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Namensänderung in „Berufskolleg Am Goldberg“ jetzt vollständig!

Berufskolleg Am Goldberg in Gelsenkirchen-Buer.

Es ist für mich immer wieder eine kleine Überraschung, wer – unbekannterweise – meinen Blog liest. Als ich im Mai aus einem anderen Anlass das Berufskolleg Am Goldberg besuchte und Fotos mit der Absicht machte, einen freundlichen Artikel über die erfolgte Umbenennung zu schreiben, fiel mir leider auf, dass die Namensänderung doch nicht ganz vollständig gewesen ist.

Dumm gelaufen! Doch irgendjemand hat meinen Beitrag gelesen und offenbar einen Verantwortlichen informiert. Als ich kürzlich – wiederum aus einem anderen Anlass – am Berufskolleg vorbeifuhr, fiel mir sofort die letzte Änderung auf. Nun ist auch an den Gebäude-Schildern das Logo und die Kurzbezeichnung die links oben an den vorherigen Namen erinnerte überklebt.

Namensänderung in „Berufskolleg Am Goldberg“ beinahe vollständig

Namensänderung beinahe vollständig.

„Sollten Schulen nicht nach Vorbildern genannt werden?“ fragte ich vor drei Jahren im Juli und im Oktober 2017 in diesem Blog. Mit der allgemeinen Frage meinte ich damals ganz konkret das „Eduard-Spranger-Berufskolleg“ in Gelsenkirchen-Buer.

Das Berufskolleg war zu diesem Zeitpunkt nach einem deutschnationalen Pädagogen benannt, der im Kaiserreich sozialisiert worden war, in der Weimarer Republik, der er ablehnend gegenüber gestanden hatte, Bedeutung für Forschung und Lehre gewonnen und seine Karriere nach 1945 unbeirrt fortgesetzt hatte. Die Zeit von 1933 bis 1945 war von ihm wie von vielen anderen Wissenschaftlern auch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verklärt und beschönigt worden. Als Wissenschaftler zählt Eduard Spranger zur Richtung der „Geisteswissenschaftlichen Pädagogik“, bei der es sich in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik um die wirkmächtigste Richtung der Pädagogik in Forschung und Lehre gehandelt hatte.

„Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ von Benjamin Ortmeyer thematisiert nicht nur die NS-Vergangenheit bedeutender Pädagogen, sondern auch deren unwürdige „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945.

Zur lange unbekannten Seite gehörten seine Veröffentlichungen während der Nazi-Zeit, in denen er die Politik des NS-Staates unterstützt hatte. Erst 2006/09 förderte ein Forschungsprojekt die verstreuten Veröffentlichungen von insgesamt vier führenden Erziehungswissenschaftlern, neben Eduard Spranger auch von Herman Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen, aus den Jahren 1933 bis 1945 zu Tage und zeigte durch eine chronologische und systematische Aufarbeitung, wie diese trotz dieser oder jener Einwände die Politik des NS-Regimes unterstützt hatten. Danach war eigentlich klar, dass Eduard Spranger als Vorbild und Namensgeber in einem demokratischen Deutschland und in Gelsenkirchen nicht taugt.

Nachdem Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) bereits einige Jahre zuvor einen ersten und vergeblichen Vorstoß unternommen hatte, brachte Bündnis 90/Die Grünen 2017 die Sache mit einem Antrag im Bildungsausschuss der Stadt ins Rollen. Es hat dann noch etwas gedauert, aber schließlich wurde das Berufskolleg in Berufskolleg Am Goldberg umbenannt.

Namensänderung beinahe vollständig.

An den alten Namen erinnert heute fast nichts mehr. Wer die noch bestehende Webseite www.eduard-spranger-bk.de aufruft, findet eine weitgehend leere Seite mit dem lapidaren Hinweis „Neue Website des Berufskollegs am Goldberg der Stadt Gelsenkirchen“ und „Bitte besuchen Sie die neue Website bkamgoldberg.de.“ vor. Auch das Namensschild am Gebäude wurde erneuert. Nur wer ganz genau hinschaut, bemerkt an den Schildern, die die Gebäudenummern bezeichnen, noch links oben das alte Logo mit dem Kürzel „ESBK“ für Eduard-Spranger-Berufskolleg.

„Wer nicht feiert, hat verloren!“ – Aktionswoche 8. Mai ging an diesem Wochenende weiter

Antifaschistischer Stadtrundgang in Gelsenkirchen, im Bild Hartmut Hering auf dem Rosa-Böhmer-Platz.

Mit zwei Online-Podiumsdiskussionen und zwei Antifaschistischen Stadtrundgängen führte das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung insgesamt vier Veranstaltungen an diesem Wochenende durch. Ziel war weiterhin die Unterstützung der Kampagne der Auschwitz-Überlebenden und der VVN-BdA, den 8. Mai zum bundesweiten Feiertag zu erheben und beispielhaft aufzuzeigen, wie der Tag als Bildungstag genutzt werden kann.

Alle vier Veranstaltungen waren unterschiedlich gut besucht, die beiden Online-Podiumsdiskussionen litten m.E. darunter, dass sie ursprünglich im Anschluss an Filmvorführungen gedacht waren, die aus Gründen der Kontaktbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnten.

