
Nicht unerwartet werden die Teilnehmenden der diesjährigen Ostermärsche mit den alten Argumenten aus der Zeit des Kalten Krieges wahlweise als naiv oder „fünfte Kolonne Moskaus“ beschimpft. Wäre ich bösartig, würde ich annehmen, dass sich die Politikerinnen und Politiker, die gerade Waffenlieferungen und militärische Aufrüstung das Wort reden, froh sind, dass es endlich wieder eine Ostfront gibt, und dass dieses mal nicht wir bis zum letzten deutschen Soldaten in Stalingrad, sondern nur die USA ihren Stellvertreterkrieg bis zum letzten Ukrainer führen. Ich bin aber nicht bösartig, sondern nur wütend über die aktuelle Situation und trauere um die ukrainischen Flüchtlinge und Toten.
„Frieden schaffen ohne Waffen“ sei zynisch, habe ich gelesen. Wo in aller Welt wurde denn mit Waffen Frieden geschaffen? In Afghanistan, wo sich die westlichen Armeen nach 20 Jahren überstürzt vor den Taliban zurückgezogen und ihre Ortskräfte im Stich gelassen haben? Im Irak, wo sich nach dem Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeten die barbarische Terrorarmee „Islamischer Staat“ gegründet und einen Völkermord an den Jesiden verübt hat? In Libyen, in Syrien, im Jemen, in Georgien, in Mali, auf Zypern, in Vietnam, in Korea … Überall auf der Welt gibt es Brandherde, Kriege, die mit Waffen geführt und nicht beendet werden. Denn Waffen beenden keinen Krieg, mit Waffen werden Kriege geführt. Es braucht Politik, Diplomatie und die Anerkennung gegenseitiger Interessen, um zu einem Frieden zwischen Staaten und Kriegsparteien zu kommen.
Behauptet wird auch, die Friedensbewegung oder der Ostermarsch habe den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine nicht verurteilt. Natürlich wird dieser Angriff verurteilt, genauso wie alle anderen völkerrechtswidrigen Kriege. Allerdings bleiben die Menschen, die sich für den Frieden engagieren, nicht bei der Verurteilung stehen, sondern interessieren sich für die Hintergründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Es gibt viele Stimmen, die ganz klar sagen, dass die Ausdehnung der NATO auf das Gebiet des früheren Warschauer Paktes und der früheren Sowjetunion und die fehlende Schaffung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einschluss von Russland die Voraussetzungen für die jetzige Situation geschaffen haben. Die Abschätzigkeit, mit der Russland von Seiten der USA als Regionalmacht behandelt worden ist, war ebensowenig hilfreich.
Bereits 1997 äußerten mehr als 40 ehemalige Senatoren, Regierungsmitglieder, Botschafter, Abrüstungs- und Militärexperten gegenüber dem damaligen US-Präsidenten Clinton ihre Bedenken bezüglich der Osterweiterung der NATO. Der Historiker und Diplomat George F. Kennan beurteilte sie 1997 als verhängnisvollen Fehler, weil sie erwarten lasse, „dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“ 1999 schrieb der konservative US-Politiker Pat Buchanan: „Indem wir die NATO in den Vorgarten Russlands verschieben, treten wir die Konfrontation des 21. Jahrhunderts los. …. Wenn der wachsende Unmut in Russland dazu führt, dass Jelzin durch einen antiamerikanischen Nationalisten ersetzt wird, dann liegt die volle Schuld bei einer hochmütigen US-Elite, die ihr Bestes getan hat, um Russland zu demütigen.“ Man kann über die Wortwahl („Vorgarten“) streiten, die eine Sicht auf die Welt wiedergibt, die ich nicht teile, aber die Gefahr der dann durchgeführten Politik hat er klar benannt.
Die in den 1990er Jahren befürchtete Situation ist eingetreten. Wir haben es inzwischen mit einem autoritär regierten Russland zu tun, das seine selbst definierte Interessensphäre mit militärischen Mitteln vor einer befürchteten weiteren Ausdehnung der NATO schützt. Der Frieden, der 1990 in Sicht gewesen ist, ist in weiter Ferne gerückt.

Quelle für die Zitate zur NATO-Osterweiterung: https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung
Stichwort „Ausdehnung der NATO auf das Gebiet des früheren Warschauer Paktes“:
Der Nato treten Staaten m.W. aus eigener Entscheidung bei, sie werden dazu vom „Westen“ respektive von anderen Nato-Mitgliedsstaaten nicht gezwungen, die Nato ist keine Zwangsgemeinschaft. Ebenso verhält es sich übrigens auch mit der EU. Die Mitgliedschaft ist also freiwillig.
