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Trauerfeier für Werner Cichowski

Werner Trauerfeier 30.03.2016In der Trauerhalle des Bochumer Hauptfriedhofs fand am Mittwoch, dem 30. März 2016 die Trauerfeier für den nach einem langen und erfüllten Leben am Freitag, dem 18. März 2016 im Alter von 84 Jahren verstorbenen Werner Cichowski statt.

Verwandte, Nachbarn, Freunde und politische Weggefährten nahmen von ihm Abschied. Neben seiner Tochter Petra, die ausführlich an ihren Vater erinnerte, sprachen noch Klaus, Knut und Ulla. Klaus erinnerte an die sportliche Begeisterung des Verstorbenen und verteilte die letzte Fotografie vom 24. Februar 2016 an die Trauernden. Ulla erinnerte vor allem an seinen politischen Lebensweg. Eingerahmt wurden die Reden von den Musikstücken „Mondnacht“ von Kalle Gajewski, „Blauer Planet“ von Bernd Köhler und „Another brick in the wall“ von Pink Floyd.

Werner ist tot – ein Nachruf

Werner Cichowski (v.l.n.r.) 2011 beim Ostermarsch im Stadtgarten Gelsenkirchen, 2009 in Berlin bei der DGB-Demo für ein soziales Europa mit einer "roten Banane" vor dem Reichstagsgebäude , 2014 bei der Antikriegstagskundgebung auf dem Preuteplatz in Gelsenkirchen mit der VVN-BdA-Fahne und 2009 beim Wahlkampf für Die Linke Alternative im Gelsenkirchener Norden unterwegs.

Werner Cichowski (v.l.n.r.) 2011 beim Ostermarsch im Stadtgarten Gelsenkirchen, 2009 in Berlin bei der DGB-Demo für ein soziales Europa mit einer „roten Banane“ vor dem Reichstagsgebäude , 2014 bei der Antikriegstagskundgebung auf dem Preuteplatz in Gelsenkirchen mit der VVN-BdA-Fahne und 2009 beim Wahlkampf für Die Linke Alternative im Gelsenkirchener Norden unterwegs.

Die Gelsenkirchener VVN-BdA trauert um eines ihrer ältesten Mitglieder. Werner Cichowski ist am Freitag, 18. März 2016 im Alter von 84 Jahren verstorben. Wir werden ihn vermissen!

Heute vormittag, ich war gerade auf dem Weg zu unserem Infostand anlässlich des diesjährigen Ostermarsches, erreichte mich telefonisch die Nachricht von seinem Tod. Nun kommt der Tod für einen 84jährigen nicht „plötzlich und unerwartet“, wie es bisweilen klischeehaft in Todesanzeigen heißt, doch überraschend kam die Nachricht allemal.

Kennengelernt habe ich Werner vor gut 10 Jahren. Ich war 2004 angesichts der unsozialen Politik der rotgrünen Bundesregierung in die PDS eingetreten, allerdings ohne die Absicht, mich dort persönlich zu engagieren. Es war Werner, der mich mit seinem persönlichen Einsatz zu eigenem Engagement bewegte. Ich erinnere mich an ihn, wie er neben mir auf dem Sofa sitzt, sich an meiner Bücherwand erfreut und eine Unterschrift für den Wahlantritt der PDS einsammelt. Ich erinnere mich an gemeinsame  Infostände zur Landtagswahl 2005 auf der Bahnhofstraße, an einen Werner, der zugleich ungeduldig und gelassen war.

Antikriegstag 2015, das neue Transparent der Gelsenkirchener VVN-BdA, gehalten mit Unterstützung aus der örtlichen Linkspartei (links Ingrid Remmers)

Antikriegstag 2015, das neue Transparent der Gelsenkirchener VVN-BdA (rechts am Transparent: Werner Cichowski)

Im Juli 2015 führte ich ein langes Interview mit ihm. Anlass war das 70 Jahre zurückliegende Ende des Zweiten Weltkrieges und die Befreiung Europas von den Nazis. Werner erzählte wie ihm der Schnabel gewachsen war über seine Kindheit, die Zeit der Kinderlandverschickung in Bayern, die abenteuerliche Rückkehr nach Gelsenkirchen und die frühe Nachkriegszeit. Am 18. Dezember 1931 in Gelsenkirchen geboren, lernte er seinen Vater, der 1937 auf Consol tödlich verunglückte, kaum kennen. Er war das älteste Kind, neben einem Bruder und einer Schwester, und fühlte sich für die Familie verantwortlich.

