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Von Lenin-Denkmalen und Nazi-Schwertern

Ein Denkmal als touristisches Ziel: Karl Marx und Friedrich-Engels in Berlin-Mitte, besucht vom Autor dieses Beitrags im Juli 2008.

Denkmalstreit in Gelsenkirchen. Reichlich Aufmerksamkeit erfährt derzeit eine 2,15 Meter hohe Lenin-Statue, die die MLPD, die Lenin in ihrem Namen führt, vor ihrem Zentralkomitee in Gelsenkirchen-Horst am 14. März 2020 aufstellen will. Diese Aufregung hätte ich mir gewünscht, als 2015 die Stadt Gelsenkirchen ein 1937 errichtetes und 6 Meter hohes faschistisches Kriegerdenkmal unter Denkmalschutz gestellt und an einen öffentlichen Weg gestellt hat. Zuletzt ist bekanntlich anlässlich der Vorgänge in Thüringen, wo ein faschistischer Politiker mit seiner Partei demokratischen Politikern Fallen stellt, besonders aus den Reihen der Christdemokraten betont worden, dass man gleichermaßen weder mit den ganz Linken noch mit den ganz Rechten zusammenarbeiten will. Doch scheint es nicht nur in Gelsenkirchen einen Unterschied zu machen, ob die Stadt ein Denkmal in faschistischer Ästhetik an einen öffentlichen Weg oder eine ganz weit linke Partei eine Lenin-Statue vor ihrem Sitz aufstellt. Auf dem rechten Auge blind?

Bis in die FAZ hat es der Denkmalstreit in Gelsenkirchen unter dem Titel „Lenin steht demnächst im Westen“ geschafft. Patrick Bahners zeigt sich in seinem Artikel amüsiert darüber, dass „die Partei seit 38 Jahren die ’systematische und beharrliche Kleinarbeit‘ zur Vorbereitung der Revolution verrichtet, mit der sie sich in ihrem Programm beauftragt hat.“ Hervorgegangen aus eine der vielen linken Splittergruppen der 1970er Jahre spielt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands im bundesdeutschen Parteiensystem und auch in Gelsenkirchen keine Rolle. So erreichte sie zur Landtagswahl 2017 in Gelsenkirchen, am Sitz ihres Zentralkomitees, 0,49 % der Stimmen, dahinter verbergen sich 494 Wählerinnen und Wähler, vermutlich überwiegend die eigenen Parteimitglieder nebst Sympathisanten.

Gegen Lenin fand sich – nicht überraschend – eine ganz ganz große Koalition am 03. März 2020 in der Bezirksvertretung West im Rittersaal von Schloß Horst aus SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen … und AfD-Mann Martin Jansen zusammen, die für eine „Resolution für Rechtsstaat und Demokratie und gegen die Aufstellung einer Lenin-Statue in Gelsenkirchen-Horst durch die MLPD“ stimmten. Doch der zu dem Zeitpunkt bereits laufende Versuch der Stadtverwaltung, das Denkmal mit einem politisch motivierten und mit Schein-Argumenten des Denkmalschutzes begründeten Baustopp zu verhindern, scheiterte krachend am 5. März 2020 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Natürlich feierte die MLPD ihren Sieg und verkündete auf „Rote Fahne News“ – auch nicht überraschend – den „vollständigen politischen Sieg Lenins und der MLPD vor Gericht gegen SPD, B90/Grüne, CDU und den faktisch-politischen Amtsmissbrauch von OB Baranowski in Gelsenkirchen“ mit stolzgeschwellter Leninbrust und einem internationalen Pressespiegel.

Erinnerung an Karl Liebknecht in Berlin-Mitte und die Ausrufung der sozialistischen Republik am 9. November 1918, fotografiert im Juli 2008.

Tomas Grohé, Linke-Bezirksvertreter in Horst, kritisierte in der Sitzung der Bezirksvertretung „das antikommunistische Gezeter der vorliegenden Resolution“, das er „eher wie das hysterische Gegacker einer Hühnerschar, der ein ausgestopfter Fuchs vor den Zaun gestellt wurde“ empfände. Allerdings kritisierte er auch die Aufstellung einer Lenin-Statue und fände „für die Entwicklung unseres Landes viel provokativer und für politische Auseinandersetzungen nützlicher“ die Aufstellung einer „Statue von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht …, die von rechtsradikalen Militärs quasi in staatlichem Auftrag ermordet wurden.“

Als weitere Reaktion mokierte sich ein Kommentator unter einem WAZ-Artikel darüber, dass der Stadt sonst nix als der Denkmalschutz eingefallen sei. – Nun hatte der Denkmalschutz auch bei der Umstellung des faschistischen Nazi-Schwerts 2015 eine bedeutende Rolle gespielt, damals allerdings in die entgegengesetzte Richtung.

Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein an seinem alten Standort – zugewachsen und vergessen hinter den Torhäusern.

Das faschistische Denkmal war 1937 auf dem Betriebsgelände des Schalker Vereins im Stadtteil Bulmke-Hüllen errichtet worden. Es entstand vermutlich als Auftragsarbeit der Werksleitung und wurde nach Entwürfen des Bildhauers Hubert Nietsch, der durch weitere nazi-affine Kunst bekannt ist, gestaltet. Eingeweiht wurde es inmitten eines sogenannten „Ehrenhofes“ mit einer Feier am 1. Mai 1937, den von der internationalen Arbeiterbewegung gestohlenen und von den Nazis zum „Tag der nationalen Arbeit“ umgedeuteten Mai-Feiertag. Die beiden Seiten der Stele sind mit „Unseren gefallenen Arbeitskameraden 1914 1918“ und „Sie starben für Deutschland“ beschriftet und zeigen überdeutlich den Zweck des Objektes, nämlich mit der Errichtung von Kriegerdenkmalen für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs den Eroberungs- und Vernichtungskrieg, den wir heute als Zweiten Weltkrieg kennen, ideologisch vorzubereiten. Dies wurde von den Nazis auch offen bei den Einweihungsreden ausgesprochen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Jahreszahlen „1939 1945“ hinzugefügt worden. Danach war das Nazi-Schwert völlig in Vergessenheit geraten und wuchs an einer unbeachteten Stelle hinter den Torhäusern zu. Erst nach dem Verkauf des Schalker Vereins an die Firma Saint-Gobain und aufgrund der Umgestaltung des Werksgeländes war es wieder in den öffentlichen Fokus geraten.

Am 4. März 2015 wurde die Eintragung in die Denkmalliste durch die Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Mitte beschlossen. Die Beschlussvorlage enthält eine ausführliche Begründung des Denkmalwerts und nennt historische und kunstgeschichtliche Gründe, die für die „Erhaltung und Nutzung“ des Nazi-Schwerts sprächen. In derselben Sitzung wurde mit einer weiteren Beschlussvorlage die geplante Verlagerung des Denkmals an einen öffentlichen Fußweg vorgestellt. Als Grund wird angegeben, dass es am jetzigen Standort „einer Vermarktung und Entwicklung eines Gewerbe- und Industrieparks im Wege“ stünde. Die Kosten der Verlagerung in Höhe von rund 30.500 Euro würden sich der Eigentümer, die Firma Saint-Gobain und die Stadt Gelsenkirchen teilen. Mit der Standortverlagerung werde das Nazi-Schwert zugleich in einen neuen Kontext gestellt.

Am neuen Standort neben einem öffentlichen Weg soll das Nazi-Schwert nun zu Frieden und Völkerverständigung mahnen.

Doch der „neue Kontext“ bestand – ohne eine Änderung der Ästhetik – nur aus einer einfallslosen Ergänzung durch einen Steinblock mit der Aufschrift „Die Toten mahnen zum Frieden“ sowie einer erläuternden ISG-Erinnerungsortetafel.

