Archiv für den Monat September 2020

Demokratie ohne Demokraten …

Ich habe gewählt!

Die ohnehin niedrige Wahlbeteiligung zur Kommunalwahl, in Gelsenkirchen lag sie am 13.09.2020 bei 41,6 %, ist zur Stichwahl zur Wahl des*der Oberbürgermeister*in erwartungsgemäß erneut gesunken, auf unterirdische 26,6 %. Ein Viertel der Wahlberechtigten Gelsenkirchener ist nur zur Wahl gegangen, drei Viertel sind zu Hause geblieben. Die verkündeten Prozentzahlen, 59,4 % der Stimmen für Karin Welge (SPD) und 40,6 % für Malte Stuckmann (CDU) sind daher nur sehr begrenzt aussagefähig.

Wesentlich aussagekräftiger sind die absoluten Zahlen der abgegebenen Stimmen. Zur Kommunalwahl am 13.09.2020 erhielt Karin Welge 31.341 Stimmen, zur Stichwahl nur noch 29.397, sie hat also 1.944 Stimmen verloren. Malte Stuckmann hingegen hat 633 Stimmen hinzugewonnen, er kam von 19.468 Stimmen am 13.09.2020 auf 20.101 Stimmen bei der Stichwahl am heutigen Sonntag.

Mit anderen Worten: keine*r der beiden Kandidat*innen hat es geschafft, zur Stichwahl erhebliche Stimmen hinzuzugewinnen, im Wesentlichen haben beide ihr altes Ergebnis reproduziert. Und diejenigen, die zur Kommunalwahl einen der anderen Oberbürgermeisterkandidat*innen gewählt hatten, werden wohl weit überwiegend nicht zur (Stich-)Wahl gegangen sein.

Man könnte sich jetzt fragen, wozu es eine Stichwahl brauchte. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Bündnisgrünen PatJe, die darauf hinweist, dass es keine*r der beiden Oberbürgermeisterkandidat*innen geschafft hat, ein über ihre Partei hinausgehendes Bündnis zu schmieden, etwas, das in anderen Städten möglich war.

Wahlsiegerin ist, wie auf der Webseite der Stadt Gelsenkirchen zu lesen ist, die 57-jährige bisherige Kämmerin und Stadtdirektorin Karin Welge. Mit ihr steht zum ersten Mal in der 145-jährigen Geschichte der Stadt eine Frau an der Spitze Gelsenkirchens. Ihr neues Amt wird sie am 1. November 2020 antreten.

Mehr Sozialdemokratie wagen (III)

Das Bild von Gelsenkirchen außerhalb Gelsenkirchens.

Seit SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Bundes- und Länderebene keine eigenen Mehrheiten mehr auf die Beine stellen, schwelt die Diskussion um eine rotrotgrüne oder rotgrünrote oder grünrotrote Koalition als Machtoption. Erst unlängst haben die beiden als links geltenden SPD-Vorsitzenden sich für eine solche Koalition ausgesprochen. In Gelsenkirchen besteht seit der Kommunalwahl diese Möglichkeit – neben einer sogenannten „großen“ Koalition. Für schwarzgrün, eine weitere Machtoption der Bündnisgrünen, reicht es in der Stadt der tausend erloschenen Feuer dagegen nicht, auch Thüringer Verhältnisse sind glücklicherweise nicht zu erwarten.

Im Einzelnen: für eine Mehrheit im neuen Rat der Stadt werden 45 Stimmen benötigt. Eine rotgrünrote Koalition hätte also eine Mehrheit, denn SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE haben zusammen genau 45 Sitze. Auch die traditionell „groß“ genannte Koalition aus SPD und CDU hätte mit 51 Stimmen eine Mehrheit. Für schwarzgrün reicht es dagegen mit 31 Sitzen nicht. Auch Thüringer Verhältnisse sind in Gelsenkirchen nicht zu erwarten, denn CDU, AfD und FDP haben zusammen nur 35 Stimmen.

Einen ersten Hinweis darauf, wie sich die Parteien in Gelsenkirchen in dieser Frage aufstellen, könnte die Unterstützung des*der Oberbürgermeisterkandidat*in geben. Doch anders als in Dortmund, wo sich Bündnis 90/Die Grünen für den CDU-Kandidaten ausgesprochen haben und der SPD ein Herzkammerflimmern bescheren oder dem gemeinsamen OB-Kandidaten von SPD und den Bündnisgrünen in Bochum, haben sich die Gelsenkirchener Mitglieder der Bündnisgrünen nicht für eine*n der beiden Kandidat*innen in der Stichwahl am Sonntag ausgesprochen.

Doch auch das ist schon ein möglicher Hinweis darauf, wie in Zukunft SPD, CDU und die Bündnisgrünen Mehrheiten im Rat der Stadt organisieren werden. Und wenn die SPD auf Bundesebene weiter schrumpft, wäre sie in einer solchen Koalition immer noch eine nützliche dritte Kraft – falls sie dann als Mehrheitsbeschafferin von CDU und Bündnisgrünen noch benötigt wird.

Warum ich am 27.9. Karin Welge (SPD) wähle

SPD Gelsenkirchen setzt sich für die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA NRW ein!

Am 27. September 2020 findet die Verlängerung der diesjährigen Kommunalwahl statt, die Stichwahl zwischen Karin Welge (SPD) und Malte Stuckmann (CDU), die beide für das Amt der*des Oberbürgermeister*in kandidieren. Zur Kommunalwahl erzielte keine der beiden Kandidat*innen eine absolute Mehrheit, Karin Welge kam auf 40,4 %, Malte Stuckmann auf 25,1 %. Ich werde Karin Welge wählen, bedanken darf sie sich bei jenen in ihrer Partei (siehe Bild links), die sich für die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA in Nordrhein-Westfalen eingesetzt haben. Antifaschismus ist gemeinnützig!

In Gelsenkirchen ist alles anders …

Das Bild von Gelsenkirchen außerhalb Gelsenkirchens – und bei 12,9 % der Gelsenkirchener Wähler.

Kommunalwahlen 2020. Während im Landesdurchschnitt die CDU seit 1999 die meisten Stimmen zu den Kommunalwahlen erhält, die SPD trotz Stimmenverluste den zweiten Platz im Parteiensystem vor Bündnis 90/Die Grünen verteidigt, haben wir es in Gelsenkirchen mit einem nicht unerwarteten anderen Ergebnis zu tun: die AfD auf dem dritten Platz im Parteiensystem nach SPD und CDU.

Die SPD hat trotz großer Verluste noch immer die meisten Stimmen (35,1 %) bekommen, die CDU ihren zweiten Platz (23,2 %) im Parteiensystem verteidigt. Bündnis 90/Die Grünen haben gegenüber der letzten Kommunalwahl massiv an Stimmen hinzugewonnen (12,2 %), dennoch haben sie den dritten Platz an die AfD verloren, die sie knapp überholt hat (12,9 %). Wenn man sich die Ergebnisse bezogen auf die Stadtbezirke anschaut, ist das Nord-Süd-Gefälle klar erkennbar: nur im Bezirk Nord liegen Bündnis 90/Die Grünen noch vor der AfD, in allen anderen vier Stadtbezirken wurden sie von ihr überholt. Dasselbe Bild zeigt auch die Wahl zum Amt des*der Oberbürgermeister*in: Karin Welge (SPD) kommt auf 40,4 % und geht in die Stichwahl gegen Malte Stuckmann (CDU) mit 25,1 %. Drittplatzierter ist Jörg Schneider von der AfD mit 12,1 %, der zudem in seinem Stimmbezirk die meisten Stimmen holte.

Offenkundig hat die AfD die ehemaligen Stimmen für die rechtsextreme Kleinstpartei ProNRW, die nicht mehr angetreten ist, aufgesogen und darüber hinaus weitere rund 2.500 Stimmen zu ihrem letzten Kommunalwahl-Ergebnis hinzu gewonnen.

Auch die weiteren Ergebnisse sind wenig ermutigend: DIE LINKE ist auf 3,5 % abgerutscht, nach der Migrantenliste WIN mit 3,6 % und der FDP mit 4,0 %. AUF Gelsenkirchen ist auf 1,2 % abgerutscht, während die ominöse „TIERSCHUTZ hier“ aus dem Stand 2,2 % der Stimmen erhalten hat. Einen kleinen Lichtblick bietet lediglich die sehr gute Partei Die PARTEI mit 2,0 % der Stimmen aus dem Stand. Aufgrund der fehlenden 5 %-Hürde ist keine Stimme für die Parteien verloren, mit Ausnahme der 30 Stimmen für den Einzelbewerber Manfred Kosubek. Die Wahlbeteilung lag mit 41,5 % noch niedriger als bei der letzten Kommunalwahl und unter dem Landesdurchschnitt von 51,5 %

Die Sitzverteilung im Rat der Stadt Gelsenkirchen: SPD 31 Sitze, CDU 20 Sitze, AfD 11 Sitze, Bündnis 90/Die Grünen 11 Sitze, FDP 4 Sitze, WIN 3 Sitze, DIE LINKE 3 Sitze, Tierschutz hier! 2 Sitze, Die PARTEI 2 Sitze, AUF Gelsenkirchen 1 Sitz. Quelle

Um weitere Daten ergänzte Fassung.

