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Zum Hamas-Angriff auf Israel

Es sind Bilder, die sich in die Netzhaut einbrennen: Überlebende Besucher:innen des Techno-Festivals, welche von den Schrecken des Hamas-Angriffs berichten. Bilder und Videos von Menschen, welche von der Hamas aus Schutzbunkern gezerrt, bespuckt, misshandelt, vergewaltigt und ermordet werden.

Es ist Hass, welcher sich gegen Zivilist:innen richtet – gegen jüdische Zivilist:innen. Wie kann dieser Angriff, welcher sich nicht etwa gegen Institutionen richtet, sondern auf die Ermordung möglichst vieler jüdischer Zivilist:innen ausgerichtet ist, als Befreiungskampf ausgelegt werden? Wie kann ein Angriff, der sich gegen alle richtet, die in Israel leben, als Krieg um Grenzverschiebungen gewertet werden?

Die Terroristen der Hamas haben deutlich gemacht, dass es ihnen nicht um Lösungsversuche im Rahmen des Nahostkonfliktes, sondern um blanken Vernichtungs-Antisemitismus geht. Der Angriff traf und trifft nicht nur Holocaust-Überlebende, er erinnert in seiner bewussten öffentlichen Zurschaustellung des Leids der Opfer zudem an die Gewalt, welche jüdische Menschen zuletzt während der NS-Zeit erleben mussten: Verfolgung, Misshandlung und Ermordung aufgrund ihres Jüdisch-seins.

Der BVNS verurteilt den pogromhaften Angriff der Hamas und drückt seine Anteilnahme und Solidarität mit der israelischen Bevölkerung aus.

Dies ist die Stellungnahme des Bundesverbandes Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. (hier), ich hätte es nicht besser formulieren können.

Antisemitische Demonstration türkischer und weiterer Nationalisten

Gelsenkirchen ist mal wieder in den Fokus der bundesdeutschen Medien gerückt, genauer, eine Demonstration von rund 180 Leuten mit türkischen und anderen Nationalfahnen. Am Mittwoch zog eine unangemeldete Spontandemonstration abends durch die Innenstadt zur Synagoge der jüdischen Gemeinde. Äußerer Anlass war der erneut eskalierende Nahost-Konflikt zwischen Israel und der Hamas, die vom Gaza-Streifen aus israelische Städte mit Raketen beschießt. Wie die Polizei berichtet, konnte sie die Demonstration auf der Höhe Gildenstraße/Bahnhofstraße stoppen.

Während die Polizei in ihrer Pressemitteilung von „antiisraelischer Demonstration“ und „antiisraelischen Rufen“ spricht und auch die Gelsenkirchener WAZ „Hass-Demo gegen Israel in der Innenstadt“ titelt, lassen sich die Zielrichtung der Demonstration, die Synagoge als Symbol für jüdisches Leben in Deutschland, sowie die auf einem Video zu hörenden Sprechchöre klar als antisemitisch erkennen. Wie weiter in den Medien berichtet wird, waren bereits in der Nacht zu Mittwoch Synagogen in Münster und Bonn das Ziel, hier wurden israelische Flaggen verbrannt. In Düsseldorf gab es einen Brandanschlag auf das Denkmal für die ehemalige große Synagoge an der Kasernenstraße.

Unabhängig davon, wie man zur Politik der israelischen Regierung steht, sind antisemitische Demonstrationen angesichts unserer Geschichte nicht zu tolerieren. Ich würde mich daher über einen Aufruf zu einer Solidaritätsdemonstration durch die „Demokratische Initiative“, sicher das breiteste zivilgesellschaftliche Bündnis in Gelsenkirchen, freuen. Mundschutz tragen und Abstand halten dürfte kein Problem sein.

Gedenken an die Reichspogromnacht in Gelsenkirchen seit 1964 (mit Update)

Vergilbter Ausschnitt aus der damaligen Berichterstattung der Westfälischen Rundschau vom 11.11.1964 (aus dem Archiv der Gelsenkirchener VVN-BdA).

Wie in jedem Jahr wird am 9. November an einen Höhepunkt der antisemitischen Politik der Nazis erinnert. Nach Schätzungen von Historikern wurden zwischen dem 7. und dem 10. November 1938 im damaligen Deutschen Reich zwischen 1300 und 1500 von Nazis als jüdisch definierte Menschen ermordet oder in den Tod getrieben und weitere 30.000 in die Konzentrationslager verschleppt. Nach schrittweiser Ausgrenzung und Boykott seit der Machtübertragung der Regierungsgewalt an die Nazis am 30. Januar 1933 folgte mit dem Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 der offene Terror und steigerte sich mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 zur massenhaften und schließlich fabrikmäßigen Ermordung von rund 6 Millionen von den Nazis als Juden definierte Menschen. Zur Bilanz der faschistischen „Volksgemeinschaft“ gehört ein Weltkrieg, der über 55 Millionen Menschen das Leben kostete.

In Gelsenkirchen wurde die jährliche Gedenkkundgebung 1964 – vor 55 Jahren – durch SJD – Die Falken und die Naturfreundejugend begründet, übrigens als eine der ersten ihrer Art in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Westfälische Rundschau berichtete am 11. November 1964 darüber und schrieb unter anderem: „In einem Schweigemarsch zogen etwa 1500 junge Menschen der Sozialistischen Jugend Deutschlands ‚Die Falken‘ und der Naturfreundjugend zum Ehrenmal an der Gildenstraße, wo vor genau 26 Jahren die Synagoge der jüdischen Gemeinde von den braunen Machthabern in Brand gesteckt wurde. Mahnend gedachten sie dort der vielen Opfer, die in den Konzentrationslagern ums Leben kamen.“ Als Redner sprach der Bundesvorsitzende der Falken, Horst Zeidler aus Dortmund, und thematisierte auch die damals aktuellen Fragen nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel sowie der Verlängerung der Verjährungsfristen für Verbrechen während der Nazi-Zeit. Zudem kritisierte er, dass „ehemalige nazistische Verbände öffentlich und offiziell Treffen arrangieren dürfen“.

Seit 1993 führt die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie – Gelsenkirchen“ (DI) die Tradition der jährlichen Gedenkveranstaltung fort. Die DI wurde im Dezember 1992 als Reaktion auf die Brandanschläge in Hoyerswerda, Mölln und Rostock-Lichtenhagen gegründet. In ihr haben sich unter der Schirmherrschaft des jeweiligen Oberbürgermeisters derzeit 23 Organisationen, „Parteien, Kirchen, karitativen Einrichtungen, Gewerkschaften und weiteren relevanten Gruppen Gelsenkirchens“ zusammengeschlossen, um für ein demokratisches Miteinander in Gelsenkirchen einzutreten.

In diesem Jahr beginnt die Gedenkveranstaltung um 18.30 Uhr auf dem Alten Friedhof Mühlenstraße in Gelsenkirchen-Buer am Mahnmal für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Zugang über Eingang Nordring, Nähe Dorstener Straße). Nach dem Kaddish, dem Gebet der Trauernden des Rabbiners Chaim Kornblum und der Gedenkrede durch Frau Judith Neuwald-Tasbach für die Jüdische Gemeinde führt der Schweigezug zum Mahnmal für die frühere Synagoge Buer am Gustav-Baer-Platz. Auf der Kundgebung dort ab 19.15 Uhr spricht nach einem musikalischen Beitrag Oberbürgermeister und Schirmherr Frank Baranowski. Der Gustav-Baer-Platz ist nach dem jüdischen Lehrer und Prediger der Gemeinde Buer benannt, der 1938 in die USA floh und dort 1952 starb. Zum aktuellen Aufruf der DI geht es hier.

Die Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ auf der Cranger Straße 323 in Gelsenkirchen-Erle. Das Gebäude wurde 1907 ursprünglich als Polizeidienststelle errichtet und beherbergt heute die Ausstellung des Instituts für Stadtgeschichte (ISG).

Vortrag über die juristische Aufarbeitung

Nach der Gedenkveranstaltung findet am 14.11.2019 ab 19.00 Uhr im „Wohnzimmer Gelsenkirchen“, Wilhelminenstraße 174b in 45881 Gelsenkirchen noch eine Vortragsveranstaltung des „Gelsenkirchener Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung“ statt. Eine ehemalige Mitarbeiterin des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) wird über die Ermittlungen zum Brand der Synagoge in der Altstadt Gelsenkirchens und über den Versuch einer juristischen Aufarbeitung nach 1945 berichten. Weitere Infos sind hier zu finden.

Bereits am 07.11.2019 lädt das „Antifa Cafe“, das sich sonst jeden 1. Donnerstag im Monat im Subversiv trifft, ab 18.00 Uhr zu einer Führung durch die Ausstellung in der Dokumentationsstätte “Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ an der Cranger Straße 323 in 45891 Gelsenkirchen(-Erle) ein.

Erweiterte Fassung, Stand 03.11.2019.

Mahnwache vor der Neuen Synagoge

Mahnwache am 10.10.2019 an der Neuen Synagoge in Gelsenkirchen.