War dieser Vorgang schon unverständlich und unerträglich genug, schaffte die etablierte Stadtgesellschaft noch eine völlig unerwartete Steigerung. So plante die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie“ (DI) ihre jährliche Veranstaltung am 9. November zur Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 an eben diesem faschistischen Kriegerdenkmal enden zu lassen. Nur aufgrund öffentlicher Kritik änderte die DI ihre Route ein wenig und hielt am faschistischen Kriegerdenkmal eine Zwischenkundgebung ab, die Abschlusskundgebung wurde auf den zufällig in der Nähe liegenden Alten Jüdischen Friedhof verlegt. Vom Schwert zum Friedhof, dazu fiel auch mir damals wie heute nichts mehr ein.

Mein Fazit frei nach Max Horkheimer: Wer aber von einem Kriegerdenkmal in faschistischer Ästhetik nicht reden will, sollte auch von einer Lenin-Statue schweigen.

Kriegerdenkmale und Kriegsvorbereitung in Gelsenkirchen (III) – Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein

Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein an seinem alten Standort – zugewachsen und vergessen hinter den Torhäusern.

In der Stadt Gelsenkirchen wurde ein 1937 errichtetes und lange vergessenes Denkmal, mit dem die Nazis die „gefallenen Arbeitskameraden“ (Inschrift) des Ersten Weltkrieges in den Dienst ihrer faschistischen Kriegspolitik gestellt hatten, 2015 unter Denkmalschutz gestellt und an einen öffentlichen Weg platziert.

Bei dem in den Sitzungsvorlagen der Stadtverwaltung wahlweise als Kriegerdenkmal oder Ehrenmal bezeichneten Nazi-Objekt handelt es sich um eine 6 Meter hohe Stele aus sechs grauen Granitquadern, an der ein 5 Meter hohes gusseisernes, steil aufgerichtetes und lorbeerumkränztes Schwert angebracht ist. Das künstlerisch anspruchslose Schwert wurde vermutlich im Werk selbst hergestellt. Das Schwertmotiv bezieht sich höchstwahrscheinlich auf die im Ersten Weltkrieg in vielen Städten aufgestellten Holzschwerter, in die gegen Spenden für die Unterstützung von Kriegshinterbliebenen Nägel eingeschlagen werden durften. In Gelsenkirchen stand ein solches „Schwert von Gelsenkirchen“ 1915 auf dem Neumarkt.

Die Geschichte

Das Nazi-Denkmal wurde 1937 auf dem Betriebsgelände des Schalker Vereins, einem Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie, im Stadtteil Bulmke-Hüllen errichtet. Es entstand vermutlich als Auftragsarbeit der Werksleitung und wurde nach Entwürfen des Bildhauers Hubert Nietsch, der durch weitere nazi-affine Kunst bekannt ist, gestaltet. Eingeweiht wurde es inmitten eines sogenannten „Ehrenhofes“ mit einer Feier am 1. Mai 1937, den von der internationalen Arbeiterbewegung gestohlenen und von den Nazis zum „Tag der nationalen Arbeit“ umgedeuteten Mai-Feiertag.

Die berüchtigte Inschrift „Sie starben für Deutschland“ weist auf die Intention hin, die ideologische Kriegsvorbereitung für den faschistischen Krieg.

Die beiden Seiten der Stele sind mit „Unseren gefallenen Arbeitskameraden 1914 1918“ und „Sie starben für Deutschland“ beschriftet und zeigen überdeutlich den Zweck des Objektes, nämlich mit der Errichtung von Kriegerdenkmalen an den Ersten Weltkrieg den folgenden Eroberungs- und Vernichtungskrieg, den wir heute als Zweiten Weltkrieg kennen, ideologisch vorzubereiten. Dies wurde von den Nazis auch offen bei den Einweihungsreden ausgesprochen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Jahreszahlen „1939 1945“ hinzugefügt. Danach geriet das Nazi-Schwert völlig in Vergessenheit und wuchs an einer unbeachteten Stelle hinter den Torhäusern zu. Erst nach dem Verkauf des Schalker Vereins an die Firma Saint-Gobain und aufgrund der Umgestaltung des Werksgeländes geriet es wieder in den öffentlichen Fokus.

Die Inschrift „Den gefallenen Arbeitskameraden 1914 1918“ stellt die Toten des Ersten Weltkriegs in den Dienst der faschistischen Kriegsvorbereitung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Jahreszahlen 1939 und 1945 ergänzt.

Standortverlagerung an einen öffentlichen Weg

Erstmalig erfuhr die Gelsenkirchener VVN-BdA von dem Nazi-Schwert 2014, als ein Mitglied an einer Führung zu Denkmalen des Ersten Weltkrieges teilnahm. Allerdings konnte das Nazi-Objekt, da es sich auf dem Firmengelände befand, nicht besichtigt werden.

Am 4. März 2015 wurde die Eintragung in die Denkmalliste durch die Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Mitte beschlossen. Die Beschlussvorlage enthält eine ausführliche Begründung des Denkmalwerts und nennt historische und kunstgeschichtliche Gründe, die für die „Erhaltung und Nutzung“ des Nazi-Schwerts sprächen.

In derselben Sitzung wurde mit einer weiteren Beschlussvorlage die geplante Verlagerung des Denkmals an einen öffentlichen Fußweg vorgestellt. Als Grund wird angegeben, dass es am jetzigen Standort „einer Vermarktung und Entwicklung eines Gewerbe- und Industrieparks im Wege“ stünde. Die Kosten der Verlagerung in Höhe von rund 30.500 Euro würden sich der Eigentümer, die Firma Saint-Gobain und die Stadt Gelsenkirchen teilen.

Mit der Standortverlagerung werde das Nazi-Schwert zugleich in einen neuen Kontext gestellt. Ohne eine Änderung der Ästhetik, nur mit einer einfallslosen „künstlerischen Ergänzung“ durch eine Stahlplatte, der Inschrift „Die Opfer der Kriege mahnen zum Frieden“ sowie einer den Hintergrund erläuternden Tafel soll es nun „zu Frieden und Völkerverständigung … mahnen“.

Der Skandal

War dieser Vorgang schon unverständlich und unerträglich genug, schaffte die etablierte Stadtgesellschaft noch eine völlig unerwartete Steigerung. Anlass für die folgenden Aktivitäten der Gelsenkirchener VVN-BdA war eine Randbemerkung in einer weiteren Beschlussvorlage der Stadtverwaltung. Ein in Gelsenkirchen als unbequemer linker Sozialdemokrat bekannter Petent regte an, dass Nazi-Schwert zu entsorgen und die eingesparten Kosten sinnvoll zu verwenden. Erwartungsgemäß wurde diese Anregung in der Sitzung des Kulturausschusses am 16. September 2015 von der Mehrheit abgelehnt. Darüber hinaus wurde mit einer bodenlosen Unverschämtheit das Ansinnen, das Nazi-Objekt zu zerstören, mit der Strategie der „Taliban oder religiösen Eiferern“ verglichen. Schließlich wurde mitgeteilt, dass die „Demokratische Initiative“ beschlossen habe, ihre jährliche Veranstaltung am 9. November zur Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 an eben diesem Nazi-Schwert enden zu lassen. Bei dieser „Demokratischen Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie“ handelt es sich um einen losen Verbund Gelsenkirchener Parteien und weiterer Organisationen unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters.

Am neuen Standort neben einem öffentlichen Weg soll das Nazi-Schwert nun zu Frieden und Völkerverständigung mahnen.

Die VVN-BdA Gelsenkirchen reagierte mit einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister und forderte ihn auf, den geplanten Kundgebungsort zu verlegen, da ein Denkmal für die gefallenen Soldaten eines Krieges niemals ein adäquates Denkmal für jüdische Opfer des Krieges sein könne. Ferner forderte sie den Oberbürgermeister auf, sich dafür einzusetzen, dass aus dem Nazi-Schwert durch eine radikale Verfremdung ein antifaschistisches Gesamtkunstwerk werde. Vorgeschlagen wurde ein Aufruf an Gelsenkirchener Künstler und Bürger, „um das wertlose Schandmal durch ganz unterschiedliche Installationen phantasievoll und kreativ einzurahmen und zu kommentieren“.

Die Gelsenkirchener WAZ thematisierte in ihrer Ausgabe am 4. November 2015 und an den folgenden Tagen sowohl das Nazi-Schwert wie auch die Kritik der VVN-BdA.

