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Eine kleine Wahlnachlese

Eigentlich ist schon alles zur Landtagswahl NRW geschrieben worden und meine Motivation, noch etwas originäres hinzuzufügen äußerst gering. Wahlgewinner sind CDU und Bündnis 90/Die Grünen, Wählerstimmen verloren haben die anderen Parteien, und DIE LINKE hat deutlich den Einzug in den Landtag verpasst. Beklagt wird allenthalben die niedrige Wahlbeteiligung – offenkundig verliert die repräsentative Demokratie zunehmend ihre Anhänger. Wenn man im Landtag nur die Anzahl der Sitze entsprechend der Wahlbeteiligung besetzen würde, dann blieben fast die Hälfte der Sitze unbesetzt.

In Gelsenkirchen ist die Situation noch etwas anders als im Land, hier hat die SPD mit 27.633 Zweitstimmen (37,48 %) die Nase vorn. Nach der CDU kommen an dritter Stelle die Bündnisgrünen mit 8.816 Stimmen (11,96 %), gefolgt von der AfD mit 7.695 Stimmen (10,44 %). DIE LINKE erhielt nur noch 1.402 Zweitstimmen (1,90 %) – aber 1.767 Erststimmen (2,40 %). Allerdings lag die Wahlbeteiligung in Gelsenkirchen bei unterirdischen 44,45 %, das heißt, mehr als jeder Zweite ist nicht zur Wahl gegangen. Wie die WAZ berichtet, ist das die zweitgeringste Wahlbeteiligung in ganz NRW und macht als Ursache die soziale Ungleichheit aus.

Als Illustration habe ich ein nur noch in Teilen aktuelles Plakat der Linkspartei gewählt. Oskar kann man nicht mehr wählen, aber möglicherweise wird sich der eine oder andere Wähler der Bündnisgrünen Schwarz ärgern. Vielleicht ist es aber auch ein Ergebnis, dass den Bündnisgrünen mehr entspricht, als man glaubt. Werden die Grünen doch größtenteils von Akademiker:innen und Beamt:innen gewählt.

Die Qual der (Landtags-)Wahl?!

Plakate zur Landtagswahl NRW 2022 in Gelsenkirchen.

Anders als bei früheren Wahlkämpfen habe ich mir nicht mehr die Mühe gemacht, die einschlägigen Plakate der Parteien zu fotografieren und zu kommentieren, irgendwie sind mir die meisten Plakate zu nichtssagend, zu langweilig geworden. Mehrfach ins Auge gestochen ist mir dagegen die oben abgebildete Aufstellung dreier Plakatwände an der Kreuzung Overwegstraße/Florastraße (im Hintergrund das Musiktheater im Revier).

Während SPD und CDU hier ihre Spitzenkandidaten Hendrik Wüst (CDU), der Ministerpräsident bleiben will und Thomas Kutschaty (SPD), der Ministerpräsident werden will zeigen, haben die Bündnisgrünen ganz selbstverständlich ihre Gelsenkirchener Kandidatin Ilayda Bostancieri daneben postiert. Während ich Ilayda bereits bei mehren lokalen Demonstrationen gegen Rechts gesehen habe, sind mir weder Hendrik Wüst noch Thomas Kutschaty jemals in Gelsenkirchen begegnet. Daraus folgt erst einmal keine Wahlentscheidung, bemerkenswert ist die Schwerpunktsetzung der Bündnisgrünen allemal.

Ganz rechts und nicht mehr im Bild befindet sich übrigens ein Plakat der FDP, deren Kandidatin ist mir jedoch noch nicht einmal dem Namen nach bekannt. Woran auch immer das liegen mag.

Update: Thomas Kuschaty bin ich tatsächlich dann doch noch in Gelsenkirchen begegnet. Am Samstag vor der Landtagswahl verteilte er auf dem Heinrich-König-Platz beim Streetfood-Festival rote Rosen. Meine Freundin bekam auch eine verbunden mit der Bitte, am nächsten Tag zu wählen.

