Archiv für den Monat April 2013

Gunter Demnig verlegt wieder Stolpersteine

Stolperstein am letzten Wohnort von Erich LangeZum 5. Mal kommt der Kölner Künstler Gunter Demnig nach Gelsenkirchen, um weitere Stolpersteine zur Erinnerung an von den Nazis verfolgte und ermordete Menschen zu verlegen. Am Montag, dem 29. April 2013 wird er zu den 60 bereits vorhandenen weitere 19 Stolpersteine an 8 Orten in Gelsenkirchen verlegen.

Die Verlegung beginnt um 10 Uhr auf der Karl-Meyer-Straße 10 mit einem Stolperstein für Hartwig Wurm. Um 10.20 Uhr folgt ein Stolperstein für Michael Hjnacki auf der Steinfurthstraße 26. Auf der Ringstraße 48 wird gegen 10.45 Uhr ein Stolperstein für Juda Rosenberg in das Straßenpflaster eingesetzt. Für die Mitglieder der Familie Schönenberg werden Stolpersteine ab 11.15 Uhr vor ihrem letzten Wohnort in der Wanner Straße 119 gesetzt. Es folgen Stolpersteine für die Familie Tepper um 12 Uhr auf der Florastraße, Höhe Kennedyplatz, den Familien Lichtmann und Meyer ab 12.30 Uhr auf der Gewerkenstraße 2 sowie dem Ehepaar Gutgold um 13 Uhr auf der Eckenerstraße 14 und dem Ehepaar Berghausen um 13.20 Uhr auf der Essener Straße 76.

Die Veranstalter teilen mit, dass es sich bei den angegebenen Uhrzeiten um Richtwerte handelt. Alle Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen. Mit einem eigens erstellten Flugblatt lädt Gelsenzentrum auch die Anwohner herzlich zur Teilnahme an den Verlegungen ein. In der Rotthauser Steinfurthstraße werden zudem Angehörige der Familie Hojnacki erwartet, in der Gewerkenstraße ist die Schalker Fan-Initiative e.V. beteiligt. Eine Angehörige der Familie Schönenberg reist eigens aus San Francisco an. In Horst sind Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Horst beteiligt. Mit einer Ausnahme (Michael Hojnacki war katholisch) wird der Kantor des jüdischen Kulturvereins „Kinor“ an den Verlegeorten das jüdische Gebet El male rachamim singen.

Der Verlegetag schließt ab 18 Uhr mit einer vom Inner Wheel Club Gelsenkirchen unterstützten Gedenkstunde in der Bleckkirche. Unter anderem liest der Schriftsteller Joachim Rönneper aus seinem Buch „Vor meiner Haustür“.

Weitere Informationen auf den Seiten des Veranstalters Gelsenzentrum e.V. hier und hier.

Moderner Antisemitismus (II) – Reflexhafte Relativierung der Shoah

Bild 175-04413 AuschwitzEs hat gar nicht lange gedauert, bis der erste Kommentator, natürlich unter einem Pseudonym, meinen Beitrag zur Veranstaltung über modernen Antisemitismus kommentierte. Da hier ein treffendes Beispiel für einen typischen und sehr einfachen Versuch, die Shoah zu relativieren, vorliegt, zitiere ich den „Kommentar“ zunächst vollständig, anstatt ihn sofort in den virtuellen Papierkorb zu schieben. Weiter unten gehe ich dann auf die Argumentation ein.

Hier zunächst der unter dem Pseudonym „alphachamber“ geschriebene „Kommentar“ (Zitat in kursiver Schrift):
“Wenn man die deutsche Geschichte kennt, so sollte man annehmen, dass nichts so unmodern wäre, wie der Antisemitismus…” Und wenn man nicht nur die Deutsche Geschichte kennt, weiss man, dass
1.) der Antisemitismus keinen Deutschen Ursprung hat und
2.) dass er aelter ist als das Heilige Roemische Reich Deutscher Nation.
3.) Nur sind die Deutschen die absoluten Demuts und Entschuldigungs-Weltmeister.

Typisch für Holocaust-Leugner, Geschichts-Revisionisten und Relativisten ist, dass Fakten verdreht oder geleugnet werden bzw. so getan wird, als würden bestimmte Fakten geleugnet werden.

So wird hier unter 1. so getan, als hätte ich in meinem Beitrag behauptet, der Antisemitismus sei deutschen Ursprungs. Davon steht nichts in meinem Beitrag. In vielen Ländern gab und gibt es Antisemitismus. Das ist unbestritten.

Im 2. Punkt wird behauptet, der Antisemitismus sei älter als das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“. Dies stimmt so nicht. Eine religiös begründete Judenfeindschaft gab es in Europa über Jahrhunderte. Dieser Judenfeindschaft konnte man entkommen, indem man sich taufen ließ und Christ wurde. Antisemitismus ist jedoch keine religiös begründete Judenfeindschaft, sondern sie ist in der europäischen Neuzeit entstanden und pseudowissenschaftlich rassistisch begründet. Den Höhepunkt bildete Nazi-Deutschland mit seiner Einteilung in Voll-, Halb- und Vierteljuden – unabhängig von der Religionszugehörigkeit.