Die „Demokratische Initiative“ änderte aufgrund der öffentlichen Kritik ihre Route ein wenig. Sie hielt am Nazi-Schwert eine Zwischenkundgebung ab und verlegte die Abschlusskundgebung auf den nahe gelegenen Alten Jüdischen Friedhof. Aus der als Reminiszenz an den Schalker Verein geplanten Stahlplatte war übrigens ein Steinblock mit der Aufschrift „Die Toten mahnen zum Frieden“ geworden.

In der Nacht zum 9. November überwand eine nicht näher bekannte „Aktionsgruppe Kunst und Kampf“ die Absperrungen und verübte einen Farbanschlag auf das Nazi-Objekt. Am 9. November selbst demonstrierten SJD – Die Falken direkt am Nazi-Schwert, während das „Bündnis gegen Krieg und Faschismus“, in dem Mitglieder der VVN-BdA vertreten sind, zu einer unabhängigen Zwischenkundgebung vor dem Haus einer in der Reichspogromnacht verfolgten jüdischen Familie aufgerufen hatte.

Für eine eigene Antwort auf den Offenen Brief war sich der OB zu fein und beauftragte den Leiter des Instituts für Stadtgeschichte mit einer schriftlichen Antwort, der nach einer Antwort seitens der VVN-BdA zu einem Gespräch im Institut für Stadtgeschichte führte. Ergebnis: Für die Stadt Gelsenkirchen handele es sich um einen abgeschlossen Vorgang.

Fazit

Das Nazi-Schwert steht nun am neuen Ort. Flankiert wird es von je zwei neu gepflanzten Bäumen rechts und links. Böse Zungen sagen, es fehle nur ein Gartenzaun und ein paar Gartenzwerge.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Seite „Verbrechen der Wirtschaft“.

Kriegerdenkmale und Kriegsvorbereitung in Gelsenkirchen

Das Ehrenmal in Gelsenkirchen-Buer, Zum Ehrenmal.

Das Ehrenmal in Gelsenkirchen-Buer, Zum Ehrenmal.

Vor einhundert Jahren tobte der Erste Weltkrieg nun schon seit fast zwei Jahren. 1914 begonnen, war ein Ende nicht absehbar, waren sogar weitere Staaten 1915 und 1916 in den Weltkrieg eingetreten. In unserer Gegenwart wird die öffentliche Wahrnehmung des Ersten Weltkrieges in diesem Jahr von zwei Ereignissen bestimmt: der Schlacht vor Verdun und dem Völkermord an den Armeniern. In Westeuropa schickten die jeweiligen militärischen Oberbefehlshaber 1916 deutsche und französische Truppen vor Verdun in den Tod einer sinnlosen „Materialschlacht“. Im Orient schickten 1915/16 staatliche Stellen die seit Jahrhunderten in Anatolien siedelnden christlichen Armenier in den Tod und löschten die westarmenische Kultur aus.

Auch an Gelsenkirchen und seinen Bürgern ging der Erste Weltkrieg nicht spurlos vorüber, wenn die Stadt auch von militärischen Kämpfen verschont blieb. Die Bevölkerung litt unter der zunehmend schlechter werdenden Ernährung und unter verschlechterten Arbeitsbedingungen. Die Lücken in den Zechen und Industriebetrieben durch die in den Krieg eingezogenen Männer wurden nicht nur durch Mehrarbeit der verbliebenen Männer ausgeglichen, sondern auch durch den Einsatz von Kriegsgefangenen und durch Frauenarbeit. Die für den Krieg produzierenden Industrieellen konnten ihre Gewinne steigern, während mehr als 7300 Soldaten aus den Gemeinden Gelsenkirchen, Buer und Horst in den Jahren 1914 bis 1918 auf den Schlachtfeldern starben.

Kriegerdenkmal des „Turner-Club Gelsenkirchen von 1874 e.V.“ aus dem Jahr 1924, Hauptstraße 50 am Grillo-Gymnasium

Kriegerdenkmal des „Turner-Club Gelsenkirchen 1874 e.V.“ aus dem Jahr 1924, Hauptstraße 50 am Grillo-Gymnasium.

Heute erinnern an den Ersten Weltkrieg in Gelsenkirchen noch einige steinerne Zeugen, in der Denkmalliste der Stadt Gelsenkirchen (vom 17.05.2011) sind sie als „Kriegerdenkmal“ aufgeführt. Nun könnte man meinen, die Denkmale dienten nur der Erinnerung an die gefallenen Soldaten aus Gelsenkirchen. Mehrere von ihnen wurden jedoch nach 1933 errichtet. Mit ihnen stellten die Nazis die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten in den Dienst ihrer innenpolitischen Kriegsvorbereitung für den Zweiten Weltkrieg. Ein vergessenes Kriegerdenkmal aus der Nazi-Zeit wurde sogar erst 2015 von einem nichtöffentlichen Werksgelände in den öffentlichen Raum der Stadt versetzt.

Kriegerdenkmal am Grillo-Gymnasium

Zum Antikriegstag, der traditionell an die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Nazi-Deutschland erinnert, war am 1. September 2014 erstmals mit einer Abschlusskundgebung vor dem fast vergessenen und zugewachsenen Denkmal am Grillo-Gymnasium auch an den Ersten Weltkrieg erinnert worden. Dieses Denkmal war vom „Turner-Club Gelsenkirchen 1874 e.V.“ bereits im Jahre 1924 für „unserer im Weltkriege 1914-1918 gefallenen 71 Turnbrüder“ errichtet worden. Wie der Inschrift auf dem Denkmal weiter zu entnehmen ist, war der 50. Jahrestag der Vereinsgründung am 27. Juli 1924 der Anlass der Denkmalstiftung. Wie auch andere Kriegerdenkmale des Ersten Weltkrieges wurde seine Widmung nach dem Zweiten Weltkrieg ergänzt. In diesem Fall um „54 gefallene Turnbrüder 1939-1945“. Die Gestaltung zeigt unter anderem einen Stahlhelm und ein Eisernes Kreuz. Zum Antikriegstag 2014 ist es in ein temporäres Denkmal für den unbekannten Deserteuer umgewandelt worden.

Kriegerdenkmal am Machensplatz

Kriegerdenkmal am Machensplatz in Erinnerung an das Reserveregiment 56 aus dem Jahre 1934.

Kriegerdenkmal am Machensplatz in Erinnerung an das Reserveregiment 56 aus dem Jahre 1934.

Am Machensplatz, gegenüber dem früheren Gelsenkirchener Rathaus, war im Jahre 1934 ein Kriegerdenkmal dem Reserveregiment 56 gewidmet worden. Wie dem Beitrag „Auf den Spuren des Ersten Weltkrieges“ zu entnehmen ist, waren die Gelsenkirchener Soldaten des Regiments in der damaligen Georgschule in der Altstadt versammelt und ausgerüstet worden. Sie wurden am 6. August 1914 verladen und kamen zusammen mit der 13. Reservedivision zur Westfront. Die Einheit erlitt schwere Verluste beim ersten Kampfeinsatz im September 1914 und wurde auch 1916 in der Schlacht um Verdun eingesetzt. Das Denkmal wurde genau 20 Jahre nach dem ersten Kampfeinsatz eingeweiht, um der Verluste bei der sogenannten „Feuertaufe“ zu gedenken. (Der ursprüngliche Beitrag ist auf der Internet-Seite der Stadt Gelsenkirchen nicht mehr vorhanden, aber im Wiki der Gelsenkirchener Geschichten dokumentiert.)

Dahlbuschdenkmal aus dem Jahre 1937, heute im Dahlbuschpark an der Beethovenstraße in Gelsenkirchen-Rotthausen

Dahlbuschdenkmal aus dem Jahre 1937, heute im Dahlbuschpark an der Beethovenstraße in Gelsenkirchen-Rotthausen.

