Archiv für den Monat Januar 2020

Eindrücke von der Gedenkfeier in der Neuen Synagoge am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Die Stadtgesellschaft zeigt ihre Solidarität: Mahnwache am 10.10.2019 an der Neuen Synagoge in Gelsenkirchen nach dem Anschlag in Halle (Antifaschistisches Archiv-Bild).

Es war wohl dem runden Jahrestag geschuldet, dass der Kurt-Neuwald-Saal nicht nur bis auf den letzten Platz, sondern weit darüber hinaus gefüllt war. 75 Jahre ist es her, das am 27. Januar 1945 das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde. Seit 1996 ist dieses Datum in Deutschland den Opfern der Nazis gewidmet, 2005 erklärten ihn die Vereinten Nationen zum Internationalen Holocaust-Gedenktag. In Gelsenkirchen wird zugleich an die erste Deportaion von Jüdinnen und Juden am 27. Januar 1942 in das Ghetto Riga erinnert. Die Gedenkfeier wurde gemeinsam von der Jüdischen Gemeinde, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und dem Institut für Stadtgeschichte ausgerichtet.

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Judith Neuwald-Tasbach eröffnete die Gedenkfeier mit den schon oft gesagte Sätzen, das es für die Opfer wie für die Täter keine Befreiung von Auschwitz gebe, sie müssten ihr Leben lang mit der Erinnerung leben. Sie und weitere Rednerinnen und Redner machten deutlich, wie wichtig es ist, die Erinnerung an die ungeheuerlichen Verbrechen wach zu halten, auch und vor allem angesichts der jüngsten Entwicklungen. Weiter sprachen Martina Rudowitz, Bürgermeisterin der Stadt Gelsenkirchen und mit Propst Markus Pottbäcker und Superintendent Heiner Montanus auch je ein Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche. Ausführlich sprach die Antisemitismus-Beauftragte des Landes, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Dr. Daniel Schmidt, Leiter des Instituts für Stadtgeschichte, moderierte eine Podiumsdiskussion, an der neben Judith Neuwald-Tasbach und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger noch Michael Schulz, dem Generalintendanten des Musiktheaters im Revier und Denis Andric, Leiter des Staatsschutzes der Polizei Gelsenkirchen. Thema war der aktuelle Umgang mit der Rechtsentwicklung und die Reaktionen darauf.

Aufgelockert wurden die Redenteile der Feier durch zwei bemerkenswerte Musiker, Mariya Kats (Gesang und Geige) und Andronik Yegiazaryan (Instrumentale Begleitung), von denen ich sehr sehr gerne mehr gehört hätte. Mit einem kurzen Trailer wurde ein Projekt vorgestellt, in dem Gelsenkirchener Jugendliche mit Frau Pollak eine überlebende Zwangsarbeiterin des KZ Außenlagers bei der Gelsenberg Benzin AG in Antwerpen besuchten. Diese Gruppe wird noch Auschwitz besuchen und den Film mit diesen Erfahrungen vervollständigen. Rabbiner Chaim Kornblum sprach mit dem „El male Rachamin“ das Gedächtnisgebet für die ermordeten Juden Europas.

Insgesamt war es eine eindrucksvolle Gedenkfeier, die mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

„Armutsfragen nicht den braunen Flaschen überlassen“

Nicht missverstehen: Die Partei weist darauf hin, dass Nazis töten!

Das Thema Altersarmut betrifft viele Menschen und ist derart emotional besetzt, dass man schnell geneigt ist, sich ohne nachzufragen einem Protest anzuschließen. Natürlich werden solche Themen auch gerne von Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Faschisten aufgegriffen und verzerrt dargestellt, um für die eigene Ideologie zu werben. „Fridays gegen Altersarmut“ ist ein Beispiel für diese Taktik der Rechten.

Für den 24. Januar mobilisiert „Fridays gegen Altersarmut“ in über 100 Städten zu Mahnwachen, darunter auch in Gelsenkirchen. Sie wollen sich um 16 Uhr an der Treppe der Altstadtkirche treffen. Die faschistische Splitterpartei „Die Rechte“ ruft zur Teilnahme an den Mahnwachen auf, auch in Gelsenkirchen.

Dagegen ruft die Partei „Die Partei“ zu einer Gegenkundgebung auf dem Heinrich-König-Platz ab 15.30 Uhr unter dem Motto „Armutsfragen nicht den braunen Flaschen überlassen“ auf. – Kommt zahlreich zur Gegendemonstration! Mehr Informationen auf Facebook oder auf der Webseite der Partei.

Supplement
Wie Radio Emscher-Lippe online berichtet, wurde die Mahnwache von „Fridays gegen Altersarmut“ abgesagt. Die Kundgebung der sehr guten Partei Die Partei dagegen hat dagegen stattgefunden und deutlich gemacht, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit keine Antworten auf Altersarmut bieten und jeder normale Mensch gegen Altersarmut ist.

„Empört euch“ – Neujahrsempfang der Die Linke mit einer musikalischen Revue gegen Rechts

Eine musikalische Revue gegen Rechts vom Chor Chorrosion beim Linken Neujahrsempfang in der Bleckkirche.

Anlässlich des 10. Neujahrsempfangs des Kreisverbandes Gelsenkirchen der Die Linke hat diese sich etwas ganz besonderes einfallen lassen. Der Bochumer IG Metall Chor „Chorrosion“ führte eine beeindruckende musikalische Revue gegen Rechts in der Bleckkirche auf, wo Die Linke zum dritten Mal zu Gast war.

Nach der Begrüßung durch den Hausherrn, Pfarrer Thomas Schöps, der über den Hintergrund der ältesten Kirche Gelsenkirchens informierte, sowie einleitenden Worten von Vertretern der Linken, trat der Chor Chorrosion auf. Hervorgegangen aus einer Arbeitsgruppe der IG Metall Bochum, tritt er inzwischen zu vielen Gelegenheiten mit interessanten Programmen auf. Sie begannen und beendeten ihr Programm fulminant mit „Empört euch“ nach Konstantin Wecker, dazwischen fügten sie unterschiedlich bekannte Stücke mit teilweise neuen Texten zu einem aktuellen Programm gegen das Erstarken der Rechten zusammen.

Bemerkenswert waren bekannten Melodien wie zum Beispiel „Always look on the brigth side“ aus Monty Pythons Life of Brian, die sie mit aktuellen Texten versahen, in diesem Fall zur „Sozial“politik der AfD. Daneben gab es bekannte Stücke wie „Ermutigung“ von Wolf Biermann, „Rosen auf den Weg gestreut“ von Kurt Tucholsky und Hans Eisler oder das italienische Partisanenlied „Bella Ciao“. Zum Lachen reizte die Leute um mich herum „echte Zitate von Bürgermeister und Konrad-Adenauer-Stiftung“ für Migranten.

Eine musikalische Revue gegen Rechts vom Chor Chorrosion beim Linken Neujahrsempfang in der Bleckkirche.

Als Zugabe sangen wir alle gemeinsam das „Solidaritätslied“ und die „Resolution der Kommunarden“. Im Anschluss gab es wie immer leckere Gespräche und gutes Essen und die Möglichkeit, viele bekannte Gesichter wieder zu treffen. Das „Rote Gesocks“, die Linksjugend Gelsenkirchen hat die Revue mit drei Kameras aufgezeichnet. Ich freue mich jetzt schon auf das schnittfertige Ergebnis – auch für alle, die nicht dabei sein konnten oder wollten.

Gutbesuchter Linker Neujahrsempfang im sakralen Raum der Bleckkirche.

Am Rande warb Die Linke auch für die Antifaschistische Stadtrundfahrt, die sie im Rahmen der Aktionswochen zum Holocaust-Gedenktag im Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung durchführt.

75 Jahre Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee

Das berühmte Foto des Torhauses des Vernichtungslagers Birkenau zeigt die Toreinfahrt von innen. Es wurde nach der Befreiung des Konzentrationslagers im Februar oder März 1945 von Stanislaw Mucha (1895-1976) im sowjetischen Auftrag zur Dokumentation des befreiten Lagers aufgenommen.

