Archiv für den Monat Mai 2018

Gedenkstättenfahrt nach München und Dachau

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: geöffnetes Lagertor, inzwischen auch Eingang zur Gedenkstätte.

Zum inzwischen vierten Mal unternahmen die DGB-Jugend MEO (Mülheim Essen Oberhausen) und die VVN-BdA Essen eine gemeinsame Gedenkstättenfahrt zu einem Ort des Nazi-Terrors. Nach Esterwegen (2014), Buchenwald (2016) und Neuengamme (2017), im Norden und Osten Deutschlands gelegen, ging die Fahrt dieses Mal nach Süddeutschland. München, die von den Nazis so bezeichnete „Hauptstadt der Bewegung“ und die KZ-Gedenkstätte Dachau waren das Ziel der dreitägigen Reise vom 11. bis 13. Mai 2018. Auch über 70 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft zeigen sich zahlreiche junge Erwachsene an einer Zeit interessiert, die andere in unserem Land nur allzu gerne vergessen lassen möchten und sich eine „erinnerungspolitische Wende“ wünschen. Wie auch in meinen anderen Beiträgen besteht mein Interesse vorrangig in Geschichte und Gestaltung der Gedenkstätte.

Die Fahrt begann wieder mit einem Vorbereitungstreffen im Jugendkeller des DGB-Hauses in der Essener Teichstraße, bei dem organisatorische und inhaltliche Fragen besprochen wurden. In diesem Jahr las mit Helmut Weinand ein Neffe des inzwischen verstorbenen Robert Weinand aus dessen Erinnerungen, die 1987 unter dem Titel „Stationen eines Lebens“ erschienen waren. Weinand, 1903 in Essen als einer von zehn Kindern in einer „Kruppianer-Familie“ geboren, nahm ab 1936 am Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Spanischen Republik teil und wurde nach deren Niederlage vom faschistischen Spanien an die Gestapo ausgeliefert.

Nach dem Aufenthalt in vier Gefängnissen war er von 1942 bis 1945 im KZ Dachau eingesperrt. Aus seinen Erinnerungen erfuhren wir unter anderem von dem Prügelritual der SS während der Einlieferung ins KZ, von den sadistischen Strafen im Lager und von der Angst der Eingesperrten, kurz vor Kriegsende 1945 noch von der SS ermordet zu werden.

Dachau war das erste staatliche Konzentrationslager der Nazis und beendete die Phase der sogenannten „wilden KZs“, Folterkeller in denen ab 1933 politische Gegner geprügelt, gedemütigt und gemordet wurden. Es wurde am 22. März 1933 in einer stillgelegten Munitionsfabrik aus dem Ersten Weltkrieg errichtet und dessen Leitung am 11. April der SS übergeben. Dachau wurde zum Modell für alle Konzentrationslager und 1937/38 wesentlich erweitert. Die Führung durch unsere beiden Guides („Führer“ wäre wohl unpassend) begann auf dem Gelände des ursprünglichen Lagers. Von dort gelangten wir zum Eingang des 1937/38 neu errichteten Lagers mit dem Lagertor und der bekannten Inschrift „Arbeit macht frei“.

Blick in das ehemalige SS-Lager, es ist nicht Teil der Gedenkstätte, sondern wird von der Bayerischen Bereitschaftspolizei genutzt.

Neben dem eigentlichen Häftlingslager, das heute im wesentlichen die KZ-Gedenkstätte bildet, lag das Areal der SS, die das Lager bewachte. Seit den 1980er Jahren wird ein Teil des ehemaligen SS-Areals von der bayerischen Bereitschaftspolizei genutzt. Eine in jeder Hinsicht „interessante“ Nachnutzung des Geländes, deren unterschiedliche Formen sich nicht nur in Bayern finden.

