Archiv der Kategorie: Straßen, Plätze & Gebäude

Baustellen der Verfolgung und des Widerstandes in Gelsenkirchen abgeschlossen

Die Erinnerungsortetafel auf dem Margarethe-Zingler-Platz.

Vor nunmehr fünf Jahren, im Jahre 2017 hatte die VVN-BdA Gelsenkirchen die innerstädtischen Baumaßnahmen zum Anlass genommen, eine Anregung nach § 24 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung an den Rat der Stadt Gelsenkirchen einzureichen, um die vier innerstädtischen Plätze, die an Gegner und Opfer des Faschismus erinnern, als Plätze der öffentlichen Begegnung und der Erinnerung zu bewahren.

Zu den vier Plätzen, die an die Sozialdemokratin Margarethe Zingler, den Kommunisten Fritz Rahkob, den Geistlichen Heinrich König sowie den Juden Leopold Neuwald erinnern ist in der Zwischenzeit ein fünfter Platz hinzugekommen, der an das Sinti-Kind Rosa Böhmer erinnert. Die Neugestaltung der Plätze ist längst abgeschlossen, nur auf dem Margarethe-Zingler-Platz stand noch immer die alte Erinnerungsortetafel.

Aufgrund der Corona-Pandemie war die Aufstellung einer neuen Tafel verschoben worden. Nun, mit der auch hier neu aufgestellten Tafel, ist die Umgestaltung der Plätze abgeschlossen. In Gelsenkirchen wird an zentralen Stellen in der Innenstadt an im Faschismus verfolgte Sozialdemokrat:innen, Kommunist:innen, Christ:innen, Jüd:innen sowie Sinti und Roma erinnert.

Namensänderung in „Berufskolleg Am Goldberg“ jetzt vollständig!

Berufskolleg Am Goldberg in Gelsenkirchen-Buer.

Es ist für mich immer wieder eine kleine Überraschung, wer – unbekannterweise – meinen Blog liest. Als ich im Mai aus einem anderen Anlass das Berufskolleg Am Goldberg besuchte und Fotos mit der Absicht machte, einen freundlichen Artikel über die erfolgte Umbenennung zu schreiben, fiel mir leider auf, dass die Namensänderung doch nicht ganz vollständig gewesen ist.

Dumm gelaufen! Doch irgendjemand hat meinen Beitrag gelesen und offenbar einen Verantwortlichen informiert. Als ich kürzlich – wiederum aus einem anderen Anlass – am Berufskolleg vorbeifuhr, fiel mir sofort die letzte Änderung auf. Nun ist auch an den Gebäude-Schildern das Logo und die Kurzbezeichnung die links oben an den vorherigen Namen erinnerte überklebt.

Namensänderung in „Berufskolleg Am Goldberg“ beinahe vollständig

Namensänderung beinahe vollständig.

„Sollten Schulen nicht nach Vorbildern genannt werden?“ fragte ich vor drei Jahren im Juli und im Oktober 2017 in diesem Blog. Mit der allgemeinen Frage meinte ich damals ganz konkret das „Eduard-Spranger-Berufskolleg“ in Gelsenkirchen-Buer.

Das Berufskolleg war zu diesem Zeitpunkt nach einem deutschnationalen Pädagogen benannt, der im Kaiserreich sozialisiert worden war, in der Weimarer Republik, der er ablehnend gegenüber gestanden hatte, Bedeutung für Forschung und Lehre gewonnen und seine Karriere nach 1945 unbeirrt fortgesetzt hatte. Die Zeit von 1933 bis 1945 war von ihm wie von vielen anderen Wissenschaftlern auch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verklärt und beschönigt worden. Als Wissenschaftler zählt Eduard Spranger zur Richtung der „Geisteswissenschaftlichen Pädagogik“, bei der es sich in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik um die wirkmächtigste Richtung der Pädagogik in Forschung und Lehre gehandelt hatte.

„Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ von Benjamin Ortmeyer thematisiert nicht nur die NS-Vergangenheit bedeutender Pädagogen, sondern auch deren unwürdige „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945.

Zur lange unbekannten Seite gehörten seine Veröffentlichungen während der Nazi-Zeit, in denen er die Politik des NS-Staates unterstützt hatte. Erst 2006/09 förderte ein Forschungsprojekt die verstreuten Veröffentlichungen von insgesamt vier führenden Erziehungswissenschaftlern, neben Eduard Spranger auch von Herman Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen, aus den Jahren 1933 bis 1945 zu Tage und zeigte durch eine chronologische und systematische Aufarbeitung, wie diese trotz dieser oder jener Einwände die Politik des NS-Regimes unterstützt hatten. Danach war eigentlich klar, dass Eduard Spranger als Vorbild und Namensgeber in einem demokratischen Deutschland und in Gelsenkirchen nicht taugt.

Nachdem Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) bereits einige Jahre zuvor einen ersten und vergeblichen Vorstoß unternommen hatte, brachte Bündnis 90/Die Grünen 2017 die Sache mit einem Antrag im Bildungsausschuss der Stadt ins Rollen. Es hat dann noch etwas gedauert, aber schließlich wurde das Berufskolleg in Berufskolleg Am Goldberg umbenannt.

