Archiv für den Monat Oktober 2011

Zwangsarbeiter-Gräber auf dem Ostfriedhof in Hüllen werden gepflegt

Sehr schnell reagierte die Stadt Gelsenkirchen auf eine Anfrage der VVN Gelsenkirchen zum Gräberfeld für ausländische Zwangsarbeiter auf dem Ostfriedhof. 55 sowjetische Kriegsgefangene, 265 sowjetische Zwangsarbeiter, 39 polnische Zwangsarbeiter und 20 Zwangsarbeiter aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden sind dort bestattet. Inzwischen wurde das Gräberfeld wieder würdig hergerichtet.

Nach einem Ortstermin am 9. August 2011 hatte die VVN in einem Brief auf den schlechten Erhaltungs- und Pflegezustand des Gräberfeldes hingewiesen. Die Grabkissensteine befanden sich auf einer großen Rasenfläche, die einen wenig gepflegten Eindruck machte. Viele Grabsteine waren mit Moos überwachsen, so dass die Namen und Daten kaum noch lesbar waren. Ein großer Unterschied war im Vergleich zum angrenzenden Gräberfeld für Bombenopfer festzustellen. Diese Gräber waren mit einer Reihe Steinkreuze versehen, mit Efeu bepflanzt und mit Steinplatten eingefasst und machten einen gepflegten Eindruck. Ein kurzer Bericht erschien ebenfalls auf der Homepage der VVN Gelsenkirchen unter der Überschrift „Erinnerung braucht Pflege – Ortstermin auf dem Ostfriedhof in Hüllen“.

Auf ihr Schreiben vom 1. September 2011 erhielt die VVN am 20. September 2011 eine Antwort. Dort heißt es, dass alle „Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ die gleiche Wertschätzung erführen, unabhängig von der Nationalität der Bestatteten. Zuletzt seien die Gräber der Zwangsarbeiter mit Efeustreifen gestaltet gewesen, die man wegen eines Pilzbefalls entfernt habe. Die zunächst angestellte Überlegung, die vorhandenen Grabkissensteine in der Rasenfläche zu belassen, wurde wieder verworfen, nachdem Maulwürfe und Kaninchen die Rasenfläche zerstört habe. Eine Gestaltung mit kleineren Staudenpflanzen sei vorgesehen, man bitte aber um Verständnis, dass die Neugestaltung einige Zeit in Anspruch nehmen werde.

Diese Neugestaltung begann jedoch weitaus schneller als erwartet. Wie man bei einem Besuch auf dem Hüller Ostfriedhof in dieser Woche feststellen konnte, waren die Grabkissensteine bereits von Moos und Schmutz gereinigt, mit Steinen eingefasst und bepflanzt worden. Es ist sehr erfreulich, dass die Stadt Gelsenkirchen und Gelsendienste so schnell reagiert haben.

Auf den Fotos lässt sich der Zustand vom 09.09.2011 mit dem vom 29.10.2011 vergleichen.

Stolpersteine werden herausgeputzt

Die unermüdliche Heike Jordan lädt für den Arbeitskreis Stolpersteine zur diesjährigen Putzaktion ein. Bis zum Freitag, den 28. Oktober 2011 sollen alle 41 bisher in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine geputzt worden sein. Einige freiwillige Helfer haben sich schon gemeldet, manche sind eher zufällig darauf gestoßen. So berichtete Heike Jordan von Mädchen und Jungen der Klasse 5c der Gesamtschule Berger Feld, die sich im Nordsternpark spontan an der Säuberung des Stolpersteins für den belgischen Zwangsarbeiter Charles Ganty beteiligten. Heike Jordan schreibt dazu im Lokal-Kompass: „Die Bürste ging von Hand zu Hand, jeder wollte bei der Reinigung mitmachen. Gemeinsam reinigten und polierten die Mädchen und Jungen den Stolperstein, der schon nach kurzer Zeit wieder glänzte. ‚Jetzt kann man wieder darüber stolpern‘, sagte eines der Mädchen nachdenklich.“

Hintergrund des diesjährigen Termins ist die Erinnerung an die sogenannte „Polenaktion“, der Zwangsausweisung von Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit aus Deutschland. In Gelsenkirchen traf es mehr als 80 Menschen, die am 28. Oktober 1938 brutal aus ihrem Alltag gerissen und unter unglaublichen Bedingungen über die polnische Grenze abgeschoben wurden. Mit einer kleinen Gedenkveranstaltung, zu der die Projektgruppe Stolpersteine herzlich einlädt, findet die Putzaktion an den in der Kolpingstraße (Seiteneingang von C & A) verlegten Stolpersteinen am 28. Oktober 2011 um 18 Uhr ihren Abschluss.

