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Feige schweigende Ratsmehrheit gegen mehr Transparenz!

Das Hans-Sachs-Haus, Rathaus der Stadt Gelsenkirchen. Doch wirklich transparent sind nur die Glasscheiben der Fenster.

Wie ich den sozialen Medien entnehmen konnte, gab es im Rat der Stadt Gelsenkirchen keine Mehrheit dafür, in Zukunft Ratssitzungen per Livestream an die Öffentlichkeit zu bringen. In demokratischer Umnachtung hat eine schweigende Mehrheit dagegen gestimmt ohne sich zu den Gründen zu äußern.

Bündnis 90/Die Grünen, schon länger eine Verfechterin von Livestream-Übertragungen aus dem Rat der Stadt Gelsenkirchen, hatten nach einem ersten Versuch 2014 nun erneut einen Antrag – gemeinsam mit der Die PARTEI – für die Ratsitzung am 04.03.2021 gestellt. Rechtliche und technische Voraussetzungen waren bereits zuvor durch die Verwaltung geprüft worden und so stand dem Vorhaben eigentlich nichts im Wege.

Doch eine schweigende Mehrheit stimmte grundsätzlich gegen einen Livestream aus dem Rat der Stadt – und mehr: es gab zwar „flammende Reden für den livestream“, „aber von 47 Stadtverordneten nicht eine Gegenrede“. In der – geheimen – Abstimmung gab es dann 22 Ja-Stimmen und 26 Nein-Stimmen.

Offenkundig hat eine Mehrheit der demokratisch gewählten Abgeordneten eine solche Angst vor Transparenz und Öffentlichkeit, dass sie sich noch nicht einmal im Rat der Stadt öffentlich dagegen äußern wollen. Über die Gründe kann die Öffentlichkeit daher nur raten. Sich hinter den Mauern des Hans-Sachs-Hauses zu verschanzen, ist aber gerade in Zeiten wachsender Politikerverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit – man erinnere sich nur an die Wahlbeteiligung zur Kommunalwahl – keine gute Lösung, sondern ein demokratisches Armutszeugnis.

Nachtrag: Noch merkwürdiger als ich dachte
Wie ich inzwischen feststellen musste, ist der ganze Vorgang noch viel merkwürdiger. Es lagen zwei Anträge für einen Lifestream vor, sowohl von Bündnis 90/Die Grünen und Die PARTEI als auch von SPD, CDU, FDP und Tierschutz hier! Daraus könnte man auf eine grundsätzlich große Mehrheit bei Unterschieden im Detail schließen. Es ging dann in der Abstimmung zunächst auch nur um die grundsätzliche Frage (das war ein weiterer Antrag seitens SPD/CDU), bevor man sich den einzelnen Anträgen zuwenden wollte. Doch genau in der – geheimen – Abstimmung über die grundsätzliche Frage lehnte eine Mehrheit des wegen Corona reduzierten Rats der Stadt den Livestream aus dem Rat der Stadt generell ab. – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

„Veränderung beginnt mit Opposition!“

Foto aus dem Jahre 2008.

Zu meinem Leidwesen hat die SPD auch in Gelsenkirchen wie schon oft anderswo eine sogenannte „Große“ Koalition mit der CDU geschlossen. Ich mag meine Kritik an dieser mutlosen Politik nicht noch einmal wiederholen, sie findet sich an mehreren Stellen in diesem Blog. Franz Müntefering (SPD) hat diese alternativlose Politik mal mit dem Satz „Opposition ist Mist!“ begründet. Eine andere Partei, auf Bundesebene zum Glück noch immer weit von einer Regierungsbeteiligung entfernt, erklärte ihren politischen Anspruch dagegen früher mal mit dem Satz „Veränderung beginnt mit Opposition!“ Nun war und ist auch DIE LINKE in ostdeutschen Ländern an Regierungen beteiligt oder beteiligt gewesen, in Gelsenkirchen war sie jedoch bislang immer in der Opposition.

