Archiv für den Monat Mai 2016

Eindrücke vom außerordentlichen Bundeskongress der VVN-BdA

Tagungsort im "Jahrhunderthaus" in Bochum - hier ein Foto von einem Bild im Tagungsraum.

Tagungsort im „Jahrhunderthaus“ in Bochum – hier ein Foto von einem Bild im Tagungsraum.

„Erinnerungsarbeit und Geschichtspolitik“ waren das Thema des außerordentlichen Bundeskongresses der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Nachbarstadt Bochum. Vom 27. bis 29. Mai 2016 tagten rund 120 Delegierten aus der Bundesrepublik im Jahrhunderthaus. Dies war kein Kongress in dem es darum ging, Beschlüsse zu fassen, sondern Diskussion und Erfahrungsaustausch standen im Vordergrund.

Für die Helfer begann der erste Kongresstag bereits gegen Mittag. Foyer und Tagungsraum wollten vorbereitet werden, außerdem galt es, eine Palette Pappkartons in Würfel zu falten. Dank zahlreicher Helfer gelang das alles relativ schnell. Im Foyer und im Tagungsraum wurden verschiedene Infostände aufgebaut, vom Bochumer Ruhrecho-Verlag, über die Kinder des Widerstands und r-mediabase bis zu den Spanienkämpfern. Weitere Infostände folgten im Laufe des Tages.

Blick ins Foyer während des Aufbaus der Infostände.

Blick ins Foyer während des Aufbaus der Infostände.

Die offizielle Anmeldung begann ab 17.30 Uhr, Beginn des Kongresses war 19 Uhr. Nach kurzen Begrüßungsreden und einer inhaltlichen Einleitung durch Ulrich Schneider war das zentrale Thema dieses ersten Abends die Darstellung der Nazi-Vergangenheit im Internet. Am Beispiel des Suchbegriffs „Waffen SS“ zeigten Thomas Willms und Liza Mikosch die Suchergebnisse bei google, insbesondere die Ergebnisse der Bilder- und Videosuche. Eine Schocktherapie.

Der zweite Kongresstag stand im Zeichen der Diskussion und des Austausches. Fünf zentrale Themen wurden im Rahmen des „World-Cafés“ bearbeitet. Dabei handelt es sich um eine Moderations-Methode für Großgruppen, die alle Delegierten dazu animierte, in wechselnden Kleingruppen miteinander zu reden. Die Gruppen wechselten nach jeweils 30 Minuten, ein „Gastgeber“ verblieb jeweils am Gruppentisch um der neuen Gruppe die Ergebnisse zu präsentieren. Eine Gruppe benötigte mehr Zeit für die Diskussion und blieb daher 60 Minuten zusammen.

Blick in den Tagungsraum während des "World-Cafés".

Blick in den Tagungsraum während des „World-Cafés“.

Die Ergebnisse wurden auf Karten und Pinnwände festgehalten und nach dem dritten Durchgang zur Präsentation vorbereitet. So entstanden jeweils umfangreiche Präsentationen zu den folgenden Themen:
* Jugendgerechte Formen der Erinnerungsarbeit
* Gedenkarbeit in der Migrationsgesellschaft
* Eigene Bildungsarbeit
* „offizielle“ versus „alternative“ Geschichtspolitik
* Zeugen der Zeugen

Ergebnispräsentationen zum Thema "offizielle" versus "alternative" Geschichtspolitik.

Ergebnispräsentationen zum Thema „offizielle“ versus „alternative“ Geschichtspolitik.

Am Nachmittag wurden im Rahmen des „Marktes der Möglichkeiten“ verschiedene bereits existierende Projekte im Plenum präsentiert. Sie reichten von Internetpräsentationen über Filmprojekte, Audiorundgänge mittels Smartphone-App und Geocaching bis zu regelmäßigen Sendungen im Lokalradio. Zur Vertiefung wurden die meisten Projekte zusätzlich an Infoständen dargestellt.

Comic als jugendgerechte Vermittlungsform - ein Beispiel im "Markt der Möglichkeiten"

Comic als jugendgerechte Vermittlungsform – ein Beispiel im „Markt der Möglichkeiten“

Der dritte Kongresstag bot den Delegierten die Gelegenheit, sich in regionalen Arbeitsgruppen zusammenzusetzen und Verabredungen zur Weiterarbeit zu treffen. Dies geschah mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Nach kurzen Berichten aus den Arbeitsgruppen folgte die Präsentation des Filmclips zu 70 Jahre VVN-BdA und einer Verabschiedung durch Cornelia Kerth, die sich bei allen Beteiligten bedankte. Der außerordentliche Bundeskongress endete gegen Mittag mit dem Absingen des Moorsoldatenlieds.