„Nach Polen abgemeldet“

Hier wohnte Familie Krämer …

Ein aufgrund der nachfolgenden Reichspogromnacht weitgehend vergessenes Ereignis ist die „Polenaktion“ genannte Zwangsausweisung von rund 17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit. Diese wurden zwischen dem 27. und 29. Oktober 1938 in einer Nacht- und Nebel-Aktion im damaligen Deutschen Reich verhaftet und nach Polen abgeschoben. Die Aktion bezeichnete für zwei Wochen einen neuen, unfassbaren und scheinbar nicht mehr steigerungsfähigen Höhepunkt der Diskriminierungsmaßnahmen des NS-Regimes gegen Juden. Unter den Ausgewiesenen befanden sich auch die Eltern von Herschel Grynszpan, dessen Attentat auf den Botschaftssekretär in Paris den Nazis als Vorwand für die Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 dienten, die der Volksmund als „Reichskristallnacht“ bezeichnete und die den früheren Höhepunkt der Diskriminierung schnell ins Vergessen geraten ließ.

In Gelsenkirchen betraf die Aktion auch die Familie Krämer, die zu diesem Zeitpunkt in der Von-der-Recke-Straße 10 wohnte. Zur Familie gehörten der Familienvater, Selig Uscher Krämer, der zum Zeitpunkt seiner Verhaftung kurz vor seinem 44. Geburtstag stand, seine 38jährige Frau Perla Krämer sowie die beiden Kinder, der 12jährige Max und die 5jährige Charlotte. Vater Krämer und seine Frau stammten aus Otynia in Galizien (Südpolen), ihr Sohn Max war noch dort am 3. März 1926 geboren worden. 1930 kamen sie aus Rotterdam nach Gelsenkirchen, wo am 12. Januar 1933 Tochter Charlotte geboren wurde. Wie auf der Seite von Gelsenzentrum e.V. nachzulesen ist, wurde Selig Uscher Krämer am 28. Oktober 1938 nach Zbazyn in Polen abgeschoben, während Frau und Kinder in das sogenannte „Judenhaus“ an der damaligen Hindenburgstraße 38 (heute Husemannstraße) übersiedeln mussten.

Der polnische Historiker Jerzy Tomaszewski geht in „Auftakt zur Vernichtung“ (Osnabrück 2002) davon aus, dass die Ausweisung im Allgemeinen überall ähnlich ablief, viele Einzelheiten hingegen von den Lokalbehörden abhingen. So wurden in einigen Orten ganze Familien ohne Rücksicht auf das Alter und den Gesundheitszustand der Familienangehörigen ausgewiesen, während in anderen Orten nur die Männer verhaftet wurden. Manche wurden mitten in der Nacht von Gestapo, SA oder SS aus ihren Wohnungen gescheucht und im Nachthemd mitgenommen, anderen wurde es erlaubt, ein wenig Handgepäck und Lebensmittel mitzunehmen. An Bargeld durfte aufgrund der Devisenbestimmungen pro Person maximal 10 Reichsmark mitgenommen werden. Die Verhafteten wurden auf Polizeiposten oder in Gefängnissen, Turnhallen, Synagogen, Kasernen oder anderen Gebäuden untergebracht und nach Stunden zur Abfahrt der Sonderzüge zum Bahnhof gebracht. In der Mehrzahl handelte es sich bei den Ausgewiesenen um kleine Leute, Händler, Handwerker, Freiberufler, Arbeiter, die schon länger im Deutschen Reich lebten und deren Verbindung zum polnischen Staat oft nur formeller Art war.

Die Abschiebung über die polnische Grenze erfolgte unter denselben katastrophalen Bedingungen wie die gesamte Aktion. Die Richtung der Transporte ergab sich aus der Streckenführung des Eisenbahnnetzes und traf auf kleine Grenzübergänge, die dem Ansturm nicht gewachsen waren. Daneben wurden Gruppen von Juden unter Zurücklassung der wenigen Gepäckstücke, die sie besaßen, und unter Umgehung aller Passformalitäten über die grüne Grenze gejagt. Die größte Anzahl Menschen wurde über den Grenzübergang Bentschen nach Polen abgeschoben, wo die überforderten polnischen Behörden sie zunächst in Eisenbahnwaggons festgehalten und in ehemaligen Kasernen und Ställen untergebracht haben. Zeitzeugen berichten von chaotischen Zuständen. Einem Teil der Ausgewiesenen ist es dort gelungen, sich mit Freunden oder Verwandten in Verbindung zu setzen und nach Zentralpolen weiter zu reisen, die meisten mussten jedoch auf Beschluss der polnischen Regierung bleiben und wurden in Bentschen interniert. Schätzungsweise wurden über 9.000 Menschen über Bentschen aus Deutschland ausgewiesen, ungefähr 2.000 von ihnen konnten weiter reisen, während über 7.000 dort bleiben mussten. Weitere Schätzungsweise 6.000 Menschen gelangten per Bahn oder über die grüne Grenze in der Gegend von Beuthen über die schlesisches Grenze und konnten von dort aus kostenlos mit der Bahn ins Landesinnere weiter fahren. Hilfen für die Ausgewiesenen erfolgten durch jüdische Hilfskomitees.

