Archiv für den Monat Januar 2010

Gemeinsames Gedenken

Neben der Gedenkveranstaltung der Stadt Gelsenkirchen und der Jüdischen Gemeinde in der Synagoge zum Internationalen Holocaust-Gedenktag, dem Neujahrsempfang der CDU Ruhrgebiet im Wissenschaftspark und der Kulturausschusssitzung erinnerten am 27. Januar 2010 mit einem Schweigezug ab 19 Uhr über 25 Gelsenkirchnerinnen und Gelsenkirchener trotz bitterer Kälte an denselben Tag des Jahres 1942, als die Nazis die erste und größte Deportation von jüdischen Bürgern aus Gelsenkirchen und Recklinghausen durchführten.

355 Gelsenkirchener sowie weitere Bürger aus Recklinghausen wurden damals zunächst auf dem Wildenbruchplatz in der dortigen Ausstellungshalle gesammelt. Von dort mussten sie zum Güterbahnhof laufen und wurden in das Ghetto nach Riga abtransportiert. Wir gingen am 27. Januar 2010 den Weg bis zum (ehemaligen) Güterbahnhof.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, den Weg der 355 nachzugehen. Ich sah mich um, fragte mich, wie die Stadt in jener Nacht vor 68 Jahren ausgesehen hat, fragte mich, was die Menschen gedacht und gefühlt hatten, als sie ihre Heimatstadt verließen, verlassen mussten. Wußten oder ahnten sie, was ihnen bevorstand? Sie hatten seit 1933 erfahren müssen, wie sie zu rechtlosen Bürgern 2. Klasse gemacht worden waren, sie hatten den Boykott jüdischer Geschäfte 1933, die Reichsprogromnacht 1938, die beständige Verschärfung der Nazi-„Rassengesetze“ und vieles mehr erlebt und wurden nun deportiert, um schließlich ermordet zu werden.

Unweit des alten Güterbahnhofs endete unser Schweigezug und Heike Jordan, Projektleiterin des Arbeitskreises Stolpersteine, eröffnete die Gedenkveranstaltung für alle Opfer des Nationalsozialismus mit dem Vortrag des Gedichtes „Schlaflied für Daniel“. Es folgte die Begrüßung durch Andreas Jordan für den Verein Gelsenzentrum, der auch das Grußwort von Roman Franz vom NRW-Landesverband Deutscher Sinti und Roma verlas. Lothar Wickermann sprach stellvertretend für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Elena Gubenko vom jüdischen Kulturverein KINOR schloss mit ihrer Rede und zwei weiteren Grußworten von Lew Belogolowski und Felix Lipski.

Zu diesem Zeitpunkt waren wir alle auch schon sehr durchgefroren. Wir verabschiedeten uns von der Polizei, die die Veranstaltung begleitet und die Straße für den Schweigemarsch gesperrt hatte. Dann konnten wir – anders als jene 355 Deportierten vor 68 Jahren – in unsere warmen Wohnungen zurückkehren.

Eine ausführliche Dokumentation mit allen Redebeiträgen findet sich auf der Seite des Veranstalters Gelsenzentrum, woher auch das Foto oben stammt.

Demnig verlegt weitere Stolpersteine in Gelsenkirchen

Nach der Verlegung der ersten sechs Stolpersteine am 13. Juli 2009 kommt Gunter Demnig am 8. und 9. Februar 2010 erneut nach Gelsenkirchen, um über sein Projekt zu informieren und weitere Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus zu verlegen.

Damit gehört Gelsenkirchen zu den fast 500 europäischen Städten, in denen mehr als zwanzigtausend Stolpersteine gegen das Vergessen von den Nazis ermordeter Menschen verlegt worden sind. Dadurch bleiben diese „ehemaligen Nachbarn“ keine namenlosen Opfer, sondern Menschen deren Namen ins Gedächtnis der Stadt zurückkehren. Die Stolpersteine sind mit einer Messingplatte versehen und werden niveaugleich in der Gehwegpflasterung eingelassen. Auf jeder Platte sind Name, Geburts- und Todesjahr, sowie der Todesort des Opfers eingraviert. Die Steine werden verlegt, wo die Menschen einst wohnten und ihren Lebensmittelpunkt hatten. Im Bild drei der sechs am 13. Juli 2009 verlegten Stolpersteine auf der Kolpingstraße, die an Mathilde Wertheim, Fritz und Grete Goldschmidt erinnern, die deportiert und in Stutthoff ermordet worden sind.

Am 8. Februar 2010 wird Gunter Demnig auf Einladung des Vereins Gelsenzentrum e.V. in der „Flora“, Florastr. 26 in Gelsenkirchen um 19 Uhr sein Projekt „Stolpersteine – gegen das Vergessen“ vorstellen. Der Vortrag ist zugleich die Auftaktveranstaltung für die weiteren Stolperstein-Verlegungen am 9. Februar 2010.