„Wer nicht feiert, hat verloren!“ – Aktionswoche 8. Mai beginnt am 2. Mai mit einer Fahrrad-Demo zum Widerstand in Gelsenkirchen

Mit einer Fahrrad-Demo von Gelsenkirchen-Buer über Horst, Schalke und Bulmke in die Innenstadt von Alt-Gelsenkirchen beginnt am morgigen 2. Mai das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung seine Aktionswoche um den 8. Mai. Wie schon im letzten Jahr unterstützt das Bündnis die Forderung von Esther Bejarano, Überlebende des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, des Konzentrationslagers Ravensbrück und eines Todesmarsches, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum bundesweiten Feiertag zu erheben. Nach der kontaktlosen Menschenkette im vergangenen Jahr will das Bündnis in diesem Jahr mit einer Reihe von Aktionen zeigen, wie ein solcher Feiertag als Bildungstag genutzt werden kann. Die Fahrrad-Demo „Widerstand in Gelsenkirchen gegen den Faschismus“ ist ein Teil davon.

Startpunkt ist die Goldbergstraße 84 vor dem Haus der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, wo zugleich an die Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 durch die Nazis erinnert werden wird. Danach geht es zu insgesamt neun Orten, die an den unterschiedlichen Widerstand in Gelsenkirchen erinnern. Zunächst in Buer zur Schlenkhoffstraße, die an den Widerstand vor 1933 und aus der SPD erinnert, und dann in einer längeren Fahrt nach Horst zum Rudolf-Bertram-Platz vor dem St.-Josef-Hospital, der an den Retter von 17 jüdischen Zwangsarbeiterinnen erinnert. In Horst werden noch Stolpersteine für den kommunistischen Widerstandskämpfer Johann Eichenauer und für den belgischen Zwangsarbeiter Charles Ganty aufgesucht.

Einer der Zwischenhalte ist die Schlenkhoffstraße in Gelsenkirchen-Buer.

Von Horst geht es weiter in den Stadtteil Schalke, hier erinnern zwei Stolpersteine in der Liebfrauenstraße an die beiden kommunistischen Widerstandskämpfer Rudolf Littek und Fritz Rahkob, wobei auch die Ehefrau Emma Rahkob nicht vergessen werden wird. Über das Alfred-Zingler-Haus, wo eine Erinnerungsortetafel an das sozialdemokratische Ehepaar Margarethe und Alfred Zingler erinnert, geht es in die Innenstadt zum Heinrich-König-Platz. Hier wird an den Widerstand aus der katholischen wie der evangelischen Kirche erinnert und an den Ernst-Käsemann-Platz im Stadtteil Rotthausen hingewiesen, der leider nicht in die Tour aufgenommen werden konnte. Nach dem Besuch des Stolpersteins für Erich Lange, einem jungen Mann der vor der Machtübertragung an die Nazis 1933 von der SS zum Kampfbund gegen den Faschismus übergetreten war, geht es zum letzten Halt vor dem Werner-Goldschmidt-Salon, der an einen jüdischen Widerstandskämpfer erinnert.

Die Strecke ist sehr anspruchsvoll, sie umfasst etwa 20 Kilometer und schon die reine Fahrtzeit ohne Zwischenhalte würde schon bei einer gemächlichen Fahrt rund 90 Minuten dauern. Beginn der Fahrrad-Demo ist 10.30 Uhr in Buer, die Abfahrt ist für 11.00 Uhr geplant. Voraussichtliche Ankunft in Gelsenkirchen ist für etwa 14 Uhr geplant, im Werner-Goldschmidt-Salon wird es die Möglichkeit geben, die Toilette zu benutzen.

