Archiv für den Tag 23. April 2022

Endlich wieder Ostfront!

„No war“ – Kein Krieg, eines der ältesten Transparente des Friedensforums Gelsenkirchen.

Nicht unerwartet werden die Teilnehmenden der diesjährigen Ostermärsche mit den alten Argumenten aus der Zeit des Kalten Krieges wahlweise als naiv oder „fünfte Kolonne Moskaus“ beschimpft. Wäre ich bösartig, würde ich annehmen, dass sich die Politikerinnen und Politiker, die gerade Waffenlieferungen und militärische Aufrüstung das Wort reden, froh sind, dass es endlich wieder eine Ostfront gibt, und dass dieses mal nicht wir bis zum letzten deutschen Soldaten in Stalingrad, sondern nur die USA ihren Stellvertreterkrieg bis zum letzten Ukrainer führen. Ich bin aber nicht bösartig, sondern nur wütend über die aktuelle Situation und trauere um die ukrainischen Flüchtlinge und Toten.

„Frieden schaffen ohne Waffen“ sei zynisch, habe ich gelesen. Wo in aller Welt wurde denn mit Waffen Frieden geschaffen? In Afghanistan, wo sich die westlichen Armeen nach 20 Jahren überstürzt vor den Taliban zurückgezogen und ihre Ortskräfte im Stich gelassen haben? Im Irak, wo sich nach dem Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeten die barbarische Terrorarmee „Islamischer Staat“ gegründet und einen Völkermord an den Jesiden verübt hat? In Libyen, in Syrien, im Jemen, in Georgien, in Mali, auf Zypern, in Vietnam, in Korea … Überall auf der Welt gibt es Brandherde, Kriege, die mit Waffen geführt und nicht beendet werden. Denn Waffen beenden keinen Krieg, mit Waffen werden Kriege geführt. Es braucht Politik, Diplomatie und die Anerkennung gegenseitiger Interessen, um zu einem Frieden zwischen Staaten und Kriegsparteien zu kommen.

Behauptet wird auch, die Friedensbewegung oder der Ostermarsch habe den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine nicht verurteilt. Natürlich wird dieser Angriff verurteilt, genauso wie alle anderen völkerrechtswidrigen Kriege. Allerdings bleiben die Menschen, die sich für den Frieden engagieren, nicht bei der Verurteilung stehen, sondern interessieren sich für die Hintergründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Es gibt viele Stimmen, die ganz klar sagen, dass die Ausdehnung der NATO auf das Gebiet des früheren Warschauer Paktes und der früheren Sowjetunion und die fehlende Schaffung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einschluss von Russland die Voraussetzungen für die jetzige Situation geschaffen haben. Die Abschätzigkeit, mit der Russland von Seiten der USA als Regionalmacht behandelt worden ist, war ebensowenig hilfreich.

Bereits 1997 äußerten mehr als 40 ehemalige Senatoren, Regierungsmitglieder, Botschafter, Abrüstungs- und Militärexperten gegenüber dem damaligen US-Präsidenten Clinton ihre Bedenken bezüglich der Osterweiterung der NATO. Der Historiker und Diplomat George F. Kennan beurteilte sie 1997 als verhängnisvollen Fehler, weil sie erwarten lasse, „dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“ 1999 schrieb der konservative US-Politiker Pat Buchanan: „Indem wir die NATO in den Vorgarten Russlands verschieben, treten wir die Konfrontation des 21. Jahrhunderts los. …. Wenn der wachsende Unmut in Russland dazu führt, dass Jelzin durch einen antiamerikanischen Nationalisten ersetzt wird, dann liegt die volle Schuld bei einer hochmütigen US-Elite, die ihr Bestes getan hat, um Russland zu demütigen.“ Man kann über die Wortwahl („Vorgarten“) streiten, die eine Sicht auf die Welt wiedergibt, die ich nicht teile, aber die Gefahr der dann durchgeführten Politik hat er klar benannt.

Die in den 1990er Jahren befürchtete Situation ist eingetreten. Wir haben es inzwischen mit einem autoritär regierten Russland zu tun, das seine selbst definierte Interessensphäre mit militärischen Mitteln vor einer befürchteten weiteren Ausdehnung der NATO schützt. Der Frieden, der 1990 in Sicht gewesen ist, ist in weiter Ferne gerückt.

„sofort aufhören“ – Nur scheinbar ein neues Transparent des Friedensforums Gelsenkirchen.

Quelle für die Zitate zur NATO-Osterweiterung: https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung