In diesem Jahr jährt sich mit dem 70. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus am 8./9. Mai 1945 auch die Befreiung der Konzentrationslager der Nazis. Zu den großen Konzentrationslagern auf deutschem Boden gehörten das KZ Buchenwald bei Weimar in Thüringen und das KZ Sachsenhausen in Oranienburg nördlich von Berlin.
Im Gegensatz zu der gelegentlich geäußerten Meinung, kann man KZs in Deutschland heute – glücklicherweise – nicht mehr besuchen, sondern nur KZ-Gedenkstätten, die am authentischen Ort errichtet wurden. Sie stellen die Geschichte des jeweiligen Lagers dar und vermitteln einen Eindruck der Geschichte. Außerdem handelt es sich um Erinnerungsorte der Überlebenden und ihrer Nachkommen. Wer heute ein KZ besuchen möchte, müsste dazu nach Nordkorea oder Guantanamo reisen.
In vielen KZ-Gedenkstätten gab es anlässlich des runden Jubiläums Veranstaltungen, zu denen die immer weniger werdenden Überlebenden eingeladen wurden. Dies ist kein Bericht über diese Befreiungsfeiern, vielmehr erinnere ich mich an meine Besuche in der Gedenkstätte Buchenwald in den Jahren 1998 und 2000 sowie an meinen Besuch in der Gedenkstätte Sachsenhausen im Jahre 2000.
KZ-Gedenkstätte Buchenwald
Mein erster Besuch der Gedenkstätte fand 1998 im Rahmen eines Seminars der Universität-Gesamthochschule Essen mit einer mehrtägigen Exkursion in die Stadt Weimar und einer Fahrt auf den Ettersberg zur Gedenkstätte an einem Tag statt. Zur Vorbereitung hatten wir unter anderem mit Theo Gaudig einen Überlebenden des KZ aus Essen in unser Seminar eingeladen, der von seiner Lagerhaft erzählte. Der Kontrast zwischen Goethe und Schiller in Weimar und der Nazi-Barbarei in Buchenwald war überdeutlich. Bereits bei der Ankunft verstörte mich eine Zufälligkeit. In Weimar waren mir historische Gebäude in einem bestimmten Gelbton aufgefallen, und eine der stehen gebliebenen SS-Kasernen erstrahlte in ebendiesem Gelbton. Die SS-Kasernen beherbergen heute das Besucherzentrum und eine Jugendbildungsstätte. Die KZ-Gedenkstätte selbst ist das ehemalige Häftlingslager, das man durch das Lagertor mit der berüchtigten Beschriftung „Jedem das Seine“ erreicht. Das Lagergelände selbst wird von den Überlebenden als Friedhof betrachtet.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Besuchergruppe auf dem ehemaligen Appellplatz im ehemaligen Häftlingslager
Das Konzentrationslager wurde 1937 von den Häftlingen, die aus anderen KZs hierhin verlegt wurden, mitten im Wald durch Rodung errichtet. Die Gedenkstätte wurde am 14. September 1958 als „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ der DDR eingeweiht. Vom Lager selbst war nicht viel übrig geblieben. Der nördliche Teil hinter dem Haupteingang ist ein großer Schotterplatz, der die Verwüstung symbolisiert, die das KZ bei den Menschen anrichtet. Den südlichen Teil ließ man zuwachsen. Die Umrisse einiger Blocks wurden auf dem Boden markiert. Erhalten blieben neben dem Torgebäude und den dazugehörigen Arrestzellen unter anderem eine Lagerbaracke, die Effektenkammer, die Desinfektion und das Krematorium.
In der ehemaligen Effektenkammer, dem größten Steingebäude, befindet sich eine Dauerausstellung zur Geschichte des Lagers 1937-1945. In der ehemaligen Desinfektion sind Kunstausstellungen zu sehen. Neben der Dauerausstellung mit Kunstwerken, die Häftlinge heimlich während der Lagerzeit oder kurz nach der Befreiung anfertigten, fand sich 1998 die Ausstellung eines polnischen Künstlers und ehemaligen Häftlings in der ehemaligen Desinfektion. In Montagen hatte er Aufnahmen von KZ-Häftlingen mit pornografischen Darstellungen verbunden, die das Obszöne der Nazi-KZs zeigten, mich aber einfach nur sprachlos machten. Das Krematorium wurde erhalten, weil der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann, der nie in Buchenwald eingesperrt war, hierhin gebracht, von der SS erschossen und sein Leichnam hier verbrannt wurde. Darauf weist eine übergroße Gedenktafel hin. Nach dem Ende der DDR wurde im Rahmen einer Neukonzeption der „Gedenkstätte Buchenwald“ die Erinnerungstafel an Ernst Thälmann belassen, allerdings der historische Sachverhalt durch eine wesentlich kleinere Erläuterungstafel ergänzt.
