„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ – Ostermarsch-Empfang in Gelsenkirchen 2022

Ostermarsch Rhein Ruhr 2022 in Gelsenkirchen.

Seit vielen Jahren beteilige ich mich aus friedenspolitischen Gründen am Ostermarsch. Gab es in den 1980er Jahren angesichts der NATO-Nachrüstung und der Angst vor dem Atomtod große bunte Demonstrationen von Zehntausenden, die an drei Tagen von Duisburg nach Dortmund zogen, so schmolz die Friedensbewegung mit dem Ende des Kalten Krieges auf eine kleine Schar unentwegter Friedenskämpfer. Die Etappe in Gelsenkirchen wurde zu einem kleinen aber feinen Empfang des aus Essen kommenden Fahrradkorsos, organisiert vom Friedensforum Gelsenkirchen. Neben einer kurzen Rast bei Kaffee, Kuchen und vielen Gesprächen stand immer eine Rede am Antifaschistischen Mahnmal nebst einem kulturellen Beitrag auf dem Programm. So auch in diesem Jahr.

Die Beteiligung war angesichts des schönen Wetters gut. Da der Musikpavillion aufgrund von Bauarbeiten nicht benutzt werden konnte, hatte das Friedensforum seinen Stand gegenüber der Baustelle aufgebaut und den Bauzaun für die Präsentation der Transparenten genutzt. Neben den altbekannten habe ich auch zwei neue ausgemacht: „sofort aufhören!“ und unter dem Satz „Nein zum Krieg“ drei zentrale Forderungen des Ostermarsches: „Keine Waffenexporte, Nein zur Aufrüstung, Verhandeln statt töten“. Neben dem Friedensforum Gelsenkirchen hatten auch MLPD, DKP und Die Linke ihre Infostände aufgebaut. Im Gegensatz zu früheren Jahren fehlte – nicht unerwartet – ein Infostand von Bündnis 90/Die Grünen, obgleich Mitglieder der Bündnisgrünen unter den Anwesenden waren.

Wie nicht anders zu erwarten, hat der russische Angriff auf die Ukraine innerhalb und außerhalb der Friedensbewegung für Auseinandersetzungen um die richtige Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff geführt. So erreichte mich vor einigen Wochen eine E-Mail aus den Reihen der MLPD, die für eine „neue Friedensbewegung“ warb, die sich gegen das „imperialistische Weltsystem“ richte. Ich halte eine „neue“ Friedensbewegung nicht für notwendig, sondern die Stärkung der bestehenden für wichtig.

Nach Ankunft des aus Essen kommenden Ostermarsches führte der Weg wie immer zum Antifaschistischen Mahnmal, wo nach einem kurzen Musikstück zunächst Hildegard vom Friedensforum an den verstorbenen Friedenskämpfer Willi Hofmeister erinnerte. Als Redner war bereits im Januar des Jahres, also vor dem Krieg in der Ukraine, mit Heiner Montanus der Superintendent der Evangelischen Kirche Gelsenkirchen und Wattenscheid gewonnen worden. In seiner Rede nahm er zunächst Argumente aus der Friedensbewegung gegen den Krieg in der Ukraine auf, um diese dann jedoch als gleichwertig gegenüber den Argumenten für Waffenlieferungen an die Ukraine zu stellen. Damit provozierte er deutlichen Protest aus den Reihen der Kundgebungsteilnehmern – nur mit Mühe konnte er seine Rede zu Ende bringen. Joachim Schramm von der DFG/VK wandte sich anschließend noch mit einigen Worten an die Kundgebungsteilnehmer, um auf die friedenspolitischen Forderungen des Ostermarsches hinzuweisen, die sich deutlich von Montanus‘ Rede abheben.

Die passende Antwort darauf brachte ein Chor aus Mitgliedern der Friedensfreunde Dülmen und des Friedensforums Gelsenkirchen im Anschluss, als sie ein altes Lied der Ostermarschbewegung aus den 1960er Jahren sangen, deren zentrale Sätze lauten: „Marschieren wir gegen den Osten? Nein! – Marschieren wir gegen den Westen? Nein! – Wir marschieren für ne Welt, die von Waffen nichts mehr hält, denn das ist für uns am besten!“

Wie ich erst im Nachhinein erfahren habe (siehe auch den Kommentar von Leo Kowald unten) hat Herr Montanus seine Rede kurzfristig verändert. Damit hat er sich m.E. keinen Gefallen getan, so ehrenwert seine Argumente auch sind. Als früherer Redner beim Ostermarsch in Gelsenkirchen kenne ich den Grundsatz, der für alle Redner gelten sollte: Wir rufen beim Ostermarsch nicht zu Waffenlieferungen und Beteiligungen an Kriegen auf, sondern lehnen diese ab!