Als ich ihn kennenlernte, lag diese Zeit bereits lange zurück. Werner lebte zu diesem Zeitpunkt alleine und sehr selbständig, er las viel, er diskutierte gerne, und nutzte auch in seinem hohen Alter unbefangen die Informationsmöglichkeiten des Internets. Er ließ sich niemals die eigene kritische Meinung nehmen und nahm kein Blatt vor dem Mund, wenn es ihm wichtig war. Für viele war er sicherlich unbequem. Werner war trotz seines Alters aktiv und lebendig – und so wird er mir in Erinnerung bleiben.

Werner Cichowski bei der Demonstration "umFAIRteilen" am 29. September 2012 in Bochum

Werner Cichowski bei der Demonstration „umFAIRteilen“ am 29. September 2012 in Bochum – ein von ihm gewünschtes Foto

Vor 70 Jahren: Interview mit Werner Cichowski

Werner Cichowski (v.l.n.r.) 2011 beim Ostermarsch im Stadtgarten Gelsenkirchen, 2009 in Berlin bei der DGB-Demo für ein soziales Europa mit einer "roten Banane" vor dem Reichstagsgebäude , 2014 bei der Antikriegstagskundgebung auf dem Preuteplatz in Gelsenkirchen mit der VVN-BdA-Fahne und 2009 beim Wahlkampf für Die Linke Alternative im Gelsenkirchener Norden unterwegs.

Werner Cichowski in der Gegenwart (v.l.n.r.) 2011 beim Ostermarsch im Stadtgarten Gelsenkirchen, 2009 in Berlin bei der DGB-Demo für ein soziales Europa mit einer „roten Banane“ vor dem Reichstagsgebäude , 2014 bei der Antikriegstagskundgebung auf dem Preuteplatz in Gelsenkirchen mit der VVN-BdA-Fahne und 2009 beim Wahlkampf für Die Linke Alternative im Gelsenkirchener Norden unterwegs.

Werner Cichowski gehört mit seinen über 80 Jahren zusammen mit Robert Konze zu den ältesten noch lebenden Mitgliedern der Gelsenkirchener VVN-BdA. In Kindheit und Jugend erlebte er die Zeit des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges in Gelsenkirchen. Bei Kriegsende befand er sich in der Kinderlandverschickung in Bayern und musste im Alter von 14 Jahren selbst zusehen, wie er von dort aus nach Gelsenkirchen zurückkam. Im folgenden Interview vom 04.07.2015 erinnert sich Werner an die damalige Zeit.

Knut: Wann und wo bist du geboren und aufgewachsen?
Werner: Ich bin am 18.12.1931 in Gelsenkirchen geboren. Meine Mutter hat immer spöttisch gesagt: „im Wäschekorb im Dachzimmer“. Hausgeburten waren damals normal. Mein Vater war Bergmann auf der Zeche Consol. Wir sind öfter umgezogen. Ich war das älteste Kind, nach mir kamen zwei weitere Kinder, ein Bruder und eine Schwester. Meine Schwester hat meinen Vater nicht mehr kennengelernt, da dieser 1937 auf Consol tödlich verunglückte. Meine Mutter blieb Witwe und hat nicht mehr geheiratet, da sie ihren Kindern keinen Stiefvater ins Haus bringen wollte. Sie war über Knappschaftsrente und Berufsgenossenschaftsrente gut abgesichert.

Knut: Was hast du von der Nazi-Zeit in Gelsenkirchen mitbekommen?
Werner: Ich kam 1938 in die Volksschule, die Steinschule in Bismarck, und habe als sechsjähriger Kolonnen von SA und Hitlerjungen grölend durch die Straße ziehen sehen. Später war ich selbst HJ-Mitglied.

