Kleine Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten in Gelsenkirchen (Teil 1)

1. Von der Befreiung vom Faschismus bis zur Bekämpfung der VVN in den 1950er Jahren

VVN-BdA GelsenkirchenVor 70 Jahren wurde mit dem „Komitee ehemaliger politischer Gefangener und Konzentrationäre“ der Vorläufer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Gelsenkirchen gebildet. Dieser Beitrag zeichnet die Geschichte der Kreisvereinigung Gelsenkirchen nach. Aufgrund des Umfangs, habe ich ihn in mehrere Teile aufgeteilt. Die Teile 2 und 3 folgen jeweils an den kommenden Freitagen.

Vielfach wurde in diesem Jahr an den 8./9. Mai 1945 erinnert, als vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Befreiung Europas vom Faschismus endete. In Gelsenkirchen endete der Zweite Weltkrieg bereits im April. Nach erneuten Luftangriffen im März 1945 auf die bereits 1944 schwer getroffene Industriestadt wurde zunächst das Stadtgebiet nördlich des Kanals besetzt. Begleitet von Artillerie-Beschuss rückten am Gründonnerstag, 29. März und Karfreitag, 30. März Einheiten der US-Armee vor. Sie erreichten in den Abendstunden des Karfreitags Buer-Mitte und Horst sowie am Karsamstag Erle, Resse und den Rhein-Herne-Kanal. Da die deutsche Wehrmacht am 28. März die Brücken über Rhein-Herne-Kanal und Emscher gesprengt hatten, wurde das südliche Stadtgebiet Gelsenkirchens erst am 10. April 1945 besetzt, als Einheiten der US-Armee ohne Gegenwehr einrückten und die oberste Gewalt im Stadtgebiet übernahmen. Die Nazi-Stadtspitze hatte sich bereits Anfang April in Richtung Ostwestfalen abgesetzt.

Für die meisten der verbliebenen 150.000 Einwohner Gelsenkirchens bedeutete der 10. April 1945 zunächst nur das Ende des Krieges, für andere, besonders für politisch und rassisch Verfolgte, Inhaftierte und Zwangsarbeiter war es der Tag der Befreiung vom Faschismus. Noch in den letzten Kriegstagen hatten Nazis weitere Verbrechen verübt. So waren in den Morgenstunden des Karfreitags vor dem Einmarsch der US-Armee etwa 25 russische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nur in Hemd und Hose bekleidet aus dem Polizeigefängnis Buer über die Goldbergstraße in den Westerholter Wald geführt und dort ermordet worden.

Mit der Einrichtung der alliierten Kommandantur in der damaligen Mädchenmittelschule an der Rotthauser Straße (heute Gertrud-Bäumer-Realschule) begann die Nachkriegszeit. Zunächst von amerikanischem Militär regiert, übernahm Mitte April (Alt-Gelsenkirchen) bzw. Ende Mai 1945 (Buer) die britische Armee die Regierungsgewalt. Diese setzte nach einer Übergangsphase, in der eine kollegiale Leitung aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Christen unter einem kommissarischen Oberbürgermeister bestanden hatte, am 25. Mai 1945 den von den Nazis entlassenen Oberbürgermeister Emil Zimmermann ein, der die kollegiale Leitung abschaffte und eine hierarchische, entpolitisierte Stadtverwaltung aufbaute.

Das Komitee ehemaliger politischer Gefangener und Konzentrationäre

Ab April 1945 begann auch der Wiederaufbau von Parteien mit SPD, KPD, (katholisches) Zentrum und Christlicher Vereinigung (spätere CDU), sowie die erfolgreiche Bildung von Betriebsräten und einer Einheitsgewerkschaft, die Ausgangspunkt für die DGB-Gewerkschaften wurde. Ebenfalls wurde bis Sommer 1945 – ein genaues Gründungsdatum ist nicht bekannt – mit dem Gelsenkirchener „Komitee ehemaliger politischer Gefangener und Konzentrationäre“ der Vorläufer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gebildet.

Im Vordergrund standen zunächst die Unterstützung der Überlebenden und ihre Versorgung mit dem Notwendigsten. Vertreter des Komitees wurden in den städtischen Wohlfahrts- und Fürsorgeausschuss berufen. Daneben wurden im Juni und am zweiten Sonntag im September Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Faschismus begangen. Im April 1946 wurde ein Kreissonderhilfsausschuss gebildet, der für die Anerkennung als Verfolgter des Naziregimes zuständig war. Bis September desselben Jahres wurden 639 Personen anerkannt, davon 428 in Gelsenkirchen, 161 in Buer und 50 in Horst.

Frauen ermordeter Gelsenkirchener Widerstandskämpfer 1948 (von rechts nach links): Luise Eichenauer, Anne Littek, Emma Rahkob, Anna Bukowski. Der Name der Frau ganz links ist unbekannt.

Frauen ermordeter Gelsenkirchener Widerstandskämpfer 1948 (von rechts nach links): Luise Eichenauer, Anne Littek, Emma Rahkob, Anna Bukowski. Der Name der Frau ganz links ist unbekannt.

1946/47 nannte sich das Komitee „Vereinigung ehem. politischer Gefangener“ und trat vermehrt mit politischen Veranstaltungen auf, verstärkte seine Bemühungen, über die NS-Zeit aufzuklären und engagierte sich für eine gerechte Strafe der verantwortlichen Nazis.

