Fast eine ganze Zeitungsseite widmete die Gelsenkirchener WAZ heute dem neunjährigen Sintimädchen Rosa Böhmer aus Gelsenkirchen-Buer, das von den Nazis aus der Schule ins KZ Auschwitz gebracht und dort ermordet wurde. Elisabeth Höving berichtet ausführlich über Rosa Böhmer unter der Überschrift „Die Leidensgeschichte der Rosa Böhmer“ sowie in einem weiteren Artikel über Rosas Mitschüler Hubert Schier, der ihre Geschichte recherchiert und veröffentlicht hatte. In einem dritten Artikel auf derselben Seite berichtet sie über die symbolische Platzbenennung des Platzes hinter dem Bildungszentrum durch den Verein Gelsenzentrum.
Erfreulicherweise ist dort auch zu lesen, dass der Leiter des Instuts für Stadtgeschichte (ISG) Stefan Goch den Auftrag habe, einen geeigneten Platz zu suchen. Meines Erachtens ist der Platz hinter dem Bildungszentrum bestens geeignet, in naher Umgebung zu den anderen vier innerstädtischen Plätzen gelegen, die an Widerstand und Verfolgung der Sozialdemokraten (Margarethe-Zingler-Platz), Kommunisten (Fritz-Rahkob-Platz), Katholiken (Heinrich-König-Platz) und Juden (Leopold-Neuwald-Platz) erinnern.
Hoffentlich bedeutet die Suche nach einem „geeigneten Platz“ nicht, dass sich die Ausgrenzung der Sinti und Roma im Gedenken fortsetzt, und die Stadt einen abgelegenen Platz am Stadtrand nach ihr benennt. Das wäre nicht nur blamabel, sondern einer sozialdemokratisch regierten Stadt unwürdig!
Pingback: Erinnerungsort: Symbolische Platzbenennung | Gelsenblog – Ein Projekt von GELSENZENTRUM
Der Platz hinter(!) dem Bildungszentrum erscheint mir ungeeignet im ersten Schritt. Eine Maximalforderung nach dem Platz am Hans-Sachs-Haus erscheint mir sinnvoll. Auch wenn diese keinen Erfolg hätte, so würde doch zumindest die Thematik Gegenstand einer öffentlichen Diskussion und genau die muss stattfinden. Um des Themas Willen. Eine Platzbenennung ohne Reibung, einfach um ein paar Stimmen zufrieden zu stellen, kann nicht das Ziel sein. Es darf ruhig auch mal wehtun.
Warum? Ein Rosa-Böhmer-Platz hinter dem Bildungszentrum stünde in unmittelbarer Nähe zum Leopold-Neuwald-Platz vor dem Bildungszentrum (übrigens m.E. sehr hässlich gestaltet), zum Fritz-Rahkob-Platz auf dem Weg zum Hans-Sachs-Haus (ein „Durchgangsplatz“) und zum Heinrich-König-Platz am Neumarkt. Nur der Margarethe-Zingler-Platz läge aus dieser Sicht etwas abseits 😉
Ein Platz vor dem Hans-Sachs-Haus wäre auch nicht zu verachten, halte ich aber für nicht durchsetzbar – nicht nur in Glsenkirchen. Bin ich aber gerne bereit zu unterstützen!
»Hinter« dem Bildungszentrum? Also in einem Bereich, der kaum frequentiert wird und deshalb wohl selten genannt werden wird? Dann bliebe die Benennung natürlich symbolisch, was wiederum nur Sinn macht, wenn sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Diese öffentliche Diskussion und Auseinandersetzung könnte man eventuell erreichen, indem man eine Maximalforderung positioniert über die gesprochen werden muss. Darum geht es mir im Wesentlichen: Auseinandersetzung mit dem Thema. Andernfalls kannst Du Zilliarden kleiner Plätze umbenennen. Wenn es niemandem auffällt, hat es keinerlei Auswirkung. Straßen- und Plätzenamen scheinen ohnehin nur »funktional« wahrgenommen zu werden. Ich denke nicht, dass alle Bewohner einer Straße wissen, warum sie so heißt, wie sie heißt und wer ggf. die Person war (unterstelle ich jetzt mal).
Die „Maximalforderung“ wurde am 30. Januar 2013 – dem 80. Jahrestag der Machtübergabe an Hitler und seine Schergen – abgelehnt.
Zur Info:
Antrag fand keine Mehrheit
30. Januar 2013. Der Ausschuss für Kultur und Tourismus lehnt in seiner Sitzung am 30. Januar 2013 den Antrag auf „Schaffung eines Gedenk- und Erinnerungsortes für die aus Gelsenkirchen deportierten Sinti und Roma im Bereich der Ebertstraße“/Höhe Hans-Sachs-Haus ab.
22. Januar 2013. Stellungnahme der Verwaltung zum Bürgerantrag vom 21. Oktober 2012, Abschrift:
(…)
Öffentliche Beschlussvorlage; Drucksache Nr. 09-14/4673
Betreff
Anregungen und Beschwerden nach § 24 GO NRW, hier: Schaffung eines Gedenk- und Erinnerungsortes für die aus Gelsenkirchen deportierten Sinti und Roma
Beschlussvorschlag:
Der Antrag auf Schaffung eines Gedenk- und Erinnerungsortes für die aus Gelsenkirchen deportierten Sinti und Roma im Bereich der Ebertstraße wird abgelehnt.