Namensänderung beinahe vollständig.

An den alten Namen erinnert heute fast nichts mehr. Wer die noch bestehende Webseite www.eduard-spranger-bk.de aufruft, findet eine weitgehend leere Seite mit dem lapidaren Hinweis „Neue Website des Berufskollegs am Goldberg der Stadt Gelsenkirchen“ und „Bitte besuchen Sie die neue Website bkamgoldberg.de.“ vor. Auch das Namensschild am Gebäude wurde erneuert. Nur wer ganz genau hinschaut, bemerkt an den Schildern, die die Gebäudenummern bezeichnen, noch links oben das alte Logo mit dem Kürzel „ESBK“ für Eduard-Spranger-Berufskolleg.

Werbung aus der Zeit der Jahrhundertwende erinnert an jüdisches Leben in Gelsenkirchen

Unerwartet aufgetaucht: Erinnerung an jüdisches Leben in Gelsenkirchen.

Die Werbung auf einer Häuserwand an der Bochumer Straße in Ückendorf, die nach dem Abriss eines Hauses aus der Vergangenheit aufgetaucht war, verschwindet gerade wieder hinter einem Neubau. Der überraschende Fund hatte Mitte des Jahres Wellen geschlagen und selbst der WDR hatte unter der Überschrift „Reklame-Fund ruft jüdische Familiengeschichte wach“ berichtet. Aufgetaucht war die Werbung nach dem Abriss eines Hauses. „Gutsitzende Anzüge & Überzieher kauft man am besten bei Alexander / Bahnhofstr 83 / 1 Minute vom Hauptbahnhof“ war dort noch sehr gut erhalten zu lesen.

Die aus dem Jahr 1906 stammende Reklame erinnert an die jüdische Kaufmansfamilie Alexander, die erfolgreich Konfektionsgeschäfte in Gelsenkirchen betrieb. Doch spätestens mit der Reichspogromnacht 1938 war klar, das jüdisches Leben in Nazi-Deutschland keine Zukunft haben würde. Wie viele andere jüdische Familien auch wurden die Alexanders vom Nazi-Regime gezwungen, ihre Geschäfte zu Schleuderpreisen zu verkaufen und Deutschland zu verlassen. Jakob und Friedrich Alexander emigrierten 1939 nach Südamerika. Ein Neffe der beiden Firmeninhaber, Fred Alexander, konnte mit einem Kindertransport nach London ausreisen und lebt heute 91jährig in New York.

Werbung aus der Jahrhundertwende.

Auch die Jüdische Allgemeine berichtete ausführlich und man mag ihr die mangelnde Ortskenntnis, die aus der Bochumer die Horster Straße machte, verzeihen. Darin heißt es, dass die sehr gut erhaltene Originalreklame konserviert und als Gedenkort erhalten bleiben soll. Außerdem werden Möglichkeiten erörtert, wie man sie weiterhin sehen kann. Während die Jüdische Gemeinde Kontakt zum in New York lebenden Neffen geknüpft hat, über den der WDR und die Jüdische Allgemeine berichtet haben, hat Gelsenzentrum e.V. einen Kontakt zur in Rio de Janeiro lebenden Enkelin Deborah Alexander hergestellt. Auf der Webseite von Gelsenzentrum finden sich Fotos und weitere Berichte, die an eine Zeit und an Leben erinnern, die die Nazis erbarmungslos zerstört haben.

Bald Rosa-Böhmer-Platz in Gelsenkirchen!

Mein inzwischen veralteter Gestaltungsvorschlag für eine Gedenktafel aus dem Jahre 2013 nach dem Vorbild der Gedenktafeln für die vier anderen innerstädtischen Plätze, die an Opfer und Gegner des NS-Regimes erinnern.

Nach vier Blog-Beiträgen mit einem Fragezeichen folgt dieser fünfte Beitrag nun mit einem Aufrufungszeichen in der Überschrift. Am 06.11.2019 hat die Bezirksvertretung Mitte einstimmig der Benennung eines Platzes in der Innenstadt nach Rosa Böhmer zugestimmt. Zwischen 1986 und 1988 waren in Gelsenkirchen insgesamt vier innerstädtische Plätze nach Opfern und Gegnern des NS-Regimes benannt worden. Margarethe-Zingler-Platz, Fritz-Rahkob-Platz, Heinrich-König-Platz und Leopold-Neuwald-Platz erinnern stellvertretend an Verfolgung und Widerstand von Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen und Juden. Der Rosa-Böhmer-Platz wird nun an das Schicksal des Sinti-Mädchens Rosa Böhmer und damit stellvertretend an die Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma in der Nazi-Zeit erinnern.

