„Das zweite Trauma“ über ein ungesühntes Massaker – in der Flora aufgeführt

„Das zweite Trauma“ ist ein Dokumentarfilm von Jürgen Weber über eines der vielen Massaker, die deutsche Soldaten, mal in Wehrmachts-Uniform, mal als Waffen-SS, während des Zweiten Weltkrieges verübten. In Sant’Anna di Stazzema, einem kleinen Dorf in den Bergen der nördlichen Toskana, wurden am 12. August 1944 rund 560 Zivilisten, überwiegend Frauen und Kinder, von Einheiten der Waffen-SS auf zum Teil unvorstellbar grausame Weise ermordet. Das Kriegsverbrechen wurde auch nach 1945 sowohl in Italien wie in Deutschland lange Zeit „beschwiegen“.

Die für Gelsenkirchener Verhältnisse gut besuchte Filmvorführung fand am 17.10.2017 in der Flora statt. Über dreißig Besucher aus verschiedenen Altersgruppen besuchten die von Gelsenzentrum e.V. organisierte, gemeinsam mit der VVN-BdA durchgeführte und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Veranstaltung. Im 2016 uraufgeführten Film erzählen Überlebende wie Enrico Pieri und Enio Mancini, die als Kinder den Leichenbergen ihrer Eltern, Freunden und Verwandten entstiegen waren, ihre bedrückenden Erlebnisse. Eingebettet sind die Erinnerungen, denen der Film einen breiten Raum gibt, in Aufnahmen der romantischen Berglandschaft, historischen Aufnahmen und Aufnahmen der Gedenkstätte. Der Film thematisiert auch die fehlende juristische Aufarbeitung, die erst spät ab 2002 in Italien begann und in Deutschland nicht stattfand. Keiner der Mörder wurde in Deutschland angeklagt, vor Gericht gestellt und verurteilt. 2015 wurde das letzte Verfahren in Deutschland eingestellt.

Jürgen Weber, Journalist und Regisseur aus Konstanz am Bodensee und ebenfalls Mitglied der VVN-BdA, stand im Anschluss an den Film noch für Fragen aus dem Publikum bereit. Das Publikum beteiligte sich mit zahlreichen Fragen, Anmerkungen und Wortbeiträgen. Auf die Frage, warum er diesen Film gemacht habe, erzählte er von seiner langjährigen Beschäftigung mit den italienischen Partisanen. Den Anstoss gab die Begegnung mit den Überlebenden des Massaker und – letztendlich – der Besuch des Bundespräsidenten Gauck, der 2013 behauptet hatte, der Rechtsstaat habe keine geeigneten Mittel um Gerechtigkeit herzustellen. Der Film nimmt diese Aussage zu Beginn auf und gibt eine völlig andere Antwort auf diese Frage als Gauck.

In seinen einleitenden Worten stellte Knut Maßmann für die VVN-BdA die Veranstaltung in den aktuellen Kontext der Äußerungen des AfD-Politikers Gauland, der ein Recht darauf einforderte, wie andere Nationen auch stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in beiden Weltkriegen zu sein. Diese Veranstaltung ist auch eine Antwort darauf.

„Das zweite Trauma“ wurde 2017 in seiner italienischen Fassung „Il secondo trauma“ in Sant’Anna di Stazzema aufgeführt. Beide Sprachfassungen sind auch als Kinofassungen für Programmkinos und Kommunale Kinos erhältlich, der Kinoverleih wird von Querwege betrieben. Seit kurzem gibt es auch eine didaktische Fassung für den Einsatz in Schulen.

Ein Gedanke zu „„Das zweite Trauma“ über ein ungesühntes Massaker – in der Flora aufgeführt

  1. Knut

    Liebe Anwesende,

    als Vertreter der VVN-BdA möchte ich einleitend ein paar Worte sagen. Und zunächst möchte ich meine Freude ausdrücken, dass so viele hier sind und sich für dieses Thema interessieren.

    Am 2. September diesen Jahres sprach Alexander Gauland von der AfD (die ja inzwischen von vielen als Alternative zur NPD angesehen wird) beim „Kyffhäusertreffen“ in Thüringen unter anderem davon – sie haben bestimmt davon gehört – dass auch wir Deutsche so wie Franzosen oder Briten das Recht hätten, auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen stolz zu sein.

    Deutschland hat zweimal im 20. Jahrhundert versucht, vergeblich versucht, mit militärischen Mitteln eine Vormachtstellung in Europa und der Welt zu erreichen.

    Zu den bekannten Leistungen (und dann muss man das Wort Leistungen in Anführungszeichen setzen), zu den bekannten „Leistungen“ der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg gehören Völkermord, Bombenkrieg, das massenhafte Sterbenlassen von Kriegsgefangenen, das planmäßige Aushungern von Zivilisten sowie Morde an Kriegsgefangene und Zivilisten.
    Die Verantwortung der obersten Generalität ist historisch seriös belegt. Mehrere hunderttausend deutsche Wehrmachtssoldaten, wahrscheinlich mehr, haben im strafrechtlichen Sinne aktiv an Kriegsverbrechen mitgewirkt, nicht mitgerechnet die Einheiten der Waffen-SS, der Ordnungspolizei und der Einsatzgruppen.

    Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, für die ich hier spreche, hat sich unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus den Verfolgten und Widerstandskämpfern gegründet.
    Sie beruft sich noch heute auf den „Schwur von Buchenwald“, mit dem die Überlebenden des Konzentrationslagers am 19. April 1945 ihrer Toten gedachten und einen Appell an alle Antifaschisten richteten. Darin heißt es unter anderem: „Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt den Frieden und das Leben erkämpfen.“

    Wenn wir schon auf Soldaten stolz sein wollen, dann sind das die Soldaten, auf die wir stolz sein können!

    Heute Abend beschäftigen wir uns in zweifacher Hinsicht mit den „Leistungen“ unserer Vergangenheit, die vor 1945 und die nach 1945.
    Wie im tschechischen Lidice, im griechischen Kalavryta oder im französischen Oradour wurde mit dem nordtoskanischen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema eine ganze Ortschaft zerstört, ihre Bewohner ermordet.

    Juristisch blieb das Massaker ungesühnt, die Täter, die Mörder, konnten fast 60 Jahre unbehelligt leben, sie wurden auch danach weder bestraft noch ins Gefängnis geworfen.

    Der Film, den wir jetzt sehen werden, „Das zweite Trauma“, zeigt uns (um ein anderes AfD-Wort zu verwenden) unsere Schande, nämlich die beschämende Ignoranz in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte gegenüber dem Leid der Opfer und Überlebenden.

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