Zu Punkt 3 erübrigt sich fast jede Erwiderung. Die Shoah lässt sich gar nicht „Ent-schuldigen“. Eberhard Jäckel hatte die Einzigartigkeit der Shoah anlässlich der Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin treffend zusammengefasst: „Es war neuartig und insofern, als es geschah, einzigartig, daß noch nie zuvor ein Staat beschlossen hatte, eine Gruppe von Menschen, die er als Juden kennzeichnete, einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und Säuglinge ohne jegliche Prüfung des einzelnen Falles möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluß mit staatlichen Maßnahmen und Machtmitteln in die Tat umsetzte, indem er die Angehörigen dieser Gruppe nicht nur tötete, wo immer er sie ergreifen konnte, sondern in vielen Fällen, zumeist über große Entfernungen und überwiegend aus anderen Ländern, in eigens zum Zweck der Tötung geschaffene Einrichtungen verbrachte.“

Supplement

Wie nicht anders zu erwarten, setzte der anonyme Kommentator seine Kommentare fort. So wurde ich als „Scheinheilig“ und „Selbstherrlich“ beschimpft, wurde ein nicht nachprüfbares Zitat einer Jüdin als scheinbar besonders glaubwürdige Argumentationshilfe verwendet sowie an keiner Stelle von mir bestrittene Verbrechen angeführt, um diese mit den etwa 6 Millionen Ermordeten der Shoah aufzurechnen. Als ob die Shoah dann weniger schlimm sei. Im 4. Kommentar kam der anonyme Kommentator dann endlich auf den Punkt und beschrieb seine Obsession in einem sehr klaren Satz: „Mir geht es darum, dass es meist immer nur um Juden geht.“ Tja, wenn man einen Beitrag zu einer Veranstaltung über Antisemitismus liest, dann muss man damit rechnen, dass es in diesem Beitrag um Juden geht.

Moderner Antisemitismus?

Gelsenkirchen erinnert sichIm Rahmen der städtischen Veranstaltungsreihe „Gelsenkirchen erinnert sich“ über die Zeit vor 80 Jahren fand heute Abend tief im Gelsenkirchener Süden eine Veranstaltung zum Thema „Moderner Antisemitismus“ statt. Wenn man die deutsche Geschichte kennt, so sollte man annehmen, dass nichts so unmodern wäre, wie der Antisemitismus, doch tatsächlich wird schon seit Jahren das Wort „Jude“ auf Schulhöfen wie von Fußballfans wieder als Schimpfwort verwendet.

24 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer hatten sich um 19 Uhr im Spunk in Gelsenkirchen-Ückendorf versammelt und den Vortragsraum bis auf den letzten Platz gefüllt. Paul M. Erzkamp (SJD Die Falken) referierte kurz einige Stationen der religiös geprägten Judenfeindschaft im Verlauf der europäischen Geschichte, die sich in der Neuzeit zu einem rassistisch motivierten Antisemitismus steigerte. Zur Geschichte des Antisemitismus gehört auch, dass zu ihren Vertretern selbst Demokraten und Linke gehörten. Gab es für Juden im Mittelalter noch die Möglichkeit, indem sie sich taufen ließen der Verfolgung zu entkommen, so blieb ihnen diese Möglichkeit der Assimilation durch die Mehrheitsgesellschaft nach dem angeblich wissenschaftlichen Weltbild der Rassisten verwehrt. Der historische Antisemitismus gipfelte in der Shoah, dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden durch Nazi-Deutschland.

Der moderne Antisemitismus steht daher vor dem Problem, den Massenmord an den europäischen Juden leugnen oder relativieren zu müssen. Andererseits bedient er sich noch immer vieler alter antisemitischer Stereotypen. Rechte benutzen diese noch immer gerne für eine verkürzte Kapitalismuskritik, die zwischen guten Kapitalisten („schaffendes Kapital“) und bösen Kapitalisten („Spekulanten“, Finanzkapital) unterscheidet. Ebenfalls verwenden Antisemiten eine Gleichsetzung des Staates Israel mit den in der Shoah ermordeten Juden oder auch mit allen heute weltweit lebenden Juden.

An den Vortrag schloss sich nach einer kurzen Raucherpause noch eine interessante und nachdenkliche Diskussion an. Unwidersprochen blieb das Argument, dass man den modernen Antisemitismus nicht aus der Geschichte des Antisemitismus erklären kann, sondern nur aus der aktuellen, gesellschaftlichen Situation. Doch auch den modernen Antisemitismus gibt es unter anderem nur deshalb, weil es den historischen Antisemitismus gegeben hat. Oder hätte man den modernen Antisemitismus neu erfinden können? Da ich das nicht beantworten kann, habe ich die Überschrift mit einem Fragezeichen ergänzt.