Die Gedenkstätte erinnert an die mehr als 200.000 Gefangenen aus über 40 Nationen, die im KZ Dachau und seinen Außenlagern eingesperrt waren, über 40.000 starben an den unmenschlichen Bedingungen und dem Terror der SS, an Hunger, Krankheit, Folter und Mord. Waren es in den ersten Jahren überwiegend politische Gegner der Nazis die in Konzentrationslager eingesperrt wurden, also Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, kamen im weiteren Verlauf der Nazi-Diktatur weitere Gruppen hinzu, darunter Juden, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und mit der Besetzung europäischer Länder durch Nazi-Deutschland auch ausländischer Häftlinge in großer Anzahl. Eine Dachauer Besonderheit war die Konzentration Geistlicher in diesem Lager.

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: Blick in die Hauptausstellung.

Das Gelände, nach der Befreiung am 29. April 1945 zunächst durch die US-Army für die Prozesse gegen die Verbrecher der SS genutzt, war danach – Wohnraum war knapp – ab 1948 zur „Wohnsiedlung Dachau-Ost“ für Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Sudetenland geworden, die in den mit Trennwänden umgebauten Baracken unterkamen. Die Errichtung der Gedenkstätte erfolgte erst 1965 auf Druck der Überlebenden aus mehreren europäischen Ländern, die sich 1955 im Comiteé International de Dachau (CID) zusammengeschlossen hatten und ein würdiges Gedenken gefordert hatten. Lediglich der Bereich der Krematorien wurde zu dieser Zeit bereits als Gedenkstätte gepflegt.

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: Blick in den „Schubraum“, in dem heute die entwürdigende Aufnahmeprozedur dokumentiert ist.

Die Gedenkstätte umfasst heute im wesentlichen das ehemalige Häftlingslager. Die Wirtschaftsgebäude sind – aufgrund der Nachnutzung zwischen 1945 und 1965 – unterschiedlich erhalten. Hier ist das Museum, das heißt die neugestaltete Hauptausstellung aus dem Jahre 2003 über die Geschichte des Konzentrationslagers Dachau untergebracht, die die Geschichte des KZs in Verbindung mit der Geschichte der Nazizeit darstellt. Zu den Räumen gehören auch der „Schubraum“, in dem die entwürdigende Aufnahmeprozedur stattfand und das Häftlingsbad. Zu den Ausstellungsstücken gehört der Nachbau eines „Prügelbocks“, auf denen die Häftlinge misshandelt wurden. Hinter den erhaltenen Wirtschaftsgebäuden befindet sich der „Bunker“, ein weiteres Gefängnis im Gefängnis und damit ein weiterer Ort intensiver Quälerei durch die SS-Männer.

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: Blick in den Bunker, rechts und links die Zellentüren.

Vor den Wirtschaftsgebäuden befindet sich das begehbare Internationale Mahnmal. Es wurde von Nandor Glid, einem jugoslawischen Juden, der sich 1944 dem Widerstand angeschlossen hatte, entworfen und 1968 eingeweiht. Es besteht aus mehreren, auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammengehörende Teilen. Neben der auffallenden, zentralen Plastik, die KZ-Insassen im Stacheldraht zeigt, gehören eine Mauer, ein Weg, über dessen tiefster Punkt die Plastik steht, die zudem von Betonpfeilern, die an den Lagerzaun erinnern, gesäumt wird, eine Kette mit den verschiedenfarbigen Häftlingswinkel und eine weitere Mauer dazu. Die erste Mauer fordert in mehreren Sprachen dazu auf, dem Vorbild der befreiten Häftlinge zu folgen, die zweite Mauer ermahnt mit einem „Nie wieder“ in verschiedenen Sprachen.

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: Teilansicht des Internationalen Denkmals, die zentrale Plastik zeigt KZ-Insassen im Stacheldraht.

Die originalen Baracken sind nicht erhalten, da sie stark verändert oder baufällig waren. Sie wurden abgerissen und nur die beiden ersten Blöcke rekonstruiert. Heute befindet sich darin eine Ausstellung, die die Aufteilung der Baracken in den verschiedenen Phasen des KZs zeigt, in deren Verlauf immer mehr Menschen im Lager untergebracht wurden. Die weiteren Baracken sind nur als Grundriss und mit der jeweiligen Block-Nummer gekennzeichnet dargestellt. Mauer und Wachtürme wurden wieder instandgesetzt. Für mich bemerkenswert ist die Baumreihe rechts und links der Lagerstraße, die aus der KZ-Zeit stammt und fast einen idyllischen Eindruck hinterlassen könnte – wenn man nicht um die Geschichte des Lagers wüsste.