Wiedergelesen: „Ökotopia“ von Ernest Callenbach

Ausgabe des Rotbuch-Verlags, Berlin, nur noch antiquarisch erhältlich.

Der Roman „Ökotopia“ von Ernest Callenbach aus den 1970er Jahren zeigt ein fiktives Land, dessen Wirtschaft und Gesellschaft sich durch eine nachhaltige Ökonomie, Dezentralisation und eine kooperative Lebenseinstellung auszeichnen. Der Autor hat hier verschiedene Möglichkeiten alternativen Lebens zusammengetragen und schildert Land und Leute aus der Sicht eines ebenso fiktiven US-amerikanischen Journalisten. Callenbachs „Ökotopia“ gehört zu den Büchern, die ich in den 1980ern mit einer großen Begeisterung las und die mich auch heute noch faszinieren.

Als Ort für seine ökologische Utopie hat Callenbach im Roman drei „ehemalige Weststaaten“ der USA mit Washington, Oregon und Nordkalifornien gewählt, die sich 1980 abgespalten und einen eigenen Staat aufgebaut haben. Im Roman besucht der Journalist William Weston als erster offizieller Besucher aus den USA im Jahre 1999 Ökotopia und schildert in seinem Notizbuch und in Artikeln für seinen Auftraggeber Eindrücke und Erlebnisse. In Berichten für seine Zeitung schildert er die Veränderungen in Produktion, Energieversorgung und Ernährung, die zu einem lebenswerten und gesunden Leben führten. Westons Vermutung, es handele sich um ein sozialistisches Wirtschaftssystem stellt sich als Irrtum heraus, trotz staatlicher Regelungen gilt bei einer 20 Stunden-Woche und einer deutlich erweiterterten Form der Mitbestimmung die private Unternehmerinitiative. Das Staatsoberhaupt ist eine Frau, Vera Allwen, US-typisch gibt es zwei demokratische Parteien: die regierende Survivalist Party und die oppositionelle Progressive Party.

Ökotopianer sehen den Menschen als soziales und biologisches Wesen an. Zum Überleben der Gattung halten sie sowohl den soziale Zusammenhalt wie eine lebensfähige Umwelt für notwendig. Eine hohe Bedeutung hat daher die Nutzung von Naturmaterialien wie Holz, aber auch ein in Ökotopia entwickelter Kunststoff, der auf natürliche Weise recyclebar ist. Eine große Rolle spielen auch Mülltrennung sowie Müllvermeidung, indem Geräte einfach reparierbar sein müssen. Autos spielen im Leben der Ökotopianer keine Rolle mehr, es gibt gemütlich ausgestattete Magnetzüge und öffentlich bereitgestellte Fahrräder, viele Wege werden zu Fuß zurückgelegt. Die Innenstadt von San Francisco wurde zu einer lebenswerten Umwelt umgestaltet, Bürohäuser zu Wohnungen und in Ladengeschäfte umgebaut. Videokonferenzen ersetzen im Geschäftsleben Geschäftsreisen.

Anstelle der klassischen Kleinfamilie wohnen viele Ökotopianer in Wohngemeinschaften zusammen. Auch Weston macht diese Erfahrung und zieht im Verlauf der Handlung vom Hotel in eine Wohngemeinschaft von Journalisten. In persönlichen Begegnungen stellte Weston wiederholt fest, wie emotional die Ökotopianer reagieren. Andererseits scheitern seine Versuche, mit einer ökotopianischen Frau eine seiner oberflächlichen Reiseaffären zu beginnen, ohne das er zunächst einen Grund dafür entdecken kann. Ökotopia hat ein hohes Maß an beruflicher und gesellschaftlicher Gleichberechtigung von Männern und Frauen erreicht. In Bezug auf die Frage, mit wem sie eine Beziehung eingehen und Kinder bekommen, haben Frauen eine dominante Position. Andererseits gestalten sich das Beziehungsleben wie die Erziehung der Kinder durch das Zusammenleben in Wohngemeinschaften einfacher als in der klassischen Kleinfamilie. Zu den problematischen Teilen des Romans gehören die „Kriegsspiele“, in denen junge Männer Konkurrenz und Aggression ausleben können, die als anthropologische Konstante gelten.