Die Demonstration ist von der Polizei genehmigt und wird mit den üblichen Hygienemaßnahmen (Abstand halten, Mundschutz während der Zwischenhalte) durchgeführt. Kurze Ansprachen während der Zwischenhalte werden über ein Megafon erfolgen, damit die Abstände auch eingehalten werden können. Ferner ist geplant, diese Tour später auch als individuelle Tour im Internet anzubieten.

Als weitere Aktivitäten sind zwei Online-Podiumsdebatten zur Historischen Verantwortung am 7. Mai sowie zum aktuellen faschistischen Terror am 8. Mai vorgesehen, sowie drei Stadtrundgänge in Gelsenkirchen, Buer und Horst am 9. bzw. 13. Mai. Zwei geplante Filmvorführungen, die vor den Podiumsdiskussionen geplant waren, musste das Bündnis leider auf einen späteren Termin verschieben, da sie unter den derzeitigen Einschränkungen nicht durchgeführt werden können. Eine Programmübersicht (Flyer) kann von der Seite der VVN-BdA Gelsenkirchen heruntergeladen werden, weitere Informationen und eine Übersicht sind hier zu finden.

Die Qual der (Bundestags-)Wahl

Das Reichstagsgebäude in Berlin als Sitz des Deutschen Bundestages.

Während ich zur Kommunalwahl mit „Die Qual der (Kommunal-)Wahl“ titelte, weil die Auswahl mir bekannter engagierter lokaler Akteure so groß war, dass ich mich nur schwer entscheiden konnte, habe ich für die anstehende Bundestagswahl das Problem, überhaupt eine (für mich) wählbare Partei zu finden. Allerdings ist bis September noch einige Zeit hin und wer weiß, was noch alles bis dahin passiert. Insgesamt sind meine Erwartungen an die nächste Bundesregierung, egal nach welcher Farbenlehre, eher niedrig. Für sehr viel wichtiger als die nächste Bundesregierung halte ich das zivilgesellschaftliche Engagement vieler Menschen für die wichtigen Fragen unserer Zeit.

Neu ist in diesem Bundestagswahlkampf, dass nicht mehr zwei große Volksparteien je einen Bundeskanzlerkandidaten nominieren, sondern drei mittelgroße Parteien je eine:n Bundeskanzlerkandidat:in. Naja, wenn man ehrlich sein will, handelt es sich bei Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Armin Laschet (CDU) um zwei Bundeskanzlerkandidat:innen und bei Olaf Scholz (SPD) eher um einen Vizebundeskanzlerkandidaten, denn die Möglichkeit, dass die SPD die nächste Bundesregierung anführt, dürfte angesichts der derzeit zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse zu vernachlässigen sein. Aber man weiß ja nie.

Zu den Parteien, mit denen ich grundsätzlich sympathisiere und die auch eine realistische Chance haben, in den nächsten Deutschen Bundestag einzuziehen, gehören neben SPD und Bündnis 90/Die Grünen auch DIE LINKE. Dummerweise – für SPD und Bündnis 90/Die Grünen – habe ich diese beiden Parteien schon einmal in einer gemeinsamen Koalition auf Bundesebene ab 1998 erlebt. Ich bekenne mich hier (nicht zum ersten Mal) als gebranntes Kind, das nach 16 Jahren CDU/CSU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl begeistert die rotgrüne Bundesregierung 1998 begrüßt (und gewählt) hatte und noch heute von ihren Ergebnissen entsetzt ist.

Denn es waren ausgerechnet die SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Deutschland 1999 an einem völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien beteiligt haben, und dies mit der angeblichen Verhinderung eines neuen Auschwitz begründet hatten. Kritiker haben Äußerungen der Minister Scharping (SPD, Verteidigungsminister) und Fischer (Bündnis 90/Die Grünen, Außenminister) damals als Verharmlosung des Holocaust und als „neue Auschwitzlüge“ bezeichnet. Und vor allem in diesem Jahr sollte das „Bonmot“ des SPD-Verteidigungsministers Struck aus dem Jahre 2002, nach der angeblich Deutschlands Sicherheit „am Hindukusch verteidigt“ werde, nicht in Vergessenheit geraten. Mit dem angekündigten Abzug der westlichen Armeen einschließlich der Bundeswehr aus Afghanistan dürfte klar geworden sein, dass mit militärischen Mitteln kein Frieden zu schaffen ist.

