Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Daß keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!
(Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Epilog)
17 % der Wähler in Gelsenkirchen markierten zur diesjährigen Bundestagswahl ihr Revier und machten unsere Stadt zur AfD-Hochburg im Westen der Republik. Dabei ist der Erfolg rechter Parteien in Gelsenkirchen keine Neuigkeit.
Bereits zur Kommunalwahl 1989 holten „Die Republikaner“ 7,4 % in unserer Stadt. In den Wahlen zwischen 1994 und 2004 sanken sie auf zwischen 3,1 und 4,0 % ab. Die Parteien wechselten, Inhalte, Wähler und Protagonisten blieben. Zur Kommunalwahl 2009 übernahm Pro NRW mit 4,3 % das rechte Wählerpotential. Kevin G. Hauer war 2007 von den Republikanern zu Pro NRW gewechselt und behielt mit wechselndem Parteibuch seinen Sitzplatz im Rat der Stadt. Seit der letzten Kommunalwahl sitzen auch noch drei Vertreter der AfD darin. Neben personellen Konituitäten wie im Falle Hauers gehört auch das Zerstreiten innerhalb der Fraktion zu Kontinuitäten rechter Parteien. Die drei AfD-Mitglieder im Rat bilden derzeit einen zerstrittenen Haufen aus einer zweiköpfigen Ratsgruppe und einen Einzelmandatsträger.
Die jüngste Aktivität des Einzelmandatsträgers Herrn Preuß bestand in einer Anfrage nach einer Statistik zur Erteilung von Arbeitsgenehmigungen für Ausländer in Gelsenkirchen seit 2012. So kann man die Verwaltung einer Stadt natürlich auch beschäftigen.
Zur Kontinuität der rechten Parteien gehört ebenfalls, dass man sich nach außen eine demokratische Fassade gibt. Ein Beispiel gibt ein Bericht in der „Die Zeit“ aus dem Jahre 1993. Der damalige Landesvorsitzende der Republikaner, Uwe Goller, gibt sich und seiner Partei in einem Interview eine gemäßigte Haltung, während Zitate interner Schriften eine andere Sprache sprechen. Ein ähnliches Muster kennen wir aus der gegenwärtigen AfD angesichts der öffentlich gewordenen Kommunikation von AfD-Anhängern in internen Gruppen sozialer Medien.
„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen …“
Deutlich verändert hat sich allerdings das öffentliche Klima. Im Umfeld von AfD, PEGIDA & Co sind heute Dinge öffentlich sagbar geworden, die vor 1990 nur am Stammtisch in bierseliger Laune möglich gewesen sind. Im Ergebnis führte auch das zu den Wahlerfolgen der AfD – nicht nur in Gelsenkirchen. Die These, dass viele die AfD aus Enttäuschung über die anderen Parteien oder weil sie von der herrschenden Politik abgehängt sind gewählt hätten, teile ich nicht. Es mag diese Fälle geben, aber wer die AfD wählt, teilt mindestens einen Teil ihrer Überzeugungen. Auch die Annahme, die AfD sei ein Problem des Ostens unserer Republik, wie es beispielsweise die Ruhrbarone mit ihrer Überschrift „Gelsenkirchen: Der Osten im Westen“ suggerieren, ist so nicht haltbar. Zwar erzielte sie dort die höheren Prozentwerte und überholte in Sachsen die CDU, doch wenn man sich die Wähler in absoluten Zahlen ansieht, dann stehen 3,9 Millionen Wähler im Westen nur 1,9 Millionen Wähler im Osten gegenüber.
Mit den Wahlerfolgen rechter Parteien und der Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach Rechts ging und gehen auch vermehrt tätliche Angriffe einher. 2010 wurde das Fritz-Erler-Haus, ein Jugendheim der für ihre antifaschistische Arbeit bekannten sozialdemokratischen Jugendorganisation „Die Falken“ in Gelsenkirchen-Hassel sowie umliegende Fahrzeuge mit Hakenkreuzen beschmiert. Diese Aktion reihte sich in ähnlichen Aktionen gegen andere Falken-Häuser ein. 2015 wurde die bekannte Antifaschistin Heike Jordan erst von einem Neo-Nazi tätlich bedroht, dann das Haus in Gelsenkirchen-Horst, in dem sie und ihr Mann leben, gleich zweimal in kurzem Abstand mit Hakenkreuzen und anderen Schmierereien beschmutzt.
