Archiv für den Monat Mai 2022

Eine kleine Wahlnachlese

Eigentlich ist schon alles zur Landtagswahl NRW geschrieben worden und meine Motivation, noch etwas originäres hinzuzufügen äußerst gering. Wahlgewinner sind CDU und Bündnis 90/Die Grünen, Wählerstimmen verloren haben die anderen Parteien, und DIE LINKE hat deutlich den Einzug in den Landtag verpasst. Beklagt wird allenthalben die niedrige Wahlbeteiligung – offenkundig verliert die repräsentative Demokratie zunehmend ihre Anhänger. Wenn man im Landtag nur die Anzahl der Sitze entsprechend der Wahlbeteiligung besetzen würde, dann blieben fast die Hälfte der Sitze unbesetzt.

In Gelsenkirchen ist die Situation noch etwas anders als im Land, hier hat die SPD mit 27.633 Zweitstimmen (37,48 %) die Nase vorn. Nach der CDU kommen an dritter Stelle die Bündnisgrünen mit 8.816 Stimmen (11,96 %), gefolgt von der AfD mit 7.695 Stimmen (10,44 %). DIE LINKE erhielt nur noch 1.402 Zweitstimmen (1,90 %) – aber 1.767 Erststimmen (2,40 %). Allerdings lag die Wahlbeteiligung in Gelsenkirchen bei unterirdischen 44,45 %, das heißt, mehr als jeder Zweite ist nicht zur Wahl gegangen. Wie die WAZ berichtet, ist das die zweitgeringste Wahlbeteiligung in ganz NRW und macht als Ursache die soziale Ungleichheit aus.

Als Illustration habe ich ein nur noch in Teilen aktuelles Plakat der Linkspartei gewählt. Oskar kann man nicht mehr wählen, aber möglicherweise wird sich der eine oder andere Wähler der Bündnisgrünen Schwarz ärgern. Vielleicht ist es aber auch ein Ergebnis, dass den Bündnisgrünen mehr entspricht, als man glaubt. Werden die Grünen doch größtenteils von Akademiker:innen und Beamt:innen gewählt.

„Eine interessante Biographie kann man ihm sicher nicht absprechen.“

Interview mit Valentin Zill

Valentin Zill (Quelle: Facebook).

Kürzlich stieß ich in der örtlichen WAZ auf einen Artikel über Kandidatinnen und Kandidaten der kleinen Parteien zur Landtagswahl NRW am kommenden Sonntag, deren Chance, tatsächlich in den Düsseldorfer Landtag einzuziehen, eher gering ist. Einer dieser Kandidaten ist der mir bekannte Valentin Zill, der erst kürzlich von Hessen nach Gelsenkirchen gezogen ist. Da der Artikel in der WAZ offenkundig aufgrund einer reinen Online-Recherche entstanden ist („Wer über den gebürtigen Göttinger im Netz nachforscht“), ohne dass der Kandidat selbst befragt worden ist, nutzte ich journalistischer Amateur die Chance, ihn selbst zu interviewen. Die Überschrift zu diesem Beitrag ist übrigens dem oben genannten WAZ-Artikel entnommen.

Knut: Hallo Valentin, kürzlich hat die Gelsenkirchener WAZ kurz über verschiedene Kandidatinnen und Kandidaten zur Landtagswahl am 15. Mai 2022 berichtet. Du hast mir gegenüber den Text deutlich kritisiert. Wie würdest du dich und deine Biografie kurz vorstellen?

Valentin: Die WAZ-Notiz hat mich vor allem deshalb gestört, weil sie oberflächlich recherchiert war und der Autor sich nicht bei mir gemeldet hat – politische Inhalte fehlen da völlig. Das ich nach meiner Bundestagskandidatur im Wahlkreis Rheingau-Taunus – Limburg für die Linkspartei „noch weiter nach links gerückt“ sei, ist falsch. Ich war als Student schon einmal Mitglied der DKP, hatte mich in Limburg nur in der Linkspartei engagiert, weil die DKP dort nicht aktiv ist, und war innerhalb der Linkspartei in der Kommunistischen Plattform organisiert.
Richtig ist, dass ich ursprünglich aus Göttingen komme. Ich bin Jahrgang Tschernobyl. Meine Familie ist an den Chiemsee gezogen, als ich sieben war. Ich habe zwei Berufsausbildungen in München gemacht, in Traunstein Abitur nachgeholt und in Heidelberg, Bayreuth und München studiert. Ich habe einen Bachelor of Arts in Ethnologie, Soziologie und Afrikanistik.
Nach dem Studium habe ich zunächst freischaffend als Musikjournalist gearbeitet und längere Zeit in Côte d’Ivoire und Äthiopien gelebt. Zurück in Deutschland habe ich im Tourismus gearbeitet. Dann kam Corona. Ich musste mich beruflich neu orientieren, habe mich auf meine Talente besonnen und entschieden, wieder Journalist zu werden. Jetzt schreibe ich über Politik statt über Musik, mit klarem proletarischem Klassenstandpunkt.
Das Wichtigste aber: Ich bin seit meinem 14. Geburtstag politisch aktiv. Gegen Faschismus, für Frieden, als Gewerkschaftsmitglied.

Knut: Warum kandidierst du für die DKP und warum gerade in Gelsenkirchen?

Valentin: Für die DKP kandidiere ich, weil ich davon überzeugt bin, dass unser Bundesland – und unser Land – eine kommunistische Partei braucht. Unser Widerstand gegen Kapitalismus und Imperialismus, gegen Krieg und Umweltzerstörung ist wichtiger denn je.
Wir treten aber nicht zur Landtagswahl an, um am Parlamentsbetrieb teilzuhaben. Der Wahlkampf ist Teil unserer außerparlamentarischen Strategie. Wir unterstützen gewerkschaftliche und soziale Kämpfe, die Friedensbewegung und antifaschistische Arbeit.
Im Wahlkreis Gelsenkirchen I – Recklinghausen V trete ich an, weil es mich beruflich vor knapp einem Jahr nach Gelsenkirchen verschlagen hat, ich mich hier wohl fühle und politisch engagieren möchte. Die „Stadt der zehntausend Gefeuerten“ ist nach dem verpassten Strukturwandel die ärmste Deutschlands. Hier ist die Not besonders groß. Dafür sind die Menschen hier freundlich, offen und vor allem solidarisch.

Knut: Was sind für dich die 3 wichtigsten politischen Themen/Fragen der Gegenwart?

Valentin: Zuvorderst die Frage nach Krieg und Frieden. Der deutsche Imperialismus rüstet massiv auf. Der deutsche Rüstungshaushalt wird dieses Jahr der drittgrößte der Welt sein. Die NATO-Staaten geben 16-mal mehr für Rüstung aus als Russland. Deutschland alleine wird in diesem Jahr mehr Geld in Waffen und Militär stecken als das so viel größere Russland. Wer solche Rüstungsorgien feiert, der bläst zum Krieg. Dem müssen wir uns entschieden entgegen stellen. Die DKP fordert den Austritt der BRD aus der NATO, das Verbot sämtlicher Rüstungsexporte und die Beschlagnahmung der Gewinne der Rüstungsindustrie. In Nordrhein-Westfalen setzen wir uns für die Schließung der AWACS-Air-Base in Geilenkirchen, der NATO-Basis in Kalkar und die Auflösung des deutsch-niederländischen Korps in Münster ein.
Dann die Verelendung breiter Massen im Spätkapitalismus. Die Energiepreise galoppieren, die Lebensmittelpreise wachsen rasant, die Mieten steigen auch immerzu. Hartz-IV-Empfängern war ein menschenwürdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe schon immer verwehrt. Jetzt sinkt auch der Lebensstandard von Arbeitern und Angestellten deutlich, die sich bisher zur Mittelschicht zählten. Immer mehr Menschen stellt sich die Frage: Hungern oder Frieren? Gleichzeitig werden die Reichen immer reicher. Im Jahr 2020 zum Beispiel wuchs das Vermögen der Superreichen um sagenhafte 60 Prozent. Im gleichen Zeitraum fielen über 100 Millionen Menschen auf der Welt in absolute Armut. Da besteht natürlich ein Zusammenhang, der in den Medien allerdings kaum thematisiert wird. Wir Kommunisten fordern eine Millionärssteuer, Energiezuschläge für Sozialleistungsempfänger und ein Verbot von Strom- und Gassperren.
Der dritte wichtige Punkt ist die Ausländerfeindlichkeit und der Rassismus in Deutschland und die wachsende faschistische Gefahr. Krieg und Faschismus gehören zusammen. Ich bin dem Schwur von Buchenwald verpflichtet, den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten und eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen. Die DKP kämpft für ein Verbot sämtlicher faschistischer Parteien und für eine Auflösung des so genannten „Verfassungsschutzes“, der Nazis mit Geld und Waffen versorgt und vor Strafverfolgung schützt. Wir setzen uns dafür ein, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum gesetzlichen Feiertag zu machen.

Knut: Du schreibst für die Zeitung „Unsere Zeit“. Was ist deine Motivation?

Valentin: Bei der UZ mache ich ein Volontariat, also eine Ausbildung zum Redakteur. Hier darf ich mich spannenden Themen widmen und einen kleinen Beitrag dazu leisten, proletarisches Klassenbewusstsein zu fördern, Perspektiven für eine bessere Welt aufzuzeigen und Aufklärung zu betreiben – was die Mainstream-Medien, alle im Besitz weniger Konzerne, ja nicht tun.

Knut: Du bist auch Mitglied der VVN-BdA. Was hat dazu geführt, hier Mitglied zu sein?