Die Anregung dazu lieferte 2013 Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) in einem Bürgerantrag. Nachdem der zweite Platzvorschlag hinter dem Bildungszentrum keine Zustimmung gefunden hatte (ein erster vor dem Hans-Sachs-Haus war bereits abgelehnt worden), erhält nun ein neu gestalteter Platz, „der sich ca. 25 Meter westlich der Ebertstraße zwischen der Stadtbahntunnelöffnung im Norden und der Vattmannstraße im Süden erstreckt“ den Namen Rosa-Böhmer-Platz. Er befindet sich in der Nähe des Fritz-Rahkob- sowie des Leopold-Neuwald-Platzes und erhöht die Zahl der innerstädtischen Plätze, die nach Gegnern und Opfern des NS-Regimes erinnern, auf Fünf.

Rosa Böhmer und ihre gesamte Familie wurde in Konzentrationslagern ermordet. Ihr Vater starb im Dezember 1941 im KZ Niederhagen (Wewelsburg). Rosa wurde direkt aus der Schule unter beabsichtigter Umgehung der Pflegeeltern zusammen mit ihrer Mutter und sechs Geschwistern Anfang März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Rosa Böhmer starb am 13. August 1943 im Alter von 9 Jahren. Das Institut für Stadtgeschichte wird eine Erinnerungsortetafel anbringen, „die in Verbindung mit Rosa Böhmer auf die Verfolgung der Sinti und Roma in der nationalsozialistischen Zeit hinweist.“

Ich freue mich schon auf die Einweihung und hoffe auf einen würdevollen Rahmen!

„Engel der Kulturen“ oder Nazi-Schwert Numero 2?

Denkmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen der Wiehagenschule.

Wieder einmal steht die Stadt Gelsenkirchen vor der denk(mal)würdigen Frage, wie sie mit einem aus der NS-Zeit stammenden Schwert-Denkmal umgehen will. Es handelt sich dieses Mal um ein 1938 an der Fassade der Wiehagenschule in der Neustadt angebrachtes Schwert-Symbol und darunter angebrachten Tafeln mit Namen von 40 im Ersten Weltkrieg gefallenen Schülern. Das Schulgebäude selbst war bereits 1900/1908 errichtet worden. – Dieses Mal gibt es allerdings einen künstlerischen Gegenentwurf zum Nazi-Schwert!

Ganz modern gibt sich die Wiehagenschule, eine städtische Gemeinschaftsgrundschule in der Josefstraße 28 in Gelsenkirchen-Neustadt. Sie ist die erste Schule in Gelsenkirchen, die komplett digital ausgestattet ist. Es gibt ein flächendeckendes WLAN, interaktive Tafeln in den Klassenzimmern und Computerarbeitsplätze für die Lehrer. Doch während in der Medienöffentlichkeit stolz das „Ende der Kreidezeit“ im Klassenraum gefeiert wurde, dürfen sich die sechs- bis neunjährigen Schülerinnen und Schüler in den Pausen ein am Gebäude angebrachtes lorbeerumkränztes Schwert ansehen, das an gefallene Soldaten aus einem mehr als hundert Jahre zurückliegenden imperialistischen Krieg erinnert.

Immerhin unterscheidet es sich von anderen Nazi-Denkmalen in unserer Stadt, denn es fehlt zumindest der Satz „Sie starben für Deutschland“. Erfreulicherweise fehlen auch Bruchstellen, die anzeigen, das hier 1945 ein Hakenkreuz entfernt worden ist. Dennoch gehört es zu jenen Denkmalen, die ab 1933 in Nazi-Deutschland errichtet worden sind, um die Toten des Ersten in den Dienst der Kriegsvorbereitung für den Zweiten Weltkrieg zu stellen. Das Schulgebäude ist in die Denkmalliste der Stadt eingetragen, ob der Denkmalschutz zwischen einem 1900/1908 errichten Gebäude und einem 1938 angebrachten Schwert-Symbol unterscheiden kann, lässt sich sicherlich feststellen.

Die Wiehagenschule, eine städtische Gemeinschaftsgrundschule in der Josefstraße 28 in Gelsenkirchen-Neustadt.

Wie die WAZ am 06.02.2018 berichtete, wurde das Denkmal von Franz Marten entworfen und von einem Nazi-Regierungsrat aus Münster eingeweiht. Anlass des Zeitungsartikels war die Behandlung des Denkmals im Bildungsausschuss am 01.02.2018 auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Am Beispiel des Künstlers Franz Marten lassen sich auch die üblichen personellen Kontinuitäten zwischen der NS-Diktatur und der frühen Bundesrepublik aufzeigen. Franz Marten ist zugleich auch der Schöpfer der „Fünf Säulen der Wirtschaft“ von 1949, der bunten Glasfenster im ehemaligen Gelsenkirchener Bahnhofsgebäude, die jetzt im ehemaligen Böker-Haus zu Beginn der Bahnhofstraße zu bewundern sind.

Anlass der Debatte im Bildungsausschuss war das Interesse der Schule, das Projekt „Engel der Kulturen“ im Rahmen einer Umgestaltung des Schulhofes umzusetzen. Bei „Engel der Kulturen“ handelt es sich um eine Kunstaktion, welches die Gemeinsamkeiten der drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam künstlerisch ausdrückt, und die seit zehn Jahren im In- und Ausland durchgeführt wird. An einer Schule mit einem hohen Migrantenanteil ist das sicherlich ein sinnvolles Projekt, um Gemeinsamkeiten statt Unterschiede zu betonen.