Knut: Hat sich 1939 mit Kriegsbeginn etwas verändert?
Werner: Das ist solange her, ich kann mich an den Kriegsbeginn nicht erinnern. Aber es gab Kriegspropaganda in den Schulen. Ich bin im Laufe des Krieges zweimal mit der Kinderlandverschickung nach Bayern gekommen. Die Gebiete waren nach Gaugebieten festgelegt.
Zwischen den beiden Kinderlandverschickungen konnte ich in Gelsenkirchen bereits viele Kolonnen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter sehen, die von den Arbeitsstellen zu ihren Baracken zogen. Diejenigen, die im Bergbau gearbeitet haben, versuchten teilweise Seife gegen Brot zu tauschen. Meine Mutter hatte Brot auf die Fensterbank gelegt – wir wohnten Parterre – und wurde deswegen denunziert, kam aber mit einer Verwarnung davon.
Die erste Verschickung ging 1940 und wir waren bei Privatleuten untergebracht. Ich war in der ländlichen Region in Buchbach, Kreis Mühldorf bei einem strammen Nazi untergebracht, einem Kaufmann, mein Bruder bei einem Steinmetz.
Zur zweiten Kinderlandverschickung ab 1943 wurden wir Schulklassenweise verschickt und gemeinsam in Gasthäusern oder ähnlichen Einrichtungen untergebracht, da dort die Möglichkeit bestand, die Kinder zu versorgen. Es gab dort größere Räume um Schlafsäle einzurichten. Aus dem Tanzsaal wurde dann ein Schlafsaal, aus der Gaststube der Speisesaal und das Klassenzimmer. Die KLV-Lager waren HJ-mäßig organisiert. Neben den Lehrern gab es eine stramme HJ-Führung, die darauf achtete, dass die Kinder im NS-Sinne erzogen und vormilitärisch geschult wurden. Ich wollte damals auch Unteroffizier in der Waffen-SS werden. Es kursierte unter den Kindern in den Lagern entsprechendes Propagandamaterial.
Unser erstes KLV-Lager war in Kist bei Würzburg. Dort mussten wir zum Beispiel im Wald Brombeerblätter und andere Kräuter sammeln, die auf dem Dachboden getrocknet wurden. Wenn ich dort später mit dem Auto – die Trasse der Autobahn war bereits damals im Wald geschlagen – dort entlang gefahren bin, habe ich mich immer daran erinnert und meiner Tochter gesagt, was ihr Vater hier vor 30 Jahren gemacht hat.
Das zweite Lager war in Au bei Bad Aibling in Oberbayern. Das Dorf Au liegt im Voralpengebiet. Dort haben wir gesehen, wie ein brennendes Flugzeug auf dem Berg abgestürzt ist. Wir hatten nichts besseres zu tun, als die Absturzstelle zu suchen. Nach etwa einer Stunde haben wir das Wrack gefunden, die verbrannten, kohlschwarzen Menschenleiber haben einen Eindruck auf mich gemacht, den ich nicht vergessen werde.
Fast bis zum Kriegsende waren wir in Neubeuern am Inn, Kreis Rosenheim untergebracht. Bei entsprechendem Wetter konnte man fast die Berge greifen. Im Schloß Neubeuern hatten die Nazis eine Napola untergebracht. Wir, die wir alle Arbeiterkinder waren, hatten oft Auseinandersetzungen mit ihnen, die bis zu Schlägereien gingen.
Es ging auf das Kriegsende zu und wir liefen täglich zu einem Ausmarsch, um körperlich fit zu bleiben und sangen dabei. Dabei wurden wir von amerikanischen Jagdbombern beschossen. Nur ein Sprung in den Straßengraben – der Gott sei dank trocken war – rettete uns.