Kriegerdenkmal Zeche Dahlbusch

Im heutigen Dahlbusch-Park befindet sich das Ehrenmal der Zeche Dahlbusch sowie eine erläuternde Tafel nach dem städtischen Konzept der Erinnerungsorte. Danach war das Ehrenmal 1937 durch die Bergwerksgesellschaft Dahlbusch zur Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Werksangehörigen errichtet worden. Es stand ursprünglich vor der Schachtanlage 8 an der Rotthauser Straße. Der heute noch vorhandene Steinquader war vom Halfmannshofer Künstler Hubert Nietsch, der auch das Kriegerdenkmal Schalker Verein (weiter unten) und weitere Nazi-Kunst geschaffen hat, gestaltet worden.

Es zeigt einen Soldaten und einen Bergmann, die ursprünglich von einem Eisernen Kreuz und einem Hakenkreuz flankiert waren. Der Kriegstod der Bergleute wurde durch die Bildsprache und die Inschriften „Unseren gefallenen Arbeitskameraden“ und „Sie starben für Deutschland“ heroisiert und mit dem Nationalsozialismus verknüpft. Nach der Schließung der Zeche wurde der Steinquader in den heutigen Dahlbusch-Park versetzt und soll nun, so heißt es zumindest auf der Tafel, an die Toten des Ersten Weltkrieges wie an deren Instrumentalisierung durch die Nazis erinnern. Wie man sich das vorzustellen hat, bleibt allerdings der Phantasie des Besuchers überlassen.

Kriegerdenkmal „Ehrenmal“ in Buer

Das größte und auch über Gelsenkirchen hinaus bekannte Kriegerdenkmal ist das oft einfach nur „Ehrenmal“ genannte Denkmal in Gelsenkirchen-Buer auf einer Anhöhe am Berger See gelegen. Auch hier findet sich eine erläuternde Tafel nach dem städtischen Konzept der Erinnerungsorte. Danach ging die ursprüngliche Initiative 1925 von der Bueraner Bürgerschaft aus um die im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten sowie die Toten der französisch-belgischen Ruhrbesetzung von 1923 zu ehren. Als das Denkmal am 13. Mai 1934 feierlich eingeweiht wurde, hatten die Nazis die Gestaltung geprägt, neben einem Hakenkreuz fanden sich auch sogenannte „Märtyrern“ der NSDAP in den Inschriften. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden alle Nazi-Inschriften und -Symbole entfernt, sowie Inschriften ergänzt, die an die Opfer des Zweiten Weltkrieges erinnern und zum Frieden mahnen. Das Ehrenmal hat einen eigenen Eintrag in der Wikipedia.

Das Ehrenmal in Gelsenkirchen-Buer, Zum Ehrenmal.

Das Ehrenmal in Gelsenkirchen-Buer, Zum Ehrenmal.

Kriegerdenkmal des Schalker Vereins

Neben diesen bereits im öffentlichen Raum befindlichen Denkmalen versetzte die Stadt Gelsenkirchen im Jahre 2015 ein zuvor auf dem Werksgelände des ehemaligen Schalker Vereins vergessenes Kriegerdenkmal an einen öffentlichen Weg. Wieder findet sich eine erläuternde Tafel nach dem städtischen Konzept der Erinnerungsorte sowie ein Stein mit der  Inschrift „Die Toten mahnen zum Frieden“.

Es handelt sich um ein 5 Meter hohes, lorbeergeschmücktes Schwert aus Gussstahl, angebracht an einer 6 Meter hohen Granitstele. Ursprünglich war es am 1. Mai 1937 auf dem Gelände des Schalker Vereins feierlich eingeweiht worden. Mit den Inschriften wie beim Dahlbusch-Denkmal (weiter oben) „Den gefallenen Arbeitskameraden 1914-1918“ und „Sie starben für Deutschland“ wurden die im Ersten Weltkrieg gefallenen Werksangehörigen in den Dienst der innenpolitischen Kriegsvorbereitung der Nazis gestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Jahre 1939-1945 ergänzt. Danach geriet es in Vergessenheit und wuchs in einer Ecke des Geländes zu.

Kriegerdenkmal des Schalker Vereins - ein Nazi-Schwert aus dem Jahre 1937 wurden 2015 an einen öffentlichen Weg umgesetzt.

Kriegerdenkmal des Schalker Vereins – ein Nazi-Schwert aus dem Jahre 1937, wurde 2015 an einen öffentlichen Weg umgesetzt.

Nach dem Verkauf des Schalker Vereins vor einigen Jahren und während der Umgestaltung des früheren Werksgeländes wurde es wiederentdeckt. Es wurde unter Denkmalschutz gestellt und kurz vor dem 9. November 2015 an einen öffentlichen Weg in der Nähe des alten Standortes umgesetzt. Dagegen fordert die Gelsenkirchener VVN -BdA eine öffentliche Diskussion und die Umgestaltung in ein antifaschistisches Denkmal. Gerade auf dem Gelände des Schalker Vereins bietet sich die Thematisierung von Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit, Widerstand und Bombenkrieg an, um aus der Geschichte zu lernen, dass und warum sie sich nicht wiederholen darf. (Eine ausführliche Berichterstattung dazu findet sich hier.)

Weitere Erinnerungsorte in Kirchen und Schulen

Als Antwort auf meine Frage im Forum der „Gelsenkirchener Geschichten“ erhielt ich neben dem bei diesem Thema fast schon zu erwartenden Troll aus dem rechten Spektrum wertvolle Hinweise auf weitere Erinnerungsorte in Gelsenkirchen an weniger öffentlichen Orten. So hat es in Kirchen und Schulen Gedenktafeln oder in einem Fall ein Gedenkbuch der Gefallenen gegeben, die teilweise durch Umbauten verschwunden sind, teilweise noch heute vorhanden sind. Unterscheiden lässt sich meines Erachtens zwischen einem namentlichen Gedenken, in dem die einzelnen Personen im Vordergrund stehen, und der Verklärung der Toten des Ersten Weltkrieges durch Nazi-affine Denkmale und summarische Inschriften wie „Den gefallenen Arbeitskameraden“ und „Sie starben für Deutschland.“ Dabei sind die Grenzen sicherlich fließend, denn auch vor 1933 gab es eine nationalistische Verklärung der Toten des Ersten Weltkrieges.

„Heraus zum 1. Mai“ – Vom internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung zum gesetzlichen Feiertag

“Heraus zum 1. Mai” hieß es seit 1890 kämpferisch in den Aufrufen der Gewerkschaften. Als internationaler Kampftag der Arbeiterbewegung wurde er 1889 auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris proklamiert, seit 1890 wird er jährlich begangen. Zu den zentralen Forderungen gehörte damals die Einführung des 8-Stunden-Tages, in der Gegenwart sind die sozialpolitischen Forderungen des DGB meist allgemeiner gehalten.

Sozialpolitische Forderungen des DGB in der Gegenwart

Sozialpolitische Forderungen des DGB in der Gegenwart

Die Geschichte des 1. Mai als internationaler Kampftag der Arbeiterbewegung beginnt interessanterweise nicht im Europa des 19. Jahrhunderts, sondern in den Vereinigten Staaten von Amerika. Im Jahre 1884 verabschiedete die Federation of Organized Trade and Labour Unions eine Resolution, in der die Einführung des 8-Stunden-Tages gefordert wurde. Als alle anderen Versuche, ihn durchzusetzen, gescheitert waren, rief die Federation zu einem Generalstreik auf. Der Aufruf wurde gegen den Widerstand der nationalen Arbeiterführer von Tausenden von Arbeitern befolgt. Auf dem Höhepunkt der Kampagne waren 340.000 Arbeiter im Streik.

Die Idee eines gemeinsamen Kampftages der Arbeiterbewegung griff auf das alte Europa über. 1889 wurde auf dem internationalen Arbeiterkongress in Paris der 1. Mai als internationaler Kundgebungstag proklamiert. 1890 kam es nach den Kundgebungen, die in der Logk der damaligen Rechtsprechung illegal waren, in Hamburg und Berlin zur Aussperrung demonstrierender Arbeiter. In den darauf folgenden Arbeitskämpfen mussten die Streikenden nachgeben. Doch trotz Repressalien wurde der 1. Mai in der Arbeiterbewegung ungeheuer populär und zum festen Bestandteil der Arbeiterkultur.