Doch nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch hatte die rotgrüne Bundesregierung mit ihrer Agenda 2010 eine Politik betrieben, die ich bis dahin nur einer CDU/CSU/FDP-Regierung zugetraut hätte. Der neoliberale Umbau des Sozialstaats durch die vier „Hartz-Gesetze“ (eigentlich schönfärberisch: Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) haben nicht zuletzt auch die Branche, in der ich seit 20 Jahren übrigens gerne arbeite, radikal beschädigt und nachhaltig Strukturen zerstört.

Interessanterweise hat die neoliberale Politik der SPD erheblich geschadet und ihren „Markenkern“ nachdrücklich beeinträchtigt, während die Bündnisgrünen ihre vorherige friedenspolitische Orientierung (die offenbar gar kein Markenkern war) rückblickend gesehen unbeschadet abstoßen konnten. Für die SPD bedeutete das Ergebnis dieser Politik eine babylonische Gefangenschaft in einer „großen“ Koalition mit CDU/CSU, in denen sie kleinere Reparaturen an den Auswirkungen von Hartz IV durchführen durfte, und den gegenwärtig dritten Platz im Parteiensystem nach den Unionsparteien und den auf den zweiten Platz aufgestiegenen Bündnis 90/Die Grünen in den Umfragen.

Neben SPD und Bündnis 90/Die Grünen bleibt noch DIE LINKE als für mich prinzipiell wählbare Partei übrig. Zwar habe ich mich sehr über die Wahl der beiden neuen Parteivorsitzenden gefreut. Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow vereinen Ost und West sowie, soweit ich das recherchieren konnte, eine pragmatische und eine radikale Richtung. Besser kann eine linke Partei einen Aufbruch kaum deutlich machen, die ja im Gegensatz zur Union kein Kanzlerwahlverein ist! Doch äußerst irritiert hat mich die Aufstellung von Sarah Wagenknecht, die als Spitzenkandidatin die NRW-Landesliste anführt. Ihre zurückliegenden Aktivitäten, der von ihr konstruierte Gegensatz zwischen Identitätspolitik und Sozialpolitik und ihre Positionierung gegen ihre eigene Partei haben mich ziemlich ratlos zurückgelassen.

Kleiner Exkurs
Der Aufstieg von Bündnis 90/Die Grünen zeigt einen gewaltigen Wandel in unserem Parteiensystem an. Hatte sich in der alten Bundesrepublik ein stabiles Parteiensystem aus den beiden großen Volksparteien CDU/CSU und SPD sowie einer FDP, die prinzipiell mit beiden Volksparteien koalitionsfähig war, gebildet, begann der heute klar erkennbare Wandel mit dem erstmaligen Einzug der Die Grünen 1983 als neue Partei in den Deutschen Bundestag. Damals erzielten CDU/CSU 48,8 %, SPD 38,2 %, FDP 7 % und Die Grünen 5,6 %. Durch die Vereinigung beider deutscher Staaten 1990 veränderte sich das Parteiensystem weiter. In den ostdeutschen Bundesländern trat die PDS hinzu und zeitweilig waren in ostdeutschen Landtagen mit CDU, SPD und PDS nur drei etwa gleichgroße Parteien vertreten. Schließlich führte die neoliberale Politik der SPD zur Gründung der WASG, die mit der PDS zur DIE LINKE fusionierte und anfangs große Wahlerfolge erzielen konnte. Doch ähnlich wie in den 1960er Jahren in der alten Bundesrepublik führte die große Koalition aus CDU/CSU und SPD zu einem Erstarken einer Partei rechts von der Union. Scheiterte die NPD zur Bundestagswahl 1969 noch mit 4,3 % an der 5 %-Hürde, gelang der AfD inzwischen der erfolgreiche Einzug in alle Länderparlamente und in den Deutschen Bundestag. In Gelsenkirchen ist die AfD bei der letzten Kommunalwahl sogar, wenn auch ganz knapp, drittstärkste Partei vor Bündnis 90/Die Grünen und nach SPD und CDU geworden.

