„Brennende Ruhr“

Veröffentlichung des RuhrEcho-Verlags, Bochum 2010.

Im nächsten Jahr jähren sich zum hundertsten Mal der Kapp-Putsch gegen die demokratisch gewählte Reichsregierung, der sich anschließende Generalstreik, der die Putschisten zum Aufgeben zwang, die Bewaffnung der Arbeiter im Ruhrgebiet zur „Roten Ruhrarmee“ und die Niederschlagung der „Märzrevolution“ durch Reichswehr und rechtsradikale Freikorps im Auftrag der SPD-geführten Reichsregierung. Der 1927 von Karl Grünberg verfasste „Roman aus der Zeit des Kapp-Putsches“ schildert vor diesem Hintergrund die Erlebnisse und Erfahrungen des sozialdemokratischen Werkstudenten Ernst Sukrow. Die politische Absicht des Romans ist es, zu zeigen, dass die Spaltung der Arbeiterbewegung zu ihrer Niederlage führte. Grünberg schildert die damalige Zeit plastisch und eindrucksvoll und macht so ein Stück Geschichte des Ruhrgebietes lebendig. Der Roman ist zugleich Zeitdokument und literarisches Werk.

Der Autor des Romans, Karl Grünberg, hat die Spaltung der Arbeiterbewegung selbst erlebt. 1891 in Berlin geboren, trat er 1911 der SPD bei, die sich während des Ersten Weltkrieges an der Zustimmung zu den Kriegskrediten entzweite, wechselte 1919 zur USPD und 1920 zur KPD. Er war 1928 Mitbegründer des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und gehörte zu den Autoren, deren Bücher die Nazis am 10. Mai 1933 verbrannten. Zeitweise im KZ Sonnenburg inhaftiert, war er von 1943 bis 1945 als Feuerwehrmann in Essen und Berlin dienstverpflichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte und arbeitete er als Journalist und Schriftsteller in der DDR, wo er 1972 starb.

Der Protagonist, Ernst Sukrow, ist ein mittelloser ehemaliger Student der Chemie, der sich nach den Wirren am Ende des ersten Weltkrieges durchschlägt. Im Zug nach Duisburg, wo er im Kohlenbergbau des Ruhrgebietes Arbeit zu finden hofft, begegnet er dem Betriebsrat der Zeche Hasdrubal I, Peter Ruckers, sowie der Fabrikantentochter Gisela Zenk. Die Diskussion während eines Zugstillstandes zeigt zugleich einen ersten Aufriss der tagesaktuellen Probleme, unter anderem Kohlenmangel und geforderte Überstundenschichten der Bergleute, und den dahinterstehenden Interessensgegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Ruckers nimmt sich des jungen Studenten an, steigt mit ihm in Oberhausen aus, um mit der Straßenbahn weiter in das fiktive Swertrup zu fahren. Sukrow kommt zunächst bei der Familie Ruckers unter, neben dem Ehepaar Ruckers gehören noch der Sohn Hannes, die Tochter Mâry und der Kriegsversehrte Ludwig zur Familie. Zwei weitere Kinder sind bereits als Kleinkinder gestorben. Da trotz geforderter Überstundenschichten keine Bergleute eingestellt werden, nimmt Sukrow im Stahlwerk Flaschner eine Arbeit an, lädt dort Schrott ab und siedelt bald in das Junggesellenheim des Stahlwerks über. Hier lernt Sukrow, der mit der SPD sympathisiert und bald auch dort Mitglied wird, den Kommunisten Max Grothe kennen. Später begegnet er noch dem Gewerkschaftssekretär des Bergarbeiterverbandes, Reese, und dem örtliche SPD-Vorsitzenden, Stadtverordneten und Eisenbahnbetriebsrat Oversath. Mit dem „Unabhängigen“ Ruckers (USPD) ist damit die örtliche Arbeiterbewegung aus Gewerkschaften, SPD, USPD und KPD personalisiert.

Die deutschnationale Seite wird durch den technischen Leiter der Gießerei, Dr. Grell, und das bald wieder auftauchende Fräulein Gisela Zenk repräsentiert. Zenk ist Ehrenmeisterin im „Rugard“, einem fiktiven, deutschnationalen Kampfbund. Zunächst hat Sukrow das Glück, von Dr. Grell als Laborant im Stahlwerkslaboratorium eingestellt und damit der unerträglichen Arbeit des Schrottabladens zu entkommen. Hier trifft er unter anderem auf den national gesinnten Laboranten Walter Peikchen, der ebenfalls Mitglied des Rugard-Bundes ist. Unterdessen erlebt Sukrow die brutale Gewalt der berittenen Polizei gegen unbewaffnete, streikende Arbeiter, trifft Mâry Ruckers wieder und zieht in die Pension des Ehepaares Schapulla. Auf einem geselligen Abend der Einwohnerwehr von Herrn Schapulla mitgenommen, lernt er nicht nur die Töchter von Reese und Oversath kennen, sondern auch den Bergassessor Kuhlenkamp, der, wie sich später herausstellte, ebenfalls für den Rugard arbeitet.