1933 wurde der 1. Mai von den Nazis gestohlen, zum „Tag der nationalen Arbeit“ umgedeutet und zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Einen Tag später, am 2. Mai 1933, zerschlugen sie auf dem Weg der Festigung ihrer Diktatur brutal die unabhängigen Gewerkschaften und errichteten die “Deutsche Arbeitsfront” als Zwangsorganisation von Arbeitern und Unternehmern.

Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein aus dem Jahre 1937 am neuen Standort im Jahre 2015

Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein vom 1. Mai 1937 am neuen Standort im Jahre 2015

Ein lokales Beispiel für den Missbrauch des 1. Mai durch die Nazis ist auf dem ehemaligen Gelände des Schalker Vereins zu besichtigen. Hier wurde am 1. Mai 1937  feierlich ein „Kriegerdenkmal“ eingeweiht, das an die gefallenen Werksangehörigen des Ersten Weltkrieges erinnert und sie zugleich in den Dienst der faschistischen Kriegspolitik stellt.

Nach der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten 1945 konnte der neu gegründete Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dem 1. Mai wieder ein wenig von seiner ursprünglichen Bedeutung zurückgeben. Der 1. Mai blieb gesetzlicher Feiertag und jedes Jahr ruft der DGB zu Kundgebungen mit aktuellen sozialpolitische Forderungen auf.

DGB-Kundgebung auf dem Heinrich-König-Platz in Gelsenkirchen am 1. Mai 2009

DGB-Kundgebung auf dem Heinrich-König-Platz in Gelsenkirchen am 1. Mai 2009

Das bekannteste Plakat, das zum 1. Mai aufruft, ist sicherlich jenes aus dem Jahre 1956. “Samstags gehört Vati mir” unterstreicht in der Logik der 1950er Jahre werbewirksam die damaligen Forderungen des DGB nach einer 5-Tage-Woche mit 40 Stunden Arbeitszeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

In jüngerer Zeit versuchen Rechtsextremisten den 1. Mai für sich zu vereinnahmen. 2015 versuchten Dortmunder Neofaschisten der Partei „Die Rechte“ von Essen nach Gelsenkirchen zu marschieren, im Jahr davor veranstalteten ProNRW und NPD Kundgebungen gegen vorgeblichen „Asylmissbrauch“. Hiergegen regte sich vielfacher antifaschistischer Protest. Zum 1. Mai 2016 ruft nun die NPD wieder einmal gegen vorgeblichen „Asylmissbrauch“  zu einer Kundgebung, dieses Mal in Bochum, auf. Mehr als 50 Organisationen unterstützen inzwischen den Aufruf des Bochumer Bündnisses gegen Rechts gegen diesen erneuten rechtsextremen Aufmarsch.

Vom DGB-Aufruf zum 1. Mai 1956 "Samstags gehört Vati mir" zum Aufruf des Bündnis gegen Rechts in Bochum, den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2016 zu verhindern.

Vom DGB-Aufruf zum 1. Mai 1956 „Samstags gehört Vati mir“ zum Aufruf des Bündnis gegen Rechts in Bochum, den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2016 zu verhindern.

Rede zum Ostermarsch Rhein-Ruhr 2016 im Stadtgarten Gelsenkirchen

Für den Ostermarsch Rhein-Ruhr 2016 geschmücktes Mahnmal für die Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft

Für den Ostermarsch Rhein-Ruhr 2016 geschmücktes Mahnmal für die Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft

Rede von Knut Maßmann für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Gelsenkirchen

Liebe Friedensfreundinnen und liebe Friedensfreunde,

wie in jedem Jahr stehen wir am Ostersonntag vor dem Mahnmal für alle Opfer des Faschismus hier im Stadtgarten. Mahnmale und Denkmale sind wichtig, um die Erinnerung an die Zeit des Faschismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und vor seiner Wiederkehr zu warnen. Eine Wiederkehr, die nicht ausgeschlossen ist.

Die ersten Denkmale für die Opfer des Faschismus in Gelsenkirchen wurden von jüdischen Überlebenden errichtet: 1947 auf dem wiederhergestellten jüdischen Friedhof in Gelsenkirchen-Buer. 1948 auf dem Horster Südfriedhof zur Erinnerung an 250 jüdische Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn und aus Rumänien, die nicht in den Schutzbunker durften und aus diesem Grund Opfer eines Luftangriffes geworden sind.

Ebenfalls 1948 folgte auf dem Horster Südfriedhof ein von der VVN errichtetes Denkmal für die 1944 ermordeten Mitglieder der antifaschistischen Zielasko-Gruppe. Es erinnert auch an die 1920 im Anschluss an den Kapp-Putsch von rechtsradikalen Freikorps ermordeten Mitglieder der Roten Ruhrarmee und steht an der Stelle eines von den Nazis zerstörten früheren Denkmals.

Das große Mahnmal, welches ihr hinter meinem Rücken seht, wurde ebenfalls von der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, und mit Unterstützung der Stadt Gelsenkirchen errichtet. Es wurde am 10. September 1950, dem damals üblichen Gedenktag für die Opfer des Faschismus, feierlich der Öffentlichkeit und der Obhut der Stadt übergeben.

„Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ war die Lehre nach 1945. Doch was ist von dieser Lehre heute noch übrig geblieben?

Wir leben wieder in einem Land, das sich an Kriegen in aller Welt beteiligt. Stand Februar diesen Jahres befinden sich 3.000 bewaffnete Soldatinnen und Soldaten in mehr als 10 Staaten, im Mittelmeer und am Horn von Afrika im militärischen Einsatz.

Wir leben wieder in einem Land, in dem Rassismus und völkisches Gedankengut offen auftreten.
Wir müssen erleben, wie Flüchtlingsheime angezündet werden und der grölende Mob nicht nur mit unverhohlener Freude Beifall klatscht, sondern – wie in Bautzen – die Feuerwehr vom Löschen abhält.
In einer sächsischen Kleinstadt wurde über Stunden ein Bus mit Flüchtlingen blockiert, ohne dass die Polizei eingreift.

Die Polizei dagegen probt neue Einsatztechniken gegen Antifa-Demos. Ja, ihr habt richtig gehört. In diesem Monat probten rund 400 Beamte verschiedener Hundertschaften auf der Zeche Westerholt neue Einsatztechniken gegen eine Antifa-Demo, um Randalierer und Gewalttäter aus der Menge zu isolieren.

Nach Angaben des Bundeskriminalamts wurden bis Februar diesen Jahres bereits 151 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und ihre Bewohner gezählt. Das sind im Durchschnitt fast 3 Angriffe pro Tag. Dagegen wird nicht geprobt.

Eine Wortführerin von PEGIDA lobt den „Mut der Bürger“. Vertreter der AfD fordern „Grenzen zu und Feuer frei“. Die Politik kommt den Rechten entgegen, diskutiert Obergrenzen und Lager, beschließt Verschärfungen des Asylrechts und verkündet neue, vermeintlich sichere Herkunftsländer.

Auch im Gelsenkirchener Stadtparlament sitzen drei Vertreter der AfD. Sie agieren mit der rechtsextremen ProNRW* gemeinsam und machen deutlich, wo sie politisch stehen. Nämlich Rechtsaußen!

Zu Beginn meiner Rede sagte ich, Mahnmale und Denkmale sind wichtig, um die Erinnerung an die Zeit des Faschismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und vor seiner Wiederkehr zu warnen. Eine Wiederkehr, die nicht ausgeschlossen ist.

Auch 2015 wurde in Gelsenkirchen ein Denkmal der Öffentlichkeit übergeben. Allerdings kein antifaschistisches Denkmal, sondern im Gegenteil, ein Denkmal in kriegsverherrlichender und faschistischer Ästhetik. Ein 5 Meter hohes, lorbeergeschmücktes Schwert aus Gussstahl, angebracht an einer 6 Meter hohen Granitstele. Ein steil aufgerichteter Kriegsphallus.

