Archiv für den Monat April 2009

Geschichte vor der Haustür

stolpersteinBereits seit 2005 hat sich die damalige PDS und spätere DIE LINKE im Rat der Stadt dafür stark gemacht,„Stolpersteine für Widerstandskämpfer“ in Gelsenkirchen einzusetzen. Das bereits in vielen Städten im In- und Ausland bekannte Erinnerungsprojekt des Künstlers Gunter Demnig sieht vor, das die in das Pflaster eingelassenen Steine mit kurzen biografischen Angaben an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. „Stolpersteine“ heißen sie nicht, weil man buchstäblich darüber fällt und sich weh tut, sondern weil man aufmerksam wird, wie (räumlich) nah die (zeitlich) ferne Geschichte doch ist.

Drei Namen werden seit 2006 vorgeschlagen:

Erich Lange, ein junger Antifaschist, gilt als erstes Opfer der Nazis in Gelsenkirchen.
In dem in einem Kurs der VHS 1979/81 entstandenen „Beispiele der Verfolgung und des Widerstands in Gelsenkirchen“ wird sein Schicksal als Antifaschist beschrieben, der den Hass der Nazis in besonderem Maße deshalb auf sich gezogen hatte, weil er vor 1932 Mitglied der SS und ab 1932 Mitglied im Kampfbund der Antifaschisten war.
Erich wurde in der Nacht vom 21./22.3.1933 nach einem Fackelzug der SS, der als Siegeszug für den Wahlsieg bei den Stadtparlamentswahlen, in denen die NSDAP 40 % erreichte, viehisch misshandelt und totgeschlagen. Der Tatort war Am Rundhöfchen, wo auch der Stolperstein eingelassen werden soll.

Paul Bukowski, Bergmann auf der Zeche Zollverein und Mitglied der KPD, wohnte in der Zollvereinstraße 4. Paul schloss sich 1943 der Zielasko-Widerstandsgruppe an, die im gleichen Jahr von der Gestapo aufgedeckt und deren insgesamt 44 Mitglieder verhaftet wurden. Paul Bukowski wurde im August 1944, zusammen mit Fritz Rahkob zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Stolperstein soll am Ort des ehemaligen oder noch bestehenden Wohnhauses verlegt werden.

Charles Ganty aus Charleroi in Belgien wurde 1940 als Zivilarbeiter nach Deutschland dienstverpflichtet und war ab Januar 1941 Arbeiter auf der Zeche „Nordstern“. Wegen Arbeitssabotage von der Gestapo zunächst in ein „Arbeitserziehungslager“ eingewiesen, nach Verpflichtung zu politischem Wohlverhalten entlassen und wegen kritischer Äußerungen am 31.08.42 erneut festgenommen, wurde er am 21.05.43 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 7.9.43 in Plötzensee ermordet. Als Ort für den Stolperstein von Charles Ganty haben wir uns den Eingang zum Gelände des Nordsternparks gedacht.

Die Stolperstein-Patenschaft für Erich Lange hat die Gelsenkirchener VVN übernommen, die Patenschaften für Paul Bukowski und Charles Ganty hat Die Linke Alternative übernommen.

Bauskandal Hans-Sachs-Haus

Gelsenkirchen, dem ähnlich anderen Ruhrgebietsstädten, wenig an identitätsstiftender historischer Bausubstanz erhalten blieb, ist an einem dicken Bauskandal entlang geschrammt. Dass es nicht zur Vollendung des nach den Worten des ehem. Bauministers Dr. Christoph Zöpel „größte(n) Bauskandal(s) in Deutschland“, nämlich dem vollständigen Abriss des Hauses, gekommen ist, verdankt es der kleinen Fraktion Die Linke-AUF-Gelsenkirchen im Stadtrat. Die nachfolgende Chronologie verdeutlicht die Sorglosigkeit im Umgang mit Steuergeldern durch die bürgerlichen Parteien und die butterweiche Opposition durch die SPD.

Das Hans-Sachs-Haus, unser Rathaus, das im Stil des sogenannten „Backstein-Expressionismus“ von dem Folkwang-Lehrer und Architekten Alfred Fischer in den 1920er Jahren erbaut wurde, sollte renoviert, und nach den Worten des damaligen CDU-Oberbürgermeisters Wittke, in Konkurrenz zu Renommierobjekten anderer Ruhrgebietsstädte, aufgemotzt werden. Finanziert mithilfe eines PPP-Projektes; voraussichtliche Kosten: 44 Mio DM.

Im November 2002 entscheidet der Rat mehrheitlich für den Abschluss des PPP-Vertrags mit der Investorengruppe Deutsche Bank/Heitkamp/Imtech ohne ein einziges Gegenangebot. Einstiegsangebot der Investorengruppe: 33,5 Mio €. Der Vertrag sieht die Abzahlung in Form von Miete vor. Der Rat entscheidet sich gegen eine Sanierung in eigener Regie mit der Begründung, das PPP-Projekt sei billiger und es sei eine Deckelung der Kosten gesichert. Hinter dem Rücken des Rates wird drei Wochen später bei Vertragsabschluss ein zusätzlicher Generalunternehmer-Zuschlag in Höhe von 16 % vereinbart – zusätzlicher Kostenpunkt: 8 Mio €. Zusätzlich wird – ebenfalls in Unkenntnis des Rates – in einer 205-Punkte-Liste zur Klärung strittiger Fragen das Bestandsrisiko von der Stadt übernommen. Diese Liste wird nach Beschlussfassung durch den Rat dem Vertrag beigefügt.

