Im Jahr 2019 zeigten sich in Gelsenkirchen wie im übrigen Deutschland zwei gegensätzliche gesellschaftspolitische Pole, die um ihre Wirkungsmacht ringen. Auf der einen Seite die sich immer weiter nach rechtsaußen bewegende sogenannte „Alternative für Deutschland“, auf der anderen Seite die weltweite Klimabewegung um „Fridays for Future“, die es in Gelsenkirchen sogar zweimal gab.
Die Politikvorstellungen der AfD lassen sich – folgt man den bekannten Äußerungen ihrer bekannten Vertreter – einem generischen Faschismusbegriff zuzuordnen. Der Faschismusforscher Roger Griffin definiert Faschismus als ultranationalistische Ideologie, die eine radikale „Neugeburt“ der Nation nach einer Phase der Dekadenz erreichen wolle. Eine mythisch verklärte Vergangenheit werde so zur Zukunftsvision. Zwar ist diese rückwärts gewandte Politik derzeit nicht mehrheitsfähig, doch ist die AfD inzwischen wie CDU/CSU und SPD im Bundestag und in allen Länderparlamenten vertreten. In ostdeutschen Bundesländern erzielt sie Ergebnisse wie die ehemaligen Volksparteien CDU/CSU und SPD, in Gelsenkirchen erreichte sie zur letzten Bundestagswahl beängstigende 17 Prozent der Wählerstimmen.
In die Zukunft blicken hingegen die Schüler, die Freitags für eine andere Klimapolitik streiken und ihrem parteipolitischen Pendant, Bündnis 90/Die Grünen, in ganz Deutschland einen unglaublichen Höhenflug bescherten. Ihr Ziel ist nicht die Rückkehr zu einer mythischen Vergangenheit, sondern ganz im Gegenteil, eine Änderung der aktuellen Politik, die den begonnenen Klimawandel in der Zukunft begrenzen soll, denn aufhalten lässt er sich wohl nicht mehr. Interessanter- aber nicht überraschenderweise ist – politisch gesehen – die Partei Bündnis 90/Die Grünen der direkte Gegenpol zur AfD und gehören AfD-Politiker zu denjenigen, die den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel leugnen.
In Gelsenkirchen stehen 2020 wieder Kommunalwahlen an. Sorgen wir alle dafür, dass die Fakten leugnenden Vertreter einer mythisch verklärten Vergangenheit weiter in der Minderheit bleiben und die Mehrheit denen gehört, die eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen erstreben.
Hallo Knut,
im folgenden drei nachdenkliche Randbemerkungen zu deinem Statement zum Jahresschluß:
a) Du schreibst: „Interessanterweise . . . ist – politisch gesehen – die Partei Bündnis 90/Die Grünen der direkte Gegenpol zur AfD“.
Ist es nicht in Wirklichkeit so, dass die Sozialpolitik von Bündnis 90/Die Grünen seit Schröders und Fischers Agenda 2010 eine der wesentlichen Kraftquellen der AfD ist – und zwar bis heute. Wenn man große Teile der Bevölkerung – darunter viele Kinder – per Hartz-4-Regelungen ins soziale Abseits befördert und ihrer Würde beraubt dann ist man alles andere als ein Gegenpol der AfD. Eher könnte man sagen damit hilft man den klassischen AfD-Wähler schaffen.
b) Du sprichst von den Schülern, die freitags für eine andere Klimapolitik streiken und nennst dann die Partei Bündnis 90/Die Grünen „ihr parteipolitisches Pendant“. Diese Sichtweise hat wohl auch dazu geführt, dass es den Vertretern nur dieser Partei bei der letzten Demo und Kundgebung von ‚fridays for future gelsenkirchen‘ erlaubt wurde, neben dem Rednerpodium einen eigenen Partei-Infostand zu präsentieren, was laut Vorankündigungen ALLEN Parteien untersagt war (was ich übrigens durchaus verständlich finde). Fürwahr ein eigenartiges Verständnis von öffentlicher Auseinandersetzung.
c) „Wer vom Kapitalismus nicht reden will sollte von Nachhaltigkeit und Klimaschutz schweigen.“ heisst es inzwischen weithin völlig zu Recht. Immer mehr Menschen glauben, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz unter der ehernen Profitlogik und dem Wachstumszwang des Kapitals nicht hinreichend zum Tragen kommen können. Stellt sich also die Frage: Seit wann wollen denn Bündnis 90/Die Grünen den Kapitalismus überwinden? In den programmatischen Texten der Partei habe ich davon nichts gefunden. Stattdessen einen „radikal realistischen Maßnahmenplan“ ohne jeden realen Bezug auf die realen Verursacher der Umweltprobleme. Und übrigens auch keine Absage an Hartz-4 etc.
Guten Rutsch ins neue Jahrzehnt
Rolf Jüngermann
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http://www.rolfjuengermann.de
Lieber Rolf,
herzlichen Dank für deine doch recht ausführlichen Randbemerkungen zu Randaspekten meines Beitrags. Wenn du meinen Beitrag als Parteinahme für Bündnis 90/Die Grünen verstanden hast, liegst du falsch. Aber offensichtlich ist meine Provokation gelungen!
zu a) Ist es nicht so, dass die rotgrüne Bundesregierung 1999 aus der vor 20 Jahren noch starken SPD (mit heute unvorstellbaren 40,9 %) und dem kleineren Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen bestand (6,7 %)? Ist es nicht so, dass sich seitdem ganz ganz viele Wähler (ich auch) von der SPD abgewendet haben, weil sie sich von ihr nicht mehr vertreten fühlen? Ist es nicht so, dass die SPD noch immer nicht in der Lage ist, ihre damalige, neoliberale Politik als Grundfalsch zu bezeichnen, sondern in immer kleineren sogenannten „großen“ Koalitionen kleinere Reparaturmaßnahmen für jeweils eng begrenzte angenommene Klientel durchführte und dabei immer weiter schrumpfte? Wieso du dafür alleine Bündnis 90/Die Grünen verantwortlich machst, ist mir ein Rätsel.
Und: Ist es wirklich so, dass nur der gedemütigte Hartz-IV-Bezieher die AfD wählt? Und warum erreicht DIE LINKE (oder die DKP) den gedemütigten Hartz-IV-Bezieher nicht? Sind daran auch Bündnis 90/Die Grünen schuld?
zu b) Deine Frage kann ich nicht beantworten, die solltest du der Gruppe stellen. – Allerdings fand ich in der jüngsten Ausgabe der „Clara“, der Zeitung der Bundestagsfraktion der DIE LINKE ein Foto der Bundestagsabgeordneten Ingrid Remmers, die bei Fridays for Future Gelsenkirchen sprechen „durfte“. Auf der Homepage der DIE LINKE findet sich ein Eintrag über einen Redebeitrag des stellvertretenden Sprechers Jonas Selter bei Fridays for Future in Buer unter https://www.dielinke-gelsenkirchen.de/nc/partei/gelsenkirchen/detail/news/fridays-for-future-traegt-klimaprotest-nach-buer/.
zu c) Ich glaube auch nicht, dass Bündnis 90/Die Grünen den Kapitalismus überwinden will. Ich glaube auch nicht, dass es dafür eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt.
Mit antifaschistischen Grüßen
Knut
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