3 Gedanken zu „„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ – Ostermarsch-Empfang in Gelsenkirchen 2022

  1. Petra Leonartz

    Wir dürfen uns nicht spalten lassen.
    Frieden ist ohne Wenn und Aber !
    Und auch deswegen gilt :
    Ein Aufruf für Waffenlieferungen genauso wie die Duldung solcher ist absolutes NoGo!
    Das ist aus gutem Grund NIE eine unserer Forderungen gewesen und darf deswegen nie Eingang in die Friedensbewegung finden.
    Denn dann hat die Bewegung für immer verloren.

    Petra Leonartz, Essen
    zZt gesundheitlich leider nicht zur Teilnahme in der Lage.
    Wir lassen die Tauben immer wieder fliegen!!!!!!!
    Unser Marsch ist eine gute Sache!

  2. Leo Kowald

    Superintendent Heiner Montanus hat als Hauptredner der Gelsenkirchener Ostermarsch-Etappe das in ihn gesetzte Vertrauen der Veranstalter missbraucht, als er, vom Manuskript abweichend (von einer Rechtfertigung von Kriegswaffenlieferungen ist dort nichts zu finden), die Vereinbarung brach, von dieser Stelle aus keine Grundpositionen der Friedensbewegung, z.B. „Frieden schaffen ohne Waffen!“ anzugreifen.

    Er hätte in Kenntnis des diesjährigen Ostermarschaufrufs seine Absicht, gegen Ende seiner mündlichen Rede die Ablehnung von Waffenlieferungen zu relativieren (wenn nicht gar sie zu rechtfertigen, wie von den Teilnehmern verstanden wurde), den Veranstaltern fairerweise rechtzeitig vorher signalisieren müssen. Viele Ostermarschierer haben diese Sätze als respektlosen Affront wahrgenommen. Die Veranstalter jedenfalls sind Herrn Montanus immer respektvoll „auf Augenhöhe“ begegnet und haben es nicht verdient, so ausgetrickst zu werden. Sie haben sich wohl im der Annahme geirrt, mit einem ehemaligen friedenspolitischen Beauftragten (Referenten) der evangelischen Landeskirche einen den Ostermarschierern grundsätzlich freundlich Gesinnten eingeladen zu haben (im vorbereitenden Gespräch kurz vor dem Krieg war jedenfalls nichts Gegenteiliges zu erkennen).

    Ich finde, dass die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Ostermarsches durchaus geduldig und besonnen reagiert haben. Herr Montanus durfte ausreden und niemand hat ihm das Mikro abgedreht. Wer das Publikum provoziert, muss auch dessen Unmutsbekundungen aushalten! Es gab nur einzelne Übereifrige, die aber ermahnend zurückgehalten werden konnten.

    Die Ostermarschierer können mit Recht erwarten, dass bei ihren eigenen Veranstaltungen Provokationen dieser Art von den Rednern ausbleiben. Die Leute, die zum Krieg drängen, treten ihnen unisono in allen Ländern und von allen Seiten in allen Kanälen übermächtig und von oben herab gegenüber. Die Friedensbewegungen werden dort wegzensiert und als Verräter denunziert, verfolgt und gefoltert (wie Julian Assange und Ed Snowden), Graf Lambsdorff beschimpft die Ostermarschierer gar als 5. Kolonne Putins (wie weiland ‚Moskaus‘, was vielen ja schon irgendwie noch bekannt vorkommt…)! Wer uns die wenigen, selbst erarbeiteten Möglichkeiten, für uns und eine friedliche Konfliktbewältigung zu werben, auch noch stören bzw. Anlässe für hämische Presseberichte liefern will, sollte besser in eine Talkshow der herrschenden Meinungen gehen oder sich ein offenes Mikro bei der MLPD suchen.

    Auf dem Ostermarsch sollte die Friedensbewegung zu Wort kommen. Punkt! Dabei sollte sie möglichst auch in ihrer ganze Breite sichtbar werden – aus Kirchen, Gewerkschaften, Parteien Umweltgruppen etc. – die aber immer auf den friedenspolitischen Grundsätzen steht wie FRIEDEN SCHAFFEN OHNE WAFFEN!

    Der Ostermarsch ist eine Demonstration für den Frieden und keine Talkshow über die Vorzüge oder Nachteile von Kriegswaffen. Das hat nichts mit „im eigenen Safts schmoren wollen“ zu tun. Wir schmoren ständig im Saft des übermächtigen Kriegsgeschreis. Gerade jetzt, wo viele ehemals unübertreffliche Pazifisten in ihrer Kriegsbegeisterung nicht mehr wiederzuerkennen sind – wie z. B. die Grünen, große Teile der SPD und staatsnaher Kirchenkreise – braucht die Friedensbewegung Halt und Bestätigung durch verlässliche Menschen, die dem Druck der Kriegspropaganda standhalten können.

    Da macht der katholische Papst zur Zeit durchaus eine bessere Figur (und wird deshalb gnadenlos wegzensiert!) als die evangelische Kirche, die ihre intern bröckelne Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik mit dem Wort „Dilemma“ bemäntelt in Zeiten, wo es auf klare Worte ankommt. Oder gibt es auch dort schon Gleichschaltungs-Ordern von ganz oben (Gott natürlich ausgenommen)?

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