Knut: Wie hast du vom Kriegsende erfahren?
Werner: Bei Kriegsende waren wir in Hohenthann bei Grafing in Oberbayern. Dort fühlte ich mich überhaupt nicht wohl, das Essen wurde bereits knapp. Als ich beim Küchendienst eingeteilt war, bemerkte ich, dass die Wirtsleute Zucker, Mehl und Milch an die Seite schafften. Ich hatte auch damals schon eine große Klappe und fragte nach der Milch. Da die Ernährungslage schlecht war, sammelten wir Sauerampfer, Brennnessel und ähnliches Gewächs, das sich verspeisen lässt. Daran erinnere ich mich, weil ich die Pflanzen kannte.
Ich weiß nicht mehr genau, im April oder Mai fuhren auf einmal Panzer vor. Die Bauernhäuser hatten weiße Betttücher ausgehängt und es fuhren amerikanische Panzer durch das Dorf. Ich befürchtete erst, weil sie einen Stern hatten, es wären russische Panzer – die wurden damals als Teufel dargestellt -, doch ich sah dort die ersten Neger, so nannte man damals die schwarzen Amerikaner.

Knut: Wie bist du nach Gelsenkirchen zurückgekommen?
Werner: Wir wurden ja nicht mehr versorgt, da der Staat nicht mehr funktionierte. Wir sind mit Bettelbriefen zu Bauern gegangen, damit diese uns aufnehmen und verpflegen, gegen unsere Mithilfe. Ich bin bei einem Landwirt mit Gastwirtschaft und Metzgerei untergekommen und musste mit 14 Jahren bei der Ernte helfen, den Kuhstall ausmisten usw. Ich war nicht alleine dort, sondern es gab auch ehemalige Soldaten, die sich der Gefangenschaft entzogen und mitgearbeitet haben. Mit ihnen habe ich mich gemeinsam auf die Heimreise gemacht, da sie auch nach Norddeutschland wollten. Nach sechs Tagen Fahrten auf verschiedenen offenen und geschlossenen Güterwagons kamen wir im Ruhrgebiet an.
In Gelsenkirchen ging ich zu dem Haus, in dem wir wohnten, bereits vorher traf ich meine Mutter vor dem Gemischtwarenladen an. Ich hatte zuvor gefundene Konservendosen den ganzen Weg bis nach Hause mitgeschleppt. Zuallererst musste ich in der Waschküche in einer großen Zinkbadewanne ein Bad nehmen. Ich vergesse nicht die dicke Schmutzschicht, die nach meinem Bad auf dem Wasser war.

Knut: Wie ging es dann weiter?
Werner: Ich ging für eine Zeit ins heutige Niedersachsen – das war damals auch die britische Besatzungszone – um in einem Gartenbaubetrieb zu arbeiten. Von dort habe ich versucht, Lebensmittel nach Hause zu schicken, was aber nicht klappte. Irgendwann habe ich Lebensmittelmarken geklaut und nach Hause geschickt.
Nach etwa einem Jahr kehrte ich nach Gelsenkirchen zurück. Dort musste ich noch ein Schuljahr nachholen, dass wegen der kriegsbedingten Ausfälle eingeführt worden war. Zum Teil waren Schüler dabei, die seit Jahren keinen ordentlichen Schulunterricht mehr gehabt haben. Ich habe mich gelangweilt und heimlich unter der Schulbank Karl May gelesen.
Als ältestes Kind war ich das „Familienoberhaupt“, ich fühlte mich meiner Familie verpflichtet und fuhr Hamstern, dabei wurde Hausrat gegen Kartoffeln u.ä. eingetauscht. Es gab damals das geflügelte Wort, „die Bauern haben im Kuhstall Teppiche“. Auf dem Schwarzmarkt haben wir Butter und Speck gekauft. Meine Mutter hatte viel Geld aus den Versicherungen, die sie aufgrund des Unfalltodes meines Vaters bekommen hatte, das wir in einem Winter auf dem Schwarzmarkt verfuttert haben.
Am 10.03.1947 begann ich im Bergbau als Berglehrling zu arbeiten. Ich bin Mitglied der Gewerkschaft geworden und engagierte mich ab da in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit und später auch parteipolitisch, da ich einsah, dass die gewerkschaftliche Arbeit alleine nicht ausreicht.

Knut: Werner, ich danke für das Gespräch.
Werner: Bitteschön!

