Der erste* rechtsextreme Oberbürgermeisterkandidat in Gelsenkirchen seit 75 Jahren

Wahlplakat der sogenannten “Alternative für Deutschland” zur Kommunalwahl in Gelsenkirchen 2014

von Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung. 17 % der Stimmen für die AfD bei der letzten Bundestagswahl in Gelsenkirchen haben für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt und Gelsenkirchen zur medialen AfD-Hochburg im Westen der Republik gemacht. Mit Jörg Schneider sitzt ein Gelsenkirchener als Abgeordneter für die AfD im Deutschen Bundestag, der zugleich Mitglied der schlagenden Hamburger Burschenschaft Germania ist, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch beobachtet wird. Inzwischen ist er Kreisvorsitzender der örtlichen AfD und ihr Oberbürgermeisterkandidat für die Kommunalwahl am 13. September. (Q)

Jörg Schneider, 1964 in Solingen geboren, lebt seit 2010 in Gelsenkirchen. Nach dem Abitur studierte er an der Universität der Bundeswehr in Hamburg Maschinenbau, von 1983 bis 1995 war er Offizier der Bundeswehr, zuletzt als Jugendoffizier. Nach verschiedenen Tätigkeiten in der privaten Wirtschaft wurde er hier 2010 Lehrer am Berufskolleg für Technik und Gestaltung. Mitglied der Hamburger Burschenschaft Germania ist er seit dem Wintersemester 1988/89, „alter Herr“ seit 1992. Es handelt sich um eine sogenannte schlagende Studentenverbindung, in der nur Männer und keine Ausländer zugelassen sind. Öffentlich gemacht hat die Verbindung zwischen dem Gelsenkirchener AfD-Abgeordneten und der Burschenschaft mit rechtsextremen Verbindungen das Hamburger Bündnis gegen Rechts, das ihn in seiner Pressemitteilung vom 10.08.2018 den „ersten rechtsextremen MdB seit 60 Jahren“ nennt. (Q)

Wie Andreas Speit in der taz damals berichtete, ist die Hamburger Burschenschaft Germania klar rechtsextrem und fällt seit Jahrzehnten und bis heute mit eindeutigen Positionen und Verbindungen auf. Er zitiert unter anderem aus einem unveröffentlichten Bericht des Hamburger Verfassungsschutz aus den 1990er Jahren: „Nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut ist (…) innerhalb der aktiven Teile der Burschenschaft weit verbreitet.“ (Q) Auch der politische Werdegang Schneiders spricht Bände. Wie in der Wikipedia nachzulesen ist, war er nach eigenen Angaben nacheinander Mitglied der Jungen Union, der FDP und der rechtspopulistischen Partei „Die Freiheit“. 2013 wurde er Mitglied der AfD und stieg innerhalb der Partei schnell in einflussreiche Positionen auf. Über einen Listenplatz der Landesliste NRW der AfD wurde er schließlich 2017 in den Bundestag gewählt. (Q)

Über seine Vorurteile und Ressentiments hat er sich erst unlängst ausgelassen, als er auf der Plattform abgeordnetenwatch.de gefragt wurde, wie er den Rassismus wirksam bekämpfen will. Die Antwort Schneiders offenbart in inzwischen gewohnter Deutlichkeit, wie innerhalb der AfD Rassismus umdefiniert wird. Die Antwort enthielt zudem unbelegte Behauptungen, aufgrund dessen sich abgeordnetenwatch.de weigerte, sie ohne Korrekturen zu veröffentlichen. Bisher ist die Frage vom 08.06.2020 dort unbeantwortet. (Q)

Bereits der erste Absatz der Antwort Schneiders vermengt Beleidigungen und Vorurteile miteinander und gibt sie fälschlicherweise als Rassismus aus. Für Schneider ist eine Beleidigung als „Kartoffel“, als „Ungläubiger“ oder als „Ehrlos“ bereits ein Zeichen von Rassismus gegen „Menschen ohne Migrationshintergrund“. Auch ein im übrigen unbelegter „ständig steigender Antisemitismus“ aufgrund von „Zuwanderung aus dem türkisch-arabischen Raum“ nennt er als Beispiel für den von ihm so genannten „privaten Rassismus“.

Zu Recht weist abgeordnetenwatch.de diese Antwort zurück. Eine Kennzeichnung der oben genannten Beleidigungen als „Rassismus“ verhöhne und missachte die Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder erkennbaren Migrationshintergrundes Rassismus oder rassistische Gewalt erfahren haben. Ferner sei es in unserer weißen Mehrheitsgesellschaft aufgrund von Sklaverei und Kolonialgeschichte nicht möglich, von Rassismus gegenüber weißen Menschen zu sprechen, da dies die in Vergangenheit und in der Gegenwart andauernde Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung im Rassismus-Begriff außer Acht lassen würde. (aus der Antwort von abgeordnetenwatch.de an den Fragesteller mit der unveröffentlichten Antwort Schneiders)

In den drei weiteren Absätzen fährt Schneider fort, unbelegte Tatsachenbehauptungen vermischt mit verallgemeinernden Unterstellungen aufzuführen. So behauptet er zum Beispiel, dass sich im Gegensatz zu einem Hartz-IV-Empfänger, ein „Zuwanderer, der Asyl beantragt (…) durch völlig straffreie Falschangaben – jeglicher Überprüfung entziehen (kann)“. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, in welchem Umfang Schneider Vorurteile und Ressentiments pflegt und damit seine Antwort in Bezug auf die gestellte Frage vollkommen wertlos ist. Schneider kann den Rassismus gar nicht wirksam bekämpfen.

Daran anschließend bezieht er sich noch auf die Grundsicherung im Alter und die Unterstützung im Ausland lebender Familienangehöriger. Auch hier werden seine verallgemeinernden Vorurteile gegenüber Zuwanderern überdeutlich. So passt es auch, das er in seinem Schlusssatz auch nicht mehr von Rassismus, sondern von „Benachteiligung aufgrund der Herkunft“ spricht. Allerdings geht es ihm nur um die Benachteiligung Deutscher. Das ist dann tatsächlich Rassismus.

*Tatsächlich ist Jörg Schneider bereits der zweite rechtsextreme Oberbürgermeisterkandidat, vor ihm ist Kevin Hauer 2004 für Die Republikaner und 2009 für ProNRW angetreten. Er erhielt beide Male 3,1 % der Stimmen. Allerdings war ProNRW im Vergleich zur AfD wesentlich bedeutungsloser und nicht im Deutschen Bundestag und in allen Länderparlamenten vertreten.