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Frei.Wild-Frontsänger Philipp Burger ausgeladen!

Große Unterstützung für die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen, hier Mahnwache am 10.10.2019 an der Neuen Synagoge in Gelsenkirchen.

In Zeiten von Facebook, Twitter & Co. ist es immer mehr üblich geworden, sich dort medial aufzuregen anstatt klug und einfach zu handeln. Letzteres haben Mitglieder des Gelsenkirchener Aktionsbündnisses getan – und einfach bei der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen nachgefragt.

Gestern erreichte die VVN-BdA Gelsenkirchen die folgende Nachricht, „dass in Gelsenkirchen eine Veranstaltung zu Ehren von Esther Bejarano geplant ist, Veranstaltungsort ist die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen. Neben dem Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, und der Antisemitismusbeauftragten von NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, soll dort auch der Frontsänger der Rechtsrockband Frei.Wild, Philipp
Burger, auf dem Podium sitzen. Ein Mensch, der über die Liebe zu Volk, Nation und Heimat singt und nationalistische Phrasen über Identität drischt, soll auf einer Veranstaltung sprechen dürfen, die den Namen Esther Bejarano im Titel trägt, auf der ‚über Antisemitismus und die Schrecken der Shoah‘ gesprochen werden soll.“

Meine kurze Recherche ergab als Veranstalter der für den 22. September 2022 geplanten Veranstaltung die LaMalo Consulting GmbH, über die ich nichts wesentliches in Erfahrung bringen konnte. Die (inzwischen geänderte) Ankündigung fand ich hier, einen ausführlichen Bericht über die geplante Veranstaltung hier. Anstatt sich medial aufzuregen, nutzten Mitglieder des Gelsenkirchener Aktionsbündnisses gegen Rassismus und Ausgrenzung, in dem die VVN-BdA Gelsenkirchen mitarbeitet, ihre Kontakte, um die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen bezüglich der Veranstaltung und dem vom Veranstalter vorgesehenen Gast inklusive seines Hintergrunds zu informieren.

Innerhalb kürzester Zeit war klar, dass der Frontsänger der Rechtsrockband Frei.Wild, Philipp Burger, nicht in der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen auftreten und die Diskussion wie geplant, mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Abraham Lehrer, Ahmed Mansour und Holger Münch unter der Moderation von Susanne Glass stattfinden wird. Kern der Veranstaltung ist übrigens – das wäre angesichts der Aufregung fast untergegangen – eine Lesung von Esther Münch aus dem Buch „Nie schweigen“ – das Vermächtnis von Esther Bejarano.

Update: Der ursprüngliche Titel „Viel Lärm um Nichts“ hat zu einem Missverständnis geführt (siehe Kommentare) und wurde daher geändert.

Update: Nach der Ausladung folgt nun die Absage. Wie in der Jüdischen Allgemeinen zu lesen ist, wurde inzwischen die komplette Veranstaltung abgesagt.

Esther Bejarano gestorben

Ihr letzter öffentlicher Auftritt am 3. Mai diesen Jahres.

Heute Nacht ist die Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz, Ravensbrück und eines Todesmarsches im Alter von 96 Jahren ruhig und friedlich eingeschlafen. Die VVN-BdA verdankt ihrer Ehrenpräsidentin viel. Als 1990 zum ersten Mal ein Bundessprecher:innenkreis gewählt werden sollte und dafür Personen gesucht wurden, die Tradition und Neuanfang verkörperten, stand sie dafür zur Verfügung und wurde eine der ersten Bundessprecherinnen in einer Zeit, in der die VVN-BdA der Diffamierung des Antifaschismus entgegentreten musste. Sie hat einen großen Anteil daran, dass das gelungen ist. Und als im November 2019 das Finanzamt in Berlin die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA bestritt, schritt sie mit ihrem flammenden Appell an Olaf Scholz „Das Haus brennt und Sie sperren die Feuerwehr aus“ ein und verbreiterte die öffentliche Debatte. Damit hat sie wesentlich zu dem Erfolg in dieser Auseinandersetzung beigetragen. Antifaschismus ist wieder gemeinnützig!

Nun ist die unermüdliche Zeitzeugin gegen Vergessen des historischen und Verharmlosen des aktuellen Faschismus, Mahnerin und Kämpferin für Menschenrechte, Frieden und eine solidarische Gesellschaft von uns gegangen. Die Bundesvereinigung der VVN-BdA schreibt unter anderem in ihrem Nachruf: „Wir alle kannten Sie als eine Frau von großer Entschiedenheit und geradezu unglaublichem Elan, die viele von uns noch bis vor kurzem auf der großen Bühne erleben durften. Zuletzt saß sie am 8. Mai auf unserer kleinen Bühne im Hamburger Gängeviertel und erzählte von ihrer Befreiung am 3. Mai 1945 durch Soldaten der Roten Armee und der US-Armee, die kurz nacheinander in der kleinen Stadt Lübsz eintrafen. Dort hatte Esther mit einigen Freundinnen aus dem KZ Ravensbrück Unterschlupf gefunden, nachdem sie gemeinsam dem Todesmarsch entflohen waren.“

Anlässlich ihres letzten öffentlichen Auftritts am 3. Mai diesen Jahres, wo sie im Rollstuhl sitzend gleichwohl mit klarer Stimme sprach, wiederholte sie noch einmal ihre Forderung, den 8. Mai in Deutschland zum Feiertag zu machen: „Ich fordere: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes. Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit.“ Der vollständige Text der Rede kann hier nachgelesen werden.

Ein letztes Interview aus diesem Jahr von der digitalen Befreiungsfeier des KZ Ravensbrück.

Dieser Textbeitrag beruht im wesentlichen auf dem Nachruf der Bundesvereinigung der VVN-BdA.