Wer den jüngsten Bericht auf der Webseite der Gelsenkirchener Linkspartei „Konstituierende Ratssitzung – alles bleibt wie gehabt!“ genau gelesen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass von der vorgeblichen Koalition der Einladung, wie die scheingroße Koalition aus den Reihen der SPD bezeichnet worden ist, bereits in der ersten Ratssitzung nichts übrig geblieben ist. Martin Gatzemeier, Fraktionsvorsitzender der DIE LINKE, fasste das folgerichtig zusammen: „War es in den letzten sechs Jahren die SPD allein, die mit ihrer Stimmenmehrheit ihre ureigensten Pläne verfolgte und durchsetzte, so sind es jetzt SPD und CDU gemeinsam, die mit ihrer Mehrheit alle anderen im Rat vertretenen Parteien blockieren werden.“

Auf der Webseite der WAZ kann man unter der Überschrift „Linke in Gelsenkirchen kämpft weiter gegen soziale Unwucht“ vor der Bezahlschranke noch den Anreißer „Die Linke sieht sich in Gelsenkirchen als Sprachrohr ‚für die untere Hälfte der Gesellschaft‘. So wollen ihre Stadtverordneten künftig agieren.“ lesen. So sinnvoll es ist, auf den in meinen Augen selbstverständlichen „Markenkern“ hinzuweisen, sollte das jedoch nicht alles gewesen sein, was linke Politik in Gelsenkirchen ausmacht. Schließlich spricht nichts dagegen, bereits in der Opposition Koalitionen mit demokratischen Partnern zu schmieden. Selbst wenn nach Prozentpunkten die AfD die größte Oppositionspartei ist, könnten mehrere demokratische Oppositionsparteien die Meinungsführerschaft in der Opposition erlangen – übrigens nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen die scheingroße Koalition aus SPD und CDU.

Veränderung beginnt mit Opposition! Also macht was draus!

„8. Mai zum Feiertag machen“ Thema im Rat der Stadt Gelsenkirchen

Pressetermin des Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung am 03.06.2020 am VVN-Mahnmal im Stadtgarten (Foto Jonas Selter).

In Unterstützung der Kampagne des Gelsenkirchener Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung, die Forderung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano und der VVN-BdA, den 8. Mai zum Feiertag zu machen, hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellvertretend für das Aktionsbündnis einen Antrag an den Rat der Stadt eingebracht, um das Thema in der Ratssitzung am 25. Juni 2020 zu diskutieren und zu beschließen. Hier der Antrag und die ausführliche und lesenswerte Begründung im Wortlaut. Die Links stammen natürlich nicht aus dem Ratsinformationssystem.

Zur Sitzung des Rates der Stadt Gelsenkirchen am 25. Juni 2020 beantragt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN folgenden Tagesordnungspunkt:

8. Mai zum bundesweiten Feiertag erheben

Der Rat der Stadt Gelsenkirchen beschließt:
Die Stadt Gelsenkirchen unterstützt die Forderung der Holocaust-Überlebenden und Vorsitzenden des Auschwitz-Komitees in der Bundesrepublik Deutschland e. V, Esther Bejarano, den 8. Mai zum bundesweiten Feiertag zu erheben. Die Gelsenkirchener Stadtverwaltung setzt sich mit allen der Kommune zur Verfügung stehenden Mitteln öffentlich, auf Verbandsebene sowie insbesondere beim Land NRW und auf Bundesebene für die Erreichung dieses Zieles ein.

Des Weiteren beantragt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Rahmen des Tagesordnungspunktes, den Vertreter*innen des „Gelsenkirchener Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung“ Rederecht einzuräumen.

Begründung:

Das „Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung“ hat mit einem offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen sowie an die demokratischen Fraktionen im Rat der Stadt dazu aufgerufen, die Initiative von Esther Bejarano zu unterstützen, den 8. Mai zum bundesweiten Feiertag zu erheben. Unter dem Motto #GEfeiert8Mai hat das Bündnis zudem eine Kampagne gestartet, über die die Stadtgesellschaft über die Initiative informiert wird und die eigene Unterstützung bekundet werden kann.
Die GRÜNE Ratsfraktion möchte mit diesem Antrag dazu beitragen, dass das Anliegen des Bündnisses auf kommunalpolitischer Ebene zur Befassung kommt und bringt stellvertretend für das Bündnis die entsprechende Forderung ein.