Am 9. Februar 2010 werden in Gelsenkirchen folgende Stolpersteine an folgenden Orten verlegt:

  • Charles Ganty, Am Bugapark 1 – 9:00 Uhr
  • Paul Bukowski, Zollvereinstraße 4 – 9:20 Uhr
  • Sally Haase, Carola Haase, geborene Cossmann und Ingrid Haase, Kurt-Schumacher-Straße 10 – 9:40 Uhr
  • Hulda Silberberg, Bochumer Straße 45 – 10:00 Uhr
  • Helene Lewek, Ehem. Ausstellungshalle Wildenbruchplatz/Wildenbruchstraße – 10:20 Uhr
  • Margit Zorek und Annemarie Zorek, Augustastraße 7 – 10:40 Uhr
  • Paul Grüneberg, Helene Grüneberg geborene Levy, Helene „Hella“ Grüneberg, Hauptstraße 16 – 11:00 Uhr

Das seit Juli letzten Jahres endlich auch in Gelsenkirchen Stolpersteine an Opfer der Nazis erinnern, haben wir nicht zuletzt Heike und Andreas Jordan zu verdanken, die sich seit 2005 mit dem „Arbeitskreis Stolpersteine“ für dieses Projekt in Gelsenkirchen einsetzen. Danke!

Holocaust-Gedenktag in Gelsenkirchen

KZ Auschwitz: Eingang nach der Befreiung, im Vordergrund von den Wachmannschaften zurückgelassene Ausrüstungsgegenstände

Am 27. Januar 1945 befreiten Einheiten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz.

Der Lagerkomplex Auschwitz bestand aus drei Lagern, dem Stammlager Auschwitz I, dem Vernichtungslager Auschwitz II Birkenau und dem KZ Auschwitz III Monowitz. Es handelte sich um den größten Lagerkomplex und bei Auschwitz-Birkenau um das größte deutsche Vernichtungslager der Nazizeit. Von den über 5,6 Millionen ermordeten jüdischen Menschen wurden rund 1 Million Menschen in Auschwitz-Birkenau umgebracht, die meisten von ihnen wurden direkt nach der Ankunft in Zügen „an der Rampe von Auschwitz“ für den Tod in der Gaskammer selektiert, weitere wurden von der SS durch Krankheit, Unterernährung, willkürliche Misshandlung, in sinnlosen medizinischen Experimenten oder durch spätere Vergasung ermordet. Die durchschnittliche Lebensdauer der Häftlinge in Auschwitz betrug 3 Monate.

Der Name „Auschwitz“ wurde dadurch zum Symbol für die industrielle Menschenvernichtung der Nazis. Die Aufschrift „Arbeit macht frei“ über dem Eingangstor des KZ markiert die zynische Menschenverachtung der SS. Teile des Lagerkomplexes sind heute staatliches polnisches Museum und Gedenkstätte und öffentlich zugänglich.

Der 27. Januar wird bereits seit 1959 in Israel als Gedenktag begangen. Am 1. November 2005 erklärte ihn die Generalversammlung der Vereinten Nationen zum „Internationalen Holocaust-Gedenktag“. In Deutschland war er bereits am 3. Januar 1996 durch den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus eingeführt worden.

In Gelsenkirchen ist der 27. Januar ein doppelter Gedenktag: Am 27. Januar 1942 – drei Jahre vor der Befreiung des KZ Auschwitz – fand hier die erste und größte Deportation von jüdischen Bürgern aus Gelsenkirchen statt. 355 Gelsenkirchener sowie weitere Bürger aus Recklinghausen wurden zunächst auf dem Wildenbruchplatz in der dortigen Ausstellungshalle gesammelt. Von dort mussten sie zum Güterbahnhof laufen und wurden in das Ghetto nach Riga gebracht. Ein zweiter Transport fuhr am 31. März 1942 nach Warschau, ein dritter am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt.

Aus diesem Anlass lädt der Verein Gelsenzentrum zu einer Gedenkveranstaltung am 27. Januar 2010 ein. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr mit einem Treffen an der Ecke Wildenbruchstraße/ Fontanestraße, anschließend ist ein Schweigezug zur Verladerampe am Großmarkt geplant. Dort wird sie mit verschiedenen Redebeiträgen ihren Abschluss finden. Unterstützt wird die Gedenkveranstaltung unter anderem von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Gelsenkirchen, dem jüdischen Kulturverein Kinor e.V. Gelsenkirchen und der Schokofront.

Hinweis zum Foto