Besucherzentrum und eine Jugendbildungsstätte. Die KZ-Gedenkstätte selbst ist das ehemalige Häftlingslager, das man durch das Lagertor mit der berüchtigten Beschriftung „Jedem das Seine“ erreicht. Das Lagergelände selbst wird von den Überlebenden als Friedhof betrachtet.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Besuchergruppe auf dem ehemaligen Appellplatz im ehemaligen Häftlingslager

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Besuchergruppe auf dem ehemaligen Appellplatz im ehemaligen Häftlingslager

Das Konzentrationslager wurde 1937 von den Häftlingen, die aus anderen KZs hierhin verlegt wurden, mitten im Wald durch Rodung errichtet. Die Gedenkstätte wurde am 14. September 1958 als „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ der DDR eingeweiht. Vom Lager selbst war nicht viel übrig geblieben. Der nördliche Teil hinter dem Haupteingang ist ein großer Schotterplatz, der die Verwüstung symbolisiert, die das KZ bei den Menschen anrichtet. Den südlichen Teil ließ man zuwachsen. Die Umrisse einiger Blocks wurden auf dem Boden markiert. Erhalten blieben neben dem Torgebäude und den dazugehörigen Arrestzellen unter anderem eine Lagerbaracke, die Effektenkammer, die Desinfektion und das Krematorium.

In der ehemaligen Effektenkammer, dem größten Steingebäude, befindet sich eine Dauerausstellung zur Geschichte des Lagers 1937-1945. In der ehemaligen Desinfektion sind Kunstausstellungen zu sehen. Neben der Dauerausstellung mit Kunstwerken, die Häftlinge heimlich während der Lagerzeit oder kurz nach der Befreiung anfertigten, fand sich 1998 die Ausstellung eines polnischen Künstlers und ehemaligen Häftlings in der ehemaligen Desinfektion. In Montagen hatte er Aufnahmen von KZ-Häftlingen mit pornografischen Darstellungen verbunden, die das Obszöne der Nazi-KZs zeigten, mich aber einfach nur sprachlos machten. Das Krematorium wurde erhalten, weil der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann, der nie in Buchenwald eingesperrt war, hierhin gebracht, von der SS erschossen und sein Leichnam hier verbrannt wurde. Darauf weist eine übergroße Gedenktafel hin. Nach dem Ende der DDR wurde im Rahmen einer Neukonzeption der „Gedenkstätte Buchenwald“ die Erinnerungstafel an Ernst Thälmann belassen, allerdings der historische Sachverhalt durch eine wesentlich kleinere Erläuterungstafel ergänzt.

Unser Besuch fand im November des Jahres statt, und als ich auf dem ehemaligen Appellplatz der Häftlinge stand und nach Weimar* hinunter blickte, fragte ich mich, was man von Weimar aus gesehen haben mochte. Die beleuchteten Wachtürme mit Sicherheit. Außerdem fror ich trotz meiner warmen Kleidung und fragte mich, wie sich die Häftlinge gefühlt haben mochten.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Gedenktafel von Horst Hoheisel und Andreas Knitz zur Erinnerung an den nach der Befreiung errichteten Obelisken aus Holz

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Gedenktafel von Horst Hoheisel und Andreas Knitz zur Erinnerung an den nach der Befreiung errichteten Obelisken aus Holz

Das KZ Buchenwald ist das einzige Lager, dem am 11. April 1945 dank der herannahenden US-Armee und der Vorbereitungen des internationalen Lagerkomitees die Selbstbefreiung gelang. Am 19. April 1945 errichteten die Überlebenden einen Obelisken aus Holz zur Erinnerung an die Geschehnisse. An dieses Denkmal aus vergänglichem Material erinnert seit 1995 eine Gedenktafel von Horst Hoheisel und Andreas Knitz. Die Metallplatte enthält die Namen der Nationen, die in Buchenwald vertreten waren und wird das ganze Jahr über auf 37°C erwärmt. Weitere Gedenksteine und Denkmale auf dem Lagergelände erinnern an verschiedene Gruppen und Einzelereignisse.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 - Mahnmalsanlage, Besuchergruppe

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 – Mahnmalsanlage, Besuchergruppe

Mahnmalsanlage
Bei unserem zweiten Besuch, ebenfalls mit einem Seminar der Universität Essen, im Jahre 2000 blieben wir ganz auf dem Ettersberg und wohnten in der Jugendbildungsstätte in einer der ehemaligen SS-Kasernen. Zwar befinden sich diese außerhalb des ehemaligen Häftlingslagers, trotzdem war es ein merkwürdiges Gefühl, morgens aufzuwachen, aus dem Fenster zu schauen und rechts den Stacheldrahtzaun zum ehemaligen Lager und links den ehemaligen Appellplatz der SS, der heute ein Parkplatz ist, zu sehen. Allerdings blieb uns dadurch mehr Zeit für die Frage nach der pädagogischen Arbeit der Gedenkstätte und der Erkundung uns interessierender Fragen im Archiv. So recherchierte beispielsweise eine Kommilitonin über den Zeitzeugen des 1998er Seminars Theo Gaudig und verfolgte seinen Weg durchs KZ anhand vorhandener Akten.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Besuchergruppe vor einem Modell des Lagers

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Besuchergruppe vor einem Modell des Lagers

Andererseits war es ein merkwürdiges Gefühl, sich nach einer Führung durchs Krematorium und der Genickschussanlage zum Mittagessen zu begeben. Fast unglaublich auch die Erzählungen des pädagogischen Mitarbeiters der Gedenkstätte, der beispielsweise von sonntäglichen Kurzzeitbesuchern berichtete, die Probleme hatten, ihren „Buggy“ durch das Krematorium zu schieben. Die Einführung in die Geschichte des Konzentrationslagers erfolgte wie 1998 anhand eines Modells, von dem die Gedenkstätte mehrere besitzt, um gleichzeitig mit mehreren Besuchergruppen zu arbeiten.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 - Mahnmalsanlage, "Straße der Nationen"

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 – Mahnmalsanlage, „Straße der Nationen“