Wer in Ökotopia Bauholz verwenden möchte, muss zuvor in einem Waldcamp mitgearbeitet haben. Beim Besuch eines dieser Waldcamps lernt Weston mit Marissa Brightcloud eine beeindruckende Frau kennen und lieben. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch weil er das Land inzwischen zu schätzen gelernt hat und sich schließlich eine Rückkehr nach New York nicht mehr vorstellen kann, bleibt er am Ende des Romans in Ökotopia. Ernest Callenbach schildert noch viele weitere Details des ökotopianischen Lebens und seiner Gesellschaft, darunter Schule, Kultur und Sport, doch alles hier aufzuzählen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Die deutsche Ausgabe des Romans erschien 1978 im Berliner Rotbuch-Verlag und erlebte mehrere Auflagen zuletzt als Rotbuch Taschenbuch im Jahre 1990. 1983 folgte noch „Ein Weg nach Ökotopia“ im Ökotopia-Verlag, Berlin, der „Die Entstehungsgeschichte einer anderen Zukunft“ schilderte. Beide Romane sind nur noch antiquarisch erhältlich. Der Verfasser dieser ökologischen Utopie, Ernest Callenbach, wurde am 3. April 1929 in Williamsport, Pennsylvania geboren und starb am 16. April 2012 in Berkeley, Kalifornien. Er war Schriftsteller, Journalist und Universitätslehrer, hat an der Universität von Chicago und der Pariser Sorbonne studiert. An der Universität von Kalifornien in Berkeley lehrte er Filmgeschichte und -theorie und war bis 1991 Herausgeber der Zeitschrift „Film Quarterly“. Ernest Callenbach gilt neben Ursula K. Le Guin und Marge Piercy als einer der aktuellen Gesellschaftsutopisten der Gegenwart und wird mitunter zusammen mit Wells, Huxley und Orwell genannt.

Bibliografie
Ecotopia, 1975 (Ökotopia, 1978)

Ecotopia Emerging, 1981 (Ein Weg nach Ökotopia, 1983)

Die Qual der (Kommunal-)Wahl (VI) – Über Glaubwürdigkeit in der Politik

Aufruf auf Facebook zur gestrigen Kundgebung.

Die katastrophale Situation im Geflüchtetenlager „Moria“ auf der griechischen Insel Lesbos ist jedem, der es wissen wollte, seit langem bekannt. In dem für etwa 2800 Menschen ausgelegtem Lager hausten vor dem Brand mehr als 13.000 Menschen unter unwürdigen Bedingungen. Tausende schliefen in Zelten oder im Freien, es gab nur ungenügende sanitäre Anlagen, für Nahrungsmittel mussten die Menschen stundenlang anstehen. Hinzu kam die Corona-Pandemie: Abstand halten und Hygiene einhalten war unter diesen Bedingungen unmöglich. Das Lager Moria steht zugleich für eine Bankrotterklärung der Europäischen Union, die die Situation seit Jahren kennt und die griechische Regierung und die Bevölkerung der Insel mit dem Problem alleine lässt.

Im Gegensatz zu all den Politikern, die in den vergangenen Jahren von einer „europäischen Lösung“ faselten und sie damit auf die lange Bank schoben, hatten sich über 170 Städte und Kommunen allein in Deutschland zum sicheren Hafen erklärt. Sie alle sind bereit, geflüchtete Menschen aufzunehmen. Erst vor wenigen Wochen starteten Berlin und Thüringen eigene Landesprogramme. Doch alle diese Initiativen werden vom Innenminister der „großen“ Koalition aus CDU und SPD, Horst Seehofer, blockiert.

Im Juni diesen Jahres hatte die Ratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag im Rat der Stadt Gelsenkirchen gestellt, dass Gelsenkirchen sich ebenfalls zum „Sicheren Hafen“ erklären sollte und 56 (in Worten: sechsundfünfzig) Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufnehmen möge. Die Ratsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) hatte daraufhin einen eigenen Antrag zur Abstimmung gestellt und mit allen eigenen Stimmen und ihrer absoluten Mehrheit verabschiedet, der vorsieht, dass Gelsenkirchen erst dann ein Sicherer Hafen werden soll, wenn der Anteil der Geflüchteten und Zugewanderten aus Rumänien und Bulgarien nicht mehr als 5 % an der gesamten Stadtbevölkerung ausmacht, was bereits der Fall ist und sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern wird.