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: katholische Todesangst-Christi-Kapelle (1960).

Religiöse Erinnerungsorte

Die Lagerstraße führt auf die (katholische) Todesangst-Christi-Kapelle zu, die 1960 im Rahmen des Eucharistischen Weltkongresses eingeweiht wurde. Sie war zugleich auch das erste religiöse Mahnmal, das am Nordende errichtet wurde. Sie wird flankiert von einer jüdischen Gedenkstätte und der evangelischen Versöhnungskirche (beide 1967 eingeweiht). Alle Bauten besitzen eine eigene und bemerkenswerte Architektur, wie auch die Versammlung religiöser Mahnmale auf einem ehemaligen KZ-Gelände einzigartig ist. Verbindet die Todesangst-Christi-Kapelle die Passion Christi mit der Leidenszeit der KZ-Häftlinge, bricht die Architektur der Versöhnungskirche mit der rechtwinkligen Anlage des Konzentrationslagers, erinnert die jüdische Gedenkstätte architektonisch an die Vernichtung der europäischen Juden. Durch den ehemaligen Wachturm auf der Nordseite erreichbar befindet sich seit 1964 ein Sühnekloster der Karmeliterinnen jenseits der Nordmauer. 1995 folgte noch die Einweihung einer russisch-orthodoxen Kapelle. Diese liegt außerhalb des ehemaligen Häftlingslager, vor dem zum damaligen SS-Lager gehörenden Krematorium.

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: Teilansicht der „Baracke X“ (1942/43), dem großen Krematorium.

Neben einem ersten, kleinen Krematorium befindet sich hier die 1942/43 errichtete „Baracke X“, eine Anlage mit vier Verbrennungsöfen und einer funktionsfähigen als „Brausebad“ getarnten Gaskammer. Zu KZ-Zeiten wurde hier die zunehmende Zahl der toten KZ-Häftlinge verbrannt, die Gaskammer jedoch nur für eine Ermordung einer geringen Anzahl von Häftlingen genutzt. Ein Massenmord, wie beispielsweise in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau, fand hier nicht statt. Seit den 1960er Jahren wurde der Bereich friedhofsähnlich umgestaltet und wirkt heute fast idyllisch mit viel Grün und zwitschernden Vögeln. Die Räume des großen Krematoriums hatten im Jahre 1960, im Jahr der Einweihung der Todesangst-Christi-Kapelle, ein erstes, von den Überlebenden eingerichtetes Museum mit einer Dokumentarausstellung aufgenommen.

KZ-Gedenkstätte Dachau 2018: Zeitzeugengespräch mit Ernst Grube in der evangelischen Versöhnungskirche.

„Erinnerung braucht Wissen!“ (Ernst Grube)

Der Führung durch die Gedenkstätte schloss sich ein Zeitzeugen-Gespräch in der evangelischen Versöhnungskirche an. Der hochbetagte, 85jährige Ernst Grube, Kind einer jüdischen Mutter und einem nichtjüdischen Vater, im Weltbild der Nazis ein sogenannter „Halbjude“, erzählte von seiner Kindheit in München, seiner Unterbringung in einem jüdischen Kinderheim und der Deportation nach Theresienstadt. Er gab sich viel Mühe, den jungen Gewerkschaftern, die um ihn herum saßen, die auch für ihn lange zurückliegende Zeit anschaulich und nachvollziehbar zu schildern. (Es gibt auch einen eigenen Eintrag in der Wikipedia über ihn.)

Am folgenden Tag führte uns Ernst Antoni, Mitglied der Münchener VVN-BdA und Redakteur der „antifa“, der Zeitung der VVN-BdA, durch einen Teil Münchens. Die Stadt hatte von den Nazis den Beinamen „Stadt der Bewegung“ erhalten. Ausgehend vom Königsplatz, den die Nazis als Aufmarschplatz nutzten und an dem in der Gegenwart jedes Jahr an die Bücherverbrennung erinnert wird, führte er uns an ehemalige Bauten der NSDAP vorbei, sowie am NS-Dokumentationszentrum München, am ehemaligen Ort des sogenannten „Braunen Hauses“.