Über den Aufnahmeantrag und Nato-Mitgliedschaft wird nicht in einem Nicht-Nato-Mitgliedsland entschieden.
Anders war es im früheren Warschauer Pakt und in der Sowjetunion: Beide waren Zwangsgemeinschaften, ein freiwilliger Austritt aufgrund einer Entscheidung des betreffenden Mitlgiedslandes war m.W. nicht möglich, sondern ergab sich erst mit dem Zerfall von W.P. und UdSSR.
Derzeit möchten wieder Länder der Nato und der EU beitreten — aus eigenem Willen — weil sie in beiden Bündnissen die Sicherheit finden, die Russland nicht bietet.
Mir ist hingegen nicht bekannt, dass ehemalige Mitgliedsländer der UdSSR oder des W.P. eine freiwillige Wiederherstellung dieser Bündnisse anstreben.
Nebenbei:
Was hindert eigentlich Russland daran, einen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft zu stellen ?
Gemessen an seiner Wirtschaftsleistung ist Russland kleiner als Italien; Russland ist, ungeachtet seiner Landfläche, keine imperiale Macht, sondern ein militärisch völlig überrüsteter Zwerg.
Eckhardt Kiwitt, Freising
Wenig interessante Antwort, die leider an der Oberfläche verbleibt, da Sie offensichtlich die Argumentation in meinem Beitrag nicht erfasst, sondern nur auf ein Stichwort reagiert haben.
Zu der These „Es braucht Politik, Diplomatie und die Anerkennung gegenseitiger Interessen, um zu einem Frieden zwischen Staaten und Kriegsparteien zu kommen“:
„Anerkennung gegenseitiger Interessen“ setzt eine Bereitschaft dazu auf beiden Seiten voraus. Bei Vladimir Putin erkenne ich eine Bereitschaft, die Interessen der Ukraïne anzuerkennen, derzeit nicht.
Den Menschen in der Ukraïne Möglichkeiten zur Selbstverteidigung gegen einen Angreifer zu versagen, sie ans Messer des Angreifers zu liefern würde jetzt WEM nützen ?
Hinweis dazu: Vladimir Putin hat den Zerfall der Sowjetunion einst als „größte Katastrophe des 20sten Jahrhunderts“ bezeichnet …
Ab hier kann man nun einen Schritt weiter denken.
Übrigens, in der Aufzählung im zweiten Absatz des Beitrags fehlt — bei aller berechtigten Kritik (!) — doch etwas:
Angriffskrieg der UdSSR gegen Afghanistan 1979;
Angriffskriege Russlands im Kaukasus (Erster Tschetschenienkrieg 1994-1996; Zweiter Tschetschenienkrieg 1999-2009; Kaukasuskrieg 2008);
Russischer Militäreinsatz in Syrien.
Hier „im Westen“, in der EU, in der Nato, ist es üblich, eigenes Fehlverhalten zu kritisieren und zu hinterfragen. In Russland wird so etwas bestraft (was auch meine russischen Freunde beklagen, von denen einige in Russland, andere in Deutschland leben).
Eckhardt Kiwitt, Freising
Interessant, wie Sie sich an einzelnen Sätzen abarbeiten und den Gesamtzusammenhang meiner Argumentation außer acht lassen. Wenn es Ihnen Spaß macht, dann machen Sie nur weiter so. Und richtig: es fehlen ganz ganz viele Kriege.
Eine Liste nur der großen Kriege findet sich hier https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kriegen#Gro%C3%9Fe_Kriege_seit_dem_Zweiten_Weltkrieg_(mit_Opferzahl)
Erläutere bei Gelegenheit gern mal den „Gesamtzusammenhang meiner Argumentation“, den ich außer acht lasse bzw. nicht erfasse.
Danke !
Und gern ohne „Sie“.
Eckhardt
Sie müssen entschuldigen, aber lesen und das Gelesene begreifen kann ich Ihnen nicht abnehmen.
Eine abschließende Frage:
Was kann man tun, wenn man militärisch angegriffen wird ?
Ein paar Vorschläge:
♦ den Angreifer zum Friedensgebet einladen;
♦ im Land des Angreifers mit „Schwerter zu Pflugscharen“-Plakaten demonstrieren;
♦ den Angreifer bitten, seine Waffen niederzulegen.