Für die beiden Künstler, Gregor Merten und Carmen Dietrich, ist es jedoch vollkommen unverständlich, dass „offensichtlich unreflektiert Hunderte Kinder täglich mit dieser überdimensionalen, heroisierenden Darstellung einer barbarischen Waffe konfrontiert werden, die über ihren Köpfen schwebt.“ Gerade weil ihnen als bildende Künstler die Wirkung von Symbolen sehr deutlich ist, fordern sie, dass das Schwert entfernt wird. Sie stellen den Zusammenhang zu den bestialischen Morden des „Islamischen Staats“ her und betonen, dass sie „die Wirkung eines über den Köpfen von Kindern mit überwiegend muslimischem Hintergrund und deren Angehörigen schwebenden Schwertes als absolut problematisch“ ansehen.

Gedenktafel an der Wiehagenschule in Gelsenkirchen-Neustadt.

Ihr Vorschlag lautet, das Schwert zu entfernen und mit einem Teil des Zementputzes „den Engel der Kulturen als Bodenintarsie entstehen zu lassen“. Dieses wäre „ein Zeichen für ein friedliches Zusammenleben aller Kulturen in der Stadt Gelsenkirchen“. An die Toten könne „mit einer Tafel und entsprechendem Text“ weiter gedacht werden. Die Politik scheint jedoch noch nicht soweit zu sein. Wie die WAZ in der gleichen Ausgabe berichtet, sieht Barbara Filthaus (SPD) keinen Handlungsbedarf, da die Schüler das Schwert gar nicht wahrnehmen würden. Der Bündnisgrüne Burkhard Wüllscheidt möchte jedoch am Thema dran bleiben. Das Ratsinformationssystem ist natürlich noch nicht so weit, mehr Informationen als die WAZ zu liefern.

Zurückliegender und inzwischen korrigierter Blogbeitrag.

Sollten Schulen nicht nach Vorbildern genannt werden? (II)

Eingang zum Eduard-Spranger-Berufskolleg in Gelsenkirchen-Buer auf der Goldbergstraße.

Endlich gibt es eine Debatte über den Namensgeber des Eduard-Spranger-Berufskollegs in Gelsenkirchen! Allerdings zeigt die Äußerung des Schulleiters, Manfred Abstiens, im städtischen Bildungsausschuss, dass noch viel Aufklärungsbedarf besteht. Der Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer betitelte seine Habilitationsschrift nicht ohne Grund mit „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“. In mehreren anderen Städten Deutschlands befinden sich nach Eduard Spranger benannte Schulen im Prozess der Umbenennung.

Vorweg möchte ich an dieser Stelle eines deutlich machen: Es geht nicht um die pädagogische Arbeit des Berufskollegs und Wirtschaftsgymnasiums in Gelsenkirchen-Buer, sondern um den Namensgeber. Die öffentliche Benennung von Straßen, Plätzen und Institutionen ehrt die Namensgeber und macht sie auch zum Vorbild. Daher lautet m.E. die Frage, ob Eduard Spranger in der Gegenwart ein Vorbild für Schüler sein kann. Warum ich diese Frage verneine, stelle ich in der Folge dar.

Beginnen wir mit der Diskussion im Bildungsausschuss. Auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist dieses Thema in der letzten Sitzung behandelt und der Schulleiter, Manfred Abstiens, eingeladen worden. Anlass war ein Bericht in der lokalen WAZ über Kritik am Namensgeber Eduard Spranger. Für Schulleiter Abstiens, berichtet die WAZ (Online 03.10.2017), sei Eduard Spranger „einer der größten Pädagogen, die die Welt hervorgebracht hat.“ Viel mehr gibt der Bericht zur Position des Schulverantwortlichen leider nicht her. Interessant ist in jedem Fall die Nachfrage des Schulleiters nach dem Interesse von Stadt und Politik. Die WAZ zitiert: „Wenn die Entscheidung aber bei der Schule selbst beziehungsweise der Schulkonferenz liegt, am Ende des Aufarbeitungsprozesses, dann muss die Stadt auch garantieren, dass dieser Beschluss dauerhaft gilt“. Das klingt nach einer Ewigkeitsgarantie, ohne dass sichergestellt ist, wie der innerschulische „Aufarbeitungsprozess“ ablaufen soll. Beobachter sehen die Rolle Abstiens dabei kritisch. In den Gelsenkirchener Geschichten schreibt ein Besucher unter anderem: „An seinen Worten hätten – so mein Eindruck – auch die Herren Alexander Gauland (…) ihre helle Freude haben können.“ Diese Einschätzung lässt tief blicken. Ich bin mir nicht sicher, ob unter diesen Umständen ein ergebnisoffener Prozess in der Schulgemeinde möglich ist.