Korrektur einiger Formulierungen.

„Veränderung beginnt mit Opposition!“

Foto aus dem Jahre 2008.

Zu meinem Leidwesen hat die SPD auch in Gelsenkirchen wie schon oft anderswo eine sogenannte „Große“ Koalition mit der CDU geschlossen. Ich mag meine Kritik an dieser mutlosen Politik nicht noch einmal wiederholen, sie findet sich an mehreren Stellen in diesem Blog. Franz Müntefering (SPD) hat diese alternativlose Politik mal mit dem Satz „Opposition ist Mist!“ begründet. Eine andere Partei, auf Bundesebene zum Glück noch immer weit von einer Regierungsbeteiligung entfernt, erklärte ihren politischen Anspruch dagegen früher mal mit dem Satz „Veränderung beginnt mit Opposition!“ Nun war und ist auch DIE LINKE in ostdeutschen Ländern an Regierungen beteiligt oder beteiligt gewesen, in Gelsenkirchen war sie jedoch bislang immer in der Opposition.

Wer den jüngsten Bericht auf der Webseite der Gelsenkirchener Linkspartei „Konstituierende Ratssitzung – alles bleibt wie gehabt!“ genau gelesen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass von der vorgeblichen Koalition der Einladung, wie die scheingroße Koalition aus den Reihen der SPD bezeichnet worden ist, bereits in der ersten Ratssitzung nichts übrig geblieben ist. Martin Gatzemeier, Fraktionsvorsitzender der DIE LINKE, fasste das folgerichtig zusammen: „War es in den letzten sechs Jahren die SPD allein, die mit ihrer Stimmenmehrheit ihre ureigensten Pläne verfolgte und durchsetzte, so sind es jetzt SPD und CDU gemeinsam, die mit ihrer Mehrheit alle anderen im Rat vertretenen Parteien blockieren werden.“

Auf der Webseite der WAZ kann man unter der Überschrift „Linke in Gelsenkirchen kämpft weiter gegen soziale Unwucht“ vor der Bezahlschranke noch den Anreißer „Die Linke sieht sich in Gelsenkirchen als Sprachrohr ‚für die untere Hälfte der Gesellschaft‘. So wollen ihre Stadtverordneten künftig agieren.“ lesen. So sinnvoll es ist, auf den in meinen Augen selbstverständlichen „Markenkern“ hinzuweisen, sollte das jedoch nicht alles gewesen sein, was linke Politik in Gelsenkirchen ausmacht. Schließlich spricht nichts dagegen, bereits in der Opposition Koalitionen mit demokratischen Partnern zu schmieden. Selbst wenn nach Prozentpunkten die AfD die größte Oppositionspartei ist, könnten mehrere demokratische Oppositionsparteien die Meinungsführerschaft in der Opposition erlangen – übrigens nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen die scheingroße Koalition aus SPD und CDU.

Veränderung beginnt mit Opposition! Also macht was draus!

Mutlose SPD geht in scheingroße Koalition mit der CDU

Das Bild von Gelsenkirchen außerhalb Gelsenkirchens – und bei 12,9 % der Gelsenkirchener Wähler.

Wie die WAZ online in einer Überschrift mitteilt (hier), will die Gelsenkirchener SPD gemeinsam mit der CDU regieren. Viel mehr habe ich dem Artikel, da er sich hinter der Bezahlschranke „WAZ +“ befindet, nicht entnehmen können. Viel mehr wird wohl auch nicht drin gestanden haben. Vermutlich beschwört die SPD wie immer stabile Verhältnisse, die Gelsenkirchen nötig habe und für die es eine stabile Zusammenarbeit braucht. Das ist derselbe Stil (nicht Inhalt) einer Politik, mit der die SPD schon 1914 den kaiserlichen Kriegskrediten zugestimmt hatte.