Gegenwärtig wird Monika Gärtner-Engel (MLPD, AUF Gelsenkirchen) massiv bedroht. Man muss die politischen Vorstellungen, die zudem in Gelsenkirchen mit dem Wahlbündnis AUF Gelsenkirchen nur ein geringes Wählerpotential erreichen, nicht gutheißen, aber ein Aufruf zum Mord überschreitet alle Grenzen der politischen Auseinandersetzung! Solidaritätsbekundungen gab es in allen Fällen. Die Hauswand in Gelsenkirchen-Horst wurde 2015 beide Male aus den Reihen des Bündnis gegen Krieg und Faschismus kurztfristig gesäubert, die Schmierereien übermalt. Gegen die Morddrohungen gegen Monika Gärtner-Engel gab es Solidaritätsadressen von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke sowie der DKP. Nach jüngsten Informationen wird die Montagsdemonstration ebenfalls bedroht.
Was tun gegen Rechts?
Die Analyse der Rechtsentwicklung wäre nicht komplett ohne eine Antwort auf die Frage, was sich dagegen unternehmen lässt. Vielleicht hilft ein kleiner Blick in das beschauliche Münster. Dort erzielte die AfD zur Bundestagswahl nur 4,9 %. Es handelt sich bundesweit um den einzigen Wahlkreis, in dem die Partei die Fünfprozenthürde nicht überschritt. Wie kommt das? Britta Baas, verantwortliche Redakteurin, schreibt dazu in der jüngsten Ausgabe von „Publik-Forum“, einer des Linksextremismus unverdächtigen Zeitschrift kritischer Christen: „Vier Monate vor der Wahl begann in Münster eine organisierte Zivilgesellschaft, unterstützt von demokratischen Parteien, sich gegen den organisierten Rechtspopulismus aufzulehnen. Als die AfD im Februar ihren Neujahrsempfang gab, protestierten über 8000 Menschen auf dem Prinzipalmarkt gegen die Partei. Ihr Slogan: ‚Ihr seid nicht wir!'“
In Gelsenkirchen jedoch gestaltet sich die Zusammenarbeit gegen Rechts schwierig. So ist es auch kein Zufall, dass es zum Beispiel angesichts des geplanten Aufmarsches der „Die Rechte“ am 1. Mai 2015 in Gelsenkirchen kein gemeinsames Bündnis „Gelsenkirchen stellt sich quer“ wie in benachbarten Städten gab. Stattdessen organisierten örtliche Organisationen in Gelsenkirchen-Rotthausen auf dem Ernst-Käsemann-Platz ein Freundschafts- und Kulturfest. Ein Bündnis aus Jugendorganisationen bildete das Bündnis „G-E-blockt“ mit dem Ziel, Sitzblockaden durchzuführen. Das seit 2011 bestehende Antikriegstagsbündnis benannte sich zum „Bündnis gegen Krieg und Faschismus“ um und demonstrierte direkt an der Stadtgrenze Essen-Gelsenkirchen.
Überaus träge erweist sich – verglichen mit Münster – die „Demokratische Initiative gegen Diskriminierung und Gewalt, für Menschenrechte und Demokratie – Gelsenkirchen“. Sie besteht seit 1992 und hat derzeit 23 Mitglieder, alles Organisationen und Institutionen aus dem demokratischen Spektrum, darunter neben der Stadt Gelsenkirchen Parteien, Wohlfahrtsverbände sowie weitere Organisationen und Institutionen. Der Oberbürgermeister ist Schirmherr der Initiative. Sie organisiert jährlich die Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht vom 9. November 1938. Weitere, bemerkenswerte, eigene Aktivitäten in den letzten Jahren sind mir nicht bekannt. Leider.
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