Martin Schulz hat es im Deutschen Bundestag im Reichstagsgebäude gegenüber der AfD treffend auf den Punkt gebracht: „Die Reduzierung komplexer politischer Sachverhalte auf ein einziges Thema, in der Regel bezogen auf eine Minderheit im Land, ist ein tradiertes Mittel des Faschismus.“ Auch in Gelsenkirchen lässt sich bei der AfD eine entsprechende Fixierung auf die Migranten, und zwar die muslimischen Migranten, beobachten. Man kann direkt von einem Fetisch der AfD sprechen.
In einem „politischen Kommentar“ vom 22.09.2018 auf der Facebook-Seite der AfD-Gelsenkirchen stellt ein Dirk Klante die Behauptung auf, „dass Ausländer mehr als doppelt so häufig wie Deutsche“ Hartz IV bezögen. Der gesamte „Kommentar“ Klantes ist ein halbgarer Eintopf aus Fakten, Halbwahrheiten und Vorurteilen. Nach einer Anklage der „bundesrepublikanischen Migrations- und Asylpolitik“ stellt er richtig fest, dass der Anteil ausländischer Hartz-IV-Bezieher in Gelsenkirchen von 2014 bis 2017 gestiegen ist. Angesichts der geflüchteten Menschen, die im Jahre 2015 Deutschland lebend erreichten und nicht im Mittelmeer jämmerlich ersoffen sind, und wenn man die Struktur des Arbeitsmarktes in Gelsenkirchen kennt, sicherlich keine Überraschung. Ohne weiteres Zahlenmaterial rechnet er frei nach Thilo Sarrazin noch „die Eingebürgerten und Doppelpass-Besitzer“ hinzu, von denen „leider immer noch zu viele … am Arbeitsmarkt nicht integriert“ seien. Hier könnte man sich fragen, warum jemand keinen Arbeitsplatz findet, von dem er leben kann. Wer in Gelsenkirchen lebt und hier aufgewachsen ist, kennt die Schwierigkeit, einen anständig bezahlten Arbeitsplatz zu finden. Doch diese Frage interessiert Klante nicht, sein Focus sind Ausländer mit und ohne deutschen Pass – und wie sich weiter unten zeigt, auch unabhängig davon, ob sie arbeitslos sind oder nicht!
Doch zunächst widmet er sich den ausländischen Hartz-IV-Empfängern. Und so wie in der öffentlichen Diskussion die Schuld an der Arbeitslosigkeit allzu oft bei den Arbeitslosen gesucht wird, sucht Klante die Schuld nicht in der schwierigen Arbeitsmarktsituation in Gelsenkirchen, sondern zählt süffisant zwei Nationalitäten mit Prozentwerten auf. Die andere Hälfte der deutschen Hartz-IV-Bezieher interessiert ihn dagegen überhaupt nicht. Was er ebenfalls nicht berücksichtigt, ist die Struktur der Hilfsempfänger/-innen. Nach den Zahlen des Integrationscenters für Arbeit Gelsenkirchen (IAG) sind von den 53.103 Hilfeempfänger/-innen 15.324 Kinder unter 15 Jahren und nur 14.234 gemeldete Arbeitslose. Die Zahl der sogenannten „Aufstocker“, jene, die zwar einen Arbeitsplatz haben, aber von dem Einkommen alleine nicht leben können, habe ich leider auf die Schnelle nicht gefunden. Hier zeigt sich erneut, dass es Klante gar nicht um eine sachbezogene Auseinandersetzung geht, sondern er nur einen Teil der Fakten zur Untermauerung seiner Vorurteile nutzt. Deutlich wird seine Einstellung in einem ironischen Satz nach der Feststellung, dass in Gelsenkirchen Menschen aus 150 Ländern leben. „Was wir ja auf der Bahnhofstraße besonders samstags bestaunen können.“
Aufgrund des syrischen und türkischen Ausländeranteils unter den Hartz-IV-Empfängern kommt er zu dem Schluss, in Gelsenkirchen gäbe es „eine große muslimische Unterschicht“. Merkwürdig ist jedoch die Rechnung, die er aufstellt: „Die mit Abstand größte Gruppe sind die neuen Einwanderer aus Syrien und den arabischen Ländern (11%) gefolgt von türkischen Bürgern (9,1%). Diese beiden Herkunftsregionen sind also für über 50% der ausländischen Hartz IV-Bezieher verantwortlich.“ Bei mir ergibt 11 % und 9,1 % zusammen 20,1 % und nicht „über 50 %“. In der Verwaltungsvorlage, auf die sich Kante bezieht, sind die fünf größten Gruppen nach Herkunftsländern Syrien (11 %), Türkei (9,1 %), Rumänien (5 %), Bulgarien (2,5 %) und Serbien (2,2 %) und beträgt der Anteil ausländischer Hartz-Empfänger 39,4 %. Religionen sind nicht ausgewiesen. Das tatsächliche Zahlenmaterial bestätigt die Behauptung Klantes von der „großen muslimischen Unterschicht“ gerade nicht, sondern entlarvt sie als ideologiegeprägtes Vorurteil.
Nach weiteren unbelegten Behauptungen und einem AfD-typischen Exkurs auf Artikel 16a des Grundgesetzes bezieht die „AfD-Gelsenkirchen“ (Bindestrich im Original) „klar Stellung“. Doch bereits der erste Absatz ist überhaupt nicht klar. Heißt es zunächst im ersten Satz „Wir sind nicht gegen Einwanderung.“ folgt mit diversen Einschränkungen dann der verquastete Satz: „Sie muss … in der Quantität nahezu auf null zurückgeführt werden.“ Die wirkliche Bedeutung des ersten Satzes lautet also: Wir sind gegen Einwanderung! Dass die AfD alle nach ihrer Auffassung „illegal eingereisten Menschen“ (nach Klante „97-99,5%“ der Asylbewerber) wieder aus dem Land schmeißen will überrascht nicht, auch wenn hier das schöne Wort „remigriert“ steht. Die wirkliche Bedeutung lautet: Ausländer raus!