Ein Bündnis aus SPD und CDU heißt natürlich nur noch aus Tradition „Große Koalition“. Bei einem Kinderbuch von Michael Ende mit dem Titel „Jim Knopf und Karin die Lokomotivführerin“ wäre daraus eine scheingroße Koalition geworden, die beim näheren Hinschauen immer weiter zusammenschrumpft. Was soll diese Koalition denn für Gelsenkirchen auf den Weg bringen außer Stillstand? Wie wenig SPD und CDU für die Wähler von Bedeutung sind, zeigte zuletzt die Stichwahl zur Oberbürgermeister*in. Die Kandidat*innen beider Parteien haben es nicht geschafft, Wähler über ihre eigenen Partei-Anhänger hinaus zu mobilisieren.

In einer Stadt, in der die sogenannte „Alternative für Deutschland“ drittstärkste Kraft nach SPD und CDU und vor den Bündnisgrünen geworden ist, wünsche ich mir von einer sozialdemokratischen Partei einfach mehr Mut zu demokratischer Zusammenarbeit. SPD und CDU bringen zusammen 51 von 88 Sitzen auf die Waage. Rechnerisch möglich sind aber auch eine rotgrünrote Koalition mit 45 oder eine bunte Ampelkoalition mit 46 Sitzen. Vielleicht hätte man auch noch mit WIN und der Die PARTEI sprechen können. Doch stattdessen geht man in der SPD den Weg des geringsten Widerstands. Schade! Unsere Stadt hätte weitaus besseres verdient, als von Scheinriesen verwaltet zu werden!

Demokratie ohne Demokraten …

Ich habe gewählt!

Die ohnehin niedrige Wahlbeteiligung zur Kommunalwahl, in Gelsenkirchen lag sie am 13.09.2020 bei 41,6 %, ist zur Stichwahl zur Wahl des*der Oberbürgermeister*in erwartungsgemäß erneut gesunken, auf unterirdische 26,6 %. Ein Viertel der Wahlberechtigten Gelsenkirchener ist nur zur Wahl gegangen, drei Viertel sind zu Hause geblieben. Die verkündeten Prozentzahlen, 59,4 % der Stimmen für Karin Welge (SPD) und 40,6 % für Malte Stuckmann (CDU) sind daher nur sehr begrenzt aussagefähig.

Wesentlich aussagekräftiger sind die absoluten Zahlen der abgegebenen Stimmen. Zur Kommunalwahl am 13.09.2020 erhielt Karin Welge 31.341 Stimmen, zur Stichwahl nur noch 29.397, sie hat also 1.944 Stimmen verloren. Malte Stuckmann hingegen hat 633 Stimmen hinzugewonnen, er kam von 19.468 Stimmen am 13.09.2020 auf 20.101 Stimmen bei der Stichwahl am heutigen Sonntag.

Mit anderen Worten: keine*r der beiden Kandidat*innen hat es geschafft, zur Stichwahl erhebliche Stimmen hinzuzugewinnen, im Wesentlichen haben beide ihr altes Ergebnis reproduziert. Und diejenigen, die zur Kommunalwahl einen der anderen Oberbürgermeisterkandidat*innen gewählt hatten, werden wohl weit überwiegend nicht zur (Stich-)Wahl gegangen sein.

Man könnte sich jetzt fragen, wozu es eine Stichwahl brauchte. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Bündnisgrünen PatJe, die darauf hinweist, dass es keine*r der beiden Oberbürgermeisterkandidat*innen geschafft hat, ein über ihre Partei hinausgehendes Bündnis zu schmieden, etwas, das in anderen Städten möglich war.

