Moderner Antisemitismus?

Gelsenkirchen erinnert sichIm Rahmen der städtischen Veranstaltungsreihe „Gelsenkirchen erinnert sich“ über die Zeit vor 80 Jahren fand heute Abend tief im Gelsenkirchener Süden eine Veranstaltung zum Thema „Moderner Antisemitismus“ statt. Wenn man die deutsche Geschichte kennt, so sollte man annehmen, dass nichts so unmodern wäre, wie der Antisemitismus, doch tatsächlich wird schon seit Jahren das Wort „Jude“ auf Schulhöfen wie von Fußballfans wieder als Schimpfwort verwendet.

24 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer hatten sich um 19 Uhr im Spunk in Gelsenkirchen-Ückendorf versammelt und den Vortragsraum bis auf den letzten Platz gefüllt. Paul M. Erzkamp (SJD Die Falken) referierte kurz einige Stationen der religiös geprägten Judenfeindschaft im Verlauf der europäischen Geschichte, die sich in der Neuzeit zu einem rassistisch motivierten Antisemitismus steigerte. Zur Geschichte des Antisemitismus gehört auch, dass zu ihren Vertretern selbst Demokraten und Linke gehörten. Gab es für Juden im Mittelalter noch die Möglichkeit, indem sie sich taufen ließen der Verfolgung zu entkommen, so blieb ihnen diese Möglichkeit der Assimilation durch die Mehrheitsgesellschaft nach dem angeblich wissenschaftlichen Weltbild der Rassisten verwehrt. Der historische Antisemitismus gipfelte in der Shoah, dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden durch Nazi-Deutschland.

Der moderne Antisemitismus steht daher vor dem Problem, den Massenmord an den europäischen Juden leugnen oder relativieren zu müssen. Andererseits bedient er sich noch immer vieler alter antisemitischer Stereotypen. Rechte benutzen diese noch immer gerne für eine verkürzte Kapitalismuskritik, die zwischen guten Kapitalisten („schaffendes Kapital“) und bösen Kapitalisten („Spekulanten“, Finanzkapital) unterscheidet. Ebenfalls verwenden Antisemiten eine Gleichsetzung des Staates Israel mit den in der Shoah ermordeten Juden oder auch mit allen heute weltweit lebenden Juden.

An den Vortrag schloss sich nach einer kurzen Raucherpause noch eine interessante und nachdenkliche Diskussion an. Unwidersprochen blieb das Argument, dass man den modernen Antisemitismus nicht aus der Geschichte des Antisemitismus erklären kann, sondern nur aus der aktuellen, gesellschaftlichen Situation. Doch auch den modernen Antisemitismus gibt es unter anderem nur deshalb, weil es den historischen Antisemitismus gegeben hat. Oder hätte man den modernen Antisemitismus neu erfinden können? Da ich das nicht beantworten kann, habe ich die Überschrift mit einem Fragezeichen ergänzt.

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