Sehr kurzfristig, nämlich gegen 18.15 Uhr, ich war gerade zu Hause angekommen, erfuhr ich von der Mahnwache ab 18.30 Uhr vor der Neuen Synagoge in Gelsenkirchen. Aufgerufen hatte die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie – Gelsenkirchen“ (DI) und gekommen waren – ich kann nur schlecht schätzen – zwischen 200 und 400 Bürger Gelsenkirchens. Der Veranstalter wird sicherlich eine offizielle Zahl bekanntgeben.

Im Aufruf von Frank Baranowski, Oberbürgermeister und Schirmherr der DI, hieß es:

„Gestern hat es in Halle (Saale) einen menschenverachtenden Anschlag mit zwei Todesopfern und mehreren Verletzten gegeben. Ein rechtsextremer Terrorist hat ganz gezielt versucht, in die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Halle einzudringen, um dort ein Blutbad anzurichten. Als ihm dies nicht gelang, suchte er in der Nachbarschaft neue Opfer. Nur um Haaresbreite scheiterte der schwer bewaffnete Täter mit seinem Plan, noch viel mehr Menschen zu töten.

Seine Vorbilder fand der Terrorist in Kopenhagen, Pittsburgh und Christchurch – in dieser traurigen Reihe steht nun auch die Stadt Halle in Sachsen-Anhalt. Die Bluttat knüpft aber auch an die rechtsterroristischen Attentate an, die die Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zutiefst erschüttert haben.

Der brutale Angriff des Rechtsextremen trägt die menschenverachtenden Züge von Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Damit werden das friedliche Zusammenleben, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt in unserem Land attackiert. Damit werden wir alle attackiert!

Die Fundamente der Demokratie sollen so beschädigt werden. Daher ist es an uns, die grundlegenden Werte unserer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft entschlossen zu verteidigen.

Auch in Gelsenkirchen gab es in den letzten Monaten zunehmend verbale Anfeindungen, Schändungen und Sachbeschädigungen, insbesondere auch gegen jüdische Menschen und jüdische Einrichtungen. Wir wollen keinen Zweifel daran lassen, dass jüdisches Leben unabdingbar zu unserer Stadtgesellschaft gehört.

Daher ruft die Demokratische Initiative für

heute, Donnerstag, 10. Oktober 2019, 18.30 Uhr

zu einer stillen Mahnwache an der neuen Synagoge auf. Bitte erscheinen Sie zahlreich.

Mit unserer Anwesenheit gedenken wir der Opfer in Halle und bekunden öffentlich, dass wir Seite an Seite mit der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen stehen. Wir stehen für eine offene und respektvolle Stadtgesellschaft!“

Während der Mahnwache wurden zahlreiche Kerzen entzündet und Oberbürgermeister Baranowski wies mit wenigen Worten auf den Anlass der Mahnwache, dem feigen Anschlag auf die Synagoge in Halle, hin und dass sich die Jüdische Gemeinde in Gelsenkirchen mitten in der Stadt befinde und zur Stadtgesellschaft gehöre. Er freue sich, dass so viele Bürger Gelsenkirchens hier seien. Das demokratische Gelsenkirchen sei auf ihrer Seite.

Daran anschließend wurden Kerzen an der Mauer der Synagoge aufgestellt und Blumen niedergelegt.

Mahnwache am 10.10.2019 an der Neuen Synagoge in Gelsenkirchen.

Erweiterte Fassung.

Antisemitismus und Deutschrap in der Schauburg Buer

Grenzwertige und grenzüberschreitende Texte im deutschen Rap sind spätestens durch die ECHO-Verleihung an Kollegah und Farid Bang aufgrund ihres menschenverachtenden Inhalts in der öffentlichen Diskussion angekommen. Sexistisch und homophob – und nun auch antisemitisch? In der Schauburg in Gelsenkirchen-Buer zeigt die DGB-Jugend Emscher-Lippe am Donnerstag, dem 29. November 2018 ab 18 Uhr den Film „Die dunkle Seite des deutschen Rap – Ist deutscher Hip-Hop antisemitisch?“. Der Film lief zuletzt am 19. April 2018 in der Reihe „Die Story“ im Ersten um 23.30 Uhr zu nachtschlafender Zeit.

Die sehenswerte WDR-Dokumentation der Filmemacherin Viola Funk reist mit uns in 45 Minuten in die deutsche Rap-Szene. Sie interviewt Rapper, Veranstalter und Jugendliche. Am Beispiel des Musik-Videos „Apokalypse“ von Kollegah zeigt uns der Film deutlich eine antisemitische Fantasy-Erzählung, an deren Ende Buddhisten, Muslime und Christen friedlich zusammenleben. Natürlich berufen sich die Künstler auf ihre Kunstfreiheit, nennen es Ironie oder Tabubruch; wahr ist aber, dass wir nicht nur in ihren Texten, sondern auch in dem einen oder anderen Interview antisemitische Klischees vernehmen können. Mit teils aberwitzigen Erläuterungen wird der Vorwurf des Antisemitismus von sich gewiesen. Es geht folglich nicht um einzelne Textzeilen, wie die, die den ECHO-Skandal befeuert hat, sondern um die Botschaft, die einzelne Rapper in Text, Bild und Haltung verbreiten.

Thema des Films ist ebenfalls die Wirkung auf die jugendlichen Mediennutzer. Mehrfach wird eine Gruppe migrantischer Jugendlicher von der Filmemacherin vorgeführt, sowie die Ergebnisse einer Schulklasse angerissen, die sich mit dem oben genannten Musik-Video beschäftigt. Dieser Teil bleibt für mich unbefriedigend. Deutlich wird jedoch, das der deutsche Rap nicht durchgängig antisemitisch ist, aber die „dunkle Seite“ besitzt, die die Filmemacherin im Titel nennt.

Der Filmvorführung in der Schauburg Buer schließt sich eine Diskussionsrunde im Kinosaal mit der Filmemacherin Viola Funk, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach sowie dem Politikwissenschaftler Jakob Baier an. Schade nur, dass keine Rapperin oder ein Rapper mit auf dem Podium sitzt.

Beginn ist 18 Uhr im Schauburg Filmpalast, Horster Straße 6, 45897 Gelsenkirchen. Der Eintritt ist frei. Wer wie ich verhindert ist, findet den Film auch in der Mediathek der ARD. Ein lesenswerter Beitrag findet sich auch in der FAZ.

Moderner Antisemitismus (II) – Reflexhafte Relativierung der Shoah

Bild 175-04413 AuschwitzEs hat gar nicht lange gedauert, bis der erste Kommentator, natürlich unter einem Pseudonym, meinen Beitrag zur Veranstaltung über modernen Antisemitismus kommentierte. Da hier ein treffendes Beispiel für einen typischen und sehr einfachen Versuch, die Shoah zu relativieren, vorliegt, zitiere ich den „Kommentar“ zunächst vollständig, anstatt ihn sofort in den virtuellen Papierkorb zu schieben. Weiter unten gehe ich dann auf die Argumentation ein.

Hier zunächst der unter dem Pseudonym „alphachamber“ geschriebene „Kommentar“ (Zitat in kursiver Schrift):
“Wenn man die deutsche Geschichte kennt, so sollte man annehmen, dass nichts so unmodern wäre, wie der Antisemitismus…” Und wenn man nicht nur die Deutsche Geschichte kennt, weiss man, dass
1.) der Antisemitismus keinen Deutschen Ursprung hat und
2.) dass er aelter ist als das Heilige Roemische Reich Deutscher Nation.
3.) Nur sind die Deutschen die absoluten Demuts und Entschuldigungs-Weltmeister.

Typisch für Holocaust-Leugner, Geschichts-Revisionisten und Relativisten ist, dass Fakten verdreht oder geleugnet werden bzw. so getan wird, als würden bestimmte Fakten geleugnet werden.

So wird hier unter 1. so getan, als hätte ich in meinem Beitrag behauptet, der Antisemitismus sei deutschen Ursprungs. Davon steht nichts in meinem Beitrag. In vielen Ländern gab und gibt es Antisemitismus. Das ist unbestritten.

Im 2. Punkt wird behauptet, der Antisemitismus sei älter als das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“. Dies stimmt so nicht. Eine religiös begründete Judenfeindschaft gab es in Europa über Jahrhunderte. Dieser Judenfeindschaft konnte man entkommen, indem man sich taufen ließ und Christ wurde. Antisemitismus ist jedoch keine religiös begründete Judenfeindschaft, sondern sie ist in der europäischen Neuzeit entstanden und pseudowissenschaftlich rassistisch begründet. Den Höhepunkt bildete Nazi-Deutschland mit seiner Einteilung in Voll-, Halb- und Vierteljuden – unabhängig von der Religionszugehörigkeit.

