Offener Brief

VVN-BdA Gelsenkirchen

An den
Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen
und Schirmherrn der „Demokratischen Initiative“
Herrn Frank Baranowski
45875 Gelsenkirchen

22.10.2015

Offener Brief zur geplanten Kundgebung der „Demokratischen Initiative“ am
9. November 2015 am sogenannten „Kriegerdenkmal Schalker Verein“

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Baranowski,

die Kreisvereinigung Gelsenkirchen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) möchte mit diesem Schreiben ihr Unverständnis über die geplante Kundgebung der „Demokratischen Initiative“ (DI) am 9. November 2015 am sogenannten „Kriegerdenkmal Schalker Verein“ ausdrücken und Sie zugleich als Schirmherr der DI auffordern, den geplanten Kundgebungsort zu verlegen.

Am 9. November 2015 wird an den 9. November 1938 erinnert. Es handelt sich bei diesem Tag um einen frühen Höhepunkt der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland, in dessen Verlauf nicht nur Synagogen zerstört und jüdische Geschäfte geplündert wurden, sondern jüdische Deutsche verhaftet und in Konzentrationslager gesperrt, ermordet, vergewaltigt, gedemütigt oder in den Tod getrieben wurden. Seit ihrer Machtübertragung 1933 war es Politik der Nazis, von ihnen als jüdisch definierte Menschen aus der sogenannten „Volksgemeinschaft“ auszuschließen. Diese Politik mündete in der Ermordung von 6 Millionen Juden in Europa, Männer, Frauen und Kinder.

Ein Gedenktag, der an diese Ereignisse erinnert, sollte unseres Erachtens würdevoll begangen werden. Dies ist jedoch am geplanten Ort nicht möglich.

Ein Denkmal für die gefallenen Soldaten eines Krieges kann niemals ein adäquates Denkmal für jüdische Opfer der Nazis sein.

Denkmal und Gedenkveranstaltung passen thematisch überhaupt nicht zueinander. Bei dem sogenannten „Kriegerdenkmal Schalker Verein“ handelt es sich um ein – übrigens künstlerisch anspruchsloses – 5 Meter hohes Schwert aus Gussstahl, welches an einer 6 Meter hohen Stele angebracht ist. Eingeweiht wurde es von den Nazis am 1. Mai 1937, dem von der internationalen Arbeiterbewegung gestohlenen und zum „Tag der nationalen Arbeit“ umgedeuteten Feiertag. Das Schwertmotiv erinnert an die im Ersten Weltkrieg in zahlreichen Städten, auch in Gelsenkirchen, aufgestellten monumentalen Holzschwerter, die für die Fortführung des Krieges warben. Zugleich nahmen die Nazis die Erinnerung an die rund 400 „gefallenen Arbeitskameraden“ (Inschrift) des Ersten Weltkriegs in den Dienst ihrer eigenen faschistischen Kriegspolitik und ließen eine Seite der Stele mit dem berüchtigten Satz „Sie starben für Deutschland“ beschriften.

An diesem Täterdenkmal eine Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die verfolgten und ermordeten Juden des 9. November 1938 abzuhalten, können wir entweder nur als gedankenlos oder als naiv bezeichnen. Darum wiederholen wir unsere Forderung noch einmal: Wählen Sie einen anderen und geeigneten Ort für die Kundgebung der „Demokratischen Initiative“ am 9. November 2015 aus.

Das Denkmal strahlt weiterhin eine militaristische Botschaft aus.

Dass das Denkmal nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten ist, spricht gegen seine Bedeutung. Nach Aussagen eines früheren Betriebsrats des Schalker Vereins spielte es spätestens seit den 1960er Jahren im Bewusstsein der Belegschaft keine Rolle (mehr). Vielen war es gar nicht bekannt, auch wuchs es auf dem Werksgelände hinter den Torhäusern verborgen weitgehend zu. Es war nicht einmal mehr ein Ort der stillen Trauer, wie eine Vorlage der Stadtverwaltung den Ausschüssen weismachen will, sondern es stand schlicht und einfach vergessen in einer Ecke des Werksgeländes herum.

Mit der geplanten Verlagerung in den öffentlichen Raum verschafft die Stadt Gelsenkirchen diesem Denkmal neue Aufmerksamkeit. Die geplante Erinnerungstafel und die einfallslose „künstlerische Ergänzung“ in Form einer Stahlplatte mit der Inschrift „Die Opfer der Kriege mahnen zum Frieden“ reichen unseres Erachtens überhaupt nicht aus, um die ursprüngliche Intention des Denkmals zu brechen.

Weithin sichtbar wird die 6 Meter hohe, hässliche Stele aus Granitquadern mit dem 5 Meter hohen, aufgereckten lorbeerumkränzten Nazi-Schwert aus Gussstahl sein. Die kümmerliche „Ergänzung“ wird daneben verblassen, der in den Vorlagen der Verwaltung behauptete „Bedeutungswandel“ wird nicht sichtbar sein.

Vielmehr wird es Rechtsextremisten und Neofaschisten als willkommene Einladung für „Nationale Mai-Feiern“ oder „Nationale Antikriegstage“ dienen. Unpolitische Bürger, die es von weitem sehen, werden nur seinen heroischen Sinn erkennen. Wollen Sie der Stadt und vor allem unseren Kindern wirklich dieses gigantische Phallussymbol antun?

Daher fordern wir Sie nicht nur erneut auf, die Kundgebung der „Demokratischen Initiative“ am 9. November 2015 an einen anderen Ort zu verlegen, sondern auch, sich dafür einzusetzen, dass aus dem Nazi-Schwert durch eine wirklich radikale Verfremdung ein antifaschistisches Gesamtkunstwerk wird. Hierzu bedarf es einer Aufforderung an die Künstler und Bürger der Stadt, um das wertlose Schandmal durch ganz unterschiedliche Installationen phantasievoll und kreativ einzurahmen und zu kommentieren. Dies mindert nicht den Denkmalwert, schafft aber eine klare Aussage aus der Gegenwart zum Objekt der Nazi-Barbarei. Der Materialwert dieser Installationen dürfte weitaus geringer sein, als die Kosten der jetzigen Verlagerung für die Stadt betragen.

Mit freundlichen Grüßen
für die VVN-BdA Gelsenkirchen

Andreas Jordan        Knut Maßmann

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