Das geringste Interesse fand leider die Veranstaltung am Freitag, 7. Mai 2021 zum Thema „Historische Verantwortung“, größer war das Interesse am Samstag, 8. Mai 2021 zu „Aktueller faschistischer Terror – Von NSU, Tag X und Waffenfunden“. Vielleicht lag es am Termin, vielleicht ist aber die Bereitschaft größer, sich mit den gegenwärtigen Ereignissen zu beschäftigen als mit der Vergangenheit. Gleichwohl waren beide Veranstaltungen wichtig und inhaltlich wertvoll.

Antifaschistischer Stadtrundgang in Buer, hier am historischen Eingang des Buerschen Rathauses.

Unterschiedlich war auch das Interesse bei den beiden Antifaschistischen Stadtrundgängen am 9. Mai 2021. Beide folgten den jeweils örtlichen Spuren der NS-Zeit und veranschaulichten an historischen Schauplätzen die lokale Geschichte von Verfolgung und Widerstand, von Rassenwahn und Kriegsalltag. Der Rundgang durch Alt-Gelsenkirchen ab 11 Uhr war weniger gut besucht als der durch Buer-Mitte ab 15 Uhr. Hier scheint, diesen Rückschluss lassen Gespräche zu, die Uhrzeit eine große Rolle gespielt zu haben.

Damit ist die Aktionswoche 8. Mai beinahe zu Ende, es folgt noch am Donnerstag, 13. Mai 2021 ab 15 Uhr ein Rundgang in Gelsenkirchen-Horst mit dem Schwerpunkt Zwangsarbeit. Treffpunkt ist Ecke Brinkstraße/An der Rennbahn zwischen Kanal und Emscher.

Der Stadtrundgang in Buer endete auf dem Friedhof Mühlenstraße, am Gedenkort für die ermordeten Jüdinnen und Juden der Stadt.

„Wer nicht feiert, hat verloren!“ – Aktionswoche 8. Mai erfolgreich gestartet!

Fahrräder und Abstand – auch hier beim Zwischenstopp auf dem Heinrich-König-Platz, wo es um Widerstand aus den Reihen der katholischen und evangelischen Kirche ging.

Als Erfolg kann das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung den Start der Aktionswoche am heutigen 2. Mai verbuchen. Etwa 20 radfahrende Teilnehmende begleiteten den Referenten auf der Tour quer durch die Stadt Gelsenkirchen. Auch das Wetter hielt was der Wetterbericht versprochen hatte. Lediglich am Startpunkt gab es ein oder zwei Minuten Regen sowie zwischendurch einmal ein paar Regentropfen.

Begleitet wurde die Fahrrad-Demo, die an verschiedenen Orten an den Widerstand von Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener erinnerte, von sechs radfahrenden Polizeibeamtinnen und -beamten, die dafür sorgten, dass der Autoverkehr dem Fahrrad-Korso nicht zu nahe kam. Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich für den freundlichen Einsatz der Polizei.

Startpunkt war die Goldbergstraße 84 in Buer vor dem Haus der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, wo zugleich an die Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 durch die Nazis erinnert wurde. Von dort aus ging es zu insgesamt neun Orten, die an den Widerstand in Gelsenkirchen erinnern. Zunächst in Buer zur Schlenkhoffstraße, die an den Widerstand vor 1933 und aus der SPD erinnert, und dann in einer längeren Fahrt nach Horst zum Rudolf-Bertram-Platz vor dem St.-Josef-Hospital, der an den Retter von 17 jüdischen Zwangsarbeiterinnen erinnert. In Horst wurden noch Stolpersteine für den kommunistischen Widerstandskämpfer Johann Eichenauer in der Schlangenwallstraße und für den belgischen Zwangsarbeiter Charles Ganty Am Bugapark aufgesucht.

Auch in der Schlenkhoffstraße hieß es Abstand halten, während der Referent über den Widerstand vor 1933 und der SPD berichtete.

Von dort ging es wieder mit einer längeren Strecke in den Stadtteil Schalke, hier erinnern zwei Stolpersteine in der Liebfrauenstraße an die beiden kommunistischen Widerstandskämpfer Rudolf Littek und Fritz Rahkob, wobei auch die Ehefrau Emma Rahkob nicht vergessen wurde. Über das Alfred-Zingler-Haus im Stadtteil Bulmke, wo eine Erinnerungsortetafel an das sozialdemokratische Ehepaar Margarethe und Alfred Zingler erinnert, ging es in die Innenstadt, vorbei am Margarethe-Zingler- und Fritz-Rahkob- auf den Heinrich-König-Platz. Hier wurde an den Widerstand aus der katholischen wie der evangelischen Kirche erinnert und an den Ernst-Käsemann-Platz im Stadtteil Rotthausen hingewiesen, der zu weit außerhalb lag und daher nicht in die Tour aufgenommen wurde. Nach dem Stolperstein für Erich Lange, einem jungen Mann der bereits im Sommer 1932 von der SS zum kommunistischen Kampfbund gegen den Faschismus übergetreten war, ging es zum letzten Halt am Werner-Goldschmidt-Salon, der an den jüdischen Widerstandskämpfer Werner Goldschmidt erinnert.

In der Liebfrauenstraße in Schalke standen zwei kommunistische Widerstandskämpfer für die hier Stolpersteine verlegt sind im Mittelpunkt.