Unser Besuch fand im November des Jahres statt, und als ich auf dem ehemaligen Appellplatz der Häftlinge stand und nach Weimar* hinunter blickte, fragte ich mich, was man von Weimar aus gesehen haben mochte. Die beleuchteten Wachtürme mit Sicherheit. Außerdem fror ich trotz meiner warmen Kleidung und fragte mich, wie sich die Häftlinge gefühlt haben mochten.

KZ-Gedenkstätte Buchenwald 1998, Gedenktafel von Horst Hoheisel und Andreas Knitz zur Erinnerung an den nach der Befreiung errichteten Obelisken aus Holz
Das KZ Buchenwald ist das einzige Lager, dem am 11. April 1945 dank der herannahenden US-Armee und der Vorbereitungen des internationalen Lagerkomitees die Selbstbefreiung gelang. Am 19. April 1945 errichteten die Überlebenden einen Obelisken aus Holz zur Erinnerung an die Geschehnisse. An dieses Denkmal aus vergänglichem Material erinnert seit 1995 eine Gedenktafel von Horst Hoheisel und Andreas Knitz. Die Metallplatte enthält die Namen der Nationen, die in Buchenwald vertreten waren und wird das ganze Jahr über auf 37°C erwärmt. Weitere Gedenksteine und Denkmale auf dem Lagergelände erinnern an verschiedene Gruppen und Einzelereignisse.
Mahnmalsanlage
Bei unserem zweiten Besuch, ebenfalls mit einem Seminar der Universität Essen, im Jahre 2000 blieben wir ganz auf dem Ettersberg und wohnten in der Jugendbildungsstätte in einer der ehemaligen SS-Kasernen. Zwar befinden sich diese außerhalb des ehemaligen Häftlingslagers, trotzdem war es ein merkwürdiges Gefühl, morgens aufzuwachen, aus dem Fenster zu schauen und rechts den Stacheldrahtzaun zum ehemaligen Lager und links den ehemaligen Appellplatz der SS, der heute ein Parkplatz ist, zu sehen. Allerdings blieb uns dadurch mehr Zeit für die Frage nach der pädagogischen Arbeit der Gedenkstätte und der Erkundung uns interessierender Fragen im Archiv. So recherchierte beispielsweise eine Kommilitonin über den Zeitzeugen des 1998er Seminars Theo Gaudig und verfolgte seinen Weg durchs KZ anhand vorhandener Akten.
Andererseits war es ein merkwürdiges Gefühl, sich nach einer Führung durchs Krematorium und der Genickschussanlage zum Mittagessen zu begeben. Fast unglaublich auch die Erzählungen des pädagogischen Mitarbeiters der Gedenkstätte, der beispielsweise von sonntäglichen Kurzzeitbesuchern berichtete, die Probleme hatten, ihren „Buggy“ durch das Krematorium zu schieben. Die Einführung in die Geschichte des Konzentrationslagers erfolgte wie 1998 anhand eines Modells, von dem die Gedenkstätte mehrere besitzt, um gleichzeitig mit mehreren Besuchergruppen zu arbeiten.
Unweit der Gedenkstätte wurde 1954 bis 1958 unter Einbeziehung von drei Massengräbern eine monumentale Denkmalsanlage angelegt, die wir ebenfalls besuchten. Ihr liegt das Motiv „Durch Sterben und Kämpfen zum Sieg“ zugrunde, das sich auch quasi-religiös als Tod und Wiederauferstehung, als sozialer oder realer Tod im Faschismus und Wiederauferstehung im real-existierenden Sozialismus deuten lässt. Die Architektur wird dem Sozialistischen Realismus zugeordnet und wurde für Massenveranstaltungen gebaut. Eine kleine Gruppe wie wir fühlte sich von dieser monumentalen Architektur einfach nur erschlagen. Einzig die zu Ringgräbern gestalteten Massengräber wirken durch ihre Größe und unsere Vorstellungskraft angesichts der angeeigneten Kenntnisse zur KZ-Geschichte.
