Archiv für den Monat Juli 2018

Deutschland baut wieder Lager! Was tun?

Ein Gastbeitrag von Jessica Daniel

Ich bin erschrocken. Erschrocken darüber, wie schnell sich Geschichte wiederholen kann.
Wir diskutieren schon länger über den „Rechtsruck in Deutschland bzw. Europa.“ Mit der heute Nacht gefällten Entscheidung über die Erbauung von Transitzentren sind wir jedoch einen deutlichen Schritt näher an die Szenarien gerückt, vor denen uns die Geschichtsbücher warnen.

Was sind Transitzentren?
„Transitzentren – ähnlich wie an Flughäfen auch – sind Bereiche vor einer Landesgrenze. Dort sollen, wenn es nach dem Willen der Union geht, Flüchtlinge festgehalten und erstmal an der Einreise nach Deutschland gehindert werden. Der Unionskompromiss sieht Transitzentren an der Grenze zu Österreich vor.“ (WAZ)

Dabei sind die Zahlen der Asylantragstellungen stark rückläufig.
2015 – 476 549
2016 – 745 545
2017 – 222 683
Auch für 2018 zeichnet sich ab, dass weniger Asylanträge als in den Folgejahren gestellt werden. (BAMF – Aktuelle Zahlen zu Flucht und Asyl 2018, S.4)

Wir haben die bittere Pille geschluckt, dass deutsche Waffenexporte eine Fluchtursache darstellen. Ebenfalls haben wir akzeptiert, dass diese Menschen nicht nur ihr Hab und Gut, sondern möglicherweise auch ihr Leben auf der Flucht verlieren.
Nicken wir jetzt auch noch die Erbauung moderner Internierungslager ab?

Bevor Empörung bezüglich der Formulierung aufkommt:
Internierungslager – „Lager, in dem Zivilpersonen interniert (1) werden“
Internieren wird hierbei als „einsperren, einweisen, festsetzen, inhaftieren; (gehoben) in Gewahrsam nehmen; (salopp) einbuchten, einbunkern, einkassieren, in ein Lager stecken; (gehoben veraltend) gefangen setzen“ definiert. (Duden 2018)

Fakt ist: In Transitzentren dürfen die Menschen gegen ihren festgehalten werden, eine Integration oder auch nur umfassende Versorgung ist nicht vorgesehen. (Flüchtlingsrat Bayern)
Warum auch? Ziel ist es ja, diese Menschen möglichst schnell wieder los zu werden.

Wir sprechen von Toleranz, einem „offenen Europa“. Aber Europa ist schon lange nicht mehr offen.
Wir sprechen von „sicheren Herkunftsländern“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“ und kategorisieren Menschen so pauschal als Nutznießer und Schmarotzer.
Ich durfte in den vergangenen zwei Jahren geflüchtete Menschen aus „sicheren Herkunftsländern“ kennenlernen – mehr als einmal haben ihre Berichte über Armut, Not, Hunger, Vergewaltigungen von Kindern, mafiöse Strukturen und Mord mir die Tränen in die Augen getrieben.
Wer sich einmal vernünftig mit dem Thema Flucht auseinandersetzt wird mir zustimmen, dass die wenigsten Menschen ihr Land verlassen und in ein Land einwandern würden, dessen (Schrift-)Sprache und Kultur ihnen gänzlich unbekannt ist. Mal davon abgesehen, dass das deutsche Bildungssystem die wenigsten Schulabschlüsse vollständig anerkennt, sodass der Aufbau eines neuen Lebens noch einmal zusätzlich erschwert wird.
Sicher gibt es bei den hier einreisenden Menschen auch Ausnahmen, natürlich wandern auch A*********** in dieses Land ein – aber das ist die Natur der Dinge. Wir haben auch genug dieser Menschen (ohne Migrationshintergrund) in Deutschland wohnen, die ich nur ungern in diesem Land sehe.

Horst Seehofer zu dem Thema Transitzentren: „[…] Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass es sich lohnt, für eine Überzeugung zu kämpfen.“
Ab wann sind wir so gemütlich geworden, dass dieser Satz nicht mehr für die Bürger Deutschlands gilt? Dass Anteilnahme bedeutet, einen Zeitungsartikel über Misstände auf Facebook zu teilen und mit einem traurigem Emoji zu versehen? Nur um uns dann zurückzulehnen, um auf die Likes zu warten?

Auch ich bin ratlos, was wir gegenüber bereits beschlossenen politischen Entscheidungen tun können. Wie richtig verhalten?
Was mich an dieser Ratlosigkeit am meisten belastet ist der Gedanke, dass wir uns immer wieder gefragt haben, wie so viele Menschen im dritten Reich „einfach wegsehen“ konnten.
Die Frage hierbei ist: Sind wir nicht auch schon mitten dabei?

Der Beitrag erschien zuerst ohne Titel am 3. Juli auf der Facebook-Seite der Autorin und erscheint hier mit ihrer freundlichen Genehmigung.