Über Eduard Spranger habe ich bereits in meinem früheren Beitrag geschrieben. Kurz zusammengefasst: Eduard Spranger (1882-1963) ist ein deutschnationaler Pädagoge, der im Kaiserreich sozialisiert wurde, in der Weimarer Republik, der er ablehnend gegenüberstand, Bedeutung für Forschung und Lehre gewann und nach 1945 seine Karriere unbeirrt fortsetzte, als sei nichts gewesen. Die Zeit von 1933 bis 1945 wurde von ihm wie von vielen anderen Wissenschaftlern auch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verklärt und beschönigt. Als Wissenschaftler zählt Eduard Spranger zur Richtung der „Geisteswissenschaftlichen Pädagogik“, bei der es sich in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik um die bedeutendste Richtung der Pädagogik in Forschung und Lehre handelte.

Zur weithin unbekannten Seite des bedeutenden Pädagogen gehören seine Veröffentlichungen während der Nazi-Zeit, in denen er die Politik des nationalsozialistischen Staates unterstützte. Benjamin Ortmeyer, pädagogischer Mitarbeiter im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, hat sich mit der Studie „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ über Eduard Spranger und drei weiteren Vertretern der Pädagogik 2008 habilitiert. Die 600 Seiten starke Studie macht deutlich, dass Spranger nicht nur NS-Jargon verwendet hat, sondern trotz Einwände im Detail die Politik Nazi-Deutschlands unterstützt hat.

„Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ von Benjamin Ortmeyer thematisiert nicht nur die NS-Vergangenheit bedeutender Pädagogen, sondern auch deren unwürdige „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945.

Eduard Spranger hatte unbestritten eine wichtige Rolle in der Pädagogik seiner Zeit und war als Wissenschaftler in seiner Zeit wirkmächtig. Doch worauf beruht die Einschätzung von Abstiens, Spranger sei „einer der größten Pädagogen, die die Welt hervorgebracht hat.“ Handelt es sich dabei nicht eher um eine national-bornierte Ansicht, bei der Spranger pathetisch überhöht wird? An dieser Stelle möchte ich niemanden mit der Aufzählung einer Reihe bedeutender Pädagogen langweilen, die vermutlich außerhalb der pädagogischen Zunft wenig bekannt sein dürften, zumal zugleich die Frage mitdiskutiert werden müsste, ob und warum sie das Attribut „groß“ verdienen. Vielmehr haben viele Pädagogen in der Geschichte schrittweise dazu beigetragen, wichtige Fragen wissenschaftlich zu thematisieren und praktisch zu erproben. Doch wenn wir schon über „größte Pädagogen, die die Welt hervorgebracht hat“ diskutieren, können wir Deutschland, Mitteleuropa und den europäischen Kontinent verlassen und einmal einen kurzen Blick auf einen bedeutenden Pädagogen Südamerikas werfen.

Paulo Freire (1921-1997), in Brasilien geboren, gläubiger Katholik, Rechtsanwalt, Professor für Geschichte und Philosophie, UNESCO-Experte für Bildungsfragen in Chile, Sonderberater für Bildungsfragen beim Ökumenischen Rat in Genf. Freire ist bekannt für seine – damals neuartigen – Programme zur Alphabetisierung Erwachsener in den „Favelas“, den Slums und trostlosen Landarbeitersiedlungen Brasiliens. Er gilt als bedeutendster Volkspädagoge der Gegenwart und lehnt die von ihm so bezeichnete „Bankierserziehung“ ab, nach der der Lehrer „Einlagen“ in die Köpfe der Schüler macht. Sein pädagogische Praxis ist vom Prinzip her als Dialog auf gleicher Augenhöhe zwischen Lehrer und Schüler angelegt. Sie zielt mit dem Prinzip der Bewusstmachung (conscientizacao) auf die Selbstbefreiung der Armen in den nachkolonialen Gesellschaften Südamerikas an und in der Lebenssituation des Einzelnen. Lehren bedeutet für ihn Problematisieren, nicht Programmieren mit fremdem Wissen und Beschreiben fremder Wirklichkeit, Lernen ist dann ein Erkenntnisvorgang, der das Leben des einzelnen verändert. Nach einem Militärputsch in Brasilien 1964 musste Freire das Land verlassen und konnte erst 1980 wieder nach Brasilien zurückkehren.

Ich möchte nicht Paulo Freire als Namensgeber für das Berufskolleg und Wirtschaftsgymnasium in Gelsenkirchen-Buer vorschlagen, sondern wollte mit der kurzen Darstellung über ihn deutlich machen, dass es sehr viele andere bedeutende Pädagogen auf der Welt gibt. Zudem haben wir es bei Freire – anders als bei Spranger – mit einem Pädagogen zu tun, der sich der Militärdiktatur nicht unterworfen oder gar mitgemacht hat. Zudem können wir nach allem was wir wissen davon ausgehen, dass Spranger nicht gegen seine Überzeugung in Nazi-Deutschland geblieben ist und mitgemacht hat, sondern seinen Überzeugungen treu geblieben ist und auch in Nazi-Deutschland treu bleiben konnte.