Unweit der Gedenkstätte wurde 1954 bis 1958 unter Einbeziehung von drei Massengräbern eine monumentale Denkmalsanlage angelegt, die wir ebenfalls besuchten. Ihr liegt das Motiv „Durch Sterben und Kämpfen zum Sieg“ zugrunde, das sich auch quasi-religiös als Tod und Wiederauferstehung, als sozialer oder realer Tod im Faschismus und Wiederauferstehung im real-existierenden Sozialismus deuten lässt. Die Architektur wird dem Sozialistischen Realismus zugeordnet und wurde für Massenveranstaltungen gebaut. Eine kleine Gruppe wie wir fühlte sich von dieser monumentalen Architektur einfach nur erschlagen. Einzig die zu Ringgräbern gestalteten Massengräber wirken durch ihre Größe und unsere Vorstellungskraft angesichts der angeeigneten Kenntnisse zur KZ-Geschichte.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 - Mahnmalsanlage, Besuchergruppe vor einem Ringgrab

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 – Mahnmalsanlage, Besuchergruppe vor einem Ringgrab

Zunächst stiegen wir eine breite, von Stelen flankierte Treppe hinab und kamen zu einem ersten als Ringgrab gestalteten Massengrab. Wir folgten der „Straße der Nationen“, die gesäumt ist von steinernen Pylonen. Jeder der 18 Pylonen steht für eine der Nationen der KZ-Häftlinge. Auf jedem Pylon befindet sich eine Feuerschale. Die „Straße der Nationen“ führte uns an einem zweiten Ringgrab vorbei und auf ein drittes Ringgrab zu. Von dort führte uns eine Treppe wieder hinauf zum Glockenturm und der Denkmalsgruppe von Fritz Cremer zur Erinnerung an den Widerstand im Lager. Den Glockenturm konnten wir wegen Sanierungsarbeiten nicht besichtigen.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 - Mahnmalsanlage, Denkmal von Fritz Cremer

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 2000 – Mahnmalsanlage, Denkmal von Fritz Cremer

Auch die Schwierigkeiten des „doppelten Gedenkens“ angesichts der Nutzung des ehemaligen Konzentrationslagers bis 1950 durch die Sowjetische Militäradministration als „Speziallager Nr. 2“, insbesondere für Täter der NS-Zeit, waren ein Thema des Seminars. Für die Erinnerung an das Speziallager war eine Ausstellung in einem Neubau im Hang unterhalb der KZ-Gedenkstätte eingerichtet worden, sowie ein von der KZ-Gedenkstätte unabhängiger Eingang und ein Zugang zum Gräberfeld im Wald, in dem die Umgekommenen des Speziallagers verscharrt worden waren.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen
Im Juli 2000 nutzte ich die Gelegenheit und besuchte während eines Berlin-Besuchs die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen und verbrachte ein paar Stunden dort. Die in der Stadt Oranienburg nördlich von Berlin gelegene Gedenkstätte ist mit der S-Bahn gut zu erreichen. Mein Versuch, mich einer Führung anzuschließen, scheiterte leider am Gedenkstättenpersonal. So machte ich mich alleine auf den Weg.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000, ehemaliger Appellplatz im ehemaligen Häftlingslager

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000, ehemaliger Appellplatz im ehemaligen Häftlingslager

Das 1936 errichtete KZ konnte sich anders als Buchenwald nicht selbst befreien, vielmehr schickte die SS vor Herannahen der Roten Armee im April 1945 den Großteil der Häftlinge auf sogenannte „Todesmärsche“, bei denen weitere Tausende starben. Am 22. April 1961 wurde die Gedenkstätte als „Nationale Mahn- und Gedenkstätte“ der DDR eröffnet. Der ehemalige Appellplatz wurde durch eine Mauer aus kreuzförmigen Betonelementen abgegrenzt, die die Gebäudeumrisse der Baracken enthält.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000, ehemaliges Häftlingslager mit symbolischer Kennzeichnung eines Barackenstandortes

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000, ehemaliges Häftlingslager mit symbolischer Kennzeichnung eines Barackenstandortes

Im Gegensatz zur Gedenkstätte Buchenwald wurde das Gelände der Gedenkstätte in eine Parklandschaft verwandelt, die zum Spazieren gehen einlädt. Die Standorte der ehemaligen Baracken werden durch Steinquader markiert, die – ich weiß nicht, ob ich es pietätlos finden soll – Jugendliche aus Schulklassen zum Sitzen und Verweilen einluden. Das zentrale Mahnmal, die Plastik „Befreiung“, stammt von René Graetz.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000, Plastik "Befreiung" von René Graetz am zentralen Mahnmal

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000, Plastik „Befreiung“ von René Graetz am zentralen Mahnmal

Die Umgestaltung zur „Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen“ war zum Zeitpunkt meines Besuchs 2000 noch nicht abgeschlossen, auch waren verschiedene Teile der Gedenkstätte baufällig. An mehreren Stellen wurde der Besucher vor dem Betreten gewarnt. Die Sanierungsarbeiten wurden erst zu den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung 2005 weitgehend abgeschlossen.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000

Die Fotos in Buchenwald 1998 und 2000 stammen von Jörg Hoffmann, Duisburg, der mir dankenswerterweise die Nutzung erlaubte. Bei allen Fotos in diesem Beitrag handelt es sich nicht um Digitalfotos, sondern um Papierabzüge von klassischen Negativstreifen, die ich am 20. Juli dieses Jahres scannte. – Ein Ergebnis meines Besuchs der Gedenkstätte Buchenwald 1998 war die Motivation für meine Diplom-Arbeit „Historisches Lernen in Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“, mit der ich im Juli 1999 mein Pädagogik-Studium erfolgreich abschloss.

*Anmerkung (dank eines Hinweises von Rolf): Dieser Satz zeigt, wie leicht man sich in seiner Erinnerung täuschen kann. Ich habe zwar damals vom ehemaligen Appellplatz des Lagers ins Tal hinuntergeschaut, aber mit Sicherheit nicht nach Weimar, das in der entgegengesetzten Himmelsrichtung liegt. Dennoch bleibt die Frage, wie viel man in Weimar vom Lager gewusst haben konnte, wenn man wortwörtlich oder auch im übertragenen Sinn nicht die Augen verschloss.

20. Juli 1944 – Nationalkonservativer Widerstand gegen das Hitler-Regime

Am 20. Juli 1953 enthüllte Bronzeskulptur von Richard Scheibe im Innenhof der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" (Foto Juli 2000)

Am 20. Juli 1953 enthüllte Bronzeskulptur von Richard Scheibe im Innenhof der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ (Foto Juli 2000)

Der 20. Juli 1944 ist das bekannteste Datum des Widerstandes gegen das Hitler-Regime. Für den Historiker Hans Mommsen handelt es sich dabei im Gegensatz zum kommunistischen oder sozialistischen Arbeiterwiderstand um bürgerlichen oder nationalkonservativen Widerstand. Die Männer des 20. Juli kamen überwiegend aus der Oberschicht, waren akademisch gebildet und haben zuvor meist im Dienst des NS-Regimes gestanden. Eine Rückkehr zur demokratischen Verfassung der Weimarer Republik lehnten sie ab, es überwogen konservative und neokonservative Ideale sowie preußische Staatstraditionen. Hinter ihren Reformkonzepten stand auch das Interesse der bürgerlichen Oberschicht, ihren sozialen Status zu sichern. Dennoch ist ihr auch persönlicher Einsatz gegen das NS-Regime zu würdigen, den sie aus einer moralisch begründeten Überzeugung heraus leisteten.

Der Ursprung einer nationalkonservativen oppositionellen Gruppierung lässt sich in das Jahr 1938 zurückverfolgen und beginnt mit dem aus Protest zurückgetretenen Chef des Generalstabs, Generaloberst Ludwig Beck. Handlungsfähige Gestalt gewann der nationalkonservative Widerstand jedoch erst im Angesicht der aussichtslosen militärischen Lage des „Dritten Reiches“ nach der Landung der West-Alliierten in der Normandie 1944 und der faktischen Auflösung der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront.

Zentrale Figur des Staatsstreichversuchs wurde Oberst Claus Graf Schenk v. Stauffenberg. Trotz seiner Behinderung durch Kriegsverletzungen (ihm fehlten ein Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken Hand) führte er das Attentat am 20. Juli 1944 selbst aus. Zu Hitlers Lagebesprechung im „Führerhauptquartier“ in der ostpreußischen „Wolfsschanze“ setzte er in einer Pause den Zeitzünder der Bombe in Gang, konnte aber aufgrund einer Störung nur die Hälfte des Sprengstoffs zur Zündung einstellen. Er deponierte die Aktentasche mit der Sprengladung in der Nähe Hitlers und verließ den Raum unter einem Vorwand.

Der Staatsstreich scheiterte letztlich, da der Diktator überlebte. Die Verschwörer wurden im Bendlerblock (Oberkommando des Heeres) in Berlin überwältigt, Beck erschoss sich selbst im Gebäude, während die anderen, darunter Stauffenberg, im Hof erschossen wurden. Weitere Beteiligte wurden in Schauprozessen vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler gedemütigt und abgeurteilt. Die Vollstreckung der Todesurteile erfolgte in Berlin-Plötzensee. Die Verurteilten wurden dort mit Stahlkabeln an Fleischerhaken aufgehängt. Der Vorgang wurde für Hitler gefilmt.

Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Innenhof in der Stauffenbergstraße mit dem Denkmal im Hintergrund (Foto Juli 2000)

Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Innenhof in der Stauffenbergstraße mit dem Denkmal im Hintergrund (Foto Juli 2000)

Heute befindet sich im ehemaligen Bendlerblock die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“, die Bendlerstraße wurde nach dem gescheiterten Attentäter in Stauffenbergstraße umbenannt. Im Innenhof befindet sich seit 1953 ein Ehrenhof mit einer am 20. Juli 1953 enthüllten Bronzeskulptur eines nackten Mannes mit gebunden Händen von Richard Scheibe. Zum 20. Juli 1969 wurde im Gebäude die „Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße“ mit einer kleinen ständigen Ausstellung eröffnet, 1989 wurde eine neue Ausstellung, die die ganze Breite des Widerstandes gegen das NS-Regime darstellte, eröffnet. Der neue Name „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ verdeutlicht die neue Konzeption. Die beiden Fotos zu diesem Beitrag entstanden noch mit meiner Kleinbildkamera während meines Besuchs kurz nach dem 20. Juli 2000 in der Gedenkstätte. Ich war damals völlig überrascht über den geschmückten Innenhof, bis mir das Datum in den Sinn kam.

Quellen
Lexikon des deutschen Widerstandes. Hrsg. von Wolfgang Benz und Walter H. Pehle. Frankfurt am Main 2004, 2. Aufl., S. 55 ff., S. 325 ff.

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 2, Bonn 1999, S. 179 ff.

Frauen ermordeter Gelsenkirchener Widerstandskämpfer

Frauen ermordeter Gelsenkirchener Widerstandskämpfer 1948 (v.l.n.r.) Auguste Frost, Anna Bukowski, Emma Rahkob, Änne Littek, Luise Eichenauer

Frauen ermordeter Gelsenkirchener Widerstandskämpfer 1948 (v.l.n.r.) Auguste Frost, Anna Bukowski, Emma Rahkob, Änne Littek, Luise Eichenauer (Foto: Privatbesitz)

In meiner Überblicksdarstellung zur Geschichte der Gelsenkirchener VVN-BdA verwendete ich im ersten Teil ein Foto mit Frauen ermordeter Widerstandskämpfer aus dem Jahr 1948. Aus der Beschriftung meiner Quelle gingen leider nur die Namen von Luise Eichenauer, Änne Littek, Emma Rahkob und Anna Bukowski hervor, der Name der Frau ganz links blieb unbekannt. Doch dank der Möglichkeiten des Internets wurde die Identität der unbekannten Frau geklärt.

Dabei handelt es sich um Auguste Frost, der Ehefrau von Hermann Frost, der als Mitglied der Zielasko-Gruppe vom sogenannten „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 20.10.1944 im Gefängnis München-Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet worden ist. Darauf wies mich jetzt ein naher Verwandter mit dem Originalfoto per E-Mail hin. Alle fünf sind Frauen der im Zuge der Zerschlagung der Zielasko-Gruppe 1943 verhafteten Männer.

Zielasko, Bergmann aus Gladbeck, Kämpfer in den Gladbecker Verbänden der „Roten Ruhrarmee“ 1920 gegen Kapp-Putsch und Freikorps, Mitglied erst der USPD (1918), dann der SPD (1922) und schließlich der KPD (1926/27), emigrierte 1932 in die Sowjetunion. Er kämpfte 1937 bis 1939 im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Franco-Putschisten, wurde im März 1943 von der Sowjetunion mit dem Fallschirm über Polen abgesetzt und nahm im Ruhrgebiet Kontakt mit Gleichgesinnten auf, die wie er der festen Überzeugung waren, dass man Krieg und Faschismus aktiv bekämpfen muss. Die Widerstandsgruppe, die u.a. in Gladbeck, Oberhausen, Essen und Gelsenkirchen Kontakte knüpfte, wurde verraten. Im August 1943 verhaftete die Gestapo 45 Antifaschisten, darunter auch die Ehemänner der hier abgebildeten Frauen, Hermann Frost, Paul Bukowski, Friedrich Rahkob, Rudolf Littek und Johann Eichenauer.

Franz Zielasko wurde schon bei den Verhören brutal zu Tode gefoltert, viele andere, darunter auch Hermann Frost, Paul Bukowski und Friedrich Rahkob wurden wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Verbindung mit Feindbegünstigung“ vom sog. „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und mit dem Fallbeil hingerichtet. Rudolf Littek und Johann Eichenauer wurden zwar freigesprochen, blieben jedoch in Haft und starben 1945 bei einem britischen Fliegerangriff auf die „schwimmenden KZs“ in der Lübecker Bucht. Von Emma Rahkob ist bekannt, dass sie am Tag der Hinrichtung ihres Mannes, dem 24. August 1944, ebenfalls verhaftet wurde, jedoch kurz vor der Deportation in ein Konzentrationslager für Frauen von alliierten Truppen aus dem Münchener Polizeigefängnis befreit worden ist und nach Gelsenkirchen zurückkehren konnte.

An die zur Zielasko-Gruppe gehörenden Karl Schuster, Johann Eichenauer und Andreas Schillack wird auf dem 1947/48 von der VVN errichteten Mahnmal an den antifaschistischen Widerstand auf dem Horster Südfriedhof erinnert, an Fritz Rahkob durch die Benennung des Fritz-Rahkob-Platzes 1987 in der Gelsenkirchener Innenstadt und seit 2011 durch einen Stolperstein vor seinem letzten Wohnort in der Liebfrauenstraße 38 in Gelsenkirchen. Stolpersteine erinnern auch an Andreas Schillack jun. (Essener Straße 71) und Paul Bukowski (Zollvereinstraße 4) sowie in der Redenstraße 34 in Gladbeck an Franz Zielasko. Stolpersteine für Rudolf Littek und Johann Eichenauer sind in Vorbereitung.

Bearbeitete Fassung

Eine ganz kurze Geschichte der Gelsenkirchener AfD-Ratsfraktion (mit Update)

Wahlplakat der "Alternative für Deutschland" zur Kommunalwahl in Gelsenkirchen 2014

Wahlplakat der „Alternative für Deutschland“ zur Kommunalwahl in Gelsenkirchen 2014

Prolog Im Oktober 2013 berichtet die WAZ über die Gelsenkirchener AfD: Nachdem der Direktkandidat zur Bundestagswahl, der 66jährige Hartmut Preuß, 4405 Stimmen (3,8 %) geholt hat, gründen er und seine 32 Parteifreunde den Kreisverband Gelsenkirchen. Als Themen werden der Euro, Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild und Zuwanderung nach kanadischem Vorbild genannt, politisch sortiert man sich in der „Mitte“ ein.

Kapitel 1. Rechts von der Mitte Nachdem man zur Kommunalwahl in Gelsenkirchen im Mai 2014 mit Themen wie Wirtschaftsförderung und Zuwanderung 5 % der Stimmen und 3 Sitze im Rat der Stadt erlangt hat und viertstärkste Kraft wurde, sortiert sich die Gelsenkirchener AfD durch ihre Aktion rechts von der Mitte ein: im Juli 2014 bildeten zur Wahl der Ausschüsse und Beiräte die „AfD-Stadtverordneten Hartmut Preuß, Martin Jansen und Dietmar Dillhardt (..) eine Abstimmungsgemeinschaft mit Pro NRW, einer Partei, die als verfassungsfeindlich eingestuft und beobachtet wird.“ (WAZ) – Mut zur Wahrheit?

Kapitel 2. Persönliche Alternativen zur Alternative Im Dezember 2014 wurde Hartmut Preuß als Fraktionsvorsitzender abgelöst und im Juli 2015 berichtete die WAZ, dass dieser ohne Angabe von Gründen die AfD-Fraktion verlassen hat. Hartmut Preuß behielt sein Mandat als Einzelmandatsträger und die Rest-Fraktion aus Martin Jansen und Dietmar Dillhardt schrumpfte zu einer Ratsgruppe. Auf der Facebook-Seite des Kreisverbandes wird nach einem weiteren WAZ-Bericht u.a. mitgeteilt: „Über die Gründe des Zerbrechens der Fraktion kann (…) nur Herr Preuß Auskunft geben.“ – Mut zur Wahrheit?

Epilog So hat sich wieder eine rechte Gruppierung selbst zerlegt. Nach einem guten Jahr ist die Fraktion am Ende. Ende.

Update oder … und nun, die Fortsetzung
Seit dem 27.03.2018 gibt es eine wiedervereinigte AfD-Fraktion im Rat der Stadt. Ob dieses Ereignis in einem Zusammenhang mit der in der Ratssitzung am 22.02.2018 erfolgten „Umbesetzungen durch die AfD-Ratsgruppe“ erfolgt ist, kann ich nicht beantworten, sondern nur vermuten. Im Protokoll der Ratssitzung vom 22.02.2018 ist jedenfalls unter TOP 9.3. nachzulesen, dass das bisherige Mitglied Hartmut Preuß, AfD-Einzelmandatsträger, auf Antrag der AfD-Ratsgruppe im „Ausschuss für Verkehr, Bauen und Liegenschaften“ sowie im „Betriebsausschuss GELSENKANAL“ durch sachkundige Einwohner ersetzt worden ist. In der neuen AfD-Fraktion einen Monat später ist Herr Preuß stellvertretender Fraktionsvorsitzender.

„Operation Untergang“ – Berliner Comic-Superheld gegen Hitler

Heft 3 vom Januar 2015 mit Captain Berlins Gegenspielerin in allen Zeiten Ilse von Blitzen

Heft 3 vom Januar 2015 mit Captain Berlins Gegenspielerin in allen Zeiten Ilse von Blitzen

Die meisten Superhelden im Comic wie im Kino stammen aus den US-amerikanischen Comicverlagen DC (Superman, Batman) und Marvel (Spider-Man, die Fantastischen Vier, X-Men, Hulk, Avengers). Doch ein zartes Superheldenpflänzchen publiziert der kleine norddeutsche Independent-Verlag Weissblech-Comics. Captain Berlin orientiert sich im Namen an den amerikanischen Marvel-Helden Captain America aus den 1940er Jahre, der im Rahmen eines Supersoldaten-Programms geschaffen und wie viele andere Superhelden auch – in den Comics – während des Zweiten Weltkrieges gegen die Nazis antrat.

Bereits „Operation Untergang“ im ersten Heft zeigt den ironischen Ton der Weissblech-Comics. Der im Berliner Untergrund mit biologischen Manipulationen geschaffene deutsche Superheld Captain Berlin vereitelt unfreiwillig das Attentat der Verschwörer um Stauffenberg vom 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze, als Captain Berlin Hitler gefangen nehmen und dem Völkerbund übergeben will. Hitlers Sprechblasen sind in Frakturschrift geschrieben und die Nazisse Ilse von Blitzen wird mit der Schnecken-Frisur Prinzessin Leias aus Krieg der Sterne eingeführt. Die Zweitgeschichte verbindet die Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima 2011 mit dem Thema der japanischen Monsterfilme und lässt Captain Berlin in Comic-Manier gegen Fukuda antreten.

Geschaffen wurde Captain Berlin bereits vor 30 Jahren vom Berliner Jörg Buttgereit für eine Super-8-Filmversion. Doch erst ab 2006 folgten ein Hörspiel für den WDR und ein Theaterstück; aus letzterem entstand die trashige Filmversion „Captain Berlin vs. Hitler“, die 2009 als DVD-Video erscheint. Als Beilage zur DVD zeichnen Rainer F. Engel und Levin Kurio die Comic-Geschichte „Operation Untergang“, die im Oktober 2013 zur Titelgeschichte des ersten Captain-Berlin-Comic-Heftes in Levin Kurios Verlag Weissblech-Comics wird. Bisher sind 4 Ausgaben „Captain Berlin“ erschienen, eine fünfte ist in Arbeit. Und erstmalig in der Geschichte von Weissblech-Comics erreicht die Nummer 1 bereits die 3. Auflage.

Zur zentralen Gegenspielerin in allen Zeiten entwickelt sich die in „Operation Untergang“ kurz vorgestellte Nazisse Ilse von Blitzen. Im zweiten Heft vom Oktober 2014 erschafft sie 1944 in Frankenstein-Manier mit den „Leichenteilen der besten deutschen Landser“ von allen Fronten das Monster Germanikus, das Captain Berlin überwältigt. In der Zweitgeschichte, die 2009 spielt, erweckt Ilse von Blitzen in London den „Elefantenmenschen“ Joseph Merrick wieder zum Leben und verfolgt den Plan, mit Hilfe des „Elements Walküre“ den „Führer“ wieder auferstehen zu lassen. In Heft 3 vom Januar 2015 verwandelt sie sich mit Hilfe eines verbündeten Okultisten in einen Nazi-Gargoyle.

An popkulturellen und historischen Anspielungen wird nicht gespart. So wird der 1944 im Kampf gegen Germanikus unterlegene Captain Berlin mit dem japanischen U-Boot U-3000 nach Hiroshima gebracht, wo der Superheld den Atombombenabwurf erlebt. In Heft 4 vom Juli 2015 verhindert er 1968 ein Attentat auf Rudi Dutschke und begegnet in der Pyramide der Morgenröte, in der sich auch Ilse von Blitzen aufhält, dem Okkultisten Aleister Crowley. Nach der Überwältigung des Attentäters stellt Captain Berlin fest: „Ein Glück, dass diese Altnazis so zwanghaft sind … stehen immer um 5.45 Uhr auf, essen Punkt zwölf …“

Für Heft 5 ist, ob ernst gemeint oder nicht, „Captain Berlin gegen Kim Jong-Il“ angekündigt. Die Hefte 1 bis 4 sind zum Preis von je € 4,90 hier oder im gutsortierten Comic-Handel erhältlich, die letzte Ausgabe ist sicher auch im Bahnhofsbuchhandel zwischen Spider-Man und Superman zu finden.

Und hier noch der Trailer zum trashigen Film, der seine Premiere übrigens 2009 in der Schauburg in Gelsenkirchen-Buer hatte:

Neue Stolpersteine werden verlegt – aber noch immer kein Rosa-Böhmer-Platz in Sicht

Stolpersteinverlegung am 1. August 2011 auf der Bismarckstraße 152 in Anwesenheit des Oberbürgermeisters Frank Baranowski. Hier verlegte Gunter Demnig insgesamt 8 Stolpersteine, begleitet von dem Gelsenkirchener Jazz- und Klezmer-Musiker Norbert Labatzki.

Stolpersteinverlegung am 1. August 2011 auf der Bismarckstraße 152 in Anwesenheit des Oberbürgermeisters Frank Baranowski. Hier verlegte Gunter Demnig insgesamt 8 Stolpersteine, begleitet von dem Gelsenkirchener Jazz- und Klezmer-Musiker Norbert Labatzki.

Zum achten Mal seit 2009 kommt der Aktionskünstler Gunter Demnig auf Einladung von Gelsenzentrum e.V. nach Gelsenkirchen. Die 119 bereits verlegten Stolpersteine wird er am 14. August 2015 um weitere 20 ergänzen. Das Institut für Stadtgeschichte hat dagegen in den letzten zwei Jahren keinen würdigen Ort für einen Rosa-Böhmer-Platz gefunden.

Die Stolpersteine, die der Kölner Bildhauer Gunter Demnig seit 1992 europaweit verlegt, erinnern symbolisch am letzten frei gewählten Wohnort an Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen von den Nazis verfolgt, entrechtet, vertrieben, deportiert oder ermordet worden sind. Das größte und dezentrale Denkmal in Europa erinnert ohne Unterschied an Juden, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma, Behinderte. Man “stolpert” nicht im wörtlichen Sinn über die in das Straßenpflaster eingelassenen Gedenksteine. Wer auf sie beim Gehen aufmerksam wird, muss anhalten und sich vor dem Stein verbeugen, um Namen, Lebensdaten und Verfolgungsgrund zu lesen.

Nach der derzeitigen Planung beginnt die Kunstaktion um 10 Uhr in Erle und wird dann an sechs weiteren Orten in Gelsenkirchen fortgesetzt.
10.00 Uhr Cranger Str. 398 – Stolperstein für Ernst Papies
10.20 Uhr Hauptstr. 63 – Stolpersteine für Familie Jeckel
10.40 Uhr Ringstr. 67 – Stolpersteine für Familie Alexander
11.00 Uhr Platz der Alten Synagoge/Georgstr. 2 – Stolperstein für Rabbiner Dr. Siegfried Galliner
11.20 Uhr Augustastr. 4 – Stolpersteine für Familie Goldschmidt
11.40 Uhr Von-Der-Recke-Str. 11 – Stolpersteine für Familie Broch
12.00 Uhr Feldmarkstr. 119 – Stolpersteine für Familie Höchster

Bei den angegebenen Zeiten handelt es sich wie immer um ungefähre Zeitangaben, die sich um etwa 15 Minuten verschieben können. Weitere Informtionen zu den mit einem Stolperstein erinnerten Personen finden sich auf der Seite des Arbeitskreises Stolpersteine.

So könnte zum Beispiel die Gedenktafel zur Erinnerung an die verfolgten und ermordeten Sinti und Roma Gelsenkirchens auf einem innerstädtischen Rosa-Böhmer-Platz aussehen.

So könnte zum Beispiel die Gedenktafel zur Erinnerung an die verfolgten und ermordeten Sinti und Roma Gelsenkirchens auf einem innerstädtischen Rosa-Böhmer-Platz aussehen.

Bald Rosa-Böhmer-Platz in Gelsenkirchen?

Leser dieses Blogs werden sich an den von Gelsenzentrum e.V. beantragten Rosa-Böhmer-Platz in der Innenstadt erinnern, der sich mit der Erinnerung an die ermordeten Sinti und Roma Gelsenkirchens in die Landschaft der bereits vorhandenen vier innerstädtischen Plätze, die an Widerstand und Verfolgung der Sozialdemokraten (Margarethe-Zingler-Platz), Kommunisten (Fritz-Rahkob-Platz), Katholiken (Heinrich-König-Platz) und Juden (Leopold-Neuwald-Platz), einfügen würde. Bei Rosa Böhmer handelt es sich um ein neunjähriges Sinti-Mädchen aus Gelsenkirchen, das von der Familie getrennt zu Pflegeeltern nach Paderborn verbracht wurde, dort aus der Schule heraus ins KZ Auschwitz deportiert und ermordet worden ist.

Der von Andreas Jordan ins Gespräch gebrachte Platz hinter dem Bildungszentrum (über den auch die Kinder- und Jugendbücherei erreichbar ist) wurde jedoch durch die Bezirksvertretung Mitte abgelehnt. Seit August 2013 hat der Leiter des Instuts für Stadtgeschichte (ISG), Stefan Goch, den sicher nicht einfachen Auftrag, einen würdigen Platz zu finden. In einer E-Mail vom 18. Juni 2015 an Andreas Jordan teilt dieser mit, dass die Benennung nach Rosa Böhmer weiter verfolgt werde, sich allerdings bisher noch keine „geeignete Örtlichkeit“ gefunden habe.

2013 vorgeschlagener Rosa-Böhmer-Platz, im Bild die Rückseite des Bildungszentrums mit der Kinder- und Jugendbücherei im Erdgeschoss.

2013 vorgeschlagener Rosa-Böhmer-Platz, im Bild die Rückseite des Bildungszentrums mit der Kinder- und Jugendbücherei im Erdgeschoss.

Vor 70 Jahren: Interview mit Werner Cichowski

Werner Cichowski (v.l.n.r.) 2011 beim Ostermarsch im Stadtgarten Gelsenkirchen, 2009 in Berlin bei der DGB-Demo für ein soziales Europa mit einer "roten Banane" vor dem Reichstagsgebäude , 2014 bei der Antikriegstagskundgebung auf dem Preuteplatz in Gelsenkirchen mit der VVN-BdA-Fahne und 2009 beim Wahlkampf für Die Linke Alternative im Gelsenkirchener Norden unterwegs.

Werner Cichowski in der Gegenwart (v.l.n.r.) 2011 beim Ostermarsch im Stadtgarten Gelsenkirchen, 2009 in Berlin bei der DGB-Demo für ein soziales Europa mit einer „roten Banane“ vor dem Reichstagsgebäude , 2014 bei der Antikriegstagskundgebung auf dem Preuteplatz in Gelsenkirchen mit der VVN-BdA-Fahne und 2009 beim Wahlkampf für Die Linke Alternative im Gelsenkirchener Norden unterwegs.

Werner Cichowski gehört mit seinen über 80 Jahren zusammen mit Robert Konze zu den ältesten noch lebenden Mitgliedern der Gelsenkirchener VVN-BdA. In Kindheit und Jugend erlebte er die Zeit des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges in Gelsenkirchen. Bei Kriegsende befand er sich in der Kinderlandverschickung in Bayern und musste im Alter von 14 Jahren selbst zusehen, wie er von dort aus nach Gelsenkirchen zurückkam. Im folgenden Interview vom 04.07.2015 erinnert sich Werner an die damalige Zeit.

Knut: Wann und wo bist du geboren und aufgewachsen?
Werner: Ich bin am 18.12.1931 in Gelsenkirchen geboren. Meine Mutter hat immer spöttisch gesagt: „im Wäschekorb im Dachzimmer“. Hausgeburten waren damals normal. Mein Vater war Bergmann auf der Zeche Consol. Wir sind öfter umgezogen. Ich war das älteste Kind, nach mir kamen zwei weitere Kinder, ein Bruder und eine Schwester. Meine Schwester hat meinen Vater nicht mehr kennengelernt, da dieser 1937 auf Consol tödlich verunglückte. Meine Mutter blieb Witwe und hat nicht mehr geheiratet, da sie ihren Kindern keinen Stiefvater ins Haus bringen wollte. Sie war über Knappschaftsrente und Berufsgenossenschaftsrente gut abgesichert.

Knut: Was hast du von der Nazi-Zeit in Gelsenkirchen mitbekommen?
Werner: Ich kam 1938 in die Volksschule, die Steinschule in Bismarck, und habe als sechsjähriger Kolonnen von SA und Hitlerjungen grölend durch die Straße ziehen sehen. Später war ich selbst HJ-Mitglied.

Knut: Hat sich 1939 mit Kriegsbeginn etwas verändert?
Werner: Das ist solange her, ich kann mich an den Kriegsbeginn nicht erinnern. Aber es gab Kriegspropaganda in den Schulen. Ich bin im Laufe des Krieges zweimal mit der Kinderlandverschickung nach Bayern gekommen. Die Gebiete waren nach Gaugebieten festgelegt.
Zwischen den beiden Kinderlandverschickungen konnte ich in Gelsenkirchen bereits viele Kolonnen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter sehen, die von den Arbeitsstellen zu ihren Baracken zogen. Diejenigen, die im Bergbau gearbeitet haben, versuchten teilweise Seife gegen Brot zu tauschen. Meine Mutter hatte Brot auf die Fensterbank gelegt – wir wohnten Parterre – und wurde deswegen denunziert, kam aber mit einer Verwarnung davon.
Die erste Verschickung ging 1940 und wir waren bei Privatleuten untergebracht. Ich war in der ländlichen Region in Buchbach, Kreis Mühldorf bei einem strammen Nazi untergebracht, einem Kaufmann, mein Bruder bei einem Steinmetz.
Zur zweiten Kinderlandverschickung ab 1943 wurden wir Schulklassenweise verschickt und gemeinsam in Gasthäusern oder ähnlichen Einrichtungen untergebracht, da dort die Möglichkeit bestand, die Kinder zu versorgen. Es gab dort größere Räume um Schlafsäle einzurichten. Aus dem Tanzsaal wurde dann ein Schlafsaal, aus der Gaststube der Speisesaal und das Klassenzimmer. Die KLV-Lager waren HJ-mäßig organisiert. Neben den Lehrern gab es eine stramme HJ-Führung, die darauf achtete, dass die Kinder im NS-Sinne erzogen und vormilitärisch geschult wurden. Ich wollte damals auch Unteroffizier in der Waffen-SS werden. Es kursierte unter den Kindern in den Lagern entsprechendes Propagandamaterial.
Unser erstes KLV-Lager war in Kist bei Würzburg. Dort mussten wir zum Beispiel im Wald Brombeerblätter und andere Kräuter sammeln, die auf dem Dachboden getrocknet wurden. Wenn ich dort später mit dem Auto – die Trasse der Autobahn war bereits damals im Wald geschlagen – dort entlang gefahren bin, habe ich mich immer daran erinnert und meiner Tochter gesagt, was ihr Vater hier vor 30 Jahren gemacht hat.
Das zweite Lager war in Au bei Bad Aibling in Oberbayern. Das Dorf Au liegt im Voralpengebiet. Dort haben wir gesehen, wie ein brennendes Flugzeug auf dem Berg abgestürzt ist. Wir hatten nichts besseres zu tun, als die Absturzstelle zu suchen. Nach etwa einer Stunde haben wir das Wrack gefunden, die verbrannten, kohlschwarzen Menschenleiber haben einen Eindruck auf mich gemacht, den ich nicht vergessen werde.
Fast bis zum Kriegsende waren wir in Neubeuern am Inn, Kreis Rosenheim untergebracht. Bei entsprechendem Wetter konnte man fast die Berge greifen. Im Schloß Neubeuern hatten die Nazis eine Napola untergebracht. Wir, die wir alle Arbeiterkinder waren, hatten oft Auseinandersetzungen mit ihnen, die bis zu Schlägereien gingen.
Es ging auf das Kriegsende zu und wir liefen täglich zu einem Ausmarsch, um körperlich fit zu bleiben und sangen dabei. Dabei wurden wir von amerikanischen Jagdbombern beschossen. Nur ein Sprung in den Straßengraben – der Gott sei dank trocken war – rettete uns.

Knut: Wie hast du vom Kriegsende erfahren?
Werner: Bei Kriegsende waren wir in Hohenthann bei Grafing in Oberbayern. Dort fühlte ich mich überhaupt nicht wohl, das Essen wurde bereits knapp. Als ich beim Küchendienst eingeteilt war, bemerkte ich, dass die Wirtsleute Zucker, Mehl und Milch an die Seite schafften. Ich hatte auch damals schon eine große Klappe und fragte nach der Milch. Da die Ernährungslage schlecht war, sammelten wir Sauerampfer, Brennnessel und ähnliches Gewächs, das sich verspeisen lässt. Daran erinnere ich mich, weil ich die Pflanzen kannte.
Ich weiß nicht mehr genau, im April oder Mai fuhren auf einmal Panzer vor. Die Bauernhäuser hatten weiße Betttücher ausgehängt und es fuhren amerikanische Panzer durch das Dorf. Ich befürchtete erst, weil sie einen Stern hatten, es wären russische Panzer – die wurden damals als Teufel dargestellt -, doch ich sah dort die ersten Neger, so nannte man damals die schwarzen Amerikaner.

Knut: Wie bist du nach Gelsenkirchen zurückgekommen?
Werner: Wir wurden ja nicht mehr versorgt, da der Staat nicht mehr funktionierte. Wir sind mit Bettelbriefen zu Bauern gegangen, damit diese uns aufnehmen und verpflegen, gegen unsere Mithilfe. Ich bin bei einem Landwirt mit Gastwirtschaft und Metzgerei untergekommen und musste mit 14 Jahren bei der Ernte helfen, den Kuhstall ausmisten usw. Ich war nicht alleine dort, sondern es gab auch ehemalige Soldaten, die sich der Gefangenschaft entzogen und mitgearbeitet haben. Mit ihnen habe ich mich gemeinsam auf die Heimreise gemacht, da sie auch nach Norddeutschland wollten. Nach sechs Tagen Fahrten auf verschiedenen offenen und geschlossenen Güterwagons kamen wir im Ruhrgebiet an.
In Gelsenkirchen ging ich zu dem Haus, in dem wir wohnten, bereits vorher traf ich meine Mutter vor dem Gemischtwarenladen an. Ich hatte zuvor gefundene Konservendosen den ganzen Weg bis nach Hause mitgeschleppt. Zuallererst musste ich in der Waschküche in einer großen Zinkbadewanne ein Bad nehmen. Ich vergesse nicht die dicke Schmutzschicht, die nach meinem Bad auf dem Wasser war.

Knut: Wie ging es dann weiter?
Werner: Ich ging für eine Zeit ins heutige Niedersachsen – das war damals auch die britische Besatzungszone – um in einem Gartenbaubetrieb zu arbeiten. Von dort habe ich versucht, Lebensmittel nach Hause zu schicken, was aber nicht klappte. Irgendwann habe ich Lebensmittelmarken geklaut und nach Hause geschickt.
Nach etwa einem Jahr kehrte ich nach Gelsenkirchen zurück. Dort musste ich noch ein Schuljahr nachholen, dass wegen der kriegsbedingten Ausfälle eingeführt worden war. Zum Teil waren Schüler dabei, die seit Jahren keinen ordentlichen Schulunterricht mehr gehabt haben. Ich habe mich gelangweilt und heimlich unter der Schulbank Karl May gelesen.
Als ältestes Kind war ich das „Familienoberhaupt“, ich fühlte mich meiner Familie verpflichtet und fuhr Hamstern, dabei wurde Hausrat gegen Kartoffeln u.ä. eingetauscht. Es gab damals das geflügelte Wort, „die Bauern haben im Kuhstall Teppiche“. Auf dem Schwarzmarkt haben wir Butter und Speck gekauft. Meine Mutter hatte viel Geld aus den Versicherungen, die sie aufgrund des Unfalltodes meines Vaters bekommen hatte, das wir in einem Winter auf dem Schwarzmarkt verfuttert haben.
Am 10.03.1947 begann ich im Bergbau als Berglehrling zu arbeiten. Ich bin Mitglied der Gewerkschaft geworden und engagierte mich ab da in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit und später auch parteipolitisch, da ich einsah, dass die gewerkschaftliche Arbeit alleine nicht ausreicht.

Knut: Werner, ich danke für das Gespräch.
Werner: Bitteschön!

Werner Cichowski bei der Demonstration "umFAIRteilen" am 29. September 2012 in Bochum

Werner Cichowski bei der Demonstration „umFAIRteilen“ am 29. September 2012 in Bochum

AfD-Fraktion im Gelsenkirchener Rathaus ist zerfallen

Wahlplakat der "Alternative für Deutschland" zur Kommunalwahl in Gelsenkirchen 2014

Wahlplakat der „Alternative für Deutschland“ zur Kommunalwahl in Gelsenkirchen 2014

Als viertstärkste Partei hatte die sogenannte „Alternative für Deutschland“ seit der letzten Kommunalwahl 2014 im Rat der Stadt Gelsenkirchen gesessen, nach SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist es vorbei.

Mit 5 Prozent der abgegebenen Stimmen waren Hartmut Preuß, Martin Jansen und Dietmar Dillhardt damals gleich im ersten Anlauf für ihre Partei in Fraktionsstärke in den Stadrat eingezogen. Damit gab es mit der mit 4 % ebenfalls in Fraktionsstärke erneut eingezogenen selbsternannten „Bürgerbewegung“ Pro NRW gleich zwei rechte Parteien in der örtlichen Gemeindevertretung. Bei der Besetzung der Ausschüsse und Beiräte im Juli 2014 stimmten dann auch folgerichtig beide rechte Parteien gemeinsam ab, um sich Sitze in den Gremien zu sichern.

Zuvor hatten sich rechte Gruppierungen in Gelsenkirchen, wie z.B. die Republikaner, nach Wahlerfolgen jeweils selbst zerlegt, auch die Fraktion von Pro NRW war vor der Kommunalwahl 2014 durch Austritt eines Mitglieds zerbrochen. Und auch bei der Gelsenkirchener AfD scheint man sich indessen zerstritten zu haben. Wie heute in der Online-WAZ zu lesen ist, ist Hartmut Preuß im Dezember 2014 als Fraktionsvorsitzender abgelöst worden und hat nun auch die gemeinsame AfD-Fraktion verlassen, die damit den Fraktionsstatus und Finanzmittel verliert. Preuß will sein Ratsmandat behalten und Mitglied der AfD bleiben.

Im Ratsinformationssystem ist die AfD bereits nicht mehr als Ratsfraktion eingetragen, Preuß als fraktionsloser Einzelmandatsträger. So schnell kann die Verwaltung arbeiten!