Dr. Beck
Problembeschreibung / Begründung:
In einem Bürgerantrag vom 21. Oktober 2012 wird vorgeschlagen, einen Gedenk bzw. Erinnerungsort für die aus Gelsenkirchen deportierten und ermordeten Sinti und Roma im Umfeld des Neuen Hans-Sachs-Hauses zu schaffen. Dabei bezieht sich der Vorschlagende darauf, dass angeblich die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Er spricht von „jahrzehntelange(r) Verengung der Erinnerungsarbeit in Gelsenkirchen auf nur wenige Verfolgtengruppen“. Diese Einschätzung ist nicht zutreffend.
Die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma in Gelsenkirchen wurde in Gelsenkirchen seit dem Beginn der Erforschung der Verbrechen an dieser Bevölkerungsgruppe in den 1970er Jahren behandelt. Im Rahmen der insgesamt in der ganzen Bundesrepublik erst verspätet einsetzenden Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus gibt es seit den 1980er Jahren, damals bearbeitet von dem inzwischen verstorbenen Dr. Michael Zimmermann, schon Veröffentlichungen, die die „Zigeuner-Lagerplätze“ in Gelsenkirchen berücksichtigen. Eine konkrete Beschäftigung mit dem Verfolgungsschicksal von Sinti und Roma in Gelsenkirchen lässt sich im Bereich der kommunalen Sozialpolitik seit Ende der 1950er Jahre nachweisen.
Nach ersten Forschungsergebnissen wurde die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma in der 1994 eröffneten Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ öffentlich dargestellt und nach einem Auftrag des damaligen Oberbürgermeisters 1999 vom Institut für Stadtgeschichte eine umfassende Forschungsarbeit vorgelegt (Stefan Goch, „Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen“, Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während des „Dritten Reiches“ im Raum Gelsenkirchen, Essen 1999 (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte, Beiträge, Bd. 8)), auf die sich der Vorschlagende ja auch ausdrücklich bezieht. Weitere Publikationen folgten, erst jüngst: Stefan Goch, Gelsenkirchen: Nicht vergessen: Die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma in Gelsenkirchen, in: Karola Fings, Ulrich, Friedrich Opfermann (Hrsg.), Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933-1945, Geschichte- Aufarbeitung und Erinnerung, Paderborn 2012, S. 157-162.
Seitens der Stadt Gelsenkirchen wird also nunmehr seit vielen Jahren auf die Verbrechen an Sinti und Roma hingewiesen. Gespräche mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma e.V., Landesverband Nordrhein-Westfalen, der auch die Untersuchung von 1999 mit initiiert und auch begleitet hatte, führten nicht zu einer „Denkmals-Initiative“ und einer konkreteren Vorstellung, in welcher Form, möglicherweise im öffentlichen Raum, an die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma erinnert werden kann. Auch bundesweit hat es nach der Zustimmung der Bundesregierung zur Errichtung eines „Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma“ im Jahr 1992 bis 2012 gedauert, bis ein solches Mahnmal errichtet werden konnte.
Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Verfolgtenverbänden und weiteren Akteuren sowie „Gedenkkonkurrenzen“ zwischen verschiedenen Gruppen von Opfern nationalsozialistischer Verbrechen führten zu zahlreichen Konflikten. Solche Konkurrenzen um „das beste Gedenken“, die den Opfern aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nicht gerecht werden, möchte die Stadt Gelsenkirchen in der Gegenwart vermeiden. Im Stadtgarten erinnert ein Mahnmal, das in der Zeit nach der Befreiung vom Nationalsozialismus von Verfolgten selbst geschaffen wurde und in der heutigen Form aus dem Jahr 1950 stammt, an alle Verfolgten und Opfer. Auch wenn sich die Erinnerungskultur und die Formen der Denkmalsgestaltung weiterentwickelt haben, so ist dies doch der Ort der Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten.
Weiterhin versucht die Stadt Gelsenkirchen nun schon seit Jahrzehnten durch dezentrale Erinnerungsaktivitäten und unterschiedliche Formen der Erinnerung ein differenziertes Bild des Nationalsozialismus zu vermitteln und auch der Bevölkerungsstruktur gerecht zu werden. Dabei sind auch neben unterschiedlichen Aktivitäten mit städtischer Beteiligung zivilgesellschaftliche Initiativen immer wieder unterstützt worden. Hier bemüht sich die Stadt Gelsenkirchen um gegenseitigen Respekt und konnte beispielsweise beim Projekt „Erinnerungsorte“ schon mit zahlreichen Akteuren kooperieren. Vor dem Hintergrund der Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma gibt es nicht den geeigneten Erinnerungsort bzw. keinen Ort im Stadtbild, der als „geborener“ Erinnerungsort zentrale Bedeutung ausstrahlt.
Deshalb wird sich die Stadt Gelsenkirchen auch weiterhin vielfältig für eine Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen an Sinti und Roma engagieren.
Sehr bedauerlich, dass diese Forderung es nicht bis in die Phase »öffentliche Diskussion« geschafft hat, also mit emotionalen Wortmeldungen weiterer Bürger (pro oder contra)… Spannend ist der Verweis auf Veröffentlichungen in diesem Zusammenhang. Es dürfte doch auf der Hand liegen, dass diese nicht die gleiche Öffentlichkeitswirkung haben.
Aber die (öffentliche) Auseinandersetzung findet offensichtlich nicht statt, oder soll vermieden werden.