Am Montag, dem 27. Januar 2020 jährt sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum 75. Mal. In vielen Ländern der Erde wird am 27. Januar an den Massenmord der Nazis erinnert. Er wird bereits seit 1959 in Israel als Gedenktag begangen, in Deutschland ist er seit 1996 Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, die Vereinten Nationen erklärten ihn 2005 zum „Internationalen Holocaust-Gedenktag“. Der Gedenktag erinnert am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz an alle durch die Nazis verfolgten und ermordeten Menschen. Doch wer des 27. Januar 1945 gedenkt, muss auch den 30. Januar 1933 mitdenken. Wer die Geschichte nicht wiederholen will, darf nicht nur die Opfer sehen, sondern auch die Täter und muss wissen, wohin Rassismus und Rechtsextremismus führen. In Gelsenkirchen plant das „Gelsenkirchener Aktionsbündniss gegen Rassismus und Ausgrenzung“ daher wie im vergangenen Jahr verschiedene Informations- und Aktionsangebote um den 27. Januar. In der Neuen Synagoge wird ab 18 Uhr die Gedenkveranstaltung der Jüdischen Gemeinde stattfinden.

Der Lagerkomplex Auschwitz bestand aus drei Lagern, dem Stammlager Auschwitz I, dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, und dem Industriekomplex Auschwitz-Monowitz. Es handelte sich um den größten Lagerkomplex und bei Auschwitz-Birkenau um das größte Vernichtungslager der Nazis. Von den rund 6 Millionen ermordeten jüdischen Menschen wurden über 1 Million Menschen in Birkenau umgebracht. Die meisten von ihnen wurden direkt nach der Ankunft in Zügen „an der Rampe von Auschwitz“ für den Erstickungstod in den Gaskammern ausgewählt, weitere wurden von der SS durch Krankheit, Unterernährung, willkürliche Misshandlung, in sinnlosen medizinischen Experimenten oder wenig später nach restloser Ausbeutung ihrer Arbeitskraft durch Gas ermordet. Die durchschnittliche Lebensdauer der Häftlinge in Auschwitz betrug drei Monate. Der Name „Auschwitz“ wurde zum Symbol für die industrielle Menschenvernichtung der Nazis. Die Aufschrift „Arbeit macht frei“ über dem Eingangstor des KZ markiert dabei die zynische Menschenverachtung der SS.

Als Einheiten der Roten Armee am 27. Januar 1945 das Lager befreien, fanden sie nur mehr 7500 gerade noch lebende Häftlinge vor, die zu schwach für eine Evakuierung gewesen waren. Wer das Morden zuvor überlebt hatte, war in andere Lager „evakuiert“ worden, das heißt oftmals auf den Todesmärschen unterwegs ermordet worden. Durch die Sprengung der Gaskammern hatten die Nazis versucht, die Spuren ihrer Taten zu verwischen. Doch vergeblich, Teile des Lagerkomplexes sind heute als staatliches polnisches Museum und Gedenkstätte öffentlich zugänglich.

Das berühmte Foto des Torhauses des Vernichtungslagers Birkenau weiter oben zeigt die Toreinfahrt von innen. Es wurde nach der Befreiung des Konzentrationslagers im Februar oder März 1945 von Stanislaw Mucha (1895-1976) im sowjetischen Auftrag zur Dokumentation des befreiten Lagers aufgenommen. Ab den 1960er Jahren entwickelte es sich als Symbol für Auschwitz und den Holocaust, dabei wurde oft fälschlicherweise angegeben, dass es das Torhaus von außen zeige. Die Rechtslage des Fotos ist unklar.

In Gelsenkirchen wird am 27. Januar zugleich an die erste und größte Deportation jüdischer Bürger aus Gelsenkirchen am 27. Januar 1942 erinnert. 355 Gelsenkirchener und weitere Bürger aus Recklinghausen mussten von der damaligen Ausstellungshalle an der Wildenbruchstraße, wo sie zuvor eingesperrt worden waren, zum Güterbahnhof laufen und wurden mit der Reichsbahn zunächst in das Ghetto Riga gebracht, das der Zug am 1. Februar 1942 erreichte. Um Platz für die Deportierten aus Deutschland zu schaffen, waren zuvor die in das Ghetto eingesperrten lettischen Juden von der lettischen SS unter Aufsicht der deutschen SS in den umliegenden Wäldern von Rumbula erschossen worden. Das Ghetto Riga wurde bis November 1943 schrittweise geräumt. Wer nicht ermordet wurde kam in das KZ Riga-Kaiserwald oder in ein anderes Lager. Nur die wenigsten überlebten die unmenschlichen Zustände in den von den Nazis errichteten Ghettos und KZs.