Zunächst stiegen wir eine breite, von Stelen flankierte Treppe hinab und kamen zu einem ersten als Ringgrab gestalteten Massengrab. Wir folgten der „Straße der Nationen“, die gesäumt ist von steinernen Pylonen. Jeder der 18 Pylonen steht für eine der Nationen der KZ-Häftlinge. Auf jedem Pylon befindet sich eine Feuerschale. Die „Straße der Nationen“ führte uns an einem zweiten Ringgrab vorbei und auf ein drittes Ringgrab zu. Von dort führte uns eine Treppe wieder hinauf zum Glockenturm und der Denkmalsgruppe von Fritz Cremer zur Erinnerung an den Widerstand im Lager. Den Glockenturm konnten wir wegen Sanierungsarbeiten nicht besichtigen.
Auch die Schwierigkeiten des „doppelten Gedenkens“ angesichts der Nutzung des ehemaligen Konzentrationslagers bis 1950 durch die Sowjetische Militäradministration als „Speziallager Nr. 2“, insbesondere für Täter der NS-Zeit, waren ein Thema des Seminars. Für die Erinnerung an das Speziallager war eine Ausstellung in einem Neubau im Hang unterhalb der KZ-Gedenkstätte eingerichtet worden, sowie ein von der KZ-Gedenkstätte unabhängiger Eingang und ein Zugang zum Gräberfeld im Wald, in dem die Umgekommenen des Speziallagers verscharrt worden waren.
KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen
Im Juli 2000 nutzte ich die Gelegenheit und besuchte während eines Berlin-Besuchs die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen und verbrachte ein paar Stunden dort. Die in der Stadt Oranienburg nördlich von Berlin gelegene Gedenkstätte ist mit der S-Bahn gut zu erreichen. Mein Versuch, mich einer Führung anzuschließen, scheiterte leider am Gedenkstättenpersonal. So machte ich mich alleine auf den Weg.
Das 1936 errichtete KZ konnte sich anders als Buchenwald nicht selbst befreien, vielmehr schickte die SS vor Herannahen der Roten Armee im April 1945 den Großteil der Häftlinge auf sogenannte „Todesmärsche“, bei denen weitere Tausende starben. Am 22. April 1961 wurde die Gedenkstätte als „Nationale Mahn- und Gedenkstätte“ der DDR eröffnet. Der ehemalige Appellplatz wurde durch eine Mauer aus kreuzförmigen Betonelementen abgegrenzt, die die Gebäudeumrisse der Baracken enthält.

KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen 2000, ehemaliges Häftlingslager mit symbolischer Kennzeichnung eines Barackenstandortes
Im Gegensatz zur Gedenkstätte Buchenwald wurde das Gelände der Gedenkstätte in eine Parklandschaft verwandelt, die zum Spazieren gehen einlädt. Die Standorte der ehemaligen Baracken werden durch Steinquader markiert, die – ich weiß nicht, ob ich es pietätlos finden soll – Jugendliche aus Schulklassen zum Sitzen und Verweilen einluden. Das zentrale Mahnmal, die Plastik „Befreiung“, stammt von René Graetz.
Die Umgestaltung zur „Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen“ war zum Zeitpunkt meines Besuchs 2000 noch nicht abgeschlossen, auch waren verschiedene Teile der Gedenkstätte baufällig. An mehreren Stellen wurde der Besucher vor dem Betreten gewarnt. Die Sanierungsarbeiten wurden erst zu den Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung 2005 weitgehend abgeschlossen.
Die Fotos in Buchenwald 1998 und 2000 stammen von Jörg Hoffmann, Duisburg, der mir dankenswerterweise die Nutzung erlaubte. Bei allen Fotos in diesem Beitrag handelt es sich nicht um Digitalfotos, sondern um Papierabzüge von klassischen Negativstreifen, die ich am 20. Juli dieses Jahres scannte. – Ein Ergebnis meines Besuchs der Gedenkstätte Buchenwald 1998 war die Motivation für meine Diplom-Arbeit „Historisches Lernen in Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“, mit der ich im Juli 1999 mein Pädagogik-Studium erfolgreich abschloss.
*Anmerkung (dank eines Hinweises von Rolf): Dieser Satz zeigt, wie leicht man sich in seiner Erinnerung täuschen kann. Ich habe zwar damals vom ehemaligen Appellplatz des Lagers ins Tal hinuntergeschaut, aber mit Sicherheit nicht nach Weimar, das in der entgegengesetzten Himmelsrichtung liegt. Dennoch bleibt die Frage, wie viel man in Weimar vom Lager gewusst haben konnte, wenn man wortwörtlich oder auch im übertragenen Sinn nicht die Augen verschloss.