Der Roman „Ökotopia“ von Ernest Callenbach aus den 1970er Jahren zeigt ein fiktives Land, dessen Wirtschaft und Gesellschaft sich durch eine nachhaltige Ökonomie, Dezentralisation und eine kooperative Lebenseinstellung auszeichnen. Der Autor hat hier verschiedene Möglichkeiten alternativen Lebens zusammengetragen und schildert Land und Leute aus der Sicht eines ebenso fiktiven US-amerikanischen Journalisten. Callenbachs „Ökotopia“ gehört zu den Büchern, die ich in den 1980ern mit einer großen Begeisterung las und die mich auch heute noch faszinieren.
Als Ort für seine ökologische Utopie hat Callenbach im Roman drei „ehemalige Weststaaten“ der USA mit Washington, Oregon und Nordkalifornien gewählt, die sich 1980 abgespalten und einen eigenen Staat aufgebaut haben. Im Roman besucht der Journalist William Weston als erster offizieller Besucher aus den USA im Jahre 1999 Ökotopia und schildert in seinem Notizbuch und in Artikeln für seinen Auftraggeber Eindrücke und Erlebnisse. In Berichten für seine Zeitung schildert er die Veränderungen in Produktion, Energieversorgung und Ernährung, die zu einem lebenswerten und gesunden Leben führten. Westons Vermutung, es handele sich um ein sozialistisches Wirtschaftssystem stellt sich als Irrtum heraus, trotz staatlicher Regelungen gilt bei einer 20 Stunden-Woche und einer deutlich erweiterterten Form der Mitbestimmung die private Unternehmerinitiative. Das Staatsoberhaupt ist eine Frau, Vera Allwen, US-typisch gibt es zwei demokratische Parteien: die regierende Survivalist Party und die oppositionelle Progressive Party.
Ökotopianer sehen den Menschen als soziales und biologisches Wesen an. Zum Überleben der Gattung halten sie sowohl den soziale Zusammenhalt wie eine lebensfähige Umwelt für notwendig. Eine hohe Bedeutung hat daher die Nutzung von Naturmaterialien wie Holz, aber auch ein in Ökotopia entwickelter Kunststoff, der auf natürliche Weise recyclebar ist. Eine große Rolle spielen auch Mülltrennung sowie Müllvermeidung, indem Geräte einfach reparierbar sein müssen. Autos spielen im Leben der Ökotopianer keine Rolle mehr, es gibt gemütlich ausgestattete Magnetzüge und öffentlich bereitgestellte Fahrräder, viele Wege werden zu Fuß zurückgelegt. Die Innenstadt von San Francisco wurde zu einer lebenswerten Umwelt umgestaltet, Bürohäuser zu Wohnungen und in Ladengeschäfte umgebaut. Videokonferenzen ersetzen im Geschäftsleben Geschäftsreisen.
Anstelle der klassischen Kleinfamilie wohnen viele Ökotopianer in Wohngemeinschaften zusammen. Auch Weston macht diese Erfahrung und zieht im Verlauf der Handlung vom Hotel in eine Wohngemeinschaft von Journalisten. In persönlichen Begegnungen stellte Weston wiederholt fest, wie emotional die Ökotopianer reagieren. Andererseits scheitern seine Versuche, mit einer ökotopianischen Frau eine seiner oberflächlichen Reiseaffären zu beginnen, ohne das er zunächst einen Grund dafür entdecken kann. Ökotopia hat ein hohes Maß an beruflicher und gesellschaftlicher Gleichberechtigung von Männern und Frauen erreicht. In Bezug auf die Frage, mit wem sie eine Beziehung eingehen und Kinder bekommen, haben Frauen eine dominante Position. Andererseits gestalten sich das Beziehungsleben wie die Erziehung der Kinder durch das Zusammenleben in Wohngemeinschaften einfacher als in der klassischen Kleinfamilie. Zu den problematischen Teilen des Romans gehören die „Kriegsspiele“, in denen junge Männer Konkurrenz und Aggression ausleben können, die als anthropologische Konstante gelten.
Wer in Ökotopia Bauholz verwenden möchte, muss zuvor in einem Waldcamp mitgearbeitet haben. Beim Besuch eines dieser Waldcamps lernt Weston mit Marissa Brightcloud eine beeindruckende Frau kennen und lieben. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch weil er das Land inzwischen zu schätzen gelernt hat und sich schließlich eine Rückkehr nach New York nicht mehr vorstellen kann, bleibt er am Ende des Romans in Ökotopia. Ernest Callenbach schildert noch viele weitere Details des ökotopianischen Lebens und seiner Gesellschaft, darunter Schule, Kultur und Sport, doch alles hier aufzuzählen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.
Die deutsche Ausgabe des Romans erschien 1978 im Berliner Rotbuch-Verlag und erlebte mehrere Auflagen zuletzt als Rotbuch Taschenbuch im Jahre 1990. 1983 folgte noch „Ein Weg nach Ökotopia“ im Ökotopia-Verlag, Berlin, der „Die Entstehungsgeschichte einer anderen Zukunft“ schilderte. Beide Romane sind nur noch antiquarisch erhältlich. Der Verfasser dieser ökologischen Utopie, Ernest Callenbach, wurde am 3. April 1929 in Williamsport, Pennsylvania geboren und starb am 16. April 2012 in Berkeley, Kalifornien. Er war Schriftsteller, Journalist und Universitätslehrer, hat an der Universität von Chicago und der Pariser Sorbonne studiert. An der Universität von Kalifornien in Berkeley lehrte er Filmgeschichte und -theorie und war bis 1991 Herausgeber der Zeitschrift „Film Quarterly“. Ernest Callenbach gilt neben Ursula K. Le Guin und Marge Piercy als einer der aktuellen Gesellschaftsutopisten der Gegenwart und wird mitunter zusammen mit Wells, Huxley und Orwell genannt.
Bibliografie
Ecotopia, 1975 (Ökotopia, 1978)
Ecotopia Emerging, 1981 (Ein Weg nach Ökotopia, 1983)