München 2018: Ehemaliger „Führerbau“, nicht zu verwechseln mit dem „Braunen Haus“.

Die Stadtführung blieb nicht in den Jahren 1933 bis 1945 stehen, sondern führte zurück zu den Ursprüngen und zu Unterstützern, zum „Hitler-Putsch“ 1923 und ihrem unrühmlichen Ende in einer Schießerei vor der Feldherrnhalle, und auch zum ehemaligen Standort des Wittelsbacher Palais, einem Hauptquartier der Gestapo und Gestapo-Gefängnis. Heute erinnert nur eine Tafel am modernen Gebäude der Bayern LB sowie ein nahegelegener Platz durch seine Benennung an die Opfer des Nationalsozialismus.

Ernst Antoni und auch unser Zeitzeuge Ernst Grube am Vortag berichteten nicht nur über die Vergangenheit. Beides sind politisch engagierte Menschen, die vor Entwicklungen in der Gegenwart warnen, die den demokratischen Rechtsstaat einschränken. Auch das lässt sich aus der Geschichte der Nazizeit lernen: eine Entwicklung zum Faschismus beginnt nicht erst mit der Machtergreifung, sondern lange vorher.

Auf dem Krematoriumsgelände legten DGB-Jugend und VVN-BdA eine Gedenkminute ein und ein Blumegesteck nieder.

Mit dem antifaschistischen Stadtrundgang endete die dreitägige Fahrt nach München und Dachau. Diese vierte Gedenkstättenfahrt war nicht die letzte. Bereits für die Zeit vom 12. bis 14. Oktober ist eine weitere Fahrt geplant, dieses Mal nach Berlin und Sachsenhausen.

„Polens Rolle rückwärts“ – Vorbild für die AfD?

Wer sich in der Bundesrepublik mit der Entwicklung der sogenannten „Alternative für Deutschland“ von einer europaskeptischen, wirtschaftsliberalen und nationalkonservativen Partei hin zu einer für rechtextreme und faschistische Positionen offenen Partei beschäftigt, schaut auch oft auf die anderen Länder der Europäischen Union mit ähnlichen aber durchaus unterschiedlichen rechtspopulistischen, rechtsextremen oder faschistischen Parteien. Krzysztof Pilawski, polnischer Publizist und Holger Politt, Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sezieren in ihrem Buch „Polens Rolle rückwärts“ die Situation in unserem östlichen Nachbarland.

In der Betrachtung der Ursachen für den Erfolg der national-konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2015 zeigen sich interessante Ähnlichkeiten zur bundesdeutschen Situation wie auch deutliche Unterschiede. Zu den interessanten Ähnlichkeiten gehört eine sozialdemokratische Partei, die sich mit einer neoliberalen Politik von ihren Wählern entfremdet hat und bei den Wahlen abstürzte. Zu den Unterschieden gehört die Stellung der katholischen Kirche, die in Polen einen übergroßen Einfluss besitzt.

Pilawski schildert im Teil „Anatomie des politischen Erfolgs“ die politischen Auseinandersetzungen und skizziert die jüngere Entwicklung Polens, die Transformation der alten Volksrepublik Polen in das heutige EU-Mitglied und die Auswirkungen einer neoliberalen Politik, die alle sozialen Sicherheiten vernichtet und eine gespaltene Gesellschaft produziert hat. Im Ergebnis führte diese Politik und die Vernachlässigung der sozialen Frage durch die Linken zum Erfolg der PiS, die durch Antikommunismus, eine nationalististische Geschichtspolitik und der Demontage demokratischer Grundrechte und Institutionen ihren Erfolg zu verstetigen sucht. Im Zentrum der Geschichtspolitik der PiS steht die Glorifizierung aller polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen in Geschichte und Gegenwart.

Dieses Buch sei allen empfohlen, die sich für die politische Entwicklung Polens oder auch Deutschlands interessieren, bietet es doch auch im Hinblick auf letzteres einen fremden Blick auf eine leider erfolgreiche sozial- und geschichtspolitische Strategie einer rechten Partei.