Archiv für den Monat November 2012

Von Juden und Roma – Vergangenheit und Gegenwart

Rosa BöhmerZwei ganz unterschiedliche Veranstaltungen in dieser Woche zeigen, wie wenig unsere Gesellschaft aus der Geschichte gelernt hat und wie viel noch immer vom Engagement einzelner abhängt!

Am 9. November jährte sich wieder einmal die zynisch so bezeichnete „Reichskristallnacht“, im heutigen Sprachgebrauch Reichspogromnacht, in der die Nazis 1938 im gesamten Deutschen Reich jüdische Geschäfte und Wohnungen plünderten und zerstörten, Juden zusammen schlugen und demütigten, sie verhafteten und in Konzentrationslager brachten. Dies war neuer Höhepunkt der Verfolgung und zugleich Auftakt zu ihrer schlussendlichen Ermordung.

Aus diesem Anlass rief die „Demokratische Initiative“ zu einer übrigens gut besuchten Gedenkveranstaltung an diesem 9. November 2012 auf. Nach der Auftaktveranstaltung am Alten Friedhof Mühlenstraße mit Oberbürgermeister Baranowski zog der Schweigemarsch durch die Buersche Innenstadt zum Polizeipräsidium in Buer. Dort thematisierte der Polizeipräsident von Schoenfeldt die, manche nennen es immer noch beschönigend „Verstrickung“, richtiger nennt man es Täterschaft, der „ganz normalen“ Polizeibeamten am Völkermord und ihre historische Aufarbeitung durch das Institut für Stadtgeschichte. Als Redner folgte Alfons Kenkmann, der in Münster die Villa ten Hompel, eine Gedenk- und Bildungsstätte mit aufgebaut hatte, die sich der Ausplünderung der Juden im Dritten Reich durch die Finanzbehörden widmet. Er thematisierte unter anderem die Täterschaft der Polizei- und Finanzbeamten, sowie die der kommunalen Beamtenschaft, und die personellen Kontinuitäten nach 1945 in der entstehenden Bundesrepublik. Deutlich benannte er die doppelte Verhöhnung der wenigen Überlebenden, die nach 1945 ihre Entschädigungsansprüche gegen dieselben Beamten vorbringen mussten, die vorher ihre Ausplünderung und Entrechtung vollzogen haben. In der anschließenden Gesprächsrunde wurde, moderiert durch Stefan Goch, noch die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit von Schalke 04 (ebenfalls mit Unterstützung durch das Institut für Stadtgeschichte) angesprochen. Die Veranstaltung endete mit dem Absingen des bekannten Liedes „Die Moorsoldaten“. Trotz der Kälte harrten viele Besucher bis zum Schluss aus. Am Ausgang wurde der Veranstaltungskalender für das kommende Jahr verteilt, in dem an die Ereignisse erinnert wird, die vor 80 Jahren im Jahr 1933 mit Hitlers Machtübertragung ihren Anfang nahmen.

Einen Tag zuvor hatte Die Linke zu ihrer – im Vergleich zur oben genannten Veranstaltung – weniger gut besuchten Mitgliederversammlung eingeladen. Neben den ersten Vorbereitungen zum Bundestagswahlkampf hatte man als Referenten Bernd Brack von ProAsyl Flüchtlingsrat Essen eingeladen, aber leider nur wenig mit ihm geworben. Bernd Brack ist seit Jahrzehnten in der Flüchtlingsarbeit unserer Nachbarstadt aktiv und konnte anschaulich und persönlich überzeugend aus eigenen Erfahrungen berichten, wie beschämend die Bundesrepublik Deutschland in der Gegenwart mit Flüchtlingen umgeht. Er erläuterte ebenfalls die, Politiker von CDU und SPD hatten es beschönigend Reform genannt, richtig heißt es Aushöhlung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf Asyl. Auch heute noch gilt der Artikel, nach dem politisch Verfolgte in Deutschland Asyl beantragen können. Doch ist die Zahl der Asylbewerber seit der Einführung der „Drittstaatenregelung“ drastisch gesunken, da Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben ist. In der Praxis führt das zu Kettenabschiebungen und zu einer Aushöhlung des Grundrechtes.

Aktueller Anlass für die Einladung Bracks durch Die Linke war die steigende Zahl von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten, vorwiegend Roma, die in diesen Ländern massiv diskriminiert werden und faktisch oftmals rechtlos sind. Die Chance, dass ihre Anträge auf Asyl positiv beschieden werden, sind sehr gering, da sie nicht politisch verfolgt, sondern „lediglich“ diskriminiert werden. Für die betroffenen Menschen macht das aber keinen Unterschied.