Die Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)

Als Gründungsdatum der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)“ gilt das Jahr 1947. Zuvor war auf der ersten Interzonalen Konferenz der ehemaligen Häftlinge vom 20. – 22. Juli 1946 in Frankfurt am Main das Programm der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)“ verabschiedet worden. Am 26. Oktober 1946 erfolgte mit 500 Delegierten, darunter 12 aus Gelsenkirchen, in Düsseldorf die Gründung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der VVN. Den Abschluss fand die Gründungsphase nach der Gründung weiterer Landesverbände auf der 1. Interzonalen Länderkonferenz der VVN vom 15. – 17. März 1947 in Frankfurt am Main mit der Bildung des „Gesamtdeutschen Rates der VVN“. Der Gesamtdeutsche Rat der VVN bestand auch nach der Gründung beider deutscher Staaten 1949 fort, er wurde erst 1951 durch die Bundesregierung verboten.

Die Gelsenkirchener Vereinigung nahm ebenfalls den Namen VVN an. In der Kreisvereinigung Gelsenkirchen bestanden zu der Zeit drei Ortsgruppen in Gelsenkirchen, Buer und Horst sowie zwei Büros in der Horster Straße 18 in Buer und in der Von-Oven-Straße 5 in Gelsenkirchen.

1947/48 errichtetes Denkmal für den antifaschistischen Widerstand auf dem Friedhof Horst-Süd zur Erinnerung an die 1920 im Anschluss an den Kapp-Putsch von rechtsradikalen Freikorps ermordeten Mitglieder der "Roten Ruhrarmee" und ergänzt um Horster Widerstandskämpfer 1933-1945, insbesondere der Franz-Zielasko-Gruppe

1947/48 von der VVN auf dem Friedhof Horst-Süd errichtetes Denkmal für den antifaschistischen Widerstand, zur Erinnerung an die 1920 im Anschluss an den Kapp-Putsch von rechtsradikalen Freikorps ermordeten Mitglieder der „Roten Ruhrarmee“ und ergänzt um Horster Widerstandskämpfer 1933-1945, insbesondere der Franz-Zielasko-Gruppe

Gedenkveranstaltungen und die Schaffung von Gedenkorten nahmen in der Anfangszeit einen breiten Raum ein. Die ersten Denkmäler waren bereits von jüdischen Überlebenden 1947 auf dem wiederhergestellten jüdischen Friedhof in Buer und 1948 auf dem Gelände von Gelsenberg (heute Horster Südfriedhof) für 250 jüdische Ungarinnen und Rumäninnen geschaffen worden. 1947/48 errichtete die VVN auf dem Horster Südfriedhof ihr erstes Denkmal, für den antifaschistischen Widerstand, zur Erinnerung an die 1920 im Anschluss an den Kapp-Putsch von rechtsradikalen Freikorps ermordeten Mitglieder der „Roten Ruhrarmee“ (das ursprüngliche Denkmal war von den Nazis zerstört worden) und ergänzt um Horster Widerstandskämpfer 1933-1945, insbesondere der Franz-Zielasko-Gruppe. Am 10. September 1950 schließlich wurde das Mahnmal für alle Opfer der Nazi-Diktatur der VVN im Stadtgarten Gelsenkirchen der Öffentlichkeit übergeben.

Das Mahnmal für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft im Gelsenkirchener Stadtgarten wurde auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) mit Unterstützung der Stadt errichtet und am 10. September 1950 feierlich der Öffentlichkeit übergeben. Es wird jährlich während des Ostermarschs und am Antikriegstag besucht.

Das Mahnmal für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft im Gelsenkirchener Stadtgarten wurde auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) mit Unterstützung der Stadt errichtet und am 10. September 1950 feierlich der Öffentlichkeit übergeben. Es wird jährlich während des Ostermarschs und am Antikriegstag besucht.

Die Bekämpfung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)

Mit dem Kalten Krieg, dem aus der Nazizeit übernommenen Antikommunismus und der Ost-West-Konfrontation veränderte sich das politische Umfeld für die VVN in beiden Teilen Deutschlands.

Am 14./15. April 1951 fand im Hans-Sachs-Haus der „Deutsche Kongress der Widerstandskämpfer, der Opfer des Faschismus und des Krieges“ statt, der sich für die Durchführung einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages aussprach und damit im völligen Gegensatz zur Politik der CDU-geführten Bundesregierung stand. Ein anschließender Schweigemarsch zum Mahnmal im Stadtgarten wurde durch die Polizei aufgelöst. Im Zuge der Auseinandersetzung um die Volksbefragung zur Remilitarisierung verbot die Bundesregierung die VVN, da die Volksbefragung einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung darstelle.

Der Gesamtdeutsche Rat der VVN in Frankfurt am Main wurde aufgelöst, der VVN-Landesverband Nordrhein-Westfalen aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik dagegen nicht. Als einzige Kreisvereinigung, offenbar wegen des o.g. Kongresses, wurde am 8. April 1952 die VVN Gelsenkirchen aufgelöst, ihre Akten beschlagnahmt und die Büros geschlossen. Sie konnte erst am 8. September 1957 wieder gegründet werden. Dennoch hatte Ende der 1950er Jahre die VVN in der Stadt 267 Mitglieder, 169 in Gelsenkirchen, 72 in Buer und 26 in Horst.

Ein Verbotsantrag der Bundesregierung ab 1959 vor dem Bundesverwaltungsgericht, der die gesamte VVN einschließlich aller Landesverbände und Kreisvereinigungen verbieten sollte, erwuchs sich zum Skandal angesichts der Nazi-Vergangenheit des Senatspräsidenten. Das Verfahren wurde nach einer Änderung des Vereinsgesetzes schließlich 1964 eingestellt. Das schwebende Verbotsverfahren diente jedoch auch in Gelsenkirchen zur Behinderung der Arbeit der VVN durch Polizei und Behörden.

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