Medienberichten zufolge befinden sich drei nach Eduard Spranger benannte Schulen, in Mannheim, in Frankfurt-Sossenheim und in Landau in der Pfalz, im Prozess der Umbenennung. In Gelsenkirchen gab es 2012 (!) eine Anfrage durch den gemeinnützigen Verein Gelsenzentrum an das Berufskolleg zu dieser Frage, die unbeantwortet blieb. Erst der Artikel in der lokalen WAZ im Juli diesen Jahres und die darauf folgende Sitzung des Bildungsausschusses in der letzten Woche haben die Diskussion in Gang gebracht. Inzwischen befindet sich ein Eintrag, unter der Überschrift „Eduard Spranger – ein guter Name für ein Berufskolleg?“ auch auf der Homepage des Berufskollegs. Schon sprachlich sticht dieser Beitrag durch seine Verschleierung historischer Tatsachen hervor, der nicht in der Lage ist, die Nazi-Zeit beim Namen zu nennen. So heißt es unter anderem dort: „Doch seine kontrovers diskutierte Rolle in der Zeit in der er lebte, bietet Anlass zur Debatte, ob unsere Schule auch weiterhin nach Eduard Spranger benannt sein sollte.“ Das ist kein gutes Signal für den dort ebenfalls angekündigten „ sorgfältige(n) und demokratische(n) Prozess“. Der Beschluss des Bildungsausschusses, den Rat der Stadt in die Entscheidung einzubinden und ein richtungsweisendes Signal zu geben, erscheint daher mehr als sinnvoll.

Zum Abschluss möchte ich noch auf die Frage eingehen, welches denn ein guter Name für das Berufskolleg und Wirtschaftsgymnasium in Gelsenkirchen-Buer sein könnte. Ein Vorschlag liegt der Öffentlichkeit bereits vor. Der umtriebige und seiner Partei vermutlich unbequeme Sozialdemokrat Klaus Brandt hat mit Maria Kraneburg (1880-1936) den Namen der ersten Leiterin des Mädchenlyzeums Buer als Namenspatin vorgeschlagen. Anders als Spranger geriet sie 1933 in Konflikt mit dem Nazi-Gesetz „„zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Es gäbe hier die Möglichkeit, nicht nur ein Opfer der Nazis zu ehren, sondern auch eine Frau, die nach Aussage des ehemaligen Oberbürgermeisters Zimmermann das Mädchenlyzeum Buer „aus kleinsten Anfängen unter Ihrer vortrefflichen Leitung zu einer der blühendsten Schulen Preußens entwickelt hat“. Sicher keine der „größten Pädagogen der Welt“, aber eine, die in unserer Stadt erfolgreich für eine pädagogische Einrichtung gearbeitet hat. Sie ist auf dem alten Friedhof in Buer beigesetzt und wie viele Opfer der Nazis in Vergessenheit geraten. Es gibt noch nicht einmal eine Erinnerungsortetafel, die an sie erinnert.

Supplement
Eine Rezension zu Ortmeyers „Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ findet sich hier.

Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand

Seit 30 Jahren erinnert die Gedenktafel an den antifaschistischen Widerstandskämpfer Fritz Rahkob (Foto vom 25.08.2008).

Seit 30 Jahren erinnert der Fritz-Rahkob-Platz an den am 24. August 1944 von der „Terrorjustiz des Naziregimes“ hingerichteten Widerstandskämpfer. Die Gedenktafel war am 30. Januar 1987 feierlich vom damaligen Oberbürgermeister Werner Kuhlmann (SPD) und dem ehemaligen Widerstandskämpfer Franz Rogowski (VVN) enthüllt worden.

Wie in jedem Jahr lädt die Gelsenkirchener VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) zu einer kleinen Gedenkfeier am 24. August 2017 um 18 Uhr auf dem Fritz-Rahkob-Platz ein. An den kommunistischen Widerstandskämpfer wird in diesem Jahr Heinz-Peter Thermann (DKP) erinnern.

Das Auftreten neuer Nazis mit altem Gedankengut – auch in Gelsenkirchen – zeigt, wie notwendig die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit ist. Sie hat daher zu Recht einen hohen Stellenwert in unserer Stadt. Aus diesem Grund erinnern seit 30 Jahren vier Plätze in der Innenstadt an Opfer und Gegner des NS-Regimes. Neben dem Fritz-Rahkob-Platz sind dies der Margarethe-Zingler-, Heinrich-König- und Leopold-Neuwald-Platz. Alle vier erinnern stellvertretend an Widerstand und Verfolgung von Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen und Juden.

Der damalige Oberbürgermeister Werner Kuhlmann (SPD) und der ehemalige Widerstandskämpfer Franz Rogowski (VVN) enthüllen am 30. Januar 1987 die Tafel (Foto: Manfred Scholz).

Kriegerdenkmale und Kriegsvorbereitung in Gelsenkirchen (IV) – Gefallene der Wiehagenschule

Die Wiehagenschule, eine städtische Gemeinschaftsgrundschule in der Josefstraße 28 in Gelsenkirchen-Neustadt.