Im offenen Brief heißt es nämlich: „Natürlich wissen auch wir, dass die Stadt Gelsenkirchen formal nicht für die Bestimmung bundesweiter Feiertage zuständig ist. Ein entsprechendes Votum wäre dennoch, in Verbindung mit vergleichbaren Initiativen anderer Kommunen und Organisationen, ein wichtiges Signal sowohl an die lokale Einwohnerschaft wie an die politisch Verantwortlichen in Land und Bund, sich in diesem Sinne zu engagieren. Aus diesem Grund fordern wir Sie und den Rat der Stadt Gelsenkirchen dazu auf, sich mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden politischen und administrativen Mitteln dafür einzusetzen, dass der 8. Mai zum bundesweiten gesetzlichen Feiertag erklärt wird.“
In der von Esther Bejarano Anfang 2020 gestarteten Petition heißt es unter anderem: „Ich überlebte als Mitglied des „Mädchenorchesters“ das deutsche Vernichtungslager Auschwitz und konnte vor 75 Jahren auf dem Todesmarsch der Häftlinge des KZ-Ravensbrück der SS entkommen. Ich bin Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der BRD e.V und Ehrenpräsidentin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.
Ich fordere: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes.“
Diese Petition haben bislang mehr als 100.000 Bundesbürger*innen unterzeichnet. Sie bekräftigen damit die Forderung, dem 8. Mai endlich auch in Deutschland jene Bedeutung beizumessen, die er in vielen europäischen Ländern seit jeher als Tag der Befreiung von der NS-Herrschaft besitzt.

Für die Stadt Gelsenkirchen gibt es insbesondere drei Gründe, diese Initiative ebenfalls zu unterstützen.
Der 8. Mai 1945, der sich 2020 zum 75. Mal jährt, ist die Geburtsstunde der heutigen demokratischen kommunalen Selbstverwaltung.
Der 8. Mai war nicht nur das Ende des vom NS-Faschismus ausgegangenen Zweiten Weltkrieges, eines aggressiven Eroberungs- und Vernichtungskrieges, in dessen Schatten auch der Holocaust stattgefunden hatte. Er markiert zugleich die Befreiung von der NS-Diktatur, die bereits 1933 als eine ihrer ersten Maßnahmen die kommunale Selbstverwaltung der Weimarer Republik zerstört und durch das Führerprinzip ersetzt hatte. Erst der 8. Mai 1945 schuf die Voraussetzungen für den demokratischen Wiederaufbau der Kommunen.
Diese Tatsache wird auf kommunaler Ebene bislang viel zu wenig gewürdigt. Der 8. Mai wäre das geeignete Datum, die Bedeutung dieser historischen Errungenschaft für die hiesige Bevölkerung dauerhaft bewusst zu halten und konkreter erlebbar zu machen.
Die Stadt Gelsenkirchen und ihre Bevölkerung waren vom Terror der NS-Diktatur, den Auswirkungen des Holocaust wie auch vom Krieg massiv betroffen. Die menschlichen und strukturellen Folgen sind bis heute wahrnehmbar:
Insgesamt verloren zwischen 1939 und 1945 rund 20.000 Gelsenkirchener Bürger*innen durch die Politik des NS-Regimes ihr Leben, darunter ca. 500 rassisch oder politisch Verfolgte, 7.000 Vermisste, 3.500 Zwangsarbeiter, 3.000 Bombenopfer und 10.340 tote Gelsenkirchener Soldaten.
Die massiven Luftangriffe der letzten Kriegsjahre legten nicht nur große Teile der kriegswichtigen Industrieanlagen, sondern auch der Wohnstadtteile in Schutt und Asche und zerstörten damit auf Jahre hinaus die Lebensgrundlage von Hunderttausenden.