Eckhardt Kiwitt, Freising
Ihre „Vorschläge“ sind so zynisch, wie man der Friedensbewegung vorwirft mit dem Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ zu sein. Ich verweise der Einfachheit halbe auf einen früheren Artikel von mir hier https://antifaschistischesgelsenkirchen.wordpress.com/2022/03/01/fur-frieden-braucht-es-mehr-als-militar/ Da habe ich abschließend geschrieben: „Um nicht missverstanden zu werden: Russland muss seinen Krieg sofort beenden und alle Truppen aus der Ukraine abziehen. Solange das nicht geschieht, hat die Ukraine das Recht, sich zu verteidigen und jedes Land der Welt hat das Recht, die Ukraine dabei zu unterstützen, auch militärisch. Eine Lösung kann jedoch militärisch nicht gefunden werden.“
Welche Möglichkeiten gibt es, den Angreifer davon zu überzeugen, dass er seine Kriegshandlungen beenden muss ?
Wie könnte eine Lösung gefunden werden, ganz praktisch, wenn einerseits jedes Land der Welt das Recht hat, den Angegriffenen zu unterstützen — auch militärisch –, andererseits eine Lösung militärisch jedoch nicht gefunden werden kann ?
Eckhardt Kiwitt, Freising
Lesen Sie einfach mal mehr als einen Satz meiner Beiträge. Danke.
Danke für diese plausible und ganz praktikable Erläuterung.
Jetzt verstehe ich, wie eine Lösung gefunden werden kann, wenn einerseits jedes Land der Welt das Recht hat, den Angegriffenen zu unterstützen — auch militärisch –, andererseits eine Lösung militärisch jedoch nicht gefunden werden kann.
Vielen herzlichen Dank !
Eckhardt Kiwitt, Freising
Das ’neue‘ Transparent des Friedensforums GE „Sofort AUFHÖREN“ ist schon 23 Jahre alt. Ich selbst habe es 1999 anlässlich der Bombardierung Serbiens/Jugoslawiens gemalt und mit Karmelita und unserem Freund Volker auf der 1.Mai-Kundgebung auf dem Kennedyplatz in Essen präsentiert. Im NRZ-Bericht über den 1. Mai wurde das Transparent erwähnt und im Foto gezeigt:
https://linksharing.samsungcloud.com/dEd76KLbXsDU
Dazu habe ich einen Monat später das Gedicht geschrieben:
DIE BRÜCKE VON VARVARIN
In der serbischen Kleinstadt Varvarin am Ufer der Morava herrscht am 30. Mai 1999 sonntägliches Markttreiben. Der schon zehn Wochen andauernde NATO-Krieg gegen Jugoslawien scheint weit weg, Belgrad und der Kosovo sind jeweils 200 Kilometer entfernt. Kurz nach 13 Uhr tauchen zwei F-16- Kampfflugzeuge der NATO am Himmel auf und feuern mit lasergesteuerten 2000- Pfund-Bomben auf die Brücke am Stadtrand, die direkt zum Marktplatz führt: Drei Menschen werden getötet, fünf weitere schwer verletzt. Dutzende Menschen laufen vom Markt zur Brücke, um zu helfen. Bei einem zweiten Angriff kurz darauf werden sieben Menschen getötet und zwölf werden schwer verletzt.
Der auf seinem
Schleudersitz,
könnte er die Schreie hören,
könnte der auf seinem
Schleudersitz
die Schreie hören,
würde er erschrocken
umkehren und AUFHÖREN,
Befehle auszuführen,
Brücken zu zerstören,
die uns gar nicht gehören
und nicht zu uns führen?
Der auf dem
Ministerstuhl,
könnte er das Zittern spüren,
könnte der auf dem
Ministerstuhl
das Zittern spüren,
würde er sich erschüttert
rühren und AUFHÖREN,
Befehle zu beschließen,
Länder zu beschießen
die sich nicht drohen ließen
und nicht kaufen ließen?
Der auf Deiner
Fernsehcouch,
könnte er die Schmerzen fühlen
könnte der auf Deiner
Fernsehcouch
die Schmerzen fühlen
würde er dann endlich
aufwachen und AUFHÖREN,
die immer neu zu wählen,
die Soldaten befehlen,
Menschen zu vernichten
um Macht zu errichten?
Die Brücke sei ein legitimes militärisches Ziel gewesen, behauptete NATO-Sprecher Jamie Shea nach diesem Angriff. Doch in Varvarin befanden sich keine militärischen Einrichtungen. Die nächste Kaserne war 22 Kilometer entfernt. Die 75 Jahre alte Brücke hatte nur eine Traglast von zwölf Tonnen und wurde für Militärverkehr während des Krieges nicht genutzt. Auch Militärexperten sprechen von einem Kriegsverbrechen gegen Zivilisten.
Als Lied: https://youtu.be/S-aL5zpZSY0
Lieber Leo, ich habe das Transparent zum ersten Mal gesehen und dachte es wäre neu. Danke für Korrektur und Info.