Faschismus wurde und wird immer wieder als Kampfbegriff zur Kennzeichnung des politischen Gegners benutzt, ohne das in jedem Fall klar wird, worauf sich die Beurteilung als faschistisch stützt. Zugleich gibt es bis heute keine allgemeingültige Definition, was Faschismus ist. Zwei 2020 erschienene Publikationen beschäftigen sich aus linker Sicht mit dem Thema und zeigen, wie die verschiedenen Theorien und Erscheinungsformen für die Gegenwart als Werkzeug der Erkenntnis nutzbar gemacht werden können.
Mathias Wörsching, Berliner Historiker und Politologe, der auch die Webseite faschismustheorie.de betreibt, gibt mit seinem in der Reihe theorie.org des Schmetterling Verlags erschienenen Werk „Faschismustheorie“ einen Überblick über die im Laufe der Jahrzehnte entwickelten relevanten Faschismustheorien. Es handelt sich um eine sehr nützliche Darstellung, die unterschiedliche Sichtweisen auf den Faschismus und deren Entstehungshintergrund zeigt. Neben historischen und marxistischen Faschismustheorien referiert er auch die jüngeren angelsächsischen Theorien von Griffin und Paxton. So nutzt er am Schluss Paxtons Phasenmodell, um die Stärken und Schwächen der verschiedenen Theorien einzuschätzen. Paxton sieht Faschismus als sozialen Prozess mit den einzelnen Phasen Initiation, Aufschwung, Machtübernahme, Machtausübung, Radikalisierung oder Entropie (Rückbildung). Nach seiner Auffassung ist die politische Gefahr des Faschismus keineswegs überwunden, auf einer ersten Stufe existiere er auch heute in allen größeren Demokratien.
Für die Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellten Alexander Häusler und Michael Fehrenschild, beides Mitarbeiter von FORENA, dem Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf, eine Studie zur Bedeutung des Faschismusbegriffs, die in der Reihe Manuskripte unter dem Titel „Faschismus in Geschichte und Gegenwart“ und mit dem Untertitel „ein vergleichender Überblick zur Tauglichkeit eines umstrittenen Begriffs“ erschienen ist. Neben einer inhaltsreichen Arbeitsdefinition thematisieren sie insbesondere die länderspezifischen Entwicklungen in Italien, Deutschland, Österreich und Ungarn sowie die Fragen der Abgrenzungen zwischen einem allgemeinen (generischen) Faschismusbegriff und dem Nationalsozialismus bzw. der Rechtsextremismusforschung. Besonders wertvoll wird die Studie in meinen Augen durch die im Anhang abgedruckten Interviews mit Faschismus-Experten, die beinahe die Hälfte des Buchumfangs ausmachen und zu denen auch die Redaktionen der Zeitungen „der rechte rand“ und „Lotta“ gehören.
Aufmerksam wurde ich auf beide Veröffentlichungen durch einen Artikel in der „Lotta“ #80 vom Herbst 2020. Dort findet sich unter der Überschrift „Was ist Faschismus?“ ein Interview mit Mathias Wörsching und Alexander Häusler. Weiterhin empfehlenswert ist m.E. auch die 2012 bei PapyRossa erschienene Darstellung „Faschismus“ von Guido Speckmann und Gerd Wiegel, die zu einer engen Auslegung des Faschismusbegriffs rät und vor einer inflationären Verwendung des Begriffs warnt, einer Position, der ich nur zustimmen kann.
Literatur
Häusler, Alexander/Fehrenschild, Michael: Faschismus in Geschichte und Gegenwart. Ein vergleichender Überblick zur Tauglichkeit eines umstrittenen Begriffs = Rosa-Luxemburg-Stiftung. Manuskripte 26, Berlin 2020 (auch als Online-Publikation)
Speckmann, Guido/Wiegel, Gerd: Faschismus, Köln 2012
Wörsching, Mathias: Faschismustheorien. Überblick und Einführung = theorie.org, Stuttgart 2020
„Was ist Faschismus?“ Ein Gespräch mit Mathias Wörsching und Alexander Häusler. Das Interview führte Pia Gomez, in: Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, #80, Herbst 2020, Seiten 4-6
Noch einen Artikel online gefunden:
Zwischen Analysekategorie und Kampfbegriff
http://www.lotta-magazin.de/ausgabe/74/zwischen-analysekategorie-und-kampfbegriff