Science-Fiction-Fans kennen das Konzept der „Alternativen Realität“. In allen drei Teilen des Films „Zurück in die Zukunft“ verändert Marty McFly seine eigene Gegenwart durch Veränderungen in der Vergangenheit. In der Fernsehserie „Sliders“ aus den 1990ern reisen die vier Protagonisten mit Hilfe eines Geräts, das wie eine TV-Fernbedienung aussieht, zu parallelen Erden, die sich von unserer mal durch große und mal durch kleine Unterschiede unterscheidet. Mal müssen die Autofahrer bei rot anstatt bei grün fahren, mal hat die Sowjetunion den Kalten Krieg gewonnen. Auch die SF-Story „Schwarze Wolken über Rotthausen“ führt uns in eine noch unbekannte Parallelwelt.
In diese ganz eigene Parallelwelt verortet der noch völlig unbekannte Science-Fiction-Autor Norbert Emmerich in seiner Veröffentlichung auf der Homepage der AfD Gelsenkirchen (die das Wort „Alternative“ ja schon im Namen trägt) den Infostand ebendieser Organisation vom letzten Samstag auf dem Rotthauser Markt. Die Reise benötigt kein technisches Gerät, sondern nur das Schließen seiner Augen. Er hörte eine Passage aus „Dark Paradise“ von Lana del Rey und fühlte sich plötzlich „von einer kleinen Gruppe mehrheitlich schwarz gekleideter Menschen konfrontiert“. Wir müssen an dieser Stelle keine kleinliche Literaturkritik beginnen, natürlich muss es heißen „mit einer kleinen Gruppe mehrheitlich schwarz gekleideter Menschen konfrontiert“. Oder wollte er „von einer kleinen Gruppe mehrheitlich schwarz gekleideter Menschen bedroht“ schreiben? Möglicherweise wollte uns der Autor durch einen Verfremdungseffekt nur nahebringen, dass in dieser alternativen Realität auch eine alternative Rechtschreibung existiert?
Wichtig ist jedoch, dass sich der Autor an dieser Stelle schon in einer anderen Welt befand, denn wie ich mich erinnere, waren wir durchaus unterschiedlich farblich gekleidet. Auch dass man ihnen, wie er schreibt, die „üblichen bekannten linken Ideologien“ „mittels mitgebrachter Pappe“ entgegenhielt, ist ein interessanter schriftstellerischer Ansatz. Ich kann mich an Schilder mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ oder „Alternative für Dumme“ erinnern.
In Wirklichkeit diskutierte er mit uns und forderte uns auf, die Realitäten anzuerkennen, zu denen zum Beispiel gehört, dass Mohammed vor rund 1400 Jahren 70 Kriege geführt hat. In seiner Geschichte fühlte er sich stattdessen aufgrund der schwarzen Kleidung „wie auf einer öffentlichen Beerdigung“ und wähnte sich möglicherweise in einem totalitären Staat, in dem „das Tragen einheitlicher Kleidung“ „als Uniformierung verboten wird“. Ganz klar wird diese Textpassage nicht, hier müsste der Autor für eine Veröffentlichung in einem anerkannten Science-Fiction-Magazin noch ein wenig den Sinn seiner Aussage herausarbeiten.
Die Wirklichkeit des Samstags überschneidet sich an mehreren Stellen mit seiner Geschichte, wenn er, um ein Beispiel zu nennen, über einen Mainstream einer von ihm so bezeichneten „Gender Ideologie“ schreibt, die „Vater, Mutter, Kind als tragende Säule jeder funktionierenden und im Bestand stabilen Gesellschaft“ verändern wolle und stattdessen eine Gesellschaft mit „4.000 verschiedenen Geschlechtern“ „implementieren“ wolle. So ähnlich hat er das auch in Wirklichkeit gesagt und wir haben über diese Vorstellung schallend gelacht. Es wäre Material für eine großartige Alternativweltgeschichte. Man stelle sich nur die Probleme bei der Partnerwahl angesichts von 4000 verschiedenen Geschlechtern vor.
Aber zum Glück gehört das ja nur in der Phantasie des Autors zum Mainstream unserer Gesellschaft. In der Wirklichkeit gibt es zwei Geschlechter, Männer und Frauen, die sich für Männer oder für Frauen interessieren. Manchmal auch für beide Geschlechter gleichzeitig. Daneben gibt es einige wenige Menschen, die sich im falschen Körper fühlen und ihr Geschlecht wechseln möchten sowie Menschen, die mit unterschiedlichen Geschlechtsmerkmalen beider Geschlechter geboren wurden.
Und es gibt in der Wirklichkeit auch eine AfD-Parteisprecherin, die ihre „tragende Säule jeder funktionierenden und im Bestand stabilen Gesellschaft“ verlassen und eine außereheliche Beziehung mit einem AfD-Landesvorsitzenden führt, der ebenfalls seine „tragende Säule jeder funktionierenden und im Bestand stabilen Gesellschaft“ verlassen hat. Ich wünsche den beiden viel Spaß miteinander, denn zum Glück für sie (und für uns) leben wir nicht in einer AfD-Parallelwelt, sondern in der Wirklichkeit.