Als weitere Aktivitäten sind zwei Online-Podiumsdebatten zur Historischen Verantwortung am 7. Mai sowie zum aktuellen faschistischen Terror am 8. Mai vorgesehen, sowie drei Stadtrundgänge in Gelsenkirchen, Buer und Horst am 9. bzw. 13. Mai. Zwei geplante Filmvorführungen, die vor den Podiumsdiskussionen geplant waren, musste das Bündnis leider auf einen späteren Termin verschieben, da sie unter den derzeitigen Einschränkungen nicht durchgeführt werden können. Eine Programmübersicht (Flyer) kann von der Seite der VVN-BdA Gelsenkirchen heruntergeladen werden.

Fotos Marco Langfeldt

Gedenken an die Reichspogromnacht unter Pandemiebedingungen

Das Aktionsbündnis ruft dazu auf, Stolpersteine zu putzen.

Wie schon der Ostermarsch und der 1. Mai steht auch die traditionelle Veranstaltung anlässlich der Reichspogromnacht an diesem 9. November unter den Kontaktbeschränkungen, verursacht durch die Corona-Pandemie.

Die Demokratische Initiative (DI) hat ihre öffentliche Gedenkkundgebung abgesagt. Sie wurde stattdessen – nur mit einer eingeschränkten Teilnehmerzahl – vorgezogen und aufgezeichnet. Diese soll bis zum ursprünglich geplanten Termin 18.30 Uhr auf gelsenkirchen.de zu sehen seien. EIne filmische Zusammenfassung soll auf den Social-Media-Kanälen der Stadt veröffentlicht werden.

Das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung (s. Bild) hat dazu aufgerufen, am 8. und 9.11. Stolpersteine zu putzen. Wie auch die DI ruft das Bündnis dazu auf, als Symbol des Erinnerns und Gedenkens ein Licht ins Fenster zu stellen. Im Rahmen des Aktionsbündnisses hat die VVN-BdA Gelsenkirchen – dank technischer Unterstützung aus der Partei DIE LINKE – eine Stolperstein-Geschichte aufgezeichnet, die auf der Facebook-Seite des Aktionsbündnisses angesehen werden kann. (Der Filmbeitrag kann auch angesehen ist, wenn man nicht Mitglied bei Facebook ist, eventuelle Anmeldehinweise einfach wegklicken). Einen kleinen Überblick über das Kunstprojekt Stolpersteine gibt die VVN-BdA ebenfalls auf ihrer Gelsenkirchener Webseite.

Die einzige öffentliche Kundgebung führt AUF Gelsenkirchen ab 17.30 Uhr durch. Unter dem Motto „Gib Antikommunismus, Rassismus, Faschismus und Antisemitismus keine Chance“ startet AUF Gelsenkirchen auf dem Heinrich-König-Platz und macht Station auf dem Rosa-Böhmer-Platz, dem Fritz-Rahkob-Platz und endet auf dem Platz der alten Synagoge. Es gelten Maskenpflicht und Abstandsregel.

Mörderisches Finale auch in Gelsenkirchen

Neuausgabe 2020 von Ulli Sanders „Mörderisches Finale“.

Zufällig zur aktuellen Kampagne passend, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum Feiertag zu erklären, erschien kürzlich die Neuauflage von „Mörderisches Finale“ von Ulrich Sander. Das Buch, dessen Umfang gegenüber der ersten Auflage von 2008 um 90 Seiten gewachsen ist, schildert auf nunmehr 282 Seiten Verbrechen der Nazis gegen Kriegsende im Jahre 1945 und zeigt einmal mehr die ganze Unmenschlichkeit des Naziregimes. Die Verbrechen in der Endphase des Krieges waren sowohl örtliche Amokläufe wie Teil der Nachkriegsplanung der Nazis, unliebsame Zeugen ihrer Verbrechen und Anhänger eines demokratischen Neuaufbaus zu beseitigen.

Als die erste Auflage 2008 erschien, handelte es sich um das erste Buch zur Geschichte der Kriegsendphasenverbrechen, zusammengetragen als journalistische Arbeit auf der Basis von zahlreichen Berichten. Inzwischen hat sich auch die Geschichtswissenschaft dem Thema zugewandt. Und trotz der lange verstrichenen Zeit gab es in den vergangenen Jahren noch immer Neu- und Wiederentdeckungen oft vergessener und verdrängter Verbrechen.

In der Neuauflage kommen auch Gelsenkirchener Verbrechen vor. In der alphabetischen Auflistung der Tatorte taucht unsere Stadt mit den beiden in Gelsenkirchen bekannten Erschießungen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Stadtgarten (Alt-Gelsenkirchen) und im Westerholter Wald (Gelsenkirchen-Buer) unmittelbar vor Kriegsende sowie weiteren Erschießungen an anderen Orten auf. Vor dem Polizeipräsidium in Gelsenkirchen-Buer erinnert inzwischen eine von der Arbeitsgruppe Stolpersteine in das Pflaster eingelassene Stolperschwelle an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, im Stadtgarten eine Erinnerungsortetafel an das dortige Verbrechen. Die Recherchen von Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) zu den Vorfällen in Buer gingen in die Veröffentlichung ein.