Als Sukrow seine erste Mitgliederversammlung der SPD besucht, erfährt er dort, dass in Berlin der Generallandschaftsdirektor Kapp, General Lüttwitz und Hauptmann Papst gegen die Reichsregierung putschen. Doch die Diskussion dort enttäuscht ihn schwer. Am nächsten Tag erfährt er, dass die Reichswehr sich nicht für die bestehende Regierung einsetzt und die Regierung zum Generalstreik aufruft. Die Vertreter der verschiedenen Parteien und Gewerkschaften der Arbeiterbewegung bilden einen Aktionsausschuss und organisieren den Generalstreik in Swertrup. Interessanterweise wurde zeitgleich die bürgerliche Einwohnerwehr alarmiert – jedoch ohne die sozialdemokratischen Mitglieder zu informieren. Doch es gelingt im weiteren Verlauf den Arbeitern den ängstlichen Mitgliedern der Einwohnerwehr, die strategisch wichtige Positionen in der Stadt besetzt halten, die Waffen abzunehmen und sich selbst zu bewaffnen.

Brennende Ruhr, zweite Auflage 1947, DVD 2011, Raubdruck aus den 1970er Jahren.

Die Ereignisse im Roman nehmen ihren geschichtlichen Verlauf mit der Auseinandersetzung zwischen den bewaffneten Arbeiterwehren, die eine „Rote Ruhrarmee“ bilden sowie der Reichswehr, die zwar die Republik nicht gegen die rechten Putschisten schützt, wohl aber gegen bewaffnete Arbeiter vorgeht, und den rechtsradikalen Freikorps. Ernst Sukrow schließt sich den Arbeitern an und erlebt die Kämpfe und die Niederlage mit. Die einrückenden Truppen machen kurzen Prozess, richten Standgerichte ein und nehmen Erschießungen vor, unter den Erschossenen sind auch Oversath und Ruckers.

Der Roman schließt mit einer Wiederbegegnung zwischen Ernst Sukrow und dem tot geglaubte Kommunisten Max Grothe in der alten Rheinstadt Köln. Neben der politischen Einordnung der Ereignisse, die für den enttäuschten Sukrow natürlich anders ausfallen muss, als für den überzeugten Kommunisten Grothe, erfährt Sukrow auch vom Tod Mâry Ruckers.

„Brennende Ruhr“ erschien zuerst 1927 in verschiedenen Zeitungen in Fortsetzung und 1929 als Roman im Greifenverlag, Rudolstadt. Von den Nazis verbrannt folgte die zweite Auflage des Romans erst zwanzig Jahre später in der früheren DDR. In seinem Vorwort beschrieb Grünberg 1947 seine Motivation, statt eines abstrakt-politischen Buches eine fesselnde Erzählung zu schreiben, um so eine größere Breitenwirkung in der Darstellung politischer Probleme zu erreichen.

Der Roman wurde 1967 als aufwendiger Zweiteiler von der DEFA mit den Mitteln des Kinofilms für das DDR-Fernsehen anlässlich des 50. Jahrestages der russischen Oktoberrevolution verfilmt. Die inzwischen verfügbare DVD-Veröffentlichung aus dem Jahre 2011 enthält neben einem Portrait des Schriftstellers Karl Grünberg auch einen 40minütigen Beitrag mit Lieder und Geschichten der Brecht-Interpretin Vera Oelschlegel, die im Film die Rolle der Gisela Zenk spielt.

Ein weiteres mir vorliegendes Exemplar des Romans stammt aus dem Jahr 1971. Dabei handelt es sich um einen Raubdruck, herausgegeben vom KAB(ML), einer linken Splittergruppe der alten Bundesrepublik der 1970er Jahre. In dem damals hinzugefügten, schreibmaschinengeschriebenen Vorwort wird auf die Streiks der Stahlarbeiter 1969 hingewiesen und der Roman in Beziehung zu den damals tagesaktuellen Ereignissen gesetzt.

Die jüngste Ausgabe erschien 2010 im RuhrEcho Verlag in unserer Nachbarstadt Bochum mit einem Geleitwort von Hella Schermer-Grünberg, der Tochter von Karl Grünberg, einer aktualisierten Zeitleiste sowie einem umfangreichen überarbeiteten Glossar. Der komplette Roman ist auch gewissermaßen sozialisiert im Internet bei „Nemesis – Sozialistisches Archiv für Belletristik“ kostenfrei zu lesen.

In Gelsenkirchen erinnert ein Denkmal auf dem Horster Südfriedhof an die historischen Ereignisse und wird vom Institut für Stadtgeschichte (ISG) als „Kapp-Putsch-Mahnmal“ bezeichnet. Eine jährliche Gedenkveranstaltung an die Märzrevolution führen dort seit Jahren MLPD & Freunde durch. In diesem Jahr findet die Gedenkfeier am Samstag, 30. März 2019 von 13.30 bis 14.30 Uhr statt. Treffpunkt ist der Eingang zum Friedhof, Am Schleusengraben 11 um 13.15 Uhr.

1947/48 auf dem Friedhof Horst-Süd von der VVN errichtetes Denkmal für den antifaschistischen Widerstand, zur Erinnerung an die 1920 im Anschluss an den Kapp-Putsch von rechtsradikalen Freikorps ermordeten Mitglieder der „Roten Ruhrarmee“ und ergänzt um Horster Widerstandskämpfer 1933-1945, insbesondere der Franz-Zielasko-Gruppe.

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