Mehr Sozialdemokratie wagen (II) – „Nur Nixon konnte nach China gehen“

Das Reichstagsgebäude in Berlin als Sitz des Deutschen Bundestages.

Mitten in dieser Gemengelage aus Corona-Pandemie, Sommerloch und NRW-Kommunalwahlkampf gibt die SPD ihren nächsten Bundeskanzlerkandidaten bekannt: Olaf Scholz. Die Reaktionen, auch der Medien, sind vermischt. Gut getimt haben die beiden als links geltenden SPD-Vorsitzenden ihre Wortmeldungen kurz zuvor, als sie für ein Bündnis aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sprachen. Auch der – wie wir jetzt erfahren bereits vor einem Monat gekürte – Kanzlerkandidat spricht sich dafür aus, die CDU in die Opposition zu schicken und wirbt dafür um die Wähler der sogenannten „Mitte“ für die SPD.

Nun steht Olaf Scholz erkennbar für die alte, neoliberale Politik der SPD, für die Agenda 2010-Politik der alten rotgrünen Bundesregierung, für Hartz IV und kleinere Reparaturen an dessen Auswirkungen. Die Ergebnisse dieser Politik sind bekannt: eine babylonische Gefangenschaft der SPD in einer „großen“ Koalition mit CDU/CSU und den gegenwärtig dritten Platz im Parteiensystem nach den Unionsparteien und Bündnis 90/Die Grünen in den Umfragen.

Doch vielleicht ist der neoliberale Sozialdemokrat Olaf Scholz tatsächlich der richtige Kanzlerkandidat, um die SPD aus dieser Misere herauszuführen, ihr eine Machtperspektive jenseits von CDU/CSU zu eröffnen und im nächsten Jahr eine rotgrünrote Bundesregierung anzuführen?

Bekennende Star Trek-Fans kennen den Satz „Nur Nixon konnte nach China gehen“ aus dem VI. Kinofilm, „Das unentdeckte Land“ (1991). Dort wird er von Mr. Spock als „altes vulkanisches Sprichwort“ zitiert, obwohl sich das Sprichwort auf eine sehr irdische Angelegenheit bezieht, nämlich der Verbesserung der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und den USA 1972 durch den Besuch des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon. Bei dem durch seine antikommunistische Haltung bekannte Nixon konnte der Besuch nicht als ein Zeichen der Schwäche gegenüber dem kommunistischen China ausgelegt werden, sondern als Zeichen der Stärke der USA. Auch im VI. Star Trek-Film gilt Captain James T Kirk als alter Hardliner und Gegner der Klingonen, der ihnen den ersten Ölzweig überreichen und zugleich Gegner in den eigenen Reihen abschrecken soll.

Eine Koalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Bundesebene stünde beständig unter einem erheblichen Rechtfertigungsdruck, besonders aus den eigenen Reihen der drei Parteien. Diesem Druck könnte eine von Olaf Scholz angeführte Regierung möglicherweise besser aushalten und entgegenwirken, als andere Konstellationen.

Doch abgesehen von einem Machtzugewinn für die SPD stellt sich die Frage, welche bessere Politik wir von einer solchen Koalition zu erwarten haben? Schließlich kann ja eine starke SPD kein Selbstzweck sein! In diesem Zusammenhang wird gerne ein nicht belegtes Zitat von Willy Brandt genannt: „Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein.“ Ich bekenne mich hier (nicht zum ersten Mal) als gebranntes Kind, das nach 16 Jahren Helmut Kohl-Regierung begeistert die rotgrüne Bundesregierung 1998 begrüßt (und gewählt) hatte und noch heute von ihren Ergebnissen entsetzt ist. Diese Regierung hat nicht nur innenpolitisch den Sozialstaat deformiert, sondern sich außenpolitisch an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligt.

Die Frage also, für welche Politik eine Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Bundesebene tatsächlich stehen würde, ist für mich daher aus guten Gründen noch überhaupt nicht beantwortet. Man schaue sich nur die Politik der entsprechenden Landesregierungen an …