Zwischen dem Dritten Reich und Polen begannen diplomatische Verhandlungen über das Schicksal der Ausgewiesenen wie der noch in Deutschland befindlichen Familienmitglieder und weitere Juden polnischer Staatsangehörigkeit, die keiner der beiden Staaten aufnehmen wollte. Die deutsche Seite setzte ihre Position durch, nach der die Ausgewiesenen noch einmal an ihren früheren Wohnort zurückkehren konnten, um mit ihren Familien, persönlichen Gegenständen, evtl. der Wohnungs- oder Werkstatteinrichtung nach Polen auszureisen. Die Kosten mussten die Betroffenen selbst tragen. 3.632 Personen machten von dieser Möglichkeit Gebrauch und reisten ein letztes Mal an ihren früheren Wohnort, um ihr altes Leben dort aufzulösen. Insgesamt 3.666 Frauen und Kinder der abgeschobenen Juden polnischer Staatsangehörigkeit reisten mit ihnen mit aus Deutschland aus.

Zu ihnen gehörte auch Vater Krämer, der, wie auf der Seite von Gelsenzentrum e.V. nachzulesen ist, am 13. April 1939 vorübergehend nach Gelsenkirchen zurückkehrte. Die ganze Familie Krämer wurde dann im Mai 1939 in den Einwohnermeldeunterlagen der Stadt „nach Polen abgemeldet“.

Keine 4 Monate später, am 1. September 1939, entfesselte Nazi-Deutschland mit seinem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg. Die Spuren der in Polen gebliebenen ausgewiesenen Juden verlieren sich zumeist in einem der unzähligen von den Deutschen dort errichteten Ghettos. Zu vielen Opfern der „Polenaktion“ lassen sich jedoch bis heute keine genauen Aussagen treffen, ihre Schicksale bleiben nach dem heutigen Kenntnisstand ungewiss. Dies betrifft auch das weitere Schicksal der Familie Krämer. Ihre Spur verliert sich im Mai 1939, als sie Gelsenkirchen verlassen mussten.

Faschisten in unserer Stadt

Hakenkreuz-Schmierereien Fritz-Erler-HausNachdem bereits in den vergangenen Wochen in Dortmund und Herne Falkenhäuser von Nazis beschmiert worden waren, traf es in der Nacht zu heute auch das „Fritz-Erler-Haus“ der Falken in Gelsenkirchen-Hassel. Der Architekt beziffert den Schaden auf eine fünfstellige Summe. Neben dem Jugendheim der Falken traf es auch eine Reihe Autos, die dort geparkt waren.

Wie der Falken-Unterbezirk Gelsenkirchen in seiner Pressemitteilung mitteilt, reiht sich der Anschlag in eine Reihe weiterer Anschläge auf Falkenhäuser ein, auch in Dortmund und Herne wurden Falkenhäuser beschmiert, unter anderem mit der Parole „Falken Töten“. In Berlin ist sogar Anfang des Jahres ein Falkenheim angezündet und schwer beschädigt worden. Damit dürfte klar sein, dass die Falken mit ihrer antifaschistischen Kinder- und Jugendarbeit in den Fokus der Nazis gerückt sind.

Warum die WAZ nun schreibt, die Hintergründe seien völlig unklar, ist mir dagegen völlig unklar: die Hakenkreuz-Schmiererreien sind ja wohl eindeutig zuzuordnen. Oder sucht man wieder – wie unlängst in Norwegen – erst einmal nach einem islamistischen Hassprediger?

Die sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken – lassen sich jedoch von den Nazis nicht einschüchtern. Bereits heute öffnete das Fritz-Erler-Haus wieder. Gleichzeitig beschloss der Bezirk Westliches Westfalen der Falken 200 Euro an die Antifaschistische Konferenz der VVN in Dortmund Anfang 2012 zu spenden.