Am gestrigen Tag hat die Jugendorganisation genau dieser Partei, haben die „Jungsozialisten in der SPD“ zu einer Kundgebung auf dem Heinrich-König-Platz aufgerufen, um die Forderung nach der Evakuierung der Lager zu unterstützen. Wie glaubwürdig ist das denn? Ich hätte eine gemeinsame Kundgebung in einem Bündnis anstelle einer parteipolitischen Veranstaltung vorgezogen und habe daher aus gutem Grund an dieser Kundgebung nicht teilgenommen, obwohl ich die Forderung der unter dem Namen Seebrücke zusammengefassten Initiativen unterstütze: Evakuiert die Lager!

Die Qual der (Kommunal-)Wahl (V) – TIERSCHUTZ hier!?

Wahrscheinlich ist nicht nur mir die Kandidatur von „TIERSCHUTZ hier!“ in Gelsenkirchen aufgefallen. Und wahrscheinlich habe nicht nur ich sie wenig beachtet und mit der Tierschutzpartei verwechselt. Die Plakate zeigen eine Katze und einen Hund und beziehen sich überhaupt nicht auf Gelsenkirchen. Denn tatsächlich handelt es sich nach Darstellung der Tierschutzpartei um eine Düsseldorfer Abspaltung derselben. Als Wahlkampfmanager für den Kommunalwahlkampf wurde nach einem weiteren Bericht Torsten Lemmer „verpflichtet“, eine schillernde politische Figur. Er soll 2001 aus der Neonazi-Szene ausgestiegen sein.

Jan Specht, Spitzenkandidat von AUF Gelsenkirchen hat als erstes Fragen nach der Seriösität der Kandidatur gestellt – und auch beantwortet. Die Gelsenkirchener Spitzenkandidatin Cornelia Keisel war am 28.10.2017 Thema im SPIEGEL. Gegenstand war eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft Dortmund im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Betrug beim Sammeln von Spenden vor Fußballstadien. Der Bericht schildert darüber hinaus ein ein Geflecht von Vereinen, die von Familienmitgliedern betrieben werden, schildert irreführende Werbung und zweifelhafte Abmahnpraktiken. Der Verein „Kinderwünsche e.V.“ mit der Anschrift Kirchstraße 16 in Gelsenkirchen ist auch 2020 noch online erreichbar. Dieselbe Adresse findet sich ebenfalls online im Impressum des „Pfoten Verband e.V.“

Als Wahlkampfmanager für die Kommunalwahl wurde nach einem „Bericht“ Torsten Lemmer zusammen mit seiner Frau Saida „verpflichtet“. Der Wikipedia zufolge handelt es sich bei Torsten Lemmer um eine schillernde politische Figur, genannt werden unter anderem die Jungen Liberalen und die FDP, die Gemeinschaft Junges Ostpreußen in der Landsmannschaft Ostpreußen und die Freie Wählergemeinschaft (FWG) als Abspaltung der Republikaner im Düsseldorfer Stadtrat. 2001 sei er aus der Neonazi-Szene ausgestiegen, 2009 wurde er vom Landgericht Düsseldorf wegen Volksverhetzung verurteilt; im Rahmen des Prozesses kam heraus, dass er noch 2002 bis 2006 als Mitarbeiter eines Rechtsrock-Labels tätig war. Der NRZ zufolge ist er auch Spitzenkandidat der Freien Wähler Düsseldorf.

Auch die Tierschutzpartei (Partei Mensch Umwelt Tierschutz) selbst warnt vor rechten „Tierschützern“. „Ganz explizit warnt die Partei Mensch Umwelt Tierschutz vor einer Gruppierung, deren Mitglieder kurzzeitig in ihren eigenen Reihen mal ihr Unwesen trieb: die ‚Tierschutzliste‘, die sich zur Europawahl 2019 in ‚Aktion Partei für Tierschutz – Tierschutz hier! – Das Original‘ umbenannte.“ Inzwischen hat sie den Zusatz „Das Original“ im Namen wieder entfernt und kandidiert zur Kommunalwahl 2020 in den Städten Duisburg, Düsseldorf, Gelsenkirchen und Neuss.