Ursprünglich war er von den Nazis am 1. Mai 1937 auf dem Gelände des Schalker Vereins pompös eingeweiht worden. Mit der Inschrift „Sie starben für Deutschland“ stellten die Nazis die im Ersten Weltkrieg gefallenen Werksangehörigen in den Dienst ihrer innenpolitischen Kriegsvorbereitung. Einen Krieg, den wir heute unter dem Namen Zweiter Weltkrieg kennen und in dessen Schatten Vernichtungskrieg und Holocaust stattfanden.

Nach dem Verkauf des Schalker Vereins vor einigen Jahren und während der Umgestaltung des früheren Werksgeländes wurde das Nazi-Schwert wiederentdeckt. Es wurde unter Denkmalschutz gestellt und kurz vor dem 9. November 2015 an einen öffentlichen Weg umgesetzt. Hinzu kamen ein Stein mit der einfallslosen Inschrift „Die Toten mahnen zum Frieden“ und einer den historischen Hintergrund erläuternden Tafel. Doch weithin sichtbar bleibt der steil aufgerichtete Kriegsphallus der Nazis.

Dagegen fordert die Gelsenkirchener VVN eine öffentliche Diskussion und die Umgestaltung in ein antifaschistisches Denkmal. Gerade auf dem Gelände des Schalker Vereins bietet sich die Thematisierung von Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit, Widerstand und Bombenkrieg an, um aus der Geschichte zu lernen, dass und warum sie sich nicht wiederholen darf.
Etwas, das ist in unserer Zeit nötiger ist denn je!

Vielen Dank fürs Zuhören!

*mündlich erläutert: Pro NRW Gelsenkirchen hat sich Pro Deutschland angeschlossen, an der rechtsextremen Ausrichtung hat das nichts geändert.

Ostermarsch Rhein-Ruhr 2016 im Stadtgarten Gelsenkirchen (Foto: Martin Gatzemeier)

Ostermarsch Rhein-Ruhr 2016 – Knut Maßmann spricht für die VVN-BdA am Mahnmal (Foto: Martin Gatzemeier)

Eindrücke von 1,5 Gedenkveranstaltungen am 9. November 2015

Alter Jüdischer Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke an der Ecke Wanner Straße/Oskarstraße wenige Tage zuvor.

Alter Jüdischer Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke an der Ecke Wanner Straße/Oskarstraße (Archivbild).

Auf der Abschlusskundgebung der „Demokratischen Initiative“ hat Oberbürgermeister Baranowski ein paar schöne Worte gefunden. Seine Rede begann mit der Schilderung von Flüchtlingen, die kein Land wollte und vor denen die Länder ihre Grenzen schlossen. Und es überraschte nicht, dass er an diesem Datum an die Flüchtlinge der 1930er Jahre erinnerte, die Deutschland verlassen mussten, weil sie hier verfolgt wurden – und erst dann an die gegenwärtigen Flüchtlinge, die nach Deutschland fliehen. Er erinnerte auch daran, dass das Asylrecht des Grundgesetzes ein Individualrecht ist, das keine „Kontingente“ oder Obergrenzen kennt.

Gleichzeitig war die Abschlusskundgebung als große Notlösung zu erkennen. Es war einfach nicht genügend Platz für alle Kundgebungsteilnehmer auf dem Friedhof, wo viele vor und zwischen Grabsteinen standen. Viele standen im Eingang herum und hörten von dort der durch einen kurzen Stromausfall unterbrochenen Rede. Aber über diesen Ort will ich gar nicht meckern, weil ich mich freue, dass zumindest die Abschlusskundgebung nicht am Nazi-Schwert stattgefunden hat. Auch wenn ich die Kundgebung auf dem Friedhof gespenstig fand, und es besser gefunden hätte, wenn sie vor dem Friedhof stattgefunden hätte.

Flublatt zum 9. November 2015

Flublatt zum 9. November 2015

Dieses Nazi-Schwert, welches ich in den vergangenen Wochen oft an seinem neuen Standort für diesen Blog fotografiert habe, an einem 9. November nach seiner Umsetzung erneut der Öffentlichkeit zu übergeben, ist und bleibt eine unglaubliche Peinlichkeit. Dagegen haben wir mit rund 40 Teilnehmern unsere Kundgebung als „Bündnis gegen Krieg und Faschismus“ gesetzt und gedachten stattdessen vor dem Wohn- und Geschäftshaus Wanner Straße 119 beispielhaft der jüdischen Familie, die dort am 9. November 1938 die Schrecken der sogenannten „Reichspogromnacht“ am eigenen Leib erlitten hat. Zwei Mitglieder der Familie Schönenberg wurden von den Nazis später ermordet, ein Mitglied überlebte durch Flucht. Heike und Andreas Jordan, die hier zu den Anwesenden sprachen, setzten mit ihren Worten ein Zeichen, das Vergangenheit und Gegenwart miteinander verband. Sie taten es glaubwürdig, weil sie sich nicht nur in Sonntagsreden gegen Rechtsextremisten engagieren.

Sehenswert war übrigens, wie eine Gruppe junger Leute, die zuerst bei uns stehen blieben, dann von jemanden abgeholt und zur „richtigen“ Kundgebung geholt wurden. (Wie ich später erfahren habe, handelte es sich um Jugendliche von SJD-Die Falken, die sich verspätet hatten und auf der Suche nach der Kundgebung der DI waren, um an den von den Falken organisierten Protest am Nazi-Schwert teilzunehmen.)

Wohn- und Geschäftshaus Wanner Straße 119 in Gelsenkirchen-Bulmke wenige Tage zuvor.

Wohn- und Geschäftshaus Wanner Straße 119 in Gelsenkirchen-Bulmke (Archivbild).

Wie ich im Verlauf des heutigen Tages erfahren habe, war das Nazi-Schwert von einer „aktionsgruppe kunst und kampf“ über Nacht angemalt worden. Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt strafbar mache, weil ich es gut finde, das jemand meine Idee geklaut hat. Ich hätte mich das sowieso nicht getraut. Gestern nachmittag stand es noch ordentlich am Platz, flankiert von zwei frisch gepflanzten Bäumen rechts und links, die schön in Reih und Glied stehen, das Beet akkurat geharkt. Was soll ich dazu sagen außer „typisch deutsch“? Fehlt nur noch der Gartenzaun, die Latten schwarzrotgold gestrichen, um an das demokratische Deutschland zu gemahnen? Der „Demokratischen Initiative“ traue ich inzwischen jede „Neu-Kontextualisierung“ zu.

Auf der Abschlusskundgebung der „Demokratischen Initiative“ hat Oberbürgermeister Baranowski nicht nur schöne Worte gefunden. Er sprach davon, wie wichtig Engagement gegen Rechts ist und erinnerte mit einem „wir“ an den 1. Mai 2015 in Rotthausen. Allerdings erwähnte er nicht, wer an der Stadtgrenze den Aufmarsch der „Die Rechte“ erfolgreich blockiert hat, während die „Demokratische Initiative“ sich an eine bereits geplante Kundgebung auf dem Ernst-Käsemann-Platz anhängte. Doch nur eine Sonntagsrede …  wenn auch an einem Montag.

Supplement

Ein Bericht über beide Veranstaltungen gibt es auch in der lokalen WAZ. Interessant an diesem Beitrag ist die Auffassung des Historikers Prof. Dr. Wilfried Reininghaus, der die „erinnerungspolitische Würdigung“ des Nazi-Schwerts vornahm, dass die Farbattacke eine Verweigerung des Diskurses sei. Ich finde, das genaue Gegenteil ist der Fall: die Farbattacke ist Teil des Diskurses – und zeigt einmal mehr, dass zu viele Historiker und zu wenige Künstler an der Denkmalaufstellung beteiligt waren. Dies habe ich übrigens schon zuvor hier geschrieben. – Sehr nachdenklich äußert sich Patrick Jedamzik (Bündnis 90/Die Grünen) in seinem Blog. So wie ich seinen Beitrag lese, hat es innerhalb der „Demokratischen Initiative“ keine nennenswerte Diskussion über die diesjährige Route zum Nazi-Schwert gegeben. Auch fand er den Besuch am Schwert „einfach seltsam und nichts sagend“. Schön, dass es einige nachdenkliche Stimmen mehr gibt. Es wäre dieser Stadt zu wünschen, dass sie gehört werden.