Ganz modern gibt sich die Wiehagenschule, eine städtische Gemeinschaftsgrundschule in der Josefstraße 28 in Gelsenkirchen-Neustadt. Sie ist die erste Schule in Gelsenkirchen, die komplett digital ausgestattet ist. Es gibt ein flächendeckendes WLAN, interaktive Tafeln in den Klassenzimmern und Computerarbeitsplätze für die Lehrer.

Doch während in der Medienöffentlichkeit stolz das „Ende der Kreidezeit“ im Klassenraum gefeiert wird, dürfen sich die sechs- bis neunjährigen Schülerinnen und Schüler in den Pausen ein am Gebäude angebrachtes lorbeerumkränztes Schwert ansehen, dass an gefallene Soldaten aus einem hundert Jahre zurückliegenden Krieg erinnert. Das 1900/1908 errichtete Gebäude muss noch ziemlich neu gewesen sein, als nach dem Ersten Weltkrieg diese Denkmalsgestaltung angebracht wurde, die an die „Gefallenen der Wiehagenschule“ erinnert.

Denkmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen der Wiehagenschule.

Immerhin müssen wir angesichts anderer öffentlicher Denkmale in Gelsenkirchen schon froh darüber sein, dass es wohl nicht aus der Nazi-Zeit stammt, sondern vorher angebracht worden ist. Es fehlt ein Satz wie „Sie starben für Deutschland“ und Bruchstellen, die anzeigen, dass nach 1945 ein Hakenkreuz entfernt worden ist.

40 Namen sind auf der unter dem Schwert angebrachten Tafel angegeben, ohne dass zu erkennen ist, ob es sich um Lehrer oder Schüler handelt. Selbstverständlich ist das Schulgebäude (und damit wohl auch das Denkmal) in der Denkmalliste der Stadt eingetragen und kann daher nicht mehr verändert werden. Dennoch frage ich mich, ob und welche Rolle die Gedenktafel im Schulleben spielt.

Supplement
Wie die WAZ am 06.02.2018 berichtete, stammt das Ding aus dem Jahr 1938 und diente damit wohl wie auch vergleichbare Denkmale in Gelsenkirchen der Kriegsvorbereitung. Es wurde von Franz Marten entworfen und von einem Nazi-Regierungsrat aus Münster eingeweiht. Bei den 40 Gefallenen handelt es sich um ehemalige Schüler der Schule. Anlass des WAZ-Artikels war die Behandlung des Denkmals im Bildungsausschuss am 01.02.2018. Sein Unbehagen an derartiger Thematisierung der Vergangenheit feuilletonierte Heinz Niski im Online-Magazin Herr Kules und wies darin auch auf den spanischen Umgang mit faschistischen Denkmalen hin. – Vielleicht sollte man Efeu darüber wachsen lassen?

Gedenktafel an der Wiehagenschule in Gelsenkirchen-Neustadt.

Sollten Schulen nicht nach Vorbildern genannt werden?

Eingang zum Eduard-Spranger-Berufskolleg in Gelsenkirchen-Buer auf der Goldbergstraße.

Eduard Spranger (1882-1963) ist ein deutschnationaler Pädagoge, der im Kaiserreich sozialisiert wurde, in der Weimarer Republik, der er ablehnend gegenüberstand, Bedeutung für Forschung und Lehre gewann und nach 1945 seine Karriere unbeirrt fortsetzte, als sei nichts gewesen. Die Zeit von 1933 bis 1945 wurde von ihm wie von vielen anderen Wissenschaftlern auch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verklärt und beschönigt. Als Wissenschaftler zählt Eduard Spranger zur Richtung der „Geisteswissenschaftlichen Pädagogik“, bei der es sich in der Weimarer Republik und in der frühen Bundesrepublik um die bedeutendste Richtung der Pädagogik in Forschung und Lehre handelte. Zur weithin unbekannten Seite des bedeutenden Pädagogen gehören seine Veröffentlichungen während der Nazi-Zeit, in denen er die Politik des nationalsozialistischen Staates unterstützte.

Die ab 1969 herausgegebenen „Gesammelten Schriften“ verzeichnen in elf Bänden thematisch gruppiert die unbelasteten Texte und stützen somit das Bild, das Spranger nach 1945 von sich hergestellt hat. Zwar gab es schon seit Jahrzehnten innerhalb der pädagogischen Zunft eine Debatte über Spranger, doch erst mit dem „Forschungsprojekt ad fontes“ wurden 2006/09 die Veröffentlichungen Sprangers und drei weiterer Pädagogen aus der Zeit von 1933 und 1945 zusammengetragen. 836 Seiten Schriften und Artikel haben die Forscher allein zu Spranger in einem Quellenband veröffentlicht und so die systematische Beschäftigung ermöglicht. Benjamin Ortmeyer, seit 2003 pädagogischer Mitarbeiter im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, hat sich mit einer Studie über Eduard Spranger und drei weiteren Vertretern der Pädagogik 2008 habilitiert. Die 600 Seiten starke Studie macht deutlich, dass Spranger nicht nur NS-Jargon verwendet hat, sondern trotz Einwände im Detail die Politik Nazi-Deutschlands unterstützt hat.