Dank zahlreicher Helfer waren auch innerhalb kürzester Zeit alle Infostände wieder abgebaut und die Kartonwürfel wieder auseinander gefaltet.

Supplement
Mehr Fotos gibt es bei r-mediabase zu sehen.

„Erinnerungsarbeit und Geschichtspolitik“

Vom 27. bis 29. Mai 2016 wird die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ihren außerordentlichen Bundeskongress in der Nachbarstadt Bochum zum Thema „Erinnerungsarbeit und Geschichtspolitik“ durchführen. Der Kongress wird dieses Thema nicht vorwiegend im Plenum, sondern in einem alle einbeziehenden Prozess mit dem schönen Namen „World Café“ behandeln.

Das Problem ist angesichts der immer weiter zurückliegenden NS-Vergangenheit nicht neu, für eine von Verfolgten gegründete Vereinigung aber wesentlich: In einer Zeit ohne lebende Zeitzeugen an den Faschismus, in der wir uns zugleich gegen Historisierung und Musealisierung der NS-Geschichte wehren müssen, ist es wichtig Konzepte zu entwickeln, wie die Erfahrungen der Geschichte von Widerstand und Verfolgung für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden können für aktuelle Auseinandersetzungen. Gerade angesichts der erschreckenden rassistischen Mobilisierungen, der Wahlerfolge der AfD und der Verniedlichung von Randalierenden und Rechts-WählerInnen als „besorgte Bürger“ sowie der zunehmenden Akzeptanz autoritärer Politik-Vorstellungen ist es notwendig, die Geschichte zum Teil des „Alltagswissens“ werden zu lassen. Wie ist das ohne Zeitzeugen möglich?

Interaktive Karte auf der Internet-Seite verbrechen-der-wirtschaft.de

Interaktive Karte auf der Internet-Seite verbrechen-der-wirtschaft.de

Bereits seit Jahren gibt es Projekte und Vorhaben in- und außerhalb der VVN-BdA, mit denen neue Wege der Erinnerungs- und Geschichtsarbeit gesucht und gefunden werden. Eines dieser Projekte ist die Rallye „Spurensuche der Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“, die aus Anlaß des 75. Jahrestages der Machtübertragung an Hitler 2008 begann und Täter und Tatorte öffentlich machen soll. 2012 veröffentliche Ulrich Sander Zwischenergebnisse in „Von Arisierung bis Zwangsarbeit“, fortlaufend finden sich Ergebnisse auf der eingerichteten Internet-Seite www.verbrechen-der-wirtschaft.de. Eine Fotodokumentation entsteht auf r-mediabase.

Auch zu Gelsenkirchen finden sich in der Buchveröffentlichung wie auf der Internet-Seite Aktivitäten. So regte die Landesvereinigung NRW der VVN-BdA am 9. August 2011 an, mit einer Mahntafel kritisch an das Wirken von Emil Kirdorf, einem Unterstützer der NSDAP und Hitlers, zu erinnern. Dieser Antrag wurde im Kulturausschuss, so ist dem Protokoll vom 28. September 2011 zu entnehmen, „Ohne Aussprache zur Kenntnis genommen“. Die Stadt nahm sich dieser Anregung auf ihre Weise an und der Kulturausschuss beschloss in derselben Sitzung eine Informationstafel im Rahmen des stadteigenen Konzeptes der „Erinnerungsorte“ anzubringen.

Die Tafel „Gelsenkirchener Bergwerks AG und Emil Kirdorf“ wurde am 4. Juni 2013 am Gebäude Leithestraße 39 in Gelsenkirchen-Ückendorf der Öffentlichkeit übergeben. Es handelt sich bei Haus Nr. 39 um eines der ehemaligen Verwaltungsgebäude der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG), deren Generaldirektor Emil Kirdorf war. – Die VVN-BdA NRW, die diese Tafel angeregt hatte, wurde auf ihr allerdings nicht genannt, der Zusammenhang zur Rallye „Spurensuche der Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“ erschließt sich ebenfalls nur über die Internetseite des Projektes.