Das Aufrüstungsdiktat vor dem Krieg und die durch die Kriegszerstörungen verursachte Notwendigkeit zur Kohle- und Stahlproduktion für den Wiederaufbau nach dem Krieg verurteilten die Stadt Gelsenkirchen zur Aufrechterhaltung ihrer schwerindustriellen Monostruktur und verhinderten frühzeitig mögliche andere Entwicklungswege. Diese einseitige wirtschaftliche Orientierung erwies sich spätestens in der Kohle- und Stahlkrise als wirtschaftspolitische Sackgasse und wirkt sich bis heute als nachhaltige Langzeitfolge negativ auf die lokale Wirtschaftsstruktur, den Arbeitsmarkt und damit auf die Lebensqualität eines beträchtlichen Teils der Gelsenkirchener*innen aus.
Der 8. Mai als Feiertag wäre das geeignete Datum, diese historischen Zusammenhänge und die damit verbundene Verantwortung für den Frieden gerade in einer Stadt wie Gelsenkirchen insbesondere in der jüngeren Generation stärker als bisher bewusst zu machen und mit Leben zu füllen.
Das aktive Gedenken an den 8. Mai ist ein klares Zeichen gegen Rechts. Inzwischen leben nur noch wenige Menschen, die eigene Erinnerungen an die NSZeit und den 2. Weltkrieg haben. Stattdessen erleben wir seit den 1990er Jahren einen verstärkten Aufschwung rechter und rechtsextremer Parteien in unserer Stadt, angefangen von den Republikanern, über Pro NRW bis hin zur AfD, die alle in den Rat der Stadt eingezogen sind. Nach Hakenkreuzschmierereien und Morddrohungen gegenüber Politiker*innen erleben wir gerade in jüngster Zeit, wie sich rechte Strukturen auch in unserer Stadt herausbilden, wachsen und aktuelle Unsicherheiten für ihre Ziele auszunutzen versuchen.
Oberbürgermeister Frank Baranowski hat in seiner Rede am 9. November 2019 während der Gedenkveranstaltung der Demokratischen Initiative anlässlich der Reichspogromnacht angemerkt: „Wir stellen fest, dass auch in Deutschland antisemitische Einstellungen nicht verschwunden sind. (…) Zugleich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Rechtsextremismus kein Phänomen von Randgruppen ist.“ Dies dürften die Gelsenkirchener Demokraten nicht akzeptieren: „Und für Nazis gibt es eben keine Toleranz! Das darf nirgendwo in Deutschland der Fall sein, und schon gar nicht in unserer Stadt, Gelsenkirchen!“
Gegenüber der erstarkenden Rechten, die sich „das Land und die Geschichte“ zurückholen will und dabei gezielt die schwierige soziale Lage der Stadt sowie die daraus bei vielen Menschen hervorgerufene persönliche Unsicherheit ausnutzen, wäre es ein starkes demokratisches und antifaschistisches Signal, den 8. Mai bundesweit zum Feiertag zu erklären. Eine solche Aufwertung dieses Tages kann dazu beitragen, die Bedeutung der Befreiung 1945 für unsere heutige demokratische Verfassung stärker bewusst zu machen und ein konsequenteres politisches Handeln gegen rechts gerade auch vor Ort durchzusetzen. Der Tag könnte zudem gezielt für Bildungs- und Aufklärungsarbeit genutzt werden, an der sich im besten Fall zahlreiche Akteur*innen mit verschiedensten Angeboten im gesamten Stadtgebiet beteiligen.
Nicht zuletzt, diese eindeutige Zielsetzung bewegte den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, den Vorschlag ebenfalls zu unterstützen: „Der 8. Mai sollte gesetzlicher Feiertag werden – als ein Tag gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung jeglicher Form.“
Aus den genannten Gründen liegt es im Interesse der Stadt Gelsenkirchen und aller ihrer Bürger*innen, sich mit allen zur Verfügung stehenden politischen und administrativen Mitteln dafür einzusetzen, dass der 8. Mai zum bundesweiten gesetzlichen Feiertag erklärt wird.