Wahlsiegerin ist, wie auf der Webseite der Stadt Gelsenkirchen zu lesen ist, die 57-jährige bisherige Kämmerin und Stadtdirektorin Karin Welge. Mit ihr steht zum ersten Mal in der 145-jährigen Geschichte der Stadt eine Frau an der Spitze Gelsenkirchens. Ihr neues Amt wird sie am 1. November 2020 antreten.

Mehr Sozialdemokratie wagen (III)

Das Bild von Gelsenkirchen außerhalb Gelsenkirchens.

Seit SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Bundes- und Länderebene keine eigenen Mehrheiten mehr auf die Beine stellen, schwelt die Diskussion um eine rotrotgrüne oder rotgrünrote oder grünrotrote Koalition als Machtoption. Erst unlängst haben die beiden als links geltenden SPD-Vorsitzenden sich für eine solche Koalition ausgesprochen. In Gelsenkirchen besteht seit der Kommunalwahl diese Möglichkeit – neben einer sogenannten „großen“ Koalition. Für schwarzgrün, eine weitere Machtoption der Bündnisgrünen, reicht es in der Stadt der tausend erloschenen Feuer dagegen nicht, auch Thüringer Verhältnisse sind glücklicherweise nicht zu erwarten.

Im Einzelnen: für eine Mehrheit im neuen Rat der Stadt werden 45 Stimmen benötigt. Eine rotgrünrote Koalition hätte also eine Mehrheit, denn SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE haben zusammen genau 45 Sitze. Auch die traditionell „groß“ genannte Koalition aus SPD und CDU hätte mit 51 Stimmen eine Mehrheit. Für schwarzgrün reicht es dagegen mit 31 Sitzen nicht. Auch Thüringer Verhältnisse sind in Gelsenkirchen nicht zu erwarten, denn CDU, AfD und FDP haben zusammen nur 35 Stimmen.

Einen ersten Hinweis darauf, wie sich die Parteien in Gelsenkirchen in dieser Frage aufstellen, könnte die Unterstützung des*der Oberbürgermeisterkandidat*in geben. Doch anders als in Dortmund, wo sich Bündnis 90/Die Grünen für den CDU-Kandidaten ausgesprochen haben und der SPD ein Herzkammerflimmern bescheren oder dem gemeinsamen OB-Kandidaten von SPD und den Bündnisgrünen in Bochum, haben sich die Gelsenkirchener Mitglieder der Bündnisgrünen nicht für eine*n der beiden Kandidat*innen in der Stichwahl am Sonntag ausgesprochen.

Doch auch das ist schon ein möglicher Hinweis darauf, wie in Zukunft SPD, CDU und die Bündnisgrünen Mehrheiten im Rat der Stadt organisieren werden. Und wenn die SPD auf Bundesebene weiter schrumpft, wäre sie in einer solchen Koalition immer noch eine nützliche dritte Kraft – falls sie dann als Mehrheitsbeschafferin von CDU und Bündnisgrünen noch benötigt wird.

Warum ich am 27.9. Karin Welge (SPD) wähle

SPD Gelsenkirchen setzt sich für die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA NRW ein!

Am 27. September 2020 findet die Verlängerung der diesjährigen Kommunalwahl statt, die Stichwahl zwischen Karin Welge (SPD) und Malte Stuckmann (CDU), die beide für das Amt der*des Oberbürgermeister*in kandidieren. Zur Kommunalwahl erzielte keine der beiden Kandidat*innen eine absolute Mehrheit, Karin Welge kam auf 40,4 %, Malte Stuckmann auf 25,1 %. Ich werde Karin Welge wählen, bedanken darf sie sich bei jenen in ihrer Partei (siehe Bild links), die sich für die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA in Nordrhein-Westfalen eingesetzt haben. Antifaschismus ist gemeinnützig!

Mehr Sozialdemokratie wagen (II) – „Nur Nixon konnte nach China gehen“

Das Reichstagsgebäude in Berlin als Sitz des Deutschen Bundestages.