Werner Cichowski bei der Demonstration "umFAIRteilen" am 29. September 2012 in Bochum

Werner Cichowski bei der Demonstration „umFAIRteilen“ am 29. September 2012 in Bochum

Die Diskussion um „so genannte“ Stolpersteine in Gelsenkirchen 2005/06

Gunter Demnig verlegt Stolperstein für Charles GantyMit der Verlegung von inzwischen 19 Stolpersteinen seit 2009 sowie der geplanten Verlegung von weiteren Stolpersteinen voraussichtlich im August 2011 kann man sagen, dass dieses Kunst- und Erinnerungsprojekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig zu einem etablierten Bestandteil der Gedenkkultur in Gelsenkirchen geworden ist. Dies ist nicht zuletzt der beharrlichen Initiative des Vereins Gelsenzentrums seit Mitte 2005 zu verdanken, das die Verlegung organisiert und begleitet sowie die Hintergründe und Geschichte der Menschen im Internet dokumentiert. Andreas Jordan wird mit seinem Engagement schon mal als „teamunfähiger Einzelgänger“ bezeichnet, doch vermutlich ist es genau diese Eigenschaft, die dazu geführt hat, dass in Gelsenkirchen überhaupt Stolpersteine verlegt wurden und werden. Also handelt es sich eigentlich um einen Ehrentitel. Wenn man sich das Ergebnis ansieht, dann braucht es mehr „teamunfähige Einzelgänger“ in dieser Stadt, die sich von Widerständen nicht beirren lassen!

Eher zufällig bin ich bei einer Recherche im Ratsinformationssystem der Stadt Gelsenkirchen auf die Thematisierung der „Stolpersteine“ in den städtischen Gremien 2005/06 gestoßen. Begonnen hatte die Diskussion mit einem Antrag, den Werner Cichowski am 20.03.2005 für die damalige PDS (jetzt Die Linke) an die Bezirksvertretung Mitte stellte. Darin beantragte er angesichts der „starken Ausweitung des Rechtsextremismus“, den 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 2005 würdevoll zu gestalten. Neben feierlichen Kranzniederlegungen an allen vorhandenen Mahnmalen regte er an, „gemeinsam mit dem Institut für Stadtgeschichte herauszufinden, wo im Bezirk GE-Mitte besondere Orte von Naziverbrechen bzw. Wohnungen und Wirkungsstätten von Antifaschisten gewesen sind“, um dort „so genannte“ Stolpersteine einzurichten. Die Bezirksvertretung Mitte beschloss in ihrer Sitzung am 06.04.2005 in der Begegnungsstätte Haverkamp, dass die Einrichtung von „Stolpersteinen“ eine gesamtstädtische Aufgabe sei und verwies den Antrag an den Rat der Stadt. (Das Protokoll zu diesem Tagesordnungspunkt ist übrigens eine sehr schöne Comedy-Vorlage, aber das nur am Rande.)

Der Antrag wurde als Empfehlung im Kulturausschuss vorberaten. Dieser tagte am 01.06.2005 im Rittersaal von Schloss Horst. Hans-Joachim Siebel hatte für die SPD-Fraktion zwar einige Fragen zu den Stolpersteinen, doch die Beantwortung schien nicht besonders wichtig zu sein, da die SPD-Fraktion zwar ein Gedenkprojekt unterstützen wolle, aber nicht in der Form der Stolpersteinen, sondern in Form von in Augenhöhe angebrachte Gedenktafeln. Bernd Matzkowski (Bündnis 90/Die Grünen) wollte mit Gelassenheit an die Diskussion herangehen und erst verschiedene Aspekte klären. Der Leiter des Instituts für Stadtgeschichte, Priamus, kritisierte u.a., dass mit der Auswahl der Opfer, die einen Stolperstein erhalten sollen, eine erneute „Selektion“ betrieben würde und die Informationen auf dem Stolpersteinen selbst zu knapp seien. Frauke Schraeder (CDU) hatte dagegen schon Stolpersteine in Holland gesehen und fand das Projekt sehr sinnvoll.