Spranger, der 1933 Mitglied des „Stahlhelms – Bund der Frontsoldaten“ wurde, einer mit der SA vergleichbaren paramilitärischen Organisation der rechtsextremen „Deutsch-Nationalen Volkspartei“ (DNVP), schrieb im Aufsatz „März 1933“ in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Die Erziehung“ unter anderem von den „begeisternden Tagen des März“ und beschwor den „positiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung“. Im Detail kritisierte er deren „übersteigerten Antisemitismus“. Und so ging es immer weiter. 1937 bezeichnet er „die neue Genetik“ als wichtigste Wissenschaft und zählt Rassenbewusstsein „zum grundsätzlichen Element der politischen Erziehung“, 1938 benennt er als wesentlichstes Verdienst Adolf Hitlers, „die marxistische, sehr stark unter fremdstämmigen Einfluss gelangte Arbeiterschaft wieder national (gemacht) zu (haben) …“ Noch 1943 veröffentlicht er unter Berufung auf Fichte Durchhalteparolen.

Es handelt sich hierbei nicht um wenige, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate, sondern um Beispiele aus zahlreichen Schriften und Vorträgen aus den Jahren 1933 bis 1945. Richtig gruselig werden sie, wenn man sie nicht als theoretische Erörterung eines weltfremden Pädagogik-Professors betrachtet, sondern sich die gleichzeitige Realität des faschistischen Staates vor Augen hält. Wenn Spranger von den „begeisternden Tagen des März“ schreibt, können wir uns ein Deutschland im Ausnahmezustand mit der Aufhebung der Grundrechte und unter dem Terror der SA in „wilden“ Konzentrationslagern und Folterkellern vorstellen. Wenn Spranger „die neue Genetik“ als wichtigste Wissenschaft und Rassenbewusstsein „zum grundsätzlichen Element der politischen Erziehung“ zählt, können wir uns ein Deutschland der antijüdischen Diskriminierung, Verfolgung und ihres Ausschlusses aus der Gesellschaft durch die „Nürnberger Gesetze“ und zahlreicher Verordnungen vorstellen. Und wenn Spranger noch 1943 Durchhalteparolen schreibt, können wir uns ein von Nazi-Deutschland besetztes Europa vorstellen, dass im Osten Millionen Menschen fabrikmäßig mordet und zugleich an allen Fronten die Initiative verliert angesichts der materiellen Übermacht der Alliierten.

„Mythos und Pathos statt Logos und Ethos“ von Benjamin Ortmeyer thematisiert nicht nur die NS-Vergangenheit bedeutender Pädagogen, sondern auch deren unwürdige „Vergangenheitsbewältigung“ nach 1945.

Nach 1945 bezeichnete er wie viele andere Wissenschaftler auch die Veröffentlichungen der Nazi-Zeit verharmlosend als „zwei oder drei Schönheitsflecken“, lobt 1950 die Wehrmacht als „wertvolles Stück allgemeiner Volkserziehung“ und schreibt tatsächlich: „Aber es liegt mir daran, hinzuzufügen, dass es nicht der Nationalsozialismus war, der in die Katastrophe geführt hat, sondern ganz eigentlich der Hitlerismus.“ Offenbar hat er seine Meinung seit 1933 nicht geändert und ist von einem „positiven Kern der nationalsozialistischen Bewegung“ überzeugt, dem er hier den „Hitlerismus“ gegenüberstellt.

Eduard Spranger lehrte bis zu seiner Emeritierung 1950 und darüber hinaus in Tübingen und gilt als bedeutender Pädagoge und Klassiker der Berufspädagogik. Nach ihm sind in Deutschland sehr unterschiedliche Schultypen benannt, darunter zwei Förderschulen, zwei Schulen die Haupt- und Realschulen verbinden, eine Schule die Grund- und Hauptschule verbindet, zwei Gymnasien und drei Berufsschulen. Die meisten liegen in Baden-Württemberg, je eine in Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen, zwei Berufskollegs liegen in Nordrhein-Westfalen, in Hamm und Gelsenkirchen.

Bildschirmfoto der Homepage des Eduard-Spranger-Berufskollegs Gelsenkirchen: über Eduard Spranger selbst sind keine Informationen zu finden.

Aus dem oben Dargestellten sollte deutlich geworden sein, dass und warum Eduard Spranger als Vorbild und Namensgeber in einem demokratischen Deutschland nicht taugt. Medienberichten zufolge befinden sich drei nach Eduard Spranger benannte Schulen, in Mannheim, in Frankfurt-Sossenheim und in Landau in der Pfalz, im Prozess der Umbenennung. In Gelsenkirchen ist derzeit nichts dergleichen bekannt. Schaut man sich die Internetseite des Eduard-Spranger-Berufskollegs aus Gelsenkirchen an, so findet sich dort nichts über Leben und Werk des Namensgebers. Offenkundig spielt der Name im Schulleben keine besondere Rolle. Was sollte dann dagegen sprechen, sich von diesem zu trennen und einen würdigen Namen zu wählen, der für die gegenwärtige gute Arbeit des Berufskollegs und Wirtschaftsgymnasiums steht?