„Wir gehen nicht zum Nazi-Schwert!“ – Bündnis gegen Krieg und Faschismus wählt am 9. November eigene Route

Inschrift am sogenannten "Kriegerdenkmal Schalker Verein"

Inschrift am sogenannten „Kriegerdenkmal Schalker Verein“

Wie schon durch die in der WAZ veröffentlichte Pressemitteilung bekannt gemacht, wählt das „Bündnis gegen Krieg und Faschismus“ für den Gedenktag an die Verbrechen der sogenannten „Reichskristallnacht“ eine andere Route als die „Demokratische Initiative“ (DI). Der Hintergrund dürfte durch den Offenen Brief der VVN-BdA und die Berichterstattung der WAZ zur Genüge bekannt sein. Ein Denkmal für die gefallenen Soldaten eines Krieges kann einfach kein geeignetes Denkmal für jüdische Opfer der Nazis sein. Denkmal und Gedenkveranstaltung zum 9. November passen thematisch nicht zueinander.

Das Bündnis trifft sich wie die DI an der Hammerschmidtstraße, wird jedoch auf keinen Fall das Nazi-Schwert besuchen, sondern stattdessen das Wohnhaus in der Wanner Straße 119 und dort beispielhaft an die Familie Schönenberg erinnern. Dort betrieben Selma und ihre Tochter Erna Schönenberg ein von den Eltern übernommenes Geschäft für Manufakturwaren und Herrenbekleidung, bis es in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 – wie auch ihre Wohnung – von den Nazis zerstört wurde. Selma starb 1942 bereits auf dem Transport nach Auschwitz, Erna wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Nur Sohn Günter gelang im August 1938 die Flucht nach Holland und 1943 nach Frankreich. Er überlebte den Völkermord und wanderte 1947 in die USA aus.

Alter Jüdischer Friedhof Bulmke an der Ecke Wanner Straße/Oskarstraße. Hier plant die "Demokratische Initiative" ihre Abschlusskundgebung am 9. November 2015.

Alter Jüdischer Friedhof Bulmke an der Ecke Wanner Straße/Oskarstraße. Hier plant die „Demokratische Initiative“ ihre Abschlusskundgebung am 9. November 2015.

Zur Abschlusskundgebung um 19 Uhr am Alten Jüdischen Friedhof in Bulmke schließt sich das Bündnis der Kundgebung der DI wieder an. Trotz aller Kritik an der diesjährigen Gedenkveranstaltung hält das Bündnis eine gemeinsame Veranstaltung für die Stadtgesellschaft für so wichtig, dass es die Abschlusskundgebung mit der Rede des Oberbürgermeisters Frank Baranowski nicht boykottieren will.

Mit einem eigenen Flugblatt wird das Bündnis die Forderung der VVN-BdA unterstützen, „… aus dem Nazi-Schwert durch eine wirklich radikale Verfremdung ein antifaschistisches Gesamtkunstwerk“ zu gestalten, indem Gelsenkirchener Künstler „… das wertlose Schandmal durch künstlerische Installationen phantasievoll und kreativ…“ einrahmen und kommentieren.

Bündnis gegen Krieg und Faschismus

Das „Bündnis gegen Krieg und Faschismus“ hat sich aus dem Antikriegstagsbündnis gegründet, welches seit 2011 regelmäßig eine öffentliche Kundgebung zum Antikriegstag durchführt. Anlass für die Umbenennung war der geplante Aufmarsch der faschistischen Partei „Die Rechte“, die am 1. Mai 2015 von Essen-Kray nach Gelsenkirchen-Rotthausen marschieren wollte. Das Bündnis rief zu einer Gegenkundgebung an der Stadtgrenze auf, in dessen Verlauf gemeinsam mit weiteren demokratischen Kräften der Aufmarsch der aus Dortmund stammenden Faschisten erfolgreich blockiert werden konnte.

Werner-Goldschmidt-Salon – Parteibüro von Die Linke und Veranstaltungsort, benannt nach dem Gelsenkirchener und jüdischen Widerstandskämpfer Werner Goldschmidt

Werner-Goldschmidt-Salon – Parteibüro von Die Linke und Veranstaltungsort, benannt nach dem Gelsenkirchener und jüdischen Widerstandskämpfer Werner Goldschmidt. Hier trifft sich auch das „Bündnis gegen Krieg und Faschismus“.

Beim „Bündnis gegen Krieg und Faschismus“ handelt es sich um ein lockeres Personenbündnis, dass sich von Fall zu Fall engagiert, zuletzt am 31.10.2015 gegen ProNRW. Die einzelnen Personen kommen aus verschiedenen Parteien und Organisationen; zur Zeit sind das Die Linke, die DKP, die MLPD sowie die Piratenpartei, das kommunale Wahlbündnis AUF Gelsenkirchen, die VVN-BdA und der Verein Gelsenzentrum. Auch ein Mitglied der SPD nimmt regelmäßig an den Treffen teil.

Phantasielose Denkmalkultur

Das "Kriegerdenkmal Schalker Verein" (1937) und die "Göttin der Wasserwirtschaft" (1992)

Das „Kriegerdenkmal Schalker Verein“ (1937) und die „Göttin der Wasserwirtschaft“ (1992)

„Ein Mahnmal mit Erklärungsbedarf“ titelte die lokale WAZ am 04.11.2015 zur Auseinandersetzung um das Nazi-Schwert. Wie recht sie hat – und wie eingeschränkt doch diese Frage – nicht nur von der WAZ – angegangen wird. Der Redakteur Jörn Stender schreibt: „Ein schwarzer, polierter Stein mit der Inschrift ‚Die Toten mahnen zum Frieden‘ steht bereits neben dem Denkmal. ‚In der Hoffnung, dass Aufklärung hilft‘ wird es laut Goch noch eine Texttafel geben.“ Texttafel, Inschrift – kommt denn niemand in dieser Stadtverwaltung, niemand in dieser „Demokratischen Initiative“ auf die Idee, dass man häßliche Nazi-Kunst auch künstlerisch kommentieren kann?

Dabei liegt ein möglicher Ansatz mit dem Denkmal anders umzugehen doch so nahe. Jörn Stender schreibt: „Einen Steinwurf entfernt steht, aus Rohren zusammen gedengelt, die bunte ‚Göttin der Wasserwirtschaft‘. Eine Skulptur, nicht schön, aber unumstritten.“ Gegen diese, wie er in seinem heute abgedruckten Leserbrief schreibt „beleidigende Wertung“, wehrt sich der Schöpfer der Göttin, der Künstler Achim Wagner. „Wenn man Ihren Artikel liest, kommt man zu dem Eindruck, dass Herr Nietsch und Herr Franke zwar Nazikunst schufen, ihre Arbeit jedoch nicht zusammengedengelt und im Gegensatz zur Göttin der Wasserwirtschaft auf jeden Fall ‚richtige‘ Kunst waren.“ Und weiter schreibt er, dass an seiner Arbeit nichts zusammengehämmert sei, „sie ist geschweißt, geschraubt, gepflastert, farblich gestaltet und besitzt im Gegensatz zu etwas ‚Zusammengeklopptem‘ die Eigenschaft, Jahrzehnte zu überdauern.“ Auch die „Göttin der Wasserwirtschaft“ ist auf dem Schalker Verein entstanden und sie erinnert an tausende verschwundene Arbeitsplätze. Für ihre Verlagerung gab Saint Gobain allerdings keinen müden Euro aus.