Die Ausstellungshalle wurde bereits während des Krieges abgerissen, der Wildenbruchplatz lange Zeit für Kirmes- und Zirkusveranstaltungen genutzt. Vor der heutigen Polizeiwache an der Wildenbruchstraße 2 findet sich bisher nur der Stolperstein für Helene Lewek, die ihrem Leben hier vor ihrer Deportation ein Ende setzte.

Was für eine „Märzrevolution 1920“?

Lucas, Erhard: Märzrevolution 1920, Berlin 2019, 2 Bände

Anlässlich des 100. Jahrestages der Märzrevolution 1920 im Ruhrgebiet hat sich der Verlag „Die Buchmacherei“ der Mamut-Aufgabe gestellt, das vergriffene Standardwerk von Erhard Lucas zu den gerne verdrängten und vergessenen Ereignissen wieder aufzulegen. Der Historiker Erhard Lucas hat sich aus einem linken Erkenntnisinteresse heraus insbesondere mit der Geschichte der Arbeiterbewegung zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Zeit des Faschismus beschäftigt. „Märzrevolution 1920“ kann als sein Hauptwerk betrachtet werden.

In der Einleitung beschreiben die Herausgeber ihr Interesse an der Neuherausgabe: „Gegen eine demokratisch gewählte Regierung putscht ein Teil der Armee, und der andere Teil verweigert der Regierung die Unterstützung. Diese flieht. In vielen Landesteilen wird der Generalstreik ausgerufen. Im Industriezentrum des Landes werden die Betriebe besetzt, und mehrer Tausend Arbeiter bewaffnen sich, greifen die Putschisten an und besiegen reguläre Truppen im offenen Kampf. Neugebildete Vollzugsräte übernehmen die öffentliche Gewalt und es bildet sich eine ‚Rote Armee‘ mit – nach unterschiedlichen Quellen – 50.000 bis 100.000 Kämpfern, bestehend aus Sozialdemokraten, Unabhängigen, Kommunisten und Syndikalisten. Die Rede ist nicht von Spanien 1936, sondern vom Ruhrgebiet im März 1920.

Nach der Niederschlagung des Rechts-Putsches ging die Reichsregierung zusammen mit den Einheiten, die sie im Stich gelassen hatten, gegen ihre Retter vor. Die Reaktion nahm blutige Rache. Wie ist es zu diesem Aufstand gekommen und was waren die Gründe seines Scheiterns? Wieso war 1920 möglich, was 1933 gegen die Nazis nicht gelang? Erhard Lucas (1937-1993) hat dazu in 3 Bänden ‚Märzrevolution 1920‘ eine Geschichte der Ereignisse vorgelegt.“

Aus den ursprünglich drei in den 1970er Jahren veröffentlichten Bänden machte die Berliner Buchmacherei zwei dicke Bände mit zusammen über 1.200 Seiten. Sie sind mit der ISBN 978-3-9820783-2-8 zum Preis von 40 Euro im örtlichen Buchhandel erhältlich. Man kann natürlich auch eine linke Buchhandlung unterstützen, und die Bände dort bestellen (z.B. hier), falls sie nicht ohnehin vorrätig sind. Gefördert wurde die Veröffentlichung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

1947/48 auf dem Friedhof Horst-Süd von der VVN errichtetes Denkmal für den antifaschistischen Widerstand, zur Erinnerung an die 1920 im Anschluss an den Kapp-Putsch von rechtsradikalen Freikorps ermordeten Mitglieder der „Roten Ruhrarmee“ und ergänzt um Horster Widerstandskämpfer 1933-1945, insbesondere der Franz-Zielasko-Gruppe.

In Gelsenkirchen erinnert ein antifaschistisches Denkmal auf dem Horster Südfriedhof an die historischen Ereignisse und wird vom Institut für Stadtgeschichte (ISG) – nicht überraschend – als „Kapp-Putsch-Mahnmal“ bezeichnet. Eine jährliche Gedenkveranstaltung an die Märzrevolution führen dort seit Jahren MLPD & Freunde durch. Zum einhundertjährigen Jubiläum ist aus ihren Reihen sicherlich eine besondere Veranstaltung zu erwarten.