Erinnerungsortetafel zu Emil Kirdorf am Haus Leithestraße Nr. 39 in Gelsenkirchen-Ückendorf

Erinnerungsortetafel zu Emil Kirdorf am Haus Leithestraße Nr. 39 in Gelsenkirchen-Ückendorf

Eindrücke vom (fast) nazifreien Bochum am 1. Mai 2016

Plakat des Bochumer "Bündnis gegen Rechts" gegen den Aufmarsch der NPD am 1. Mai 2016

Plakat des Bochumer „Bündnis gegen Rechts“ gegen den Aufmarsch der NPD am 1. Mai 2016

Unter dem Motto „Zeit für mehr Solidarität“ standen die Kundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) an diesem 1. Mai 2016 in ganz Deutschland. Als Gegenentwurf rief die rechtsextreme NPD zu einer Kundgebung gegen angeblichen „Asylmissbrauch“ in Bochum auf. Geschätzt 120 bis180 Nazis folgten diesem Aufruf – doch mehr als 2.400 Gegendemonstranten folgten dem Aufruf des Bochumer „Bündnis gegen Rechts“, das mit Unterstützung von über 50 Organisationen zu einer Gegendemonstration aufgerufen hatte.

Bereits als ich im Bochumer Hauptbahnhof eintraf, konnte ich „1. Mai – nazifrei“ und „Antifaschista“-Rufe ebenfalls angereister Gegendemonstranten hören. Der Platz vor dem Hauptbahnhof war von der Polizei mit Absperrgittern und Mannschaftswagen abgesperrt. Durch die Unterführung gelangte ich in die Innenstadt, wo ich das 628. Maiabendfest entdeckte, das in Bochum traditionell gefeiert wird. Mittendurch verlief der Demonstrationszug des Bochumer Bündnis gegen Rechts, mit dem ich wieder zum Hauptbahnhof gelangte – vor die Absperrgitter der Polizei. Die Gegendemonstranten stammten aus allen Altersgruppen, auch wenn die Jugend mit einem Jugendblock und in den Sprechchören dominierte. Auffällig waren auch unerwartet viele Fahnen von Bündnis 90/Die Grünen.

Die Demonstration gegen die Nazis, die vor lauter Mannschaftswagen so gut wie nicht zu sehen waren, war friedlich, lautstark, bunt und gut gelaunt. Nach der offiziellen Beendigung der Kundgebung zogen die meisten Gegendemonstranten auf verschiedenen Wegen in Richtung Husemannplatz, wo die Nazis eine weitere Kundgebung angemeldet hatte. Auch hier wurde lautstark gegen die NPD-Kundgebung demonstriert. Hinter Mannschaftswagen und einem Polizeikordon versteckt, konnte man sie gelegentlich eine NPD-Fahne schwenken sehen, zu hören war ‪von ihnen nichts. Sprechchöre mit „Nazis raus, raus, raus“, „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“ und „Nationalismus raus aus den Köpfen“ übertönte einfach alles.

Blick in die Gegendemonstration vor dem Bochumer Hauptbahnhof am 1. Mai 2016

Blick in die friedliche Gegendemonstration vor dem Bochumer Hauptbahnhof am 1. Mai 2016

Von mir nicht bemerkt hat es nach Presseberichten Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Gegendemonstranten gegeben. So habe es Versuche von Gegendemonstranten gegeben, den Bahnhof zu blockieren und Polizeisperren zu durchbrechen. Drei Polizisten seien dabei verletzt worden. Hier muss die Polizei, die die Versammlungsfreiheit der NPD schützt, Versäumnisse der Politik ausbaden. Die NPD gehört endlich verboten.

Supplement
Aus den zuerst drei wurden im Laufe der Berichterstattung vier verletzte Polizisten, ohne dass genau bekannt geworden wäre, welcher Art und wie schwerwiegend die Verletzungen waren. Der Begriff „schwerste Ausschreitungen“ in der WAZ ist für mich als Teilnehmer einer friedlichen, lautstarken, bunten und gut gelaunten Demonstration nicht nachvollziehbar. Journalisten in den Ruhrbaronen schrieben auch eher von einzelnen „Scharmützeln“. Dort heißt es: „Die schweren Ausschreitungen, von denen die Polizei in ihrer Pressemitteilung schrieb, waren nach bundesweiten Maßstäben überschaubar. Die martialische Beschreibung der Geschehnisse ist eher ein Zeichen der Unerfahrenheit bei der Einschätzung von unübersichtlichen  Demonstrationslagen durch die Bochumer Polizei.“