In der weiteren Diskussion im Ausschuss wurden noch weitere und in derartigen Diskussionen typische Argumente eingebracht. So war der Kulturdezernent Beck der Auffassung, größere Geldbeträge besser für die Gestaltung des aktuellen kulturellen jüdischen Lebens einzusetzen. Herr Dr. Priamus führte noch aus, dass die Ermittlung der Nachfahren von NS-Opfern aufwändig und unter Umständen teuer sein könnten. Barbara Filthaus wollte nicht nur jüdische, sondern alle Opfer der NS-Zeit berücksichtigt wissen und empfahl, die Stolpersteine nach und nach einzuweihen, um wiederkehrend zu erinnern. Auch die Frage, ob die Stolpersteine pflegeintensiv seien, wurde gestellt und von Dr. Priamus bejaht. Nicht an der Diskussion beteiligt hat sich übrigens der von der damaligen PDS in den Ausschuss entsandte Roland Küpper, der das Projekt „Stolpersteine“ später zu torpedieren versuchte. Schließlich glitt die Diskussion durch einen unsäglichen Beitrag in geschichtsrevisionistische Gefilde ab und wurde beendet.

Obwohl im Protokoll der Kulturausschusssitzung keine förmliche Abstimmung dokumentiert ist, findet sich im Ratsinformationssystem eine Empfehlung des Kulturausschusses an den Rat der Stadt, „die Beratung nicht fortzufahren“, sondern zunächst die Erfahrung aus anderen Städten auszuwerten. Hierzu werde das Institut für Stadtgeschichte dem Kulturausschuss am 28. September 2005 die Ergebnisse vorlegen. Damit war schon mal klar, dass es zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 2005 keine Stolpersteine geben würde.

Doch die Vorlage des Instituts für Stadtgeschichte, die dem Kulturausschuss für den 28.09.2005 vorgelegt wurde, beinhaltet mehr als Erfahrungen aus anderen Städten. Unter dem Titel „Projekt ‚Erinnerungsorte'“ wird das Projekt „Stolpersteine“ zwar gewürdigt, doch aufgrund verschiedener „Schwächen“ schlägt das Institut für Stadtgeschichte dem Kulturausschuss ein Projekt mit „Erinnerungstafeln“ vor. Also ein Projekt, wie es Hans-Joachim Siebel bereits am 01.06.2005 für die SPD-Fraktion vorgeschlagen hatte. Diese sollen mehr Informationen als die „Stolpersteine“ bieten und ebenfalls durch bürgerschaftliches Engagement („Demokratische Initiative“) getragen werden, sich aber nicht nur auf die Zeit des Nationalsozialismus beziehen. In der Diskussion im Ausschuss, verfolgt man das Protokoll, waren die „Stolpersteine“ offenbar kein Thema mehr. Zwar betonten die Diskutanten, dass man niemanden daran hindern wolle, das Projekt „Stolpersteine“ in Gelsenkirchen weiter zu verfolgen, doch die Stadt Gelsenkirchen solle ein Projekt beschließen, das darüber hinaus ginge. Der Vorlage wurde einstimmig zugestimmt. Der Rat der Stadt stimmte am 27.10.2005 ebenfalls zu. Dort wurde auch noch einmal betont, dass es keine Absage an einem Projekt „Stolpersteine“ sei.

Es dauerte bis ins nächste Jahr, genau bis zum 06.06.2006, bevor das Thema „Stolpersteine“ erneut aufgegriffen wurde. Die damalige gemeinsame Ratsfraktion aus AUF und Die Linke.PDS beantragte für die nächste Ratssitzung den Tagesordnungspunkt „Stolpersteine“. Beantragt wurde von Ulla Möllenberg die Verlegung von Stolpersteinen für die „drei Gelsenkirchener Opfer des Faschismus bzw. Widerstandskämpfer“ Erich Lange, Paul Bukowsky und Charles Ganty. Der Rat der Stadt überwies in seiner Sitzung am 22.06.2006 den Antrag an den Kulturausschuss – gegen die 4 Stimmen der Antrag stellenden Fraktion. Der Kulturausschuss lehnte den Antrag in seiner Sitzung am 23.08.2006 mit Verweis auf die „ausführliche Diskussion“ des Vorjahres ab.

Damit war die Verlegung von Stolpersteinen klar auf private Initiativen verwiesen, die nach langem hin und her ab 2009 durch die Initiative Gelsenzentrums erfolgte.