Ulrich Sander: Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende 1945, Köln 2020

Gedenken an die Reichspogromnacht in Gelsenkirchen seit 1964 (mit Update)

Vergilbter Ausschnitt aus der damaligen Berichterstattung der Westfälischen Rundschau vom 11.11.1964 (aus dem Archiv der Gelsenkirchener VVN-BdA).

Wie in jedem Jahr wird am 9. November an einen Höhepunkt der antisemitischen Politik der Nazis erinnert. Nach Schätzungen von Historikern wurden zwischen dem 7. und dem 10. November 1938 im damaligen Deutschen Reich zwischen 1300 und 1500 von Nazis als jüdisch definierte Menschen ermordet oder in den Tod getrieben und weitere 30.000 in die Konzentrationslager verschleppt. Nach schrittweiser Ausgrenzung und Boykott seit der Machtübertragung der Regierungsgewalt an die Nazis am 30. Januar 1933 folgte mit dem Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 der offene Terror und steigerte sich mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 zur massenhaften und schließlich fabrikmäßigen Ermordung von rund 6 Millionen von den Nazis als Juden definierte Menschen. Zur Bilanz der faschistischen „Volksgemeinschaft“ gehört ein Weltkrieg, der über 55 Millionen Menschen das Leben kostete.

In Gelsenkirchen wurde die jährliche Gedenkkundgebung 1964 – vor 55 Jahren – durch SJD – Die Falken und die Naturfreundejugend begründet, übrigens als eine der ersten ihrer Art in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Westfälische Rundschau berichtete am 11. November 1964 darüber und schrieb unter anderem: „In einem Schweigemarsch zogen etwa 1500 junge Menschen der Sozialistischen Jugend Deutschlands ‚Die Falken‘ und der Naturfreundjugend zum Ehrenmal an der Gildenstraße, wo vor genau 26 Jahren die Synagoge der jüdischen Gemeinde von den braunen Machthabern in Brand gesteckt wurde. Mahnend gedachten sie dort der vielen Opfer, die in den Konzentrationslagern ums Leben kamen.“ Als Redner sprach der Bundesvorsitzende der Falken, Horst Zeidler aus Dortmund, und thematisierte auch die damals aktuellen Fragen nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel sowie der Verlängerung der Verjährungsfristen für Verbrechen während der Nazi-Zeit. Zudem kritisierte er, dass „ehemalige nazistische Verbände öffentlich und offiziell Treffen arrangieren dürfen“.

Seit 1993 führt die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie – Gelsenkirchen“ (DI) die Tradition der jährlichen Gedenkveranstaltung fort. Die DI wurde im Dezember 1992 als Reaktion auf die Brandanschläge in Hoyerswerda, Mölln und Rostock-Lichtenhagen gegründet. In ihr haben sich unter der Schirmherrschaft des jeweiligen Oberbürgermeisters derzeit 23 Organisationen, „Parteien, Kirchen, karitativen Einrichtungen, Gewerkschaften und weiteren relevanten Gruppen Gelsenkirchens“ zusammengeschlossen, um für ein demokratisches Miteinander in Gelsenkirchen einzutreten.

In diesem Jahr beginnt die Gedenkveranstaltung um 18.30 Uhr auf dem Alten Friedhof Mühlenstraße in Gelsenkirchen-Buer am Mahnmal für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Zugang über Eingang Nordring, Nähe Dorstener Straße). Nach dem Kaddish, dem Gebet der Trauernden des Rabbiners Chaim Kornblum und der Gedenkrede durch Frau Judith Neuwald-Tasbach für die Jüdische Gemeinde führt der Schweigezug zum Mahnmal für die frühere Synagoge Buer am Gustav-Baer-Platz. Auf der Kundgebung dort ab 19.15 Uhr spricht nach einem musikalischen Beitrag Oberbürgermeister und Schirmherr Frank Baranowski. Der Gustav-Baer-Platz ist nach dem jüdischen Lehrer und Prediger der Gemeinde Buer benannt, der 1938 in die USA floh und dort 1952 starb. Zum aktuellen Aufruf der DI geht es hier.

Die Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ auf der Cranger Straße 323 in Gelsenkirchen-Erle. Das Gebäude wurde 1907 ursprünglich als Polizeidienststelle errichtet und beherbergt heute die Ausstellung des Instituts für Stadtgeschichte (ISG).

Vortrag über die juristische Aufarbeitung

Nach der Gedenkveranstaltung findet am 14.11.2019 ab 19.00 Uhr im „Wohnzimmer Gelsenkirchen“, Wilhelminenstraße 174b in 45881 Gelsenkirchen noch eine Vortragsveranstaltung des „Gelsenkirchener Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung“ statt. Eine ehemalige Mitarbeiterin des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) wird über die Ermittlungen zum Brand der Synagoge in der Altstadt Gelsenkirchens und über den Versuch einer juristischen Aufarbeitung nach 1945 berichten. Weitere Infos sind hier zu finden.

Bereits am 07.11.2019 lädt das „Antifa Cafe“, das sich sonst jeden 1. Donnerstag im Monat im Subversiv trifft, ab 18.00 Uhr zu einer Führung durch die Ausstellung in der Dokumentationsstätte “Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ an der Cranger Straße 323 in 45891 Gelsenkirchen(-Erle) ein.

Erweiterte Fassung, Stand 03.11.2019.