Zu Punkt 3 erübrigt sich fast jede Erwiderung. Die Shoah lässt sich gar nicht „Ent-schuldigen“. Eberhard Jäckel hatte die Einzigartigkeit der Shoah anlässlich der Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin treffend zusammengefasst: „Es war neuartig und insofern, als es geschah, einzigartig, daß noch nie zuvor ein Staat beschlossen hatte, eine Gruppe von Menschen, die er als Juden kennzeichnete, einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und Säuglinge ohne jegliche Prüfung des einzelnen Falles möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluß mit staatlichen Maßnahmen und Machtmitteln in die Tat umsetzte, indem er die Angehörigen dieser Gruppe nicht nur tötete, wo immer er sie ergreifen konnte, sondern in vielen Fällen, zumeist über große Entfernungen und überwiegend aus anderen Ländern, in eigens zum Zweck der Tötung geschaffene Einrichtungen verbrachte.“

Supplement

Wie nicht anders zu erwarten, setzte der anonyme Kommentator seine Kommentare fort. So wurde ich als „Scheinheilig“ und „Selbstherrlich“ beschimpft, wurde ein nicht nachprüfbares Zitat einer Jüdin als scheinbar besonders glaubwürdige Argumentationshilfe verwendet sowie an keiner Stelle von mir bestrittene Verbrechen angeführt, um diese mit den etwa 6 Millionen Ermordeten der Shoah aufzurechnen. Als ob die Shoah dann weniger schlimm sei. Im 4. Kommentar kam der anonyme Kommentator dann endlich auf den Punkt und beschrieb seine Obsession in einem sehr klaren Satz: „Mir geht es darum, dass es meist immer nur um Juden geht.“ Tja, wenn man einen Beitrag zu einer Veranstaltung über Antisemitismus liest, dann muss man damit rechnen, dass es in diesem Beitrag um Juden geht.

Moderner Antisemitismus?

Gelsenkirchen erinnert sichIm Rahmen der städtischen Veranstaltungsreihe „Gelsenkirchen erinnert sich“ über die Zeit vor 80 Jahren fand heute Abend tief im Gelsenkirchener Süden eine Veranstaltung zum Thema „Moderner Antisemitismus“ statt. Wenn man die deutsche Geschichte kennt, so sollte man annehmen, dass nichts so unmodern wäre, wie der Antisemitismus, doch tatsächlich wird schon seit Jahren das Wort „Jude“ auf Schulhöfen wie von Fußballfans wieder als Schimpfwort verwendet.

24 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer hatten sich um 19 Uhr im Spunk in Gelsenkirchen-Ückendorf versammelt und den Vortragsraum bis auf den letzten Platz gefüllt. Paul M. Erzkamp (SJD Die Falken) referierte kurz einige Stationen der religiös geprägten Judenfeindschaft im Verlauf der europäischen Geschichte, die sich in der Neuzeit zu einem rassistisch motivierten Antisemitismus steigerte. Zur Geschichte des Antisemitismus gehört auch, dass zu ihren Vertretern selbst Demokraten und Linke gehörten. Gab es für Juden im Mittelalter noch die Möglichkeit, indem sie sich taufen ließen der Verfolgung zu entkommen, so blieb ihnen diese Möglichkeit der Assimilation durch die Mehrheitsgesellschaft nach dem angeblich wissenschaftlichen Weltbild der Rassisten verwehrt. Der historische Antisemitismus gipfelte in der Shoah, dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden durch Nazi-Deutschland.

Der moderne Antisemitismus steht daher vor dem Problem, den Massenmord an den europäischen Juden leugnen oder relativieren zu müssen. Andererseits bedient er sich noch immer vieler alter antisemitischer Stereotypen. Rechte benutzen diese noch immer gerne für eine verkürzte Kapitalismuskritik, die zwischen guten Kapitalisten („schaffendes Kapital“) und bösen Kapitalisten („Spekulanten“, Finanzkapital) unterscheidet. Ebenfalls verwenden Antisemiten eine Gleichsetzung des Staates Israel mit den in der Shoah ermordeten Juden oder auch mit allen heute weltweit lebenden Juden.

An den Vortrag schloss sich nach einer kurzen Raucherpause noch eine interessante und nachdenkliche Diskussion an. Unwidersprochen blieb das Argument, dass man den modernen Antisemitismus nicht aus der Geschichte des Antisemitismus erklären kann, sondern nur aus der aktuellen, gesellschaftlichen Situation. Doch auch den modernen Antisemitismus gibt es unter anderem nur deshalb, weil es den historischen Antisemitismus gegeben hat. Oder hätte man den modernen Antisemitismus neu erfinden können? Da ich das nicht beantworten kann, habe ich die Überschrift mit einem Fragezeichen ergänzt.