Kaum ist der Vertrag in Kraft, treten immer neue Bauschäden auf. Immer neue Gutachten und vor allem Nachtragskosten werden er-/gestellt. Bereits 4 Monate nach Vertragsabschluss, im April 2003, werden von der SPD erste Abrissforderungen laut. Für 800.000 € wird eine „Risikoanalyse“ der Bausubstanz erstellt, die die Einsturzgefährdung des Gebäudes und damit die Berechtigung deutlicher Nachforderungen belegen soll. Der Rat beschließt am 24. Februar 2004, an dem Projektvertrag festzuhalten und das Angebot der Investoren für eine Erhöhung der Baukosten auf 80 Mio € Baukosten anzunehmen. Damit würden die Gesamtkosten auf 133 Mio € steigen. Die SPD stimmt zwar dagegen, ein Drittel ihrer Abgeordneten bleibt jedoch der Abstimmung fern und in geheimer Abstimmung stimmen weitere Abgeordnete mit der CDU für den Fortbestand des Knebelvertrags.

Während des Umbaus des Hans-Sachs-Hauses zogen die verschiedenen Verwaltungsstellen um. Der „Vorstandbereich Finanzen“ und das „Immobilienmanagement“ der Stadt kamen damals bei der Deutschen Bank unter. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

Nicht zuletzt wegen des HSH-Skandals verliert OB Wittke bei der Kommunalwahl im September 2004 sein Mandat an Frank Baranowski von der SPD.

Unsere Ratsgruppe Die Linke.PDS, inzwischen in einer Fraktion mit AUF, beantragt Akteneinsicht in die Verträge. Inzwischen gehen die Kostensteigerungen unvermindert fort. Der Antrag unserer Fraktion, die kritischen Ergebnisse unserer Akteneinsicht, die erstmals die gravierenden Abweichungen zwischen den der Beschlussfassung im Rat 2002 zugrunde liegenden und den vollständigen Vertragsunterlagen ans Licht holt, dem Rat vorzutragen, wird abgelehnt.

Millionen Euro fließen am Rat vorbei in die Taschen des Investors!

Wir gehen mit der Quintessenz aus der Akteneinsicht an die Öffentlichkeit „Millionen Euro fließen am Rat vorbei in die Taschen des Investors!“, was die Stadt – inzwischen unter SPD-Führung -, unter Androhung von 250.000 € Geldstrafe, erwirkt beim Landgericht Hamburg, untersagen lässt. Nach Widerspruch beim Landgericht, wird nach Verhandlung vom gleichen Gericht verfügt, dass die o. g. Behauptung zu Recht verbreitet werden darf.

Inzwischen wird aus dem Hans-Sachs-Haus durch den Investor auf der Suche nach weiteren irreparablen Bauschäden eine Bauruine gemacht. Im Oktober 2005 legt der Investor ein Kostenangebot von 143 Mio € vor. Das hätte im Verlauf von 25 Jahren die gigantische Summe von 238 Mio € ergeben. An diesem Punkt zieht die Haushaltsaufsicht in Person des Regierungspräsidenten die Reißleine und untersagt die weitere Finanzierung. Am 27. Oktober 2005 beschließt der Rat der Stadt die Kündigung des Vertrags und am 16. Dezember fällt in nichtöffentlicher Ratssitzung der gemeinsame Beschluss von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, das traditionsreiche Haus abzureißen.

Unsere Fraktion – als Einzige gegen den Beschluss stimmend -initiiert ein Bürgerbegehren und sammelt mit einer Bürgerinitiative über 10.000 Unterschriften dafür, dass der Skandal untersucht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und umfassende Öffentlichkeit beim weiteren Verfahren hergestellt werde. Die Stadt erkennt zunächst die Rechtmäßigkeit des Begehrens an, um in der nächsten Ratssitzung das Bürgerbegehren zu kippen. Dass sie sich jedoch wesentliche Forderungen daraus zu Eigen zu machen muss, ist dem Umstand zu danken, dass die öffentliche Meinung inzwischen aufgebracht ist und Stimmen zur Rettung des Hauses immer lauter werden.

Die Mobilisierung der Öffentlichkeit durch Skandalisierung der Vorgänge ist hauptsächlich dem zähen Wirken unserer Fraktion zu verdanken. Die Beleidigungen, Diffamierungen und Herabsetzungen, die wir von Seiten der etablierten Ratsmehrheit dafür einzustecken hatten wären es für sich wert, publiziert zu werden, um den Umgang mit linker Opposition hierzulande zu illustrieren. Dass das Hans-Sachs-Haus nun, zumindest in seiner äußeren Erscheinung gerettet ist, sehen wir als Lohn dafür an. (UM)

Rekonstruierter erster Blog-Beitrag aus „Der rote Emscherbote“ (2009).