Mitten in dieser Gemengelage aus Corona-Pandemie, Sommerloch und NRW-Kommunalwahlkampf gibt die SPD ihren nächsten Bundeskanzlerkandidaten bekannt: Olaf Scholz. Die Reaktionen, auch der Medien, sind vermischt. Gut getimt haben die beiden als links geltenden SPD-Vorsitzenden ihre Wortmeldungen kurz zuvor, als sie für ein Bündnis aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sprachen. Auch der – wie wir jetzt erfahren bereits vor einem Monat gekürte – Kanzlerkandidat spricht sich dafür aus, die CDU in die Opposition zu schicken und wirbt dafür um die Wähler der sogenannten „Mitte“ für die SPD.

Nun steht Olaf Scholz erkennbar für die alte, neoliberale Politik der SPD, für die Agenda 2010-Politik der alten rotgrünen Bundesregierung, für Hartz IV und kleinere Reparaturen an dessen Auswirkungen. Die Ergebnisse dieser Politik sind bekannt: eine babylonische Gefangenschaft der SPD in einer „großen“ Koalition mit CDU/CSU und den gegenwärtig dritten Platz im Parteiensystem nach den Unionsparteien und Bündnis 90/Die Grünen in den Umfragen.

Doch vielleicht ist der neoliberale Sozialdemokrat Olaf Scholz tatsächlich der richtige Kanzlerkandidat, um die SPD aus dieser Misere herauszuführen, ihr eine Machtperspektive jenseits von CDU/CSU zu eröffnen und im nächsten Jahr eine rotgrünrote Bundesregierung anzuführen?

Bekennende Star Trek-Fans kennen den Satz „Nur Nixon konnte nach China gehen“ aus dem VI. Kinofilm, „Das unentdeckte Land“ (1991). Dort wird er von Mr. Spock als „altes vulkanisches Sprichwort“ zitiert, obwohl sich das Sprichwort auf eine sehr irdische Angelegenheit bezieht, nämlich der Verbesserung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und den USA 1972 durch den Besuch des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon. Bei dem durch seine antikommunistische Haltung bekannte Nixon konnte der Besuch nicht als ein Zeichen der Schwäche gegenüber dem kommunistischen China ausgelegt werden, sondern als Zeichen der Stärke der USA. Auch im VI. Star Trek-Film gilt Captain James T Kirk als alter Hardliner und Gegner der Klingonen, der ihnen den ersten Ölzweig überreichen und zugleich Gegner in den eigenen Reihen abschrecken soll.

Eine Koalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Bundesebene stünde beständig unter einem erheblichen Rechtfertigungsdruck, besonders aus den eigenen Reihen der drei Parteien. Diesem Druck könnte eine von Olaf Scholz angeführte Regierung möglicherweise besser aushalten und entgegenwirken, als andere Konstellationen.

Doch abgesehen von einem Machtzugewinn für die SPD stellt sich die Frage, welche bessere Politik wir von einer solchen Koalition zu erwarten haben? Schließlich kann ja eine starke SPD kein Selbstzweck sein! In diesem Zusammenhang wird gerne ein nicht belegtes Zitat von Willy Brandt genannt: „Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein.“ Ich bekenne mich hier (nicht zum ersten Mal) als gebranntes Kind, das nach 16 Jahren Helmut Kohl-Regierung begeistert die rotgrüne Bundesregierung 1998 begrüßt (und gewählt) hatte und noch heute von ihren Ergebnissen entsetzt ist. Diese Regierung hat nicht nur innenpolitisch den Sozialstaat deformiert, sondern sich außenpolitisch an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligt.

Die Frage also, für welche Politik eine Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Bundesebene tatsächlich stehen würde, ist für mich daher aus guten Gründen noch überhaupt nicht beantwortet. Man schaue sich nur die Politik der entsprechenden Landesregierungen an …