Antisemitismus und Deutschrap in der Schauburg Buer

Grenzwertige und grenzüberschreitende Texte im deutschen Rap sind spätestens durch die ECHO-Verleihung an Kollegah und Farid Bang aufgrund ihres menschenverachtenden Inhalts in der öffentlichen Diskussion angekommen. Sexistisch und homophob – und nun auch antisemitisch? In der Schauburg in Gelsenkirchen-Buer zeigt die DGB-Jugend Emscher-Lippe am Donnerstag, dem 29. November 2018 ab 18 Uhr den Film „Die dunkle Seite des deutschen Rap – Ist deutscher Hip-Hop antisemitisch?“. Der Film lief zuletzt am 19. April 2018 in der Reihe „Die Story“ im Ersten um 23.30 Uhr zu nachtschlafender Zeit.

Die sehenswerte WDR-Dokumentation der Filmemacherin Viola Funk reist mit uns in 45 Minuten in die deutsche Rap-Szene. Sie interviewt Rapper, Veranstalter und Jugendliche. Am Beispiel des Musik-Videos „Apokalypse“ von Kollegah zeigt uns der Film deutlich eine antisemitische Fantasy-Erzählung, an deren Ende Buddhisten, Muslime und Christen friedlich zusammenleben. Natürlich berufen sich die Künstler auf ihre Kunstfreiheit, nennen es Ironie oder Tabubruch; wahr ist aber, dass wir nicht nur in ihren Texten, sondern auch in dem einen oder anderen Interview antisemitische Klischees vernehmen können. Mit teils aberwitzigen Erläuterungen wird der Vorwurf des Antisemitismus von sich gewiesen. Es geht folglich nicht um einzelne Textzeilen, wie die, die den ECHO-Skandal befeuert hat, sondern um die Botschaft, die einzelne Rapper in Text, Bild und Haltung verbreiten.

Thema des Films ist ebenfalls die Wirkung auf die jugendlichen Mediennutzer. Mehrfach wird eine Gruppe migrantischer Jugendlicher von der Filmemacherin vorgeführt, sowie die Ergebnisse einer Schulklasse angerissen, die sich mit dem oben genannten Musik-Video beschäftigt. Dieser Teil bleibt für mich unbefriedigend. Deutlich wird jedoch, das der deutsche Rap nicht durchgängig antisemitisch ist, aber die „dunkle Seite“ besitzt, die die Filmemacherin im Titel nennt.

Der Filmvorführung in der Schauburg Buer schließt sich eine Diskussionsrunde im Kinosaal mit der Filmemacherin Viola Funk, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach sowie dem Politikwissenschaftler Jakob Baier an. Schade nur, dass keine Rapperin oder ein Rapper mit auf dem Podium sitzt.

Beginn ist 18 Uhr im Schauburg Filmpalast, Horster Straße 6, 45897 Gelsenkirchen. Der Eintritt ist frei. Wer wie ich verhindert ist, findet den Film auch in der Mediathek der ARD. Ein lesenswerter Beitrag findet sich auch in der FAZ.

Sollten Schulen nicht nach Vorbildern genannt werden? (II)

Eingang zum Eduard-Spranger-Berufskolleg in Gelsenkirchen-Buer auf der Goldbergstraße.

Endlich gibt es eine Debatte über den Namensgeber des Eduard-Spranger-Berufskollegs in Gelsenkirchen! Allerdings zeigt die Äußerung des Schulleiters, Manfred Abstiens, im städtischen Bildungsausschuss, dass noch viel Aufklärungsbedarf besteht. Der Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer betitelte seine Habilitationsschrift nicht ohne Grund mit „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“. In mehreren anderen Städten Deutschlands befinden sich nach Eduard Spranger benannte Schulen im Prozess der Umbenennung.

Vorweg möchte ich an dieser Stelle eines deutlich machen: Es geht nicht um die pädagogische Arbeit des Berufskollegs und Wirtschaftsgymnasiums in Gelsenkirchen-Buer, sondern um den Namensgeber. Die öffentliche Benennung von Straßen, Plätzen und Institutionen ehrt die Namensgeber und macht sie auch zum Vorbild. Daher lautet m.E. die Frage, ob Eduard Spranger in der Gegenwart ein Vorbild für Schüler sein kann. Warum ich diese Frage verneine, stelle ich in der Folge dar.

Beginnen wir mit der Diskussion im Bildungsausschuss. Auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist dieses Thema in der letzten Sitzung behandelt und der Schulleiter, Manfred Abstiens, eingeladen worden. Anlass war ein Bericht in der lokalen WAZ über Kritik am Namensgeber Eduard Spranger. Für Schulleiter Abstiens, berichtet die WAZ (Online 03.10.2017), sei Eduard Spranger „einer der größten Pädagogen, die die Welt hervorgebracht hat.“ Viel mehr gibt der Bericht zur Position des Schulverantwortlichen leider nicht her. Interessant ist in jedem Fall die Nachfrage des Schulleiters nach dem Interesse von Stadt und Politik. Die WAZ zitiert: „Wenn die Entscheidung aber bei der Schule selbst beziehungsweise der Schulkonferenz liegt, am Ende des Aufarbeitungsprozesses, dann muss die Stadt auch garantieren, dass dieser Beschluss dauerhaft gilt“. Das klingt nach einer Ewigkeitsgarantie, ohne dass sichergestellt ist, wie der innerschulische „Aufarbeitungsprozess“ ablaufen soll. Beobachter sehen die Rolle Abstiens dabei kritisch. In den Gelsenkirchener Geschichten schreibt ein Besucher unter anderem: „An seinen Worten hätten – so mein Eindruck – auch die Herren Alexander Gauland (…) ihre helle Freude haben können.“ Diese Einschätzung lässt tief blicken. Ich bin mir nicht sicher, ob unter diesen Umständen ein ergebnisoffener Prozess in der Schulgemeinde möglich ist.

Über Eduard Spranger habe ich bereits in meinem früheren Beitrag geschrieben. Kurz zusammengefasst: Eduard Spranger (1882-1963) ist ein deutschnationaler Pädagoge, der im Kaiserreich sozialisiert wurde, in der Weimarer Republik, der er ablehnend gegenüberstand, Bedeutung für Forschung und Lehre gewann und nach 1945 seine Karriere unbeirrt fortsetzte, als sei nichts gewesen. Die Zeit von 1933 bis 1945 wurde von ihm wie von vielen anderen Wissenschaftlern auch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verklärt und beschönigt. Als Wissenschaftler zählt Eduard Spranger zur Richtung der „Geisteswissenschaftlichen Pädagogik“, bei der es sich in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik um die bedeutendste Richtung der Pädagogik in Forschung und Lehre handelte.

Zur weithin unbekannten Seite des bedeutenden Pädagogen gehören seine Veröffentlichungen während der Nazi-Zeit, in denen er die Politik des nationalsozialistischen Staates unterstützte. Benjamin Ortmeyer, pädagogischer Mitarbeiter im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, hat sich mit der Studie „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ über Eduard Spranger und drei weiteren Vertretern der Pädagogik 2008 habilitiert. Die 600 Seiten starke Studie macht deutlich, dass Spranger nicht nur NS-Jargon verwendet hat, sondern trotz Einwände im Detail die Politik Nazi-Deutschlands unterstützt hat.

„Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ von Benjamin Ortmeyer thematisiert nicht nur die NS-Vergangenheit bedeutender Pädagogen, sondern auch deren unwürdige „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945.

Eduard Spranger hatte unbestritten eine wichtige Rolle in der Pädagogik seiner Zeit und war als Wissenschaftler in seiner Zeit wirkmächtig. Doch worauf beruht die Einschätzung von Abstiens, Spranger sei „einer der größten Pädagogen, die die Welt hervorgebracht hat.“ Handelt es sich dabei nicht eher um eine national-bornierte Ansicht, bei der Spranger pathetisch überhöht wird? An dieser Stelle möchte ich niemanden mit der Aufzählung einer Reihe bedeutender Pädagogen langweilen, die vermutlich außerhalb der pädagogischen Zunft wenig bekannt sein dürften, zumal zugleich die Frage mitdiskutiert werden müsste, ob und warum sie das Attribut „groß“ verdienen. Vielmehr haben viele Pädagogen in der Geschichte schrittweise dazu beigetragen, wichtige Fragen wissenschaftlich zu thematisieren und praktisch zu erproben. Doch wenn wir schon über „größte Pädagogen, die die Welt hervorgebracht hat“ diskutieren, können wir Deutschland, Mitteleuropa und den europäischen Kontinent verlassen und einmal einen kurzen Blick auf einen bedeutenden Pädagogen Südamerikas werfen.

Paulo Freire (1921-1997), in Brasilien geboren, gläubiger Katholik, Rechtsanwalt, Professor für Geschichte und Philosophie, UNESCO-Experte für Bildungsfragen in Chile, Sonderberater für Bildungsfragen beim Ökumenischen Rat in Genf. Freire ist bekannt für seine – damals neuartigen – Programme zur Alphabetisierung Erwachsener in den „Favelas“, den Slums und trostlosen Landarbeitersiedlungen Brasiliens. Er gilt als bedeutendster Volkspädagoge der Gegenwart und lehnt die von ihm so bezeichnete „Bankierserziehung“ ab, nach der der Lehrer „Einlagen“ in die Köpfe der Schüler macht. Sein pädagogische Praxis ist vom Prinzip her als Dialog auf gleicher Augenhöhe zwischen Lehrer und Schüler angelegt. Sie zielt mit dem Prinzip der Bewusstmachung (conscientizacao) auf die Selbstbefreiung der Armen in den nachkolonialen Gesellschaften Südamerikas an und in der Lebenssituation des Einzelnen. Lehren bedeutet für ihn Problematisieren, nicht Programmieren mit fremdem Wissen und Beschreiben fremder Wirklichkeit, Lernen ist dann ein Erkenntnisvorgang, der das Leben des einzelnen verändert. Nach einem Militärputsch in Brasilien 1964 musste Freire das Land verlassen und konnte erst 1980 wieder nach Brasilien zurückkehren.

Ich möchte nicht Paulo Freire als Namensgeber für das Berufskolleg und Wirtschaftsgymnasium in Gelsenkirchen-Buer vorschlagen, sondern wollte mit der kurzen Darstellung über ihn deutlich machen, dass es sehr viele andere bedeutende Pädagogen auf der Welt gibt. Zudem haben wir es bei Freire – anders als bei Spranger – mit einem Pädagogen zu tun, der sich der Militärdiktatur nicht unterworfen oder gar mitgemacht hat. Zudem können wir nach allem was wir wissen davon ausgehen, dass Spranger nicht gegen seine Überzeugung in Nazi-Deutschland geblieben ist und mitgemacht hat, sondern seinen Überzeugungen treu geblieben ist und auch in Nazi-Deutschland treu bleiben konnte.

Medienberichten zufolge befinden sich drei nach Eduard Spranger benannte Schulen, in Mannheim, in Frankfurt-Sossenheim und in Landau in der Pfalz, im Prozess der Umbenennung. In Gelsenkirchen gab es 2012 (!) eine Anfrage durch den gemeinnützigen Verein Gelsenzentrum an das Berufskolleg zu dieser Frage, die unbeantwortet blieb. Erst der Artikel in der lokalen WAZ im Juli diesen Jahres und die darauf folgende Sitzung des Bildungsausschusses in der letzten Woche haben die Diskussion in Gang gebracht. Inzwischen befindet sich ein Eintrag, unter der Überschrift „Eduard Spranger – ein guter Name für ein Berufskolleg?“ auch auf der Homepage des Berufskollegs. Schon sprachlich sticht dieser Beitrag durch seine Verschleierung historischer Tatsachen hervor, der nicht in der Lage ist, die Nazi-Zeit beim Namen zu nennen. So heißt es unter anderem dort: „Doch seine kontrovers diskutierte Rolle in der Zeit in der er lebte, bietet Anlass zur Debatte, ob unsere Schule auch weiterhin nach Eduard Spranger benannt sein sollte.“ Das ist kein gutes Signal für den dort ebenfalls angekündigten „ sorgfältige(n) und demokratische(n) Prozess“. Der Beschluss des Bildungsausschusses, den Rat der Stadt in die Entscheidung einzubinden und ein richtungsweisendes Signal zu geben, erscheint daher mehr als sinnvoll.

Zum Abschluss möchte ich noch auf die Frage eingehen, welches denn ein guter Name für das Berufskolleg und Wirtschaftsgymnasium in Gelsenkirchen-Buer sein könnte. Ein Vorschlag liegt der Öffentlichkeit bereits vor. Der umtriebige und seiner Partei vermutlich unbequeme Sozialdemokrat Klaus Brandt hat mit Maria Kraneburg (1880-1936) den Namen der ersten Leiterin des Mädchenlyzeums Buer als Namenspatin vorgeschlagen. Anders als Spranger geriet sie 1933 in Konflikt mit dem Nazi-Gesetz „„zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Es gäbe hier die Möglichkeit, nicht nur ein Opfer der Nazis zu ehren, sondern auch eine Frau, die nach Aussage des ehemaligen Oberbürgermeisters Zimmermann das Mädchenlyzeum Buer „aus kleinsten Anfängen unter Ihrer vortrefflichen Leitung zu einer der blühendsten Schulen Preußens entwickelt hat“. Sicher keine der „größten Pädagogen der Welt“, aber eine, die in unserer Stadt erfolgreich für eine pädagogische Einrichtung gearbeitet hat. Sie ist auf dem alten Friedhof in Buer beigesetzt und wie viele Opfer der Nazis in Vergessenheit geraten. Es gibt noch nicht einmal eine Erinnerungsortetafel, die an sie erinnert.

Supplement
Eine Rezension zu Ortmeyers „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ findet sich hier.

Sollten Schulen nicht nach Vorbildern genannt werden?

Eingang zum Eduard-Spranger-Berufskolleg in Gelsenkirchen-Buer auf der Goldbergstraße.

Eduard Spranger (1882-1963) ist ein deutschnationaler Pädagoge, der im Kaiserreich sozialisiert wurde, in der Weimarer Republik, der er ablehnend gegenüberstand, Bedeutung für Forschung und Lehre gewann und nach 1945 seine Karriere unbeirrt fortsetzte, als sei nichts gewesen. Die Zeit von 1933 bis 1945 wurde von ihm wie von vielen anderen Wissenschaftlern auch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verklärt und beschönigt. Als Wissenschaftler zählt Eduard Spranger zur Richtung der „Geisteswissenschaftlichen Pädagogik“, bei der es sich in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik um die bedeutendste Richtung der Pädagogik in Forschung und Lehre handelte. Zur weithin unbekannten Seite des bedeutenden Pädagogen gehören seine Veröffentlichungen während der Nazi-Zeit, in denen er die Politik des nationalsozialistischen Staates unterstützte.

Die ab 1969 herausgegebenen „Gesammelten Schriften“ verzeichnen in elf Bänden thematisch gruppiert die unbelasteten Texte und stützen somit das Bild, das Spranger nach 1945 von sich hergestellt hat. Zwar gab es schon seit Jahrzehnten innerhalb der pädagogischen Zunft eine Debatte über Spranger, doch erst mit dem „Forschungsprojekt ad fontes“ wurden 2006/09 die Veröffentlichungen Sprangers und drei weiterer Pädagogen aus der Zeit von 1933 und 1945 zusammengetragen. 836 Seiten Schriften und Artikel haben die Forscher allein zu Spranger in einem Quellenband veröffentlicht und so die systematische Beschäftigung ermöglicht. Benjamin Ortmeyer, seit 2003 pädagogischer Mitarbeiter im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, hat sich mit einer Studie über Eduard Spranger und drei weiteren Vertretern der Pädagogik 2008 habilitiert. Die 600 Seiten starke Studie macht deutlich, dass Spranger nicht nur NS-Jargon verwendet hat, sondern trotz Einwände im Detail die Politik Nazi-Deutschlands unterstützt hat.

Spranger, der 1933 Mitglied des „Stahlhelms – Bund der Frontsoldaten“ wurde, einer mit der SA vergleichbaren paramilitärischen Organisation der rechtsextremen „Deutsch-Nationalen Volkspartei“ (DNVP), schrieb im Aufsatz „März 1933“ in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Die Erziehung“ unter anderem von den „begeisternden Tagen des März“ und beschwor den „positiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung“. Im Detail kritisierte er deren „übersteigerten Antisemitismus“. Und so ging es immer weiter. 1937 bezeichnet er „die neue Genetik“ als wichtigste Wissenschaft und zählt Rassenbewusstsein „zum grundsätzlichen Element der politischen Erziehung“, 1938 benennt er als wesentlichstes Verdienst Adolf Hitlers, „die marxistische, sehr stark unter fremdstämmigen Einfluss gelangte Arbeiterschaft wieder national (gemacht) zu (haben) …“ Noch 1943 veröffentlicht er unter Berufung auf Fichte Durchhalteparolen.

Es handelt sich hierbei nicht um wenige, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate, sondern um Beispiele aus zahlreichen Schriften und Vorträgen aus den Jahren 1933 bis 1945. Richtig gruselig werden sie, wenn man sie nicht als theoretische Erörterung eines weltfremden Pädagogik-Professors betrachtet, sondern sich die gleichzeitige Realität des faschistischen Staates vor Augen hält. Wenn Spranger von den „begeisternden Tagen des März“ schreibt, können wir uns ein Deutschland im Ausnahmezustand mit der Aufhebung der Grundrechte und unter dem Terror der SA in „wilden“ Konzentrationslagern und Folterkellern vorstellen. Wenn Spranger „die neue Genetik“ als wichtigste Wissenschaft und Rassenbewusstsein „zum grundsätzlichen Element der politischen Erziehung“ zählt, können wir uns ein Deutschland der antijüdischen Diskriminierung, Verfolgung und ihres Ausschlusses aus der Gesellschaft durch die „Nürnberger Gesetze“ und zahlreicher Verordnungen vorstellen. Und wenn Spranger noch 1943 Durchhalteparolen schreibt, können wir uns ein von Nazi-Deutschland besetztes Europa vorstellen, dass im Osten Millionen Menschen fabrikmäßig mordet und zugleich an allen Fronten die Initiative verliert angesichts der materiellen Übermacht der Alliierten.

„Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ von Benjamin Ortmeyer thematisiert nicht nur die NS-Vergangenheit bedeutender Pädagogen, sondern auch deren unwürdige „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945.

Nach 1945 bezeichnete er wie viele andere Wissenschaftler auch die Veröffentlichungen der Nazi-Zeit verharmlosend als „zwei oder drei Schönheitsflecken“, lobt 1950 die Wehrmacht als „wertvolles Stück allgemeiner Volkserziehung“ und schreibt tatsächlich: „Aber es liegt mir daran, hinzuzufügen, dass es nicht der Nationalsozialismus war, der in die Katastrophe geführt hat, sondern ganz eigentlich der Hitlerismus.“ Offenbar hat er seine Meinung seit 1933 nicht geändert und ist von einem „positiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung“ überzeugt, dem er hier den „Hitlerismus“ gegenüberstellt.

Eduard Spranger lehrte bis zu seiner Emeritierung 1950 und darüber hinaus in Tübingen und gilt als bedeutender Pädagoge und Klassiker der Berufspädagogik. Nach ihm sind in Deutschland sehr unterschiedliche Schultypen benannt, darunter zwei Förderschulen, zwei Schulen die Haupt- und Realschulen verbinden, eine Schule die Grund- und Hauptschule verbindet, zwei Gymnasien und drei Berufsschulen. Die meisten liegen in Baden-Württemberg, je eine in Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen, zwei Berufskollegs liegen in Nordrhein-Westfalen, in Hamm und Gelsenkirchen.

Bildschirmfoto der Homepage des Eduard-Spranger-Berufskollegs Gelsenkirchen: über Eduard Spranger selbst sind keine Informationen zu finden.

Aus dem oben Dargestellten sollte deutlich geworden sein, dass und warum Eduard Spranger als Vorbild und Namensgeber in einem demokratischen Deutschland nicht taugt. Medienberichten zufolge befinden sich drei nach Eduard Spranger benannte Schulen, in Mannheim, in Frankfurt-Sossenheim und in Landau in der Pfalz, im Prozess der Umbenennung. In Gelsenkirchen ist derzeit nichts dergleichen bekannt. Schaut man sich die Internetseite des Eduard-Spranger-Berufskollegs aus Gelsenkirchen an, so findet sich dort nichts über Leben und Werk des Namensgebers. Offenkundig spielt der Name im Schulleben keine besondere Rolle. Was sollte dann dagegen sprechen, sich von diesem zu trennen und einen würdigen Namen zu wählen, der für die gegenwärtige gute Arbeit des Berufskollegs und Wirtschaftsgymnasiums steht?