Doch vielleicht sind oder waren bei der Frage der Denkmalsaufstellung zu viele Historiker – und zu wenige Künstler beteiligt? Wie würde es beispielsweise wirken, wenn die „Göttin der Wasserwirtschaft“ aus dem Jahre 1992 dem „Kriegerdenkmal Schalker Verein“ aus dem Jahre 1937 direkt gegenübergestellt worden wäre? Beide sind auf dem Schalker Verein entstanden, beide sind unterschiedlicher, als man es sich nur vorstellen kann. Abstrakte Kunst, von den Nazis als „entartete Kunst“ ausgesondert direkt gegenüber dem platten Schwert aus Gussstahl? Oder welche anderen Ideen könnten Künstler dieser Stadt beitragen, um durch künstlerische Installationen aus dem Denkmal ein „antifaschistisches Gesamtkunstwerk“ (VVN-BdA) zu machen?

Denn die Forderung der Gelsenkirchener Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) an den Oberbürgermeister und Schirmherrn der „Demokratischen Initiative“, Frank Baranowski, besteht nach wie vor: „Daher fordern wir Sie nicht nur erneut auf, die Kundgebung der ‚Demokratischen Initiative‘ am 9. November 2015 an einen anderen Ort zu verlegen, sondern auch, sich dafür einzusetzen, dass aus dem Nazi-Schwert durch eine wirklich radikale Verfremdung ein antifaschistisches Gesamtkunstwerk wird. Hierzu bedarf es einer Aufforderung an die Künstler und Bürger der Stadt, um das wertlose Schandmal durch ganz unterschiedliche Installationen phantasievoll und kreativ einzurahmen und zu kommentieren. Dies mindert nicht den Denkmalwert, schafft aber eine klare Aussage aus der Gegenwart zum Objekt der Nazi-Barbarei.“

Kunst im öffentlichen Raum

Zwei Beispiele für Kunst im öffentlichen Raum in Gelsenkirchen.

Nazi-Schwert am neuen Standort – „Demokratische Initiative“ hält an Kundgebungsort zum 9. November fest

Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein aus dem Jahre 1937 am neuen Standort im Jahre 2015

Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein aus dem Jahre 1937 am neuen Standort im Jahre 2015

Das Nazi-Schwert vom Schalker Verein aus dem Jahre 1937, offiziell als „Kriegerdenkmal Schalker Verein“ bezeichnet, ist an seinem neuen Standort aufgebaut. Und die aktuelle Pressemitteilung lässt keine Zweifel daran, dass die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie – Gelsenkirchen“ tatsächlich an ihrer Absicht festhält, an diesem Schandmal eine Zwischenkundgebung während der Gedenkveranstaltung an den frühen Höhepunkt der Judenverfolgung 1938, der sogenannten „Reichskristallnacht“ abzuhalten. Peinlicher geht es kaum noch.

Die Gelsenkirchener Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) bleibt bei ihrer Position: ein Denkmal für die Toten eines Krieges kann kein geeigneter Ort für eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht sein. Außerdem strahlt das in nationalsozialistischer und kriegsverherrlichender Ästhetik errichtete Denkmal noch immer eine militaristische Botschaft aus, gegen die die geplante künstlerische Ergänzung nur verblassen wird.

Die VVN-BdA fordert Frank Baranowski als Oberbürgermeister und Schirmherrn der DI in ihrem Offenen Brief dazu auf, “sich dafür einzusetzen, dass aus dem Nazi-Schwert durch eine wirklich radikale Verfremdung ein antifaschistisches Gesamtkunstwerk wird. Hierzu bedarf es einer Aufforderung an die Künstler und Bürger der Stadt, um das wertlose Schandmal durch ganz unterschiedliche Installationen phantasievoll und kreativ einzurahmen und zu kommentieren. Dies mindert nicht den Denkmalwert, schafft aber eine klare Aussage aus der Gegenwart zum Objekt der Nazi-Barbarei.”

Alter Jüdischer Friedhof Bulmke an der Ecke Wanner Straße/Oskarstraße. Hier plant die "Demokratische Initiative" ihre Abschlusskundgebung am 9. November 2015.

Alter Jüdischer Friedhof Bulmke an der Ecke Wanner Straße/Oskarstraße. Hier plant die „Demokratische Initiative“ ihre Abschlusskundgebung am 9. November 2015.

OB antwortet nicht

Bisher gibt es auf den Offenen Brief der Gelsenkirchener Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) an den Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen und Schirmherrn der Demokratischen Initiative (DI), Frank Baranowski (SPD), noch keine Antwort.

Fotomontage zur geplanten Kundgebung der "Demokratischen Initiative" zum Gedenken an die Pogrome in der sogenannten "Reichspogromnacht". In der Bildmitte der Alte Jüdische Friedhof Bulmke umrahmt von den Inschriften des Nazi-Schwerts vom Schalker Verein.

Fotomontage zur geplanten Kundgebung der „Demokratischen Initiative“ zum Gedenken an die Pogrome in der sogenannten „Reichspogromnacht“. In der Bildmitte der Alte Jüdische Friedhof Bulmke umrahmt von den Inschriften des Nazi-Schwerts vom Schalker Verein.

Wie hier nachzulesen ist, fordert die VVN-BdA den Oberbürgermeister und Schirmherrn der DI auf, die geplante Kundgebung zum Gedenken an die Pogrome in der sogenannten „Reichskristallnacht“ nicht am Kriegerdenkmal Schalker Verein durchzuführen. Ein Denkmal für die Toten eines Krieges kann kein geeigneter Ort für diese Gedenkveranstaltung sein. Außerdem strahlt das in nationalsozialistischer und kriegsverherrlichender Ästhetik errichtete Denkmal noch immer eine militaristische Botschaft aus, gegen die die geplante künstlerische Ergänzung nur verblassen wird.

In ihrem Flugblatt ruft die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie – Gelsenkirchen“ zu einem Schweigezug auf, der um 18.30 Uhr auf dem Schulhof des Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasiums in der Hammerschmidtstraße beginnen soll, und vorbei am Alten Jüdischen Friedhof an der Ecke Wanner Straße/Oskarstraße zum „umgewidmeten Kriegerdenkmal“ auf dem Gelände des früheren Schalker Vereins führen soll.

Wie in einem Beitrag in den Gelsenkirchener Geschichten zu lesen ist, wurde diese Planung geändert. Der Schweigezug soll nun zuerst zum „umgewidmeten Kriegerdenkmal“ gehen, dort soll Prof. Dr. Reininghaus die „historische und erinnerungskulturelle Würdigung“ des Denkmals darstellen. Daran anschließend soll es zum gegenüberliegenden Alten Jüdischen Friedhof gehen, wo der Oberbürgermeister und Schirmherr der DI sprechen wird.

Sie können es einfach nicht lassen! Es ist schon faszinierend zu sehen, wie sehr die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie – Gelsenkirchen“ an diesem ollen Nazi-Schwert hängt, mit dem die Nazis die Beschäftigten des Schalker Vereins mit der Erinnerung auf den Ersten zugleich auf den Zweiten Weltkrieg einstimmten.

Die VVN-BdA fordert dagegen Frank Baranowski als Oberbürgermeister und Schirmherrn der DI in ihrem Offenen Brief dazu auf, „sich dafür einzusetzen, dass aus dem Nazi-Schwert durch eine wirklich radikale Verfremdung ein antifaschistisches Gesamtkunstwerk wird. Hierzu bedarf es einer Aufforderung an die Künstler und Bürger der Stadt, um das wertlose Schandmal durch ganz unterschiedliche Installationen phantasievoll und kreativ einzurahmen und zu kommentieren. Dies mindert nicht den Denkmalwert, schafft aber eine klare Aussage aus der Gegenwart zum Objekt der Nazi-Barbarei.“ Vielleicht gibt es ja noch eine Antwort darauf.

Supplement

Am 3. November 2015 erreichte mich ein Schreiben – nicht durch den Oberbürgermeister und Schirmherrn der DI Frank Baranowski – , sondern verfasst vom Leiter des Instituts für Stadtgeschichte (ISG), Prof. Dr. Stefan Goch, dass erneut die offizielle Sichtweise darstellte. Eine ganzseitige Berichterstattung zum Thema folgte am 4. November im Lokalteil der WAZ, in der auch auf die Position der Gelsenkirchener VVN-BdA eingegangen wurde.