Valentin: Mit der VVN-BdA bin ich erstmals in Kontakt gekommen, als ich im Rahmen meines Abiturs eine Seminararbeit zum Thema „Die Problematik des öffentlichen Gedenkens an Opfer des Faschismus im Landkreis Traunstein“ geschrieben habe. Die einzige Monographie, auf die ich mich stützen konnte, war ein Buch von Friedbert Mühldorfer von der VVN-BdA München. Er hat mich unterstützt und hervorragende Tipps gegeben. Für meine Seminararbeit habe ich dann einen lokalen Geschichtspreis gewonnen. Als Dank bin ich der VVN beigetreten. Das war damals aber schon lange überfällig. Meine politische Sozialisation hatte schließlich mit Antifaschismus begonnen.
Mitglied eines Verbands zu sein, der von Überlebenden der faschistischen deutschen Barbarei gegründet wurde, war und ist für mich eine Ehre, die mir eigentlich nicht zusteht. In der VVN durfte ich Menschen wie Martin Löwenberg und Prof. Kurt Pätzold kennenlernen – Begegnungen, die mich geprägt haben.

Knut: Vielen Dank für das Gespräch!

Veranstaltungsprogramm zum 8. Mai 2022

Werbung für den Tag der Offenen Tür am 8. Mai 2022.

Nachdem das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung in den beiden vergangenen Jahren jeweils Veranstaltungen zum 8. Mai durchgeführt hatte, um die Forderung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano und der VVN-BdA, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum Feiertag zu erheben und um zu zeigen, wie sich ein solcher Feiertag mit Leben füllen lässt, gibt es in diesem Jahr erstmalig in unserer Stadt ein gemeinsames Programm der städtischen Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie des Gelsenkirchener Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Zwischen dem 8. und dem 18. Mai 2022 finden eine Reihe unterschiedlicher Veranstaltungsformate statt. Beginnend mit dem Tag der Offenen Tür in der Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ in Gelsenkirchen-Erle mit Führungen durch die Ausstellung um 11 und 15 Uhr finden an den darauffolgenden Tagen unter anderem Vorträge, ein Workshop zwei Filmvorführungen und eine Buchpräsentation statt. Veranstalter sind das Institut für Stadtgeschichte, die Volkshochschule bzw. die flora. Die Stadtbibliothek bietet den Schulen Recherchetrainings sowie ein digitales Medienverzeichnis zum Thema 8. Mai an. Die AG „Laufend erinnern“ gedenkt auf dem Friedhof in Gelsenkirchen-Heßler.

Das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung als Repräsentant der Zivilgesellschaft beteiligt sich mit drei Veranstaltungen: in Gelsenkirchen-Horst steht Stolpersteine putzen auf dem Programm, an der Altstadtkirche wird eine Mahnwache für den Frieden abgehalten und eine Antifaschistische Fahrradtour führt zu den Kriegerdenkmalen in Gelsenkirchen.

Das komplette Programm mit allen Infos und Zeitangaben ist hier zu finden. Voranmeldungen sind nur bei den Veranstaltungen der VHS erforderlich, alle übrigen können ohne Anmeldung – spontan – besucht werden.

Die Qual der (Landtags-)Wahl?!

Plakate zur Landtagswahl NRW 2022 in Gelsenkirchen.

Anders als bei früheren Wahlkämpfen habe ich mir nicht mehr die Mühe gemacht, die einschlägigen Plakate der Parteien zu fotografieren und zu kommentieren, irgendwie sind mir die meisten Plakate zu nichtssagend, zu langweilig geworden. Mehrfach ins Auge gestochen ist mir dagegen die oben abgebildete Aufstellung dreier Plakatwände an der Kreuzung Overwegstraße/Florastraße (im Hintergrund das Musiktheater im Revier).

Während SPD und CDU hier ihre Spitzenkandidaten Hendrik Wüst (CDU), der Ministerpräsident bleiben will und Thomas Kutschaty (SPD), der Ministerpräsident werden will zeigen, haben die Bündnisgrünen ganz selbstverständlich ihre Gelsenkirchener Kandidatin Ilayda Bostancieri daneben postiert. Während ich Ilayda bereits bei mehren lokalen Demonstrationen gegen Rechts gesehen habe, sind mir weder Hendrik Wüst noch Thomas Kutschaty jemals in Gelsenkirchen begegnet. Daraus folgt erst einmal keine Wahlentscheidung, bemerkenswert ist die Schwerpunktsetzung der Bündnisgrünen allemal.

Ganz rechts und nicht mehr im Bild befindet sich übrigens ein Plakat der FDP, deren Kandidatin ist mir jedoch noch nicht einmal dem Namen nach bekannt. Woran auch immer das liegen mag.

Update: Thomas Kuschaty bin ich tatsächlich dann doch noch in Gelsenkirchen begegnet. Am Samstag vor der Landtagswahl verteilte er auf dem Heinrich-König-Platz beim Streetfood-Festival rote Rosen. Meine Freundin bekam auch